Apr 092015
 

Die Antwort auf diese Frage wird Hinz und Kunz leichtfallen! Selbstverständlich Deutschland!
Das abrufbare Schulwissen im Fach Geschichte dürfen wir zwanglos so wiedergeben:

„Das Deutsche Reich begann am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen den 2. Weltkrieg. Der Zweite Weltkrieg endete am 8. Mai 1945 mit der Unterzeichnung der deutschen Kapitulation.“

So wird es heute wohl in den allermeisten Ländern überall in der Welt (außer in Russland) gelehrt.

Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg entfesselt; das ist in der Rückschau unumstritten; siehe hierzu etwa:

„Von den größeren Staaten Europas war keiner den USA ebenbürtig. Deutschland, das den Zweiten Weltkrieg entfesselt hatte, war besiegt und wurde von den Siegermächten geteilt. Großbritannien war eine Siegermacht, aber durch den Krieg materiell so geschwächt, dass es 1945 fraglich war, wie lange es sein überseeisches Kolonialreich noch würde behaupten können.“

Heinrich August Winkler, Geschichte des Westens. Vom Kalten Krieg zum Mauerfall, C.H.Beck, München 2014, digitale Ausgabe, Pos. 183, Fettdruck durch dieses Blog

Abweichend äußert sich hingegen der heute an der Universität Trier lehrende Neuzeithistoriker Christan Jansen. Er bezeichnet Deutschland und Italien als „die beiden Verursacher“ des Zweiten Weltkriegs:

Von den beiden Verursachern des Zweiten Weltkriegs erhielt Italien bereits im Februar 1947 – von geringen Einschränkungen abgesehen – die Souveränität zurück, die Bundesrepublik erst 1990. Allerdings empfanden die Italiener den Friedensvertrag überwiegend als >>Diktat<< und >>Schmach<<„.

Christian Jansen, Italien seit 1945, Vandenhoeck&Ruprecht, Göttingen 2007, S. 24, Hervorhebung durch dieses Blog

Wiederum abweichend äußert sich der britische, zuletzt an der University of London lehrende Neuzeithistoriker Norman Davies; er weist darauf hin, dass ein wesentlicher Bestandteil des Zweiten Weltkriegs, nämlich der japanisch-chinesische Kriegsschauplatz, bereits 1931 eröffnet worden sei:

„In any number of European history books, 1939 is the year when ‚the world went again to war‘, or words to that effect. In all chronologies except those once published in the USSR, it marks the ‚outbreak of the Second World War‘. This only proves how self-centered Europeans can be. War had been on the march in the world for eight years past. The Japanese had invaded Manchuria in 1931, and had been warring in central China since 1937.“

Norman Davies, Europe. A History. Pimlico, reprinted with corrections London 1997, S. 991, Hervorhebung durch dieses Blog

Und wiederum ein neues Licht auf die Verursachungskette, die zum Zweiten Weltkrieg führte, wirft der bereits mehrfach zitierte Heinrich August Winkler; er behauptet nämlich, die Sowjetunion habe einen Beitrag zur Entfesselung des Zweiten Weltkriegs geleistet:

Im Hitler-Stalin-Pakt hatten die beiden Diktatoren die Aufteilung Mitteleuropas in ihre Einflussbereiche besiegelt. Winkler, der aus seiner Kritik der russischen Politik gegenüber der Ukraine nie einen Hehl gemacht hat, wirft Putin vor, er rechtfertige indirekt die Annektion des damaligen Ostpolens und des Baltikums als „Gebot der sowjetischen Realpolitik“ – damit aber auch „den sowjetischen Beitrag zur Entfesselung des Zweiten Weltkrieges“

Quelle: Süddeutsche Zeitung, Internet-Ausgabe vom 04.04.2015

Was oder wem sollen wir historischen Laien nun glauben, gerade wir Deutschen, wir „Nachkommen der Täter“, wie es so schön immer heißt, wir hier in Deutschland! Wir wissen doch, von wo die Zerstörung der ganzen Welt ausging! Wir sind doch am Zweiten Weltkrieg mit all seinen Schrecknissen und überhaupt an dem allen schuld, das wird man doch nicht ernsthaft bestreiten können! Das eint doch auch alle anderen Länder wie etwa Griechenland und Russland, dass wir Deutschen und nur wir Deutschen alle anderen Länder ins Verderben gezogen haben. Das haben Präsident Putin und Präsident Tsipras doch erst gestern wieder hervorgehoben: „Griechenland und Russland haben mehr als alle anderen mit ihrem Blut für den Kampf gegen den Faschismus bezahlt … Unsere Völker haben brüderliche Beziehungen geschmiedet, weil sie in kritischen Zeiten einen gemeinsamen Kampf geführt haben“, so wird Tsipras heute in der FAZ auf S. 2 zitiert.

Der heroische, letztlich siegreiche Kampf gegen den deutschen Faschismus und gegen Deutschland hält seit dem 8. Mai 1945 bis zum heutigen Tage – und heute mehr denn je – die europäischen Völker zusammen. Der Antifaschismus ist mehr denn je ein starkes Band!

Oder ist es etwa nicht so? Diesen Konsens darf man doch nicht in Frage stellen! Was machen denn die Historiker da?

Wir enthalten uns des letzten Urteils! Ich meine jedoch: eine gehörige Portion Skepsis gegenüber den heutigen Antifaschisten ist angebracht, insbesondere dann, wenn man immer wieder sieht, wie schnell in den Jahren 1943-1949 ein und dieselbe Person erst jahrelang fascista war und dann über Nacht antifascista wurde. Erst unterstützten sie – bis 1943 – Mussolini und Hitler, dann unterstützten dieselben Leute Stalin, Ho Tschi Minh und Chruschtschow.

Und die Sowjetunion unterstützte ab August 1939 bis zum 21. Juni 1941 das nationalsozialistische Deutschland militärisch und wirtschaftlich. Bis zum 21.06.1941 waren das nationalsozialistische Deutschland und die kommunistische Sowjetunion darüber hinaus enge militärische Bündnispartner, dafür gibt es viele Zeugnisse in Wort, Bild und Ton. Das wird leider sehr oft unterschlagen.

Und das alles zu Zeiten, als der GULAG längst bekannt war, als die grauenhaften „Säuberungen“ der Tschekisten auch im Westen öffentlich genannt wurden.

Es bleibt erstaunlich: Drei anerkannte, habilitierte, an Universitäten lehrende Professoren für Neuzeitgeschichte setzen vier einander widersprechende Meinungen zur Auslösung des Zweiten Weltkrieges in die Welt. Nur eine Sicht kann doch die richtige sein, oder? Irgendwann muss doch die Wahrheit endgültig ermittelt sein, oder täuschen wir uns?

 Posted by at 12:59
Apr 032015
 

Gute, verheißungsvolle Ansätze zu einer ehrlichen Vergangenheitsbewältigung entdecken wir seit einigen Jahren in Italien. Während die vorherrschende Lesart in der breiten Masse Italiens immer noch ist, Italien sei 1940 von Deutschland wider Willen in einen Krieg hineingezogen worden, den es eigentlich nicht gewollt habe („la guerra non voluta“), wird nunmehr von immer mehr Italienern deutlicher gesehen, dass Italien ab 1921, besonders jedoch ab 1935 durchweg proaktiv eine rassistische, kriegsbefürwortende Haltung eingenommen hat. Ein gewalttätiger, neo-römischer Imperialismus, gepaart mit scharf und deutlich ausgeprägtem Rassismus vor allem gegen die Slawen (weniger stark gegen Juden), führte Italien zu blutigen, verheerenden Angriffskriegen gegen Äthiopien, Albanien, Jugoslawien und Griechenland. „L’Italia andò alla Guerra“, so lautet zutreffend eine Sendereihe der staatlichen Fernsehanstalt RAI 3, die auch am heutigen Karfreitag gesendet wird.

The loser takes it all! Seit etwa 1945 herrscht weitgehend ein stillschweigendes Einverständnis, das Deutsche Reich und nur das Deutsche Reich sei allein verantwortlich für alle seit 1935 bis zum Mai 1945 ausgefochtenen Kriege – also den gesamten 2. Weltkrieg einschließlich des japanisch-chinesischen Konflikts, des japanisch-sowjetischen Kriegs, des japanisch-amerikanischen Kriegs, des sowjetisch-finnischen Winterkriegs (1939), des italienisch-griechischen Krieges ab 1940, des ukrainisch-sowjetisch-russischen Bürgerkriegs schon ab 1931 … The Big Loser takes all the blame! Nazi-Deutschland und nur Nazi-Deutschland war und ist für die Mehrheit der Weltbevölkerung die echte „Inkarnation des Bösen“ in der Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, Differenzierungen dieses Schwarz-Weiß-Befundes galten lange Zeit und gelten auch heute noch – selbst unter manchen ausgewiesenen, habilitierten Hochschul-Historikern – als unerwünscht, wobei wir Deutschen zweifellos unübertroffene Weltmeister (T.G. Ash) darin sind, fast alle Schuld für fast alles Unglück in der fast gesamten Weltgeschichte ab etwa 1871 (oder auch davor?) bis etwa 1945 (oder auch danach?) auf unser Haupt zu laden.

Aber so einfach ist es ja wohl nicht, dass letztlich nur „wir Deutschen“ als Trägervolk des Bösen an allem schuld sind. Ein bisschen mehr Differenzierung tut not. Und ein unendlich wichtiger Schritt zu einer notwendigen Differenzierung ist es, dass ehemalige italienische Unterstützer des Faschismus, also Männer, die in den Jahren 1921-1945 aus freien Stücken den Anschluss an die faschistischen Organisationen suchten und sich freiwillig in aller Öffentlichkeit zugunsten des faschistischen Italien und Hitlers hervortaten, nach vielen Jahrzehnten des Schweigens ihre damalige Parteinahme für den Faschismus und für Deutschland erzählen und zu erklären versuchen.

Giorgio Napolitano, der spätere kommunistische Politiker und Staatspräsident, der sich freiwillig dem GUF, dem Gruppo Universitario Fascista, also dem Faschistischen Studentenverband anschloss, Dario Fo, der spätere Nobelpreisträger, der freiwillig nach dem 8. September 1943 auf Seiten der neuen faschistischen Regierung für Hitler und Deutschland, für Mussolini und für ein Italien nach seinen eigenen Vorstellungen kämpfte, sie und einige andere sind gar nicht hoch genug zu loben für ihre schmerzende Redlichkeit. Sie gestehen und gestanden öffentlich ein, dass sie als junge Männer in diesem gewaltigen gesamteuropäischen Konflikt mindestens eine Zeit lang auf Seiten der Achse Hitler/Mussolini engagiert waren, ehe sie dann ab 1943 und verstärkt natürlich ab 1945 hinüberwechselten auf die Seite der italienischen Linken, des italienischen Antifaschismus, der sich stark an Stalin und die Sowjetunion anlehnte. Von Mussolini/Hitler zu Stalin, vom Faschismus zum Antifaschismus, vom Faschismus zum Kommunismus, von „Böse“ zu „Gut“ ging der verschlungene Weg. Signatur einer Epoche der europäischen Geschichte, – trasformismo europeo!

Als weitere bedeutende freiwillige Mitglieder des Faschistischen Studentenverbandes, also gewissermaßen und cum grano salis als ehemalige Faschisten sind zu nennen Eugenio Scalfari, Giorgio Strehler, Pier Paolo Pasolini ... diese und viele andere bekannte prominente Namen der italienischen Zeitgeschichte schlugen sich damals als junge Männer offen und ohne gezwungen zu sein auf die Seite des Faschismus. Und aus diesem Faschismus erwuchs später — die geistige Hochblüte des italienischen Antifaschismus ab etwa 1946.

Giorgio Napolitano fand dafür in seiner höchst lesenswerten Autobiographie treffend die Formulierung, die Faschistische Studentenverbindung Neapels (der GUF) sei eine „richtiggehende Brutstätte antifaschistischer geistiger Energien“ gewesen – „un vero e proprio vivaio di energie intellettuali antifasciste“.

Empfehlenswerter Lesestoff:
Giorgio Napolitano: Dal Pci al socialismo europeo. Un’autobiografia politica. Ed. Laterza, Roma-Bari 2008, hier zitiert nach edizione digitale, marzo 2013, Pos. 398 (7%)
Filippo Focardi: Il cattivo tedesco e il bravo italiano. La rimozione delle colpe della seconda guerra mondiale. Ed. Laterza, Roma-Bari 2013
GUF – Gruppo universitario fascista – Eintrag in der italienischen Wikipedia, Stand vom heutigen Tage

D- Day, questa sera si parla di „quell’estate del ’43“.

 Posted by at 14:33

„Deutschland von der Karte streichen …“, oder: In deinem Hause wird laut gebrüllt, Bert Brecht!

 Antideutsche Ideologie, Antifaschismus, Bert Brecht, Rassismus, Selbsthaß  Kommentare deaktiviert für „Deutschland von der Karte streichen …“, oder: In deinem Hause wird laut gebrüllt, Bert Brecht!
Mrz 022014
 

„Freiheit stirbt mit Sicherheit. Nie wieder Deutschland. Antifaschistische Aktion.“ Der aktuelle deutschsprachige Spucki klebt seit Wochen bei uns in Kreuzberg am Hauseingang. Zu sehen ist auf der einen Seite die Polizei, auf der anderen Seite – „die andere Seite“: lauter vermummte, junge, gut gerüstete, mit Kapuzenpulli und Sonnenbrille versehene, mutmaßlich deutsche Männer.

Deutschland von der Karte streichen, Polen soll bis Frankreich reichen.“ So brüllten heute vormittag laut Pressebericht im Tagesspiegel einige deutsche, allzu deutsche Meinungsführer eine Lesung am Berliner Ensemble  Bert Brechts nieder. Die Lesung am BE konnte nicht stattfinden. Sie wurde vom Hause Bert Brechts abgesagt. Die Zuschauer erhalten ihr Geld zurück.

Wen juckt’s? „Deutschland verrecke“ steht und stand monatelang breit lesbar auf einem Hausdach in Friedrichshain.

Was meint die deutsche Gesellschaft dazu, dass solche Parolen völlig ungestört über Wochen und Monate stehen bleiben?

„O Deutschland, wie stehst du besudelt unter den Völkern!“ Der Untugendterror blüht und gedeiht heute mehr denn je. Die Szenen am BE vom heutigen Tage beweisen die Richtigkeit dieser These.

Bertolt Brecht dichtete über den Untugendterror, der sich seit vielen Jahren schon in der zitierten machtvollen Volksverhetzung niederschlägt:

Mit ihren so erhobenen Händen
Erhoben gegen ihren Bruder
Gehen sie jetzt frech vor dir herum
Und lachen in dein Gesicht
Das weiß man.

In deinem Hause
wird laut gebrüllt was Lüge ist
Aber die Wahrheit
Muß schweigen

Zitat:

Bertolt Brecht: „Deutschland“. In: Bertolt Brecht, Gedichte 1. Sammlungen. In: Bertolt Brecht, Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Suhrkamp Verlag, suhrkamp taschenbuch 3732, Frankfurt am Main 1997, S. 253

http://www.tagesspiegel.de/berlin/foyergespraech-im-berliner-ensemble-/9558066.html

 Posted by at 20:57

„Ja, die rote Rasse liegt im Sterben!“ oder: Muss man alle bösen Wörter ausmerzen?

 Antifaschismus, Karl May, Rassismus, Verdummungen  Kommentare deaktiviert für „Ja, die rote Rasse liegt im Sterben!“ oder: Muss man alle bösen Wörter ausmerzen?
Jan 192013
 

Mit diesem tiefen Seufzer hebt ein weithin unbekannter Schriftsteller in einem 1992 im fränkischen Bamberg gedruckten Buch seinen ergreifenden Klagegesang auf den Verfall und das Siechtum der roten Rasse an, die von den unerbittlichen Eroberern und Mördern aus der weißen Rasse „ausgestreckt, niedergestreckt, niedergeworfen“ wurde! Eine unbezähmbare Trauer befällt den Schriftsteller beim Blick auf all das Gemetzel, all die Gewalt, die die weiße Rasse der roten Rasse angetan hat.

Doch langsam, langsam! Lesen wir den geradezu orientalisch-herzzerreißenden Klagegesang von Anfang an:

„Immer fällt mir, wenn ich an den Indianer denke, der Türke ein. Das hat, so sonderbar es scheinen mag, doch seine Berechtigung. Mag es zwischen beiden noch so wenig Vergleichsmöglichkeiten geben, sie sind einander dennoch in gewissem Sinn ähnlich, in dem einen Punkt nämlich, daß die Weltmeinung mit ihnen beiden so gut wie abgeschlossen hat, wenn auch mit dem einen weniger stark als mit dem anderen: man spricht von dem Türken kaum anders als vom ‚kranken Mann‘, während jeder, der die Verhältnisser kennt, den Indianer als den ’sterbenden Mann‘ bezeichnen muss.

Ja, die rote Rasse liegt im Sterben! Vom Feuerland bis weit über die nordamerikanischen Seen hinauf liegt der kranke Riese ausgestreckt, niedergestreckt, niedergeworfen von einem unerbittlichen Schicksal, das kein Erbarmen kennt. […]“

Über mehrere Seiten führt der volkstümliche Erzähler seinen leidenschaftlichen Klageruf fort. Er erhebt mutig und unerschrocken seine Stimme für das Lebensrecht, für die gleiche Würde, den gleichen Rang, das gleiche Lebensrecht der roten wie der weißen Rasse. Er sagt: Alle Rassen, alle Völker, alle Religionen müssen einander als Brüder, als gleichberechtigte Verbündete, als Menschen annehmen. In der exemplarisch vorgelebten Freundschaft und Liebe zwischen einem vorbildlichen Menschen der roten Rasse und einem vorbildlichen Menschen der weißen Rasse sät der Verfasser den Keim der Aussöhnung zwischen allen Rassen, allen Religionen, allen Völkern. Es ist, als sagte er: Brüder! Schwestern! Letztlich sind wir alle Menschen. Wir sind doch alle Menschen! Oder, wie es der Türke mit türkischem Pass der Jetztzeit sagt: Hepimiz insaniz – ganz egal ob wir ein Kurde oder Tscherkesse oder Alevit oder Jude (bloß halt zufällig mit türkischem Pass) oder ein Türke (bloß halt zufällig mit deutschem Pass) sind!

Oder wie es das früher einmal recht bekannte Grundgesetz unseres Staates sagt:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Ob Rothaut oder Bleichgesicht, ob auf sein Blut stolzer Türke oder schweinefleischfressender Kartoffeldeutscher, ob heidnischer Baumverehrer und ökofanatischer Klimaschutzgläubiger oder jüdischer, muslimischer Monotheist: Alle Menschen sollen einander achten und einander im Geist der Nächstenliebe begegnen. Sagt der unbekannte Volksschriftsteller. Sagt irgendwie auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.

Ist diese Botschaft des rassistischen Schriftstellers böse, nur weil in ihr das Wort Rasse vorkommt? Ist dieser Mensch abgrundtief böse, nur weil er die Menschheit in die rote und die weiße Rasse unterteilt und für das Existenzrecht der roten Rasse, der roten Kultur, der „amerikanischen Erstnation“, wie sich die rote Rasse politisch korrekt heute nennt, eintritt, wie dies in unseren Tagen Quentin Tarantino macht, der das Schicksal der amerikanischen Erstnation ebenso wie die Ausbeutung der schwarzen Rasse durch die weiße Rasse einen Holocaust genannt hat?

Das herzzerreißende Klagen des weißen Volksschriftstellers erinnert an das nicht minder herzzerreißende Klagen der heutigen antirassistischen deutschen Weißseinsforscher, der heutigen deutschen Antirassisten, die ihre Stimme laut und vernehmlich zugunsten der ihrer Meinung nach in Deutschland unterdrückten ethnischen Gruppen und Rassen erheben.  Gemeinsam ist all diesen Menschen, all diesen Rassistinnen und all diesen Antirassistinnen, dass sie ein einziges Merkmal, etwa die Hautfarbe oder die volksmäßige Herkunft oder die Religion, zum alles dominierenden Merkmal erheben und in alten volkstümlichen Texten wie etwa Astrid Lindgrens Kinderbüchern alles ausmerzen, was nur im mindesten an die in allen Zeiten menschliche, die allzumenschliche Einteilung von Gruppen in WIR und IHR erinnert oder erinnern könnte.

Ich meine: Der heutige, politisch korrekte Antirassismus und typisch deutsche Antifaschismus und typisch deutsche Antinationalismus, welcher seinerseits mit rassistischen Ausmerzungen unerwünschter Wörter und mit der seinerseits rassistischen Ausgrenzung unerwünschter Menschen arbeitet, ist eine Form der höhergebildeten Heuchelei.

Das ist rassistisch“, „das ist eine Unverschämtheit“, „da reden wir gar nicht mehr weiter!„, dieser gleichsam permanent wutschnaubende, jederzeit empörungsbereite Fanatismus, wie ihn etwa Mark Terkessidis vorschlägt, „Kein Fußbreit den Nationalisten!“ – „Kein Fußbreit den Rassisten!“, wie man es immer wieder mal bei uns in der schönen Kreuzberger Heimat an den Wänden liest, –  alle diese zum sofortigen Gesprächsabbruch und oft auch zum gewaltsamen Kampf aufrufenden Losungen stellen eine nicht ganz ungefährliche Form der bêtise humaine dar.

Nebenbei: Ein Blick in neuere Karl-May-Ausgaben ergibt soeben, dass auch hier das unerwünschte Wort Rasse unerbittlich ausgemerzt, vernichtet, niedergeworfen und niedergestreckt worden ist.

Zitatnachweise:
Winnetou. Erster Band. Reiseerzählung von Karl May. 3691. Tausend. Nach der 1960 von Hans Wollschläger revidierten Fassung neu herausgegeben von Lothar Schmid. Karl-May-Verlag Bamberg [= Karl May’s Gesammelte Werke, Band 7], Bamberg 1992, S. 5

http://www.tagesspiegel.de/kultur/koloniale-altlasten-rassismus-in-kinderbuechern-woerter-sind-waffen/7654752.html

http://www.berliner-zeitung.de/kultur/quentin-tarantino-holocaust-und-spaghetti-western,10809150,21422432.html

Home

 Posted by at 12:57
Sep 132011
 

22052011638.jpg

HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH an die neueN WeinkönigIN Jana vom  Kreuzberg! Sie/er ist im Brotberuf einE SozialarbeiterIn eines Berliner Jugendprojektes. Sehr treffend.

„Wir kommen einfach nicht nach, es ist eine Sisyphos-Arbeit, wir bräuchten eigentlich 20 Mal soviele SozialarbeiterInnen, SchulhelferInnen, BewährungshelferInnen, IntegrationslotsInnen, LesepatInnen. Um jedes einzelne Kind müssen wir kämpfen, jedes einzelne Kind braucht jeden Tag mindestens eine oder zwei Stunden intensive Zuwendung, liebevolle Betreuung! SHARED ATTENTION und INCLUSIVE CARING  brauchen wir!“ Derartige Stoßseufzer höre ich gelegentlich von SozialarbeiterInnen, SchulhelferInnen, BewährungshelferInnen, IntegrationslotsInnen, LesepatInnen in Neukölln oder Kreuzberg.

Die Ursache des Ungemaches ist für die Kinder regelmäßig dieselbe: Familien, die ihren Aufgaben nicht nachkommen, Abschottung nach außen, Suchtverhalten bei Mama oder Papa, abwesende oder prügelnde oder inhaftierte Väter, zerbrechende oder zerbrochene Familien, kurz und gut:  Eltern, die sich nicht kümmern, sind die entscheidende Einstiegshilfe in die übliche Karriere eines Sozialstaatsmündels, wie sie sich als verlässliche  Zukunftsperspektive insbesondere in Neukölln, Kreuzberg, Schöneberg herausgebildet hat.

Keine der Parteien im Berliner Wahlkampf hat dieses wichtige Thema Elternschaft und Familie bisher auch nur annähernd ausgespielt. Alle prügeln sie wahlweise auf die schwarz-gelbe Bundesregierung oder den rot-roten Senat oder das grün-rote Bezirksamt ein. An die Eltern traut sich niemand ran.

Deshalb sage ich: Verzaget nicht, oh SozialarbeiterInnen! Die SozialarbeiterInnen haben hier in Friedrichshain-Kreuzberg, ja in ganz Berlin ein unermessliches, ein beständig wachsendes Reich. Also sollen sie auch herrschen! HOCH LEBE DIE KÖNIGIN!

Und es kommt noch besser: Mit der berlinweit höchsten Zahl an rechtsradikalen (und linskradikalen) Übergriffen bietet unser Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auch in der Antirassismus- und Antifaschismus-Industrie sowie in den angegliederten Forschungsbereichen sowie auch in der Anti-Antifa-Industrie eine gediegene Zukunftsperspektive!

Die Sozialarbeit und die Familienhilfe sowie die angegliederte Bildungs- und  Sozialforschung, die Polizei sind neben den Altenpflegeberufen DIE große Zukunftsindustrie in Berlin, hier werden auf Jahrzehnte hinaus neue Arbeitsfelder wachsen. Nicht zufällig fordern gerade die Grünen (450 neue Polizisten) mehr neue Polizisten als sogar CDU (nur 150 neue Polizisten), während die SPD selbstverständlich ihre SozialarbeiterInnen mit üppig ausgestatteten Verwaltungsjobs bei Laune hält.

Dass eine der ihren jetzt den Thron des/der WeinkönigsIn vom Kreuzberg bestiegen hat, muss allen eine hochwillkommene Würdigung des Berufsstandes sein.

Glückwunsch, Applaus, Chapeau und Prooost!

 Posted by at 09:52
Feb 162011
 

„Wer räumt auf?“ Eine ungeliebte Frage, die uns vier Geschwistern in der Kindheit immer wieder entgegenschallte, wenn wir unser Kinderzimmer als lustiges Schlachtfeld hinterlassen hatten. Oft wurde dann von Mutti gesagt: „Heute räumst DU auf!“ „Wieso immer ICH?“ Klare Ansage, der wir uns (meist) murrend fügten. Kleine Kinder brauchen derartige klare Ansagen!

Heyder räumt auf!“ Mit dieser klaren Ansage zieht ein NPD-Kandidat in den Bürgermeisterwahlkampf. „Unser Kandidat räumt auf!“ Eine typische NPD-Wahlaussage, mit der auch tatsächlich die Rechtsextremen in der ehemaligen DDR hohe Stimmenanteile erzielen. Auch gestern in frontal 21 war diese Ansage in der Berichterstattung über rechte Gewalt in der ehemaligen DDR zu sehen: „Der NPD-Kandidat xy räumt auf!“

de.indymedia.org | Sachsen-Anhalts NPD im Wahlkampf

Bildwechsel! Auf dem Tahrir-Platz in Ägypten ziehen Bürgerinnen und Bürger, Kinder, Jugendliche, Erwachsene und Greise mit Schaufel und Besen auf und fegen buchstäblich die Hinterlassenschaften des tagelangen Ausharrens hinweg. Sie haben die ersten Früchte des politischen Kampfes eingefahren, die Revolution in Gang gebracht. Und jetzt räumen die Bürger auf!

Was gefällt euch besser? Der Tahrir-Platz in Ägypten oder die rechtsextreme Propaganda in Sachsen?

Bei aller Liebe zu Sachsen: Bei der Ansage „Unser Mann räumt hier auf!“ schaudert mich.

Umgekehrt halte ich das bürgerschaftliche Engagement auf dem Tahrir-Platz in Kairo für vorbildlich. Tugenden wie Gemeinsinn, Freiheitsliebe, Verantwortung, Leistung, Geschwisterlichkeit, Fleiß, Umweltpflege – die brauchen wir! Die Ansage lautet: „Bürger, es ist eure Stadt! HOLT EUCH DIE STADT ZURÜCK! Bürgerinnen, holt euch das LAND zurück!“

Wir brauchen nicht den starken Mann, der in der Stadt aufräumt. Wir brauchen Gemeinsinn und Fleiß. Wir sind keine Kinder!

Ein jeder kehre vor seiner Tür,
und rein ist bald das Stadtquartier.

So liebe Kinder, das war … deutsch. Von Goethe. Goethe, kennt ihr den? Das war einmal  großer Dichter.

Das stumme Bild zeigt einen Blumenladen in Kreuzberg am Mehringdamm, aufgenommen vorgestern.

 Posted by at 10:31