Apr 212011
 

Oha, der Herr Maroldt bezichtigt die Grünen der Heuchelei, bezeichnet ihr Zurückweichen vor dem Volksentscheid als – so wörtlich – „Schande“.

Na, bitte keine Grünen-feindliche Hetze, Herr Maroldt!

Ich würde sagen: Der „Volksentscheid über Stuttgart 21“ hat stattgefunden. Die für den heiligen Boden kämpfenden Grünen waren am Anfang für Stuttgart 21, dann schwenkten sie um und sind und „waren schon immer“ gegen Stuttgart 21, die SPD in Baden-Württemberg, die CDU und die FDP sind und waren für Stuttgart 21. Die CDU wurde mit Abstand stärkste Partei, die vier Parteien der Stuttgart 21-Befürworter erreichten zusammen 67,4 Prozent. Ohne Fukushima – ohne dieses Geschenk des Himmels für die Grünen – wären es 4 oder 5 Prozent mehr geworden.

Das wählende Volk hat zu 67,4% für den Bau von Stuttgart 21 gestimmt. Noch Fragen?

Die Grünen wären doch von allen guten Geistern verlassen, wenn sie jetzt noch auf ihrer Forderung nach einem Volksentscheid bestünden. Es gäbe eine krachende Niederlage.

Kontrapunkt: Schande 21 – Meinung – Tagesspiegel

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Feb 172010
 

16022010010.jpg Zwei unterschiedliche Befunde zur Internetnutzung bringt die Zeitschrift Psychologie heute im Februar-Heft:

Heft 2/10: Die positiven Effekte des Internets – Themen und Trends Psychologie Heute
Droht uns die ethische Abstumpfung?
Wenn unser Gehirn durch digitale Informationen überlastet wird, besteht die Gefahr, dass Mitgefühl und Toleranz verlorengehen

Walter Braun meint auf S. 16, unsere tieferen Gefühle wie etwa Mitleid und Einfühlung bräuchten mehr Zeit als das Internet erlaube. Im hastigen Durchklicken stumpfe der Nutzer ab – schlecht für grundlegende soziale Fähigkeiten!

Auf S. 10 hingegen verweist Annette Schäfer auf einige Studien, die positive Auswirkungen des Internets belegen: Gerade den Jungen falle es leichter, über das Internet mit anderen Kontakt zu halten. Sie könnten leichter Gefühle wie Angst oder Unsicherheit zugeben und bewältigen lernen. Dies gelte vor allem für soziale Netzwerke.

Ich stimme beiden Befunden in Teilen zu. Beide Erfahrungen habe ich schon gemacht! Ich kenne sowohl die Abstumpfung durch zu intensive Nutzung des Internets wie auch die Sensibilisierung durch bewussten, weisen Gebrauch im Dienste sozialer Verknüpfung.

Ich fasse meine Beobachtungen so zusammen:

Internet. Tolle Sache! Es kommt drauf an, was du draus machst, Junge!

Auf dem Foto: Fläche am Anhalter Bahnhof.  Links zwei Gebäude Post: ehemaliges Paketpostgebäude,  dahinter Potsbank-Verwaltung. Rechts ein Teil der Fanny-Hensel-Schule.

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Fasching oder Faschismus? (1)

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Feb 132010
 

Eine kleine Übung in Bewertung und Einordnung von medialer Wirklichkeit haben wir uns heute vorgesetzt! Unterschiedliche Medien berichten über dasselbe Ereignis unterschiedlich. Lest zum Beispiel aus einem nach eigenen Angaben unabhängigen Internet-Portal die folgende Meldung:

de.indymedia.org | Die Überflüssigen protestierten in B-Neukölln
Die Menschen mit weißen Gesichtsmasken und in roten Kapuzis waren wieder einmal da. In Berlin-Neukölln haben sie diesmal das örtliche Quartiersmanagement besucht, das das lokale Wohnumfeld aufzuwerten versucht – Verdrängungstendenzen durch steigende Mieten sind die Folgen.
Linke Gruppen haben am Mittwoch in Neukölln gegen die Verdrängung Einkommensschwacher aus dem Kiez protestiert. Die Unbekannten stürmten in roten Kapuzenjacken und weißen Masken gegen 16 Uhr die Räume des Quartiersmanagements in der Schillerpromenade, streuten Konfetti und beklebten Wände und Fenster mit Plakaten. Drei Stunden später protestierten rund zehn Personen in einem Einkaufszentrum an der Karl-Marx-Straße.

Was ist euer Eindruck? Man könnte denken: Ein harmloser kleiner Faschings-Scherz.  Ein kleines mediales Gekräusel. Die üblichen Worthülsen, Wort-Konfetti wie etwa „Verdrängung Einkommenschwacher“, „gegen Aufwertung des Wohnumfeldes“ usw. Ein Teil der Berliner Bezirkspolitik erschöpft sich im mehr oder minder höflichen Austausch solcher innig gehegter Überzeugungen. Manchmal garniert mit Beleidigungen oder der einen oder anderen Sachbeschädigung. Echte Aufarbeitung von politischen Problemen sollte man nicht davon erwarten! Irgendwelche Anstöße zur Veränderung der Lage gehen davon nicht aus. Es sind eben alles stockkonservative Leute, die mit den Konfettiberegnungen, die ihren Karneval feiern und am liebsten alles so lassen, wie es ist, ob nun im im guten alten  Köln („Mer lasse de Fasching in Kölle“) oder im lustigen arbeitsamen Neukölln: „Bitte keine Veränderung in Neukölln!“ Das ist das Motto der linken Stockkonservativen. Nennen wir sie doch: die Berliner Neocons.

Aber einige Leute, die sich vom zahlenden Elternhaus abzunabeln versuchen, verschaffen sich im guten arbeitsamen Neukölln das Gefühl, dass dadurch die Zeit vergeht. Und ihren Spaß haben sie auch. Gerade jetzt zur Faschingszeit! Oder sollte man Karneval sagen?

Ist das alles? Nein! Lest den Bericht des Tagesspiegels über dasselbe Ereignis im nächsten Beitrag! Er folgt sogleich.

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Jan 162010
 

Letzte Vorbereitungen zur Bewerbungsrede vor dem Parteitag in drei Stunden. Die gestern verabschiedete „Berliner Erklärung“ der CDU-Bundesspitze ist reinstes Wasser auf meine Mühlen! Alle Schichten müssen angesprochen werden. Richtig. Die CDU ist Volkspartei. Und wenn das Volk anders tickt als die örtliche CDU? Soll das Volk ausgetauscht werden? Oder soll man sich bemühen, das Volk hereinzuholen in die Partei? Spannende Frage!

Ich finde zahlreiche Positionen und Formulierungen, die ich intern seit April 2007 schriftlich bei den Gremien eingereicht habe. Das kann ich alles nachweisen, schriftlich. Toll! Gut gefällt mir die Formel von der „hereinholenden Volkspartei“.

Hier in Friedrichshain-Kreuzberg muss es allerdings heißen: Die zurückholende Volkspartei. Die CDU steht hier seit Jahren bei 8-11 Prozent.

Berliner Erklärung-Tagesspiegel

Zudem hat Merkel für ihren grundsätzlichen Kurs der CDU als, wie sie selber sagt, „hereinholende Volkspartei“ allseits Zuspruch bekommen.

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Nov 162009
 

Noch gut erinnere ich mich an das ungute Gefühl, das mich immer wieder beim Passieren der DDR-Grenzanlagen beschlich. Dennoch behielt ich meine Gedanken über Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl bei allen Kontrollen stets für mich, legte brav meinen Ausweis vor und verhielt mich unauffällig.

Nur ein einziges Mal sind mir gegenüber den Ordnungskräften die Nerven durchgegangen: Das war, als ich bei einem „Tagesbesuchs“-Versuch aus irgendeinem Grund im Jahr 1987 komplett – einschließlich der Brieftasche – durchsucht wurde und mir dann die Einreise über die Übertrittsstelle Friedrichstraße verweigert wurde. „Warum darf ich nicht in die Hauptstadt der DDR?“, fragte ich. „Darüber geben wir keine Auskunft“, hörte ich. Ich schluckte. „Was SEID ihr doch für lächerliche Wichtelmänner!“ entfuhr es mir. Ich schimpfte drauf los. Ich war so wütend! Mann! Die DDR-Grenzer ließen stoisch alles an sich abprallen. Dies empfand ich noch einmal als demütigend. Nicht einmal beleidigen konnte ich sie also. Darüber wurde ich noch wütender.

Soeben  lese ich, was die Beleidigung „Wichtelmann“ nach heutigem Recht kostet: 1000 Euro! So führt es der in der Morgenpost wiedergegebene Bußgeldkatalog auf.

Ich finde das zu hart.

Was ist denn soo schlimm daran, wenn man jemanden einen Wichtelmann nennt? Wir schauen häufig im Kika die sehr schöne Verfilmung von Nils Holgersson an, jeden Tag um 19.00 Uhr. Auch Nils empfindet es als Beleidigung, wenn er als Wichtelmann bezeichnet wird. Denn er ist in Wahrheit ein verzauberter Mensch.

Oft habe ich mir gewünscht, mit jenen Grenzern zusammenzutreffen, die ich damals als „Wichtelmänner“ bezeichnete. Ich würde sie fragen, wie sie das empfunden haben. Und ich würde sie wegen meiner damaligen Beleidigungen um Verzeihung bitten. Waren die Grenzer auch verzauberte Menschen?

1000 Euro werde ich aber nicht bezahlen. DAS finde ich viel zu hoch!

Lest hier den Katalog der Bußgelder in der Morgenpost:

ADAC-Bericht – Jeder zweite Radfahrer gefährdet sich und andere – Motor – Berliner Morgenpost

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Jul 132009
 

Die Ermordung Marwa al-Sherbinis in Dresden war die grauenvolle Tat eines einzelnen Geisteskranken, den man wahrscheinlich eher hätte einsperren oder in die psychiatrische Abteilung einweisen müssen. Durch die zahlreiche Beteiligung angesehener Politiker an der Trauerfeier haben diese guten Menschen dokumentiert, dass sie das Verbrechen für etwas aus der deutschen Befindlichkeit Erklärbares halten. Continue reading »

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Halunken, Banküberfall, übelster Schmierfink, beschmuddeln, niederträchtig, Spitzbuben

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Dez 032008
 

„Das ist empörend!“ Immer wieder höre ich derartige Ausrufe aus den verschiedensten Parteien. In moralischer Entrüstung über den Gegner versucht, wer so redet, den Funken der Empörung auf die Zuhörer überspringen zu lassen. Unsere Titelzeile enthält wörtliche Zitate aus den Beiträgen verschiedener Redner auf dem Stuttgarter Parteitag der CDU. Die angeführten Kraftausdrücke bezeichneten die unbequemen Kritiker der CDU, die SPD, die SED, die Linke. Ich könnte noch viel anderes an Beschimpfungen aufzählen, will es aber nicht. Wichtiger ist die Frage: Warum das ganze Lärmen? Wird hier nicht vom Nachdenken abgelenkt?

Ich muss gestehen: So oft habe ich nunmehr Empörungs-Anfälle in politischen Debatten miterlebt, dass ich einen Gegenreflex entwickelt habe. Ich stelle mich hin und sage: „Wie würdest du reagieren, wenn jemand das zu dir sagte? Sag das über dich selbst, was du da eben über andere sagst.“ Es ist eine alte biblische Weisheit. Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Denn so wie ihr über andere urteilt, urteilen andere über euch.

Es wäre aber auch falsch, jetzt in denselben Fehler zu verfallen und sich auf dieses Niveau herabzubegeben. Das ist mir selbst bereits einmal geschehen. Einem CDU-Politiker, der wieder einmal die Linke voller Empörung als die Partei der Mauermörder bezeichnete, warf ich einmal – ebenfalls voller Empörung – vor: „Haben Sie denn überhaupt schon mal mit einem Wähler, mit einem Mitglied der Linken geredet? usw.usw.“

Ein solcher allseitiger Empörungsmaximalismus, dessen ich mich hiermit auch selbst anklage, bringt uns nicht weiter. Gefordert sind in der Politik die Fähigkeit aufeinander zuzugehen, und das Bestreben, künstliche Erregungen nicht noch absichtlich zu schüren. Und notfalls muss man der eigenen Vergangenheit als Blockpartei ins Auge schauen. Ich bevorzuge einen rationalen, nüchternen Politikstil. Empörung über Kritiker bringt niemanden weiter.

Blockflöten-Debatte – Wie die CDU ihre Ost-Vergangenheit vergessen will – Politik – Berliner Morgenpost
Der Delegierte Fritz Niedergesäß wählt den deftigen Berliner Dialekt und auch Worte, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen: Die CDU werde sich „nicht beschmuddeln“ lassen. Der Tillich-Kritiker Karl Nolle, ein Unternehmer und SPD-Abgeordneter, der nach der Wende nach Sachsen zog, sei „der übelste Schmierfink, der aus dem Westen zu uns rübergekommen ist“. Niedergesäß‘ betont volkstümlicher Vortrag findet seine Höhepunkte immer wieder in Kritikerbeschimpfung: „Von diesen Halunken wollen wir uns nicht vorführen lassen“. Die Kritiker sind Wessis, die Motive niederträchtig, über die DDR darf nur reden, wer darin gelebt hat – in diesem Moment klingt die große, stolze CDU in Stuttgart wie die kleine, uneinsichtige PDS nach der Wende.

 Posted by at 09:27
Nov 132008
 

„Wie kannst du nur die BZ oder den Berliner Kurier lesen!“ Immer wieder höre ich solche Bemerkungen von den gebildeteren unter meinen Freunden, wenn ich aus den genannten wichtigen Blättern im Gespräch zitiere. Nun, ich habe ja schon gestanden, dass ich lesen kann. Und dass ich Wert auf eine unabhängige Meinungsbildung lege. Die Kunst der knappen, zugespitzten Formulierung kann man aus den genannten Blättern lernen. Man lernt sie nicht, wenn man nur die FAZ oder die Süddeutsche liest.

Außerdem spreche ich gerne mit Menschen jedes Alters, jeder Schicht. Nur wenn ich eine Sache auch dem orange gekleideten Werktätigen von der BSR  oder dem Lehrling in der Kfz-Werkstatt erklären kann, habe ich sie wirklich verstanden. Mit einem Wort: Ich zähle mich zu keiner Elite – weder gesellschaftlich noch politisch. Und ich zähle mich auch zu keinem politischen Lager. Ich gehöre in kein Lager. Tja, so ist das. Ich lehne das Denken in Freund-Feind-Kategorien für mich persönlich ab. Es gibt für mich in der Politik keine Feinde. Bei einem Satz wie „Der Feind steht anderswo, nicht bei uns“ habe ich allergrößte Bauchschmerzen, wenn ich ihn aus dem Munde eines Politikers höre.

Ich halte es für einen der größten Irrtümer, wenn politisches Denken unser deutsches Parteien-Kuddelmuddel immer noch in „bürgerliches“ und „nicht-bürgerliches“ Lager unterteilt.

Am 31.08.2008 trafen wir auf den Spuren eines Textes von Marcus Tullius Cicero die Unterscheidung zwischen „Elitepartei“, „bürgerlicher Partei“  und „Volkspartei“. Wir bezeichneten die Grünen aus Kreuzberger Sicht als die eigentliche neue Elitepartei. Franz Walter, der Parteienforscher, untermauert heute unseren Befund, der sich damals mehr auf Erfahrungen stützte:

 Eliten-Partei: Wie sich die Grünen neu erfunden haben – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Der Postmaterialismus grüner LOHAS ist explizit elitär; man achtet darauf, „entre nous“ zu kommunizieren, mit anderen „Gebildeten“ in der gesellschaftlichen Beletage unter sich zu bleiben. Alt- und Neubürgerliche treffen sich daher zumindest im urbanen Raum auf den gleichen Ausstellungen, bei den üblichen Theaterpremieren, im besten Restaurant der Stadt.

Jedenfalls: Keine Partei ist in ihrer Wählerschaft so eindeutig durch die Dominanz der formal Hochgebildeten geprägt wie die grüne; würden allein Menschen mit Hauptschulabschluss (oder ohne jeden Abschluss) wählen, dann hätten die Grünen keine Chance, die Fünf-Prozent-Hürde zu nehmen.

Unser dumpfes Empfinden von damals – die Grünen seien die neue Elitenpartei – ist also hiermit durch einen Politikwissenschaftler rational abgesegnet. Welche Erleichterung. Jetzt habe ich es Schwarz auf Weiß.

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Mai 192008
 

Junge Banker schütten Champagner über ihren Köpfen aus, um ihre Boni zu feiern. Etwa 190 Parlamentarier der C-Parteien verlangen unter dem Motto „Mehr Netto vom Brutto“ rasche Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen von der Bundesregierung. Die „kalte Progression“ zieht geringe Einkommensverbesserungen gleich wieder aus der Tasche. Diese und andere Phänomene greifen sowohl Bundespräsident Köhler wie auch die Partei DIE LINKE immer wieder auf. Sie legen den Finger auf offene Wunden. Salz in diese offenen Wunden streut auch der neue Armutsbericht der Bundesregierung, der am heutigen Tage herausgekommen ist.

Der stellvertretende Linksparteichef Klaus Ernst wertete den Armutsbericht als Dokument des Scheiterns der SPD. „In ihrer Regierungszeit hat sich die Zahl der Vermögensmillionäre verdoppelt und zugleich die Armut deutlich zugenommen“, sagte er laut Spiegel online von heute.

DIE LINKE greift mit großem Geschick Schwachstellen und Unzufriedenheiten aus der gegenwärtigen Lage auf. Aus welchen Parteien sie ursprünglich entstanden ist, diese Frage muss verblassen angesichts der Frage: Hat sie recht oder nicht recht mit ihrer Diagnose? Welche Vorschläge macht sie? Sind ihre Vorschläge brauchbar oder unbrauchbar, bezahlbar oder unbezahlbar?

Die beiden großen Parteien, SPD und Union, haben sich bisher fast überhaupt keiner sachlichen Argumente bedient, um sich mit der LINKEN auseinanderzusetzen. Ich höre statt sachlicher Argumente aus diesen Parteien nur ein diffuses Hintergrundrauschen, fast nur: „Billiger Populismus … unbezahlbar … eine Schande, dass die uns in Berlin mitregieren … die neue RAF … “ Dieses denkbar niedrigste Niveau der Auseinandersetzung hat den Erfolg der LINKEN noch verstärkt, denn die Bürger sind hellhörig geworden gegenüber Verteufelungsversuchen und „Rote-Socken-Kampagnen“ aller Art. Diese Manöver haben bisher ausnahmslos „nicht funktioniert“, wie Jörg Schönbohm der FAZ sagte. Eine der wenigen hellsichtigen Stimmen aus der Union stammt übrigens von Volker Kauder:

„Ohne Antworten auf die Fragen, die die Linke aufwirft, können wir uns nicht davonstehlen.“

Was können die verunsicherten Volksparteien SPD und CDU tun? Ich meine:

1) Verbale Abrüstung tut not. Die maßlose Verunglimpfung der LINKEN muss aufhören. Ein Dietmar Bartsch, ein Senator Harald Wolf und viele andere haben nun mal nichts mit dem Mauerbau und zurückliegendem DDR-Unrecht zu tun. Vieles vom heutigen Gezetere aus Unions- und SPD-Kreisen gemahnt an die maßlose linke Kritik an der CDU in den 50er und 60er Jahren, als in der Tat viele Nazi-Mitläufer und ehemalige NSDAP-Mitglieder Unterschlupf in den neu entstandenen Parteien fanden, darunter der berüchtigte Staatssekretär Globke.

2) Nachlesen, was die LINKE will. Fragt man diejenigen, die so heftig auf die LINKE einschlagen, was sie eigentlich gegen die LINKE haben, dann kommt meist keine genaue Antwort, außer undeutlichem Gebrummel, etwa: Das sind alles Stasi-Leute, die haben die Mauertoten auf dem Gewissen. Kaum jemand in den „Altparteien“ kennt die wesentlichen Forderungen der LINKEN, kaum jemand hat sich sachlich damit auseinandergesetzt.

3) Konsequent nach vorne schauen! Die meisten Argumente gegen die LINKEN speisen sich aus einer bestimmten Sicht auf die Vergangenheit. Aber: Das Hemd sitzt näher als der Rock, die Menschen im Lande wollen heute und morgen anständig leben, sie wollen nicht die Schlachten der Vergangenheit wieder und wieder kämpfen. Politik heißt: Gestaltung des Heute mit einem Blick auf tragfähige Zukunft. Es geht meist nicht um Gut und Böse, sondern um machbar/nicht machbar, bezahlbar/nicht bezahlbar. Die Menschen aus der DDR haben einfach keine Lust darauf, sich ihre „Biographie“ von selbsternannten Tugendwächtern aus Westdeutschland „würdigen zu lassen“. Sie werden ihr Kreuzchen bei den Parteien machen, von denen sie sich ernstgenommen und angenommen fühlen, bei jenen Parteien, die den richtigen Ton treffen, die die richtigen Fragen stellen.

4) Sachliche, auch harte Auseinandersetzungen führen, aber nicht ständig ad personam und ad historiam urteilen! Lasst die DDR doch mal DDR sein, Schnee von gestern! Materialien und die Homepage der Linken stehen im Netz. Man sollte sie zur Kenntnis nehmen.

5) Wo sie recht haben, haben die LINKEN recht. Es könnte doch sein, dass sie auch einmal den Nagel auf den Kopf treffen? So stellen sie besonders unbequeme Fragen zum Afghanistan-Krieg, auf die im Moment keine befriedigenden Antworten erfolgen. Man sollte nicht immer gleich alles in Bausch und Bogen verurteilen, was die LINKE sagt.

6) Auf die Bindekraft des parlamentarischen Systems vertrauen! Die Bundesrepublik hat erfolgreich die GRÜNEN in das System eingebaut, sie sind heute als wichtiger Teil des innerparlamentarischen Parteienspektrums nicht mehr wegzudenken. Das Gleiche wird auch mit den LINKEN geschehen und geschieht bereits jetzt.

7) Alternativen anbieten! Die Fragen, die die LINKE aufwirft, haben unleugbar ihre Berechtigung, die beiden anderen Volksparteien SPD und Union sollten in einen ständigen Wettbewerb um die besten Antworten mit dieser dritten Volkspartei treten.

Insgesamt meine ich: Man muss es der LINKEN nicht gar so einfach machen, wie es die älteren Parteien, insbesondere die Union, ihr derzeit machen. Respekt, Höflichkeit und Achtung ist angesagt, auch gegenüber den politischen Gegnern von der LINKEN. Wenn es daran fehlt, dann bestärkt man die Leute in ihrer Verdrossenheit gegenüber den „Altparteien“ noch zusätzlich, und man gräbt sich in den Trutzburgen seiner alten, löchrig gewordenen Weltanschauungspanzer ein.

Übrigens: Am Parteiensystem Italiens kann man wunderbar studieren, wie ganze Parteien sich selbst sehenden Auges umbringen – so gibt es die frühere Democrazia Cristiana (DC), die italienischen Christdemokraten nicht mehr. Sie haben sich aufgelöst. Nachdem die Mauer gefallen war, verloren sie die Peilung, gruben sich in ihren alten, sinnleer gewordenen Antikommunismus ein und wurden als Machterhaltungsapparate demaskiert – Selbstmord auf Raten! Profitiert haben originelle Neuschöpfungen, Anti-Parteien, die erfolgreich die Sympathisanten des früheren Faschismus, also die Neofaschisten vom MSI, mit dem Heer der Unzufriedenen und Verdrossenen verbanden. Man lese hierzu: Christian Jansen: Italien seit 1945, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. Im Kapitel „Die herrschenden Parteien werden abgewählt“ heißt es auf S. 204:

Während des Jahres 1993 verschwanden die fünf Parteien, die die Erste Republik bestimmt hatten, von der politischen Bühne: die DC, die offiziell am 26. Juli 1993 aufgelöst wurde, zerfiel in verfeindete Kleinparteien (die linkskatholische PPI, die konservativen CDU und CCD), die sich seitdem mehrfach neu gespalten und zusammengeschlossen haben. Die schnelle Auflösung der erfolgreichsten und mächtigsten Partei des Westens zeigt, dass nicht gemeinsame Ziele, sondern anfangs gemeinsame Gegner, die politische Linke, und dann mehr und mehr allein die Verteilung von Macht und Pfründen die DC zusammengehalten hatte.

Leute, Freunde: Das Leben geht weiter, schaut nach vorne! La vita è bella.

 Posted by at 16:39
Apr 262008
 

Als eine hübsche kleine Aufgabe hat sich dieses Blog mittlerweile die Beobachtung der internationalen Presse erkoren, die über unseren Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg immer wieder so einfühlsam berichtet. Der Blick von außen schärft oft die Wahrnehmung des Eigenen. Dieselbe Übung sei hier für die Außenansicht der Berliner Landespolitik versucht – selbstverständlich mit Bezug auf den morgen anstehenden „Volksentscheid“ zum Flughafen Tempelhof, der eigentlich eine großangelegte, repräsentative und recht teure Meinungsumfrage ist. Während das Haus Springer (BZ, Bild, Morgenpost) sich seit Monaten als glühender Unterstützer der ICAT mit ihren Offenhaltungsplänen in Position gebracht hat, haben die anderen Berliner Tageszeitungen bis zuletzt nicht eindeutig Stellung bezogen; sie scheinen keine eindeutige Empfehlung auszusprechen, sondern bemühen sich nach Kräften, die Argumente beider Seiten zur Geltung kommen zu lassen. Wie so häufig in der Berliner Landespolitik, zeigen sich die Hauptakteure auf der politischen Bühne bemerkenswert humorlos und verbissen, bezichtigen sich bis zuletzt gegenseitig der Lügen und Tatsachenverdrehungen. Das gewohnte Bild! Der gemeine Bürger steht bis zuletzt da und weiß nicht, wem er glauben soll. Wahrscheinlich seinem Bauch? Also wird die Entscheidung in dieser Frage, in der es um etwa 2% des Passagieraufkommens der Berliner Flughäfen geht, nicht aufgrund von Argumenten, sondern von Emotionen und Augenblickslaunen fallen, was ja die Sache auch für Demoskopen so unberechnbar macht.

Wie kommentiert die meinungsbildende nationale Tagespresse den Vorgang? In der FAZ beklagt Christian Geinitz die Unfähigkeit aller Seiten, das Problem Tempelhof rechtzeitig – also unmittelbar nach dem berühmten Konsensbeschluss von 1996 – anzugehen:

Der Senat hat zwar einige Nachnutzungsideen für die Fläche. Er kann bisher aber keinen Investor präsentieren, der die denkmalgeschützten Gebäude finanzieren wollte; deren Unterhalt, nicht der maue Flugbetrieb sorgt für die Betriebsverluste.

Aber auch die Befürworter eines weiteren Flugbetriebs bekommen ihr Fett weg:

Was haben, muss man fragen, in dieser Zeit eigentlich die spendierfreudigen Tempelhof-Freunde getan, die das Plebiszit jetzt finanzieren? Wo waren die Konzepte der Fluggesellschaften, die die Schließung heute bedauern? Warum melden sich Investoren wie der schillernde Kosmetik-Erbe Ronald S. Lauder, der in Tempelhof ein luftangebundenes Gesundheitszentrum errichten will, erst jetzt?

Abschließend plädiert der Kommentator für die Offenhaltung Tegels. Nur dieser Flughafen sei jetzt und auch in Zukunft profitabel zu betreiben.

In dieselbe Kerbe – mit voller Schärfe des Beils – haut in der heutigen Frankfurter Allgemeinen Zeitung Volker Weidermann. Er stellt der Berliner Politik ein vernichtendes Zeugnis aus:

Und wie erbärmlich ist eine Wirklichkeit, in der in diesen vierzehn Jahren überhaupt gar nichts gedacht, überhaupt gar nichts geplant wurde und jetzt diese lächerliche Stadt mit lächerlichen Riesenplakaten zugepflastert ist, mehr als zu jeder Senatswahl, mit Plakaten, auf denen, von Flugunternehmen gesponsert, der Slogan prangt: „Alle Macht geht vom Volke aus“. Auf was für einen erbärmlichen Hund ist die sogenannte direkte Demokratie eigentlich gekommen, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat? Was für ein schlechter Witz, was für eine Utopieverhöhnung ist diese Abstimmung!

Das böse Wort von der „Tempelhofposse“ verwendet Evelyn Roll in ihrem heutigen Kommentar in der Süddeutschen Zeitung:

Eine schlag- und vor allem finanzkräftige Allianz aus interessierten Banken und Großunternehmen, aus Bahn, CDU und FDP hat ihr Thema gefunden und sehr viel Geld in die Werbung gesteckt, an der Berlin in den vergangenen Wochen beinahe erstickt wäre. Beigesprungen ist der Springer-Konzern, der mit seiner neu in die Rudi-Dutschke-Stadt gezogenen Bild-Redaktion sich erste lokale Kampagnenfähigkeit beweisen, zum letzten Gefecht gegen die Achtundsechziger blasen und zugleich den Kampf gegen das rot-rote Berlin eröffnen wollte.

Spätestens Sonntag wird allen, die es bisher noch nicht gemerkt haben sollten, klargemacht werden: Es gibt da in Berlin, also durchaus im gefühlten Westen, schon lang ein Regierungsbündnis aus SPD und Linken. Und was tun die? Sie führen, wie es sich für Linke gehört, Volksentscheide ein. Und dann? Dann kündigen sie schon vorher an, dass sie das Ergebnis nachher ignorieren werden, wenn es ihnen nicht passt: Wir sind das Volk.

Das erst hat die Mehrheit der Berliner mobilisiert. Das erst macht die Posse zum bundespolitischen Lehrstück und zum Desaster für rot-rote Blütenträume. Gregor Gysi hat das als Erster erkannt. „Man kann nicht erst für Volksentscheide sein und sie dann ignorieren, wenn es nicht das gewünschte Ergebnis bringt“, hat er gesagt.

Und weil er ein paar Stunden später dementieren und das Gegenteil behaupten musste, nachdem aufgeregte Genossen aus dem Roten Rathaus ihn über die Berliner Spezialsituation aufgeklärt hatten, hat Lothar Bisky vorsichtshalber noch einmal nachgelegt: „Volksabstimmung ist Volksabstimmung. Man hat sich daran zu halten.“

Nach Durchsicht zahlreicher weiterer überregionaler Artikel aus der deutschen Presse meine ich folgende Thesen gut belegen zu können:

1) Die meinungsbildende überregionale deutsche Presse (FAZ, SZ, Spiegel, ZEIT) nimmt den Tempelhof-Volksentscheid – im Gegensatz zur Berliner Lokalpresse – sachlich nicht so recht ernst. 2) Sie betrachtet ihn gleichwohl als guten Gradmesser für die politische Stimmung in einer Stadt, die mehr oder minder zufällig über dieses leicht zu instrumentalisierende Thema gestolpert sei. 3) Sachlich und wirtschaftlich komme dem Flughafen Tempelhof eine allenfalls marginale Rolle zu. Um so höher sei die symbolische Aufladung. 4) Die Berliner Landespolitik sei weiterhin sowohl bei Regierung als auch bei Opposition durch ein ineffizientes Umgehen mit Sachproblemen, unangemessene emotionale Aufheizung und beklagenswert niedrigen Stand der Argumentation gekennzeichnet. Dies schlage sich bis in die Formulierung der zur Abstimmung gestellten Frage nieder. 5) Der Berliner Senat habe höchst unprofessionell auf die sich abzeichnende Abstimmungsniederlage reagiert und damit die Chancen der Flugbetriebs-Befürworter entscheidend verbessert.

6) Allgemein wird von diesen Blättern mit einiger Wahrscheinlichkeit erwartet, dass der Entscheid morgen zugunsten der Befürwortung des weiteren Flugbetriebs ausgehen wird, da es der ICAT-Kampagne und den sie unterstützenden politischen Parteien gelungen sei, in der Bevölkerung vorhandene Stimmungen durch geeignete kommunikative Strategien geschickt aufzugreifen und zur eigenen Profilbildung zu nutzen. Die Sachargumente hätten dabei eine zunehmend untergeordnete Rolle gespielt.

Dieses Blog erwartet einen spannenden Abstimmungstag! Besonders interessant wird die Interpretation der Ergebnisse in den 12 Berliner Bezirken sein. Dieser Aufgabe werden wir uns nicht entziehen.

 Posted by at 23:02

Sind Menschen ohne schützende Karosserie eine Fehlkonstruktion der Natur?

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Jan 032008
 

Der Tagesspiegel meldet heute auf S. 14 aus der Statistik: 2007 starben im Berliner Straßenverkehr 55 Menschen: 19 Fußgänger, 14 Radfahrer, zehn Motorradfahrer. Die restlichen saßen als Fahrer oder Beifahrer im Auto. „Besonders oft würden alte Menschen, Fußgänger und Zweiradfahrer Opfer von Verkehrsunfällen, da ihnen eine schützende Karosserie fehlt, sagte die Polizei.“

Aha! Uns fehlt also etwas, wir sind unvollkommen, sofern wir kein Auto fahren. Wir sind – in anderen Worten – selber schuld, wenn wir ohne schützende Karosserie herumlaufen oder herumfahren und uns umfahren lassen. Wer sich in Gefahr begibt, wird darin umkommen! Warum musste der Typ vor meinem Revolver ohne schützende Bleiweste herumlaufen: er ist selber schuld, sagte der Bankräuber.

Grotesk! Ein weiterer Beleg für die Umkehrung der Ursache-Wirkung-Beziehung im Straßenverkehr. Ob wohl ein gehbehinderter Rentner, der es nicht rechtzeitig bei Grün über die Ampel schafft, die ihn umstoßende Karosserie des heranfahrenden SUVs ebenfalls als schützend empfindet?

Anne Grieger berichtet in Fenster zum Hof, einem Berliner Blog, über ihre Erlebnisse als Fahrradfahrerin, kurz nach Silvester. Glasscherben zerlöcherten bei ihrem Fahrrad den Reifen. Letztes Jahr fing ich wiederum mir am 2. Januar einen Platten ein. Ärgerlich! Danach ließ ich “unplattbare” Mäntel von Schwalbe aufziehen – heute ging deshalb alles gut, auch weil ich an den schlimmsten Stellen abstieg. Die Glasscherben von den an Silvester zerdepperten Flaschen bleiben auf den Fahrradwegen liegen, auf den Straßen hingegen werden sie geräumt. Geärgert habe ich mich auch darüber, dass Straßen und Fußwege von Eis geräumt waren, nicht aber der Fahrradweg, z.B. an der Langenscheidtbrücke in Schöneberg: die reinste Rutschpartie – lebensgefährlich! Von der Kita kommend, fuhr ich deshalb heute, mit meinem Sohn auf dem Sessel, auf der Fahrbahn. Die Autofahrer zogen fingerknapp links an mir vorbei – an den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von 1,5m halten sich die Berliner Autofahrer ebensowenig wie an Geschwindigkeitsbeschränkungen. Wir sind halt nur Verkehrsteilnehmer dritter Klasse. Dagegen müssen wir kämpfen!

 Posted by at 22:27