Großes Fenster zum Abend hin

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Jun 252023
 

Mit einem Mal öffnen sich hier die Büsche und Bäume und geben den Blick in den Westen frei. Tausendstimmig erhebt sich das Konzert des Abends hier am Großen Fenster zur Havel hin. Die Sonne sinkt, schon unsichtbar hinter Wolkenschleiern. Ein Käuzchen ruft schon, die letzten Badenden verlassen den Strand. Ein grob gezimmertes Brett lädt mich ein, ein abendliches Bad zu nehmen. Ich tauche ein, tauche ganz ein in die warmen Wasser, wo sofort mich empfangen streichelnd, liebkosend die teppichartig aufsprießenden Cyanoalgen. Farnartige Wedel, die gefügig nachgeben, den Schwimmer kaum behindern! O lasst mich durch, ihr tanzenden, wallenden Gewächse!

Und einsam wird’s hier, wohltuend ruhig. Wolken, Bäume, Algen – zu keinem dieser Reiche gehörst du ganz. Und doch: Im Einklang bin ich mit dem was gewesen ist. Im Einklang mit dem was sein wird und mit allem was da ist.

Aufnahme vom Großen Fenster an der Havel, 22.06.2023

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Beim Glockenschlag der Verirrten

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Aug 182021
 

Rom, 11. Juli 2021

Genau um 9 Uhr abends treffen wir an der Herberge ein. Eben ertönt die Glocke La Sperduta („die Verirrte“) vom Campanile der Basilika Santa Maria Maggiore, als wir die Schwelle des Hotels überschreiten, das uns zwei Tage lang Gastlichkeit bereiten wird. In London wird genau zur selben Zeit das Endspiel zur Fußball-Europameisterschaft angepfiffen. Eine deutlich merkbare Anspannung hat die Straßen und Plätze der Stadt ergriffen. Es wird so leise! Das Lärmen, das Anfeuern, das uns bei unserer Anfahrt von Trastevere her umtost hatte, ist erstorben. Was mögen die nächsten zwei Stunden für das Schicksal Europas – oder Fußball-Europas – bereithalten? Bange Frage! Wir nehmen Platz in einer Trattoria vor der Basilika und bestellen einhellig Pizza mit prosciutto cotto und Bier. Das Foto zeigt unseren Blick von den Rändern der Pizza über das Bierglas auf die Hauptfassade der Kirche, von Osten her gesehen, wie sie sich während der ersten Halbzeit bot.

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„Gott will Mensch und sterblich werden“

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Nov 212020
 

Gott will Mensch und sterblich werden

3. Advent, Gottesdienst mit Taufe und festlicher Musik | Evangelische Halensee Gemeinde (kirchengemeinde-halensee.de)

Mich erreicht eine Einladung zu einem Gottesdienst unter diesem Motto, der ich mit Freuden singend Folge leisten will. Recht seltsam mutet jedoch der Titel dieser Arie an, die Georg Philipp Telemann in Töne gesetzt hat:

Gott will Mensch und sterblich werden.

3. Advent, Gottesdienst mit Taufe und festlicher Musik
Pfarrer Joachim Krätschell
Sonntag, 13. Dezember 2020, 10:00 – 11:00 Uhr
Ort: Kirche der ev. Kirchengemeinde Halensee, Westfälische Straße 70A, 10709 Berlin

„Gott will Mensch und sterblich werden“ Barocke Arien zum Advent
Musik von Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann

Johannes Hampel, Tenor; Franziska Ritter, Flöte; Kathrin Freyburg, Orgel und B.C.

Bild: Bilder der sterblichen Natur, hier: kleine sterbliche Menschlein auf einem Steg, hineingebaut in göttlich geschaffene Natur. Britzer Garten, Berlin-Neukölln, Aufnahme des Verfassers vom 8. November 2020

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Bald begrenzt, bald begreifend: ein Abend an der Krummen Lanke

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Sep 192020
 

Es war ein schöner Abend im September jenes Jahres, die Sonne schien zwischen den Stämmen der Bäume mit ihrem letzten rötlichen Schimmer ins dunkle Grün der Krummen Lanke. Der unermüdliche Trommler aus Trinidad, der am Nordende jenes Sees Tag um Tag seine Steel Pan ungefragt erschallen lässt, hatte schon seinen monodischen Gesang eingestellt, und Schweigen zog endlich ein. Ich ahnte, dass sich jetzt ein neuer Vorhang auftun würde: der Vorhang der Nacht, des Verstummens. Jetzt war der richtige Augenblick, um ins kühle Wasser zu tauchen. Ich stieg beherzt in den See und vertraute mich dem andrängend-tragenden Element an.

Aus fernen Jugendtagen tönten nun, während ich mich auf den Rücken legte und den Kopf rundum eintauchte, wie vom Grunde des Sees jene Verse auf, die sich mir unauslöschlich bis zum heutigen Tage und darüber hinaus eingeprägt hatten:

ABEND

Der Abend wechselt langsam die Gewänder,
die ihm ein Rand von alten Bäumen hält;
du schaust: und von dir scheiden sich die Länder,
ein himmelfahrendes und eins, das fällt;

und lassen dich, zu keinem ganz gehörend,
nicht ganz so dunkel wie das Haus, das schweigt,
nicht ganz so sicher Ewiges beschwörend
wie das, was Stern wird jede Nacht und steigt;

und lassen dir (unsäglich zu entwirrn)
dein Leben, bang und riesenhaft und reifend,
so daß es, bald begrenzt und bald begreifend,
abwechselnd Stein in dir wird und Gestirn.

Bild: Am nördlichen Ufer der Krummen Lanke, 15. September 2020
Worte: Rainer Maria Rilke: ABEND, in: Das Buch der Bilder, in: Das dichterische Werk von Rainer Maria Rilke. Die Gedichte, die Prosa mit dem Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“. Haffmans Verlag bei Zweitausendeins, 3. Aufl., Leipzig 2015, S. 437-515, hier S. 450

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„Ein kleiner Affe oder ein Hund am Fuße der Treppe? Ein Rucksack?“ Rätsel einer Sommernacht im Rottal

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Aug 072020
 
Ein Geiger auf hölzernem Balkon spielt eine Serenade für Kind und Hund, für Groß und Klein, für Himmel und Erde. Massing, Nacht vom 31. Juli auf den 1. August 2020

Nach 4 Wochen wieder in Berlin eingetroffen. Zunächst hatte ich arbeitsreiche Wochen im Schwarzwald. Nur am Wochenende fuhr ich jedes Mal ganz wild mit einem gemieteten Mountainbike in die Kreuz und die Quer. Herrlich, dieser Schwarzwald, so wild, so überraschend und so schön!

In Alpirsbach, wo ich einquartiert war, gibt es eine sehr gute Kirchenmusikszene unter der Organistin/Kantorin Carmen Jauch, die ich zwei Mal im Gottesdienst hörte und auch danach in einem Konzert mit geistlichen Liedern. Hier keimt in kleiner Besetzung nach tonloser Zeit das Neue auf, die Freude, die zur Musik wird. Möge sie weiter und lauter tönen!

Dann verbrachte ich eine Woche Urlaub in Mittelfranken im kleinsten lieben Kreise, wo es mir noch besser gefiel! Das bildkräftig und blütenreich verträumt hergerichtete Römerlager in Ruffenhofen, die konzentrierte Darbietung unseres großen Dichters Wolfram in Wolframs-Eschenbach, der herrlich frische Altmühlsee, der Igelsbachsee – es war eine Perlenkette an guten, erfrischenden, belehrenden heiteren Stunden! Und jeden Abend gab ich ein kleines Konzert mit deutschen und italienischen Liedern und Arien, und rahmte den Gesang stets auch mit der Geige. Ein richtiger Hausmusikant war ich für ein ganz liebes Publikum geworden, das mich immer unterstützte!

Zum Abschluss dann zwei richtige Konzerte im Garten in Massing/Niederbayern für das große Verwandtenfest mit unserer guten Tante Greti, alles mit vorher eingespielter Klavierbegleitung. Ich fühlte mich frei und sicher. Nach Wochen und Monaten des öffentlichen Verstummens endlich aus voller Brust und voller Hingabe zu singen und zu geigen! Im Freien, im Sommer, bei Tag und in der Nacht! Es war, als hätt der Himmel die Erde still geküßt …!

Was Besseres kann einem nicht passieren, die Leute wollten mehr hören, sie klatschten, sie lagen hingeschmolzen flach auf dem Rasen! Also bitte! Bin sehr froh, dass ich das alles erleben durfte!

„Ich wollt als Spielmann ziehen und singen meine Weisen vor jedem Haus…!“

Wie bei Eichendorff! Das ist wirklich Manna, dieser lebendige Kontakt zum Publikum in Fleisch und Blut!
Werde das alles noch nachklingen lassen…!

„Schönes Bild! Aber was ist das am Fuße der Treppe? Ein kleiner Hund, ein Rucksack oder ein kleiner Affe?“, fragt mich eine Zuhausegebliebene. Antwort: Ich weiß es nicht.

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Glanz ohne Schärfe: beim Antritt des neuen Lebensjahres

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Jun 292020
 

In aller flaumenleichten Frühe schwammen wir am gestrigen 28. Juni in den Templiner See hinaus. Kein Laut war zu hören außer dem taktmäßigen Schwingen, mit dem ein Reiher zur Jagd ansetzte, dem leisen Rascheln einer Ente im Ufergebüsch und ganz in der Ferne schon einem ersten ratternden Zug. Ich ließ mich ganz ins Wasser untergehen, mit einigen Tauchstößen schwamm ich die Hülle des vergangenen Jahres ab, zurück blieb die abgestreifte Hülle, der Kokon des Gedächtnisses, das fadenartige Gespinst an Ahnungen, Gefühlen, dämmernden Einsichten, getroffenen Entscheidungen, das Verlieren des Grundes unter den Füßen des Augenblicks. Und doch wieder das Getragenwerden, das Entgegenschwimmen auf eine Zukunft, die dich mit offenen Armen empfängt!

Der Schwielowsee öffnete uns beim Entlangradeln gegen Ferch hin immer wieder neue Kulissen vor den Augen, er zog mir die Theatervorhänge des neuen Lebensjahres auf, strahlend, eine Ouvertüre mit einem leicht metallischen Glanz, ohne Schärfe, mit Freude, mit Liebe.

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„Faut-il le savoir ?“ La question de Marmeladov

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Apr 142020
 

Le Vendredi saint, j’ai marché le long de la Ebersstraße à Schöneberg. Là, j’ai vu un livre posé sur le rebord d’une fenêtre. Un livre abandonné. „Chanson douce“ en était le titre. Par Leïla Slimani, Gallimard, folio. Paris 2016. Étrange!

J’ai été saisi par l’irrésistible attraction que les livres français et italiens ont toujours exercée sur moi. J’ai pris le livre et j’ai immédiatement commencé à lire dedans. Page 11.

J’ai lu la question d’un certain Marmeladov: „Comprenez-vous, Monsieur, ce que cela signifie quand on n’a plus où aller? Car il faut que tout homme puisse aller quelque part.“

J’ai réfléchi à ce que je devrais répondre à cette question de Marmeladov. Marmeladov a-t-il eu raison de poser sa question ? Faut-il toujours savoir où l’on va ?

Ma réponse est non, nous ne savons pas, et nous n’avons pas besoin de savoir.

Leïla Slimani: Chanson douce. Gallimard, Paris 2016, p.11

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Lebendiges Farbenspiel des Wassers im Gebirg

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Sep 162019
 
Der Wannenkarsee, Aufnahme vom 03.09.2019

Der hinter uns liegende Wanderurlaub in den Ötztaler und Stubaier Alpen brachte uns die vielfachsten Mühen und Freuden.

So etwa diese: Nach mäßig anstrengendem Aufstieg durch das Windachtal erreichten wir am 03. September gegen die Mittagsstunden den Wannenkarsee auf etwa 2000 m Höhe. Ein herrliches Farbenspiel entfaltete sich plötzlich vor unseren Augen, schillernd-türkis, blau spielend, dann umschlagend ins satte, geheimnisvolle Grün unter einem nahezu glatt daliegenden Gewässer – ein Hochgenuss für die Augen! Die Lungen weiteten sich, sogen gierig die leicht eisig angehauchte Luft ein! Darüber etwas letzter Schnee! Alte zusammengeschmolzene Ferner, die den Sommer überlebt hatten! Ein Bild, wie es nur für diesen Augenblick Bestand hatte! Dann vorbei war.

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„Zurück zum Gesang, zum Ton als Sprache!“ Kottmanns beredte Klage

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Jun 132019
 

Viel hat von Morgen an,
Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,
Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang.

„Bald sind wir aber Gesang.“ So Hölderlin, in seiner Hymne „Friedensfeier“ (Fassung vom 28.09.1802). Vom Gespräch, das wir von Morgen an sind, zum Gesang, der wir bald sind. Eine großartige Aufgipfelung, die vermutlich auf Erasmus von Rotterdam zurückgreift, der ja Joh 1,1 übersetzt hatte mit: Im Anfang war das Gespräch.

Eine weitere gedankliche Hymne auf das Gesangliche, dieses Mal am Geigen, stimmt heute in der FAZ auf S. 11 der Frankfurter Geiger Alois Kottmann an. Höchst lesenswert! Er beklagt die heutige artistisch-zirzensische Geigenbetriebsamkeit und sagt:

„Die Geige ist nicht da, um zu geigen, sondern um etwas zu sagen. Denn der Gesang ist das Ursprünglichste in Tönen. Ich nehme an, das Erste, was der Mensch konnte, war nicht sprechen, sondern summen. Der Gesang stimuliert den Menschen. Der Gesang macht das ganze Gemüt aus und war schon da, bevor die Sprache sich in ihrer ganzen Komplexität entwickelt hatte. Und da müssen wir im Geigenspiel wieder hin, zu dieser Ursprünglichkeit, dieser Ganzheit des Gemüts, aus der heraus sich erst wieder tonsprachlich arbeiten lässt.“

Quellen:
Friedrich Hölderlin: Friedensfeier, in: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente. Herausgegeben von D. E. Sattler. Luchterhand Verlag, München 2004, Band IX, S. 231-236, hier S. 234

„So kann man doch nicht Geige spielen!“ Wir müssen zurück zum Gesang, zum Ton als Sprache – und weg von der reinen Selbstdarstellung. Ein Gespräch mit dem Hochschullehrer Alois Kottmann. Das Gespräch führte Jan Brachmann. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Juni 2019, S. 11

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/der-geiger-alois-kottmann-im-gespraech-16233272.html

Bild: Feld- und Wiesengeigen inmitten summender Mückchen und Fliegen. „Das Märchen von dem Frettchen und dem Stier Ferdinand.“ In Irenes Garten. Der hier schreibende Geiger mit seinem Sohn Ivan. Aufnahme vom 05.07.2009. Bildhintergrund: Die rückwärtige Einbandansicht der Septuaginta-Ausgabe des Jahres 1935 von Alfred Rahlfs, Verlagsnummer 5121. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1979


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Ringen und Singen im Verborgenen

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Dez 282018
 

Dieses kleine Foto, aufgenommen am frühen Abend des 2. Weihnachtstages, zeigt die äußerst unscheinbare, kaum zu entdeckende winzige Krippe in der zu dem Zeitpunkt geschlossenen, verdunkelten Paul-Gerhardt-Kirche in Schöneberg. Hier ringen am Rande der Sichtbarkeit drei Menschen um Wege des Erlebens und Überlebens.


Es sind Tage, in denen man in die Höhlungen und Herzkammern des Erlebens, in das Ungeklärte vordringen darf. Somit passt auch eine Sendung zum Thema „Ringen und Kämpfen im Verborgenen“ in diese Zeit, an der fünf befragte Glaubens-Freistil-Ringer, darunter auch der hier Schreibende, Singende, Geigende mitgewirkt haben. Verantwortlich zeichnet die Autorin Stefanie Oswalt.

Die Sendung läuft am Sonntag, 30. Dezember 2018 auf Deutschlandfunk Kultur. Sendung: Religionen, 14.05 Uhr
https://www.deutschlandfunkkultur.de/programmvorschau.282.de.html?drbm:date=30.12.2018. Man kann den Sender im Internet und in weiten Teilen Deutschlands auch über UKW hören. Die Sendung ist danach auch als Podcast nachhörbar.

Hier die offizielle Ankündigung des Senders:
Religionen
Ringen im Verborgenen
Wie sich der Glaube im Leben verändert
Von Stefanie Oswalt
„Der Glaube ist wie ein Eisberg im Menschen“, sagt Pfarrer Martin Stoelzel aus Berlin. Wie tief ein Mensch in seinem Innersten um Glaubensfragen und Gottesbilder ringt, bleibe meist unsichtbar, meint der evangelische Krankenhausseelsorger, der schon viele Menschen in existenziellen Krisen begleitet hat. An fünf Beispielen wird deutlich, wie sich persönliche Gottesbilder und Glaubensvorstellungen im Laufe des Lebens wandeln können – und wie wichtig für viele Menschen auch heute noch die Auseinandersetzung mit Gott ist.

Mit besten Wünschen für Eure staade Zeit, für eine weiterhin frohe Weihnachtszeit!

Johannes


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Un monde plus vaste: Großseggenried, Schlaubetal

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Aug 172015
 

Großseggenried20150815_100554

 

 

 

 

 

Ostkreuz, bloß Umsteigen und weg, irgendwie sehr … ostig.
Kräne ragen, Bagger rasten,
Baustelle halt. Was erwartest du?

Erkner, heute Abfahrt Jacobsthal
auf Gleis 1 statt auf Gleis 2.
Ja, warum sagt das denn keiner!

Weisheit des Schwarms
einfach so in den Wind geschlagen –
dann laufts halt den andern nach!
Hach so ein Schreck! Herzpochen,
Schweißausbruch, wegen so was!

Belohnung lasest du beim Nachbarn im RE 1 mit:
un couple est un monde autonome,
un monde autonome et clos
qui se déplace au milieu d’un monde plus vaste (S. 132)
(Geflüstert): „Kuck doch mal: Soumission, Houellebecq,
Der ist schon weiter als ich!“ Scham wegen Lesefaulheit? I wo!

Im Talgrund der Schlaube,
die letzte Aufwallung des Sommers, erwandert.
Erlenbruchwälder: wohlige Verschattung
am Beginn der Wanderung.

Hier schau: Weidegebüsch durchsetzt den Talgrund!
Da graste noch vor vierzig Jahren das Viehzeug.

Viehzeug fehlt heut! Unweigerlich dann die Durchnässung!
Aufschossen die Seggen dann!
Die Steifsegge, die Sumpfsegge, die Ufersegge, die Rispensegge,
mit einem Wort: ein richtiges Großseggenried!
Breitblättrig hingestreut wuchert’s hervor, das Knabenkraut,
da, da und da, verkrautete Wege!

Ja, schau nur hin:
5,3 Kilometer zur Ragower Mühle;
aber waren es nicht vor 500 Metern
5,4 Kilometer?

Logische Folge: Verunsicherung, aufkommender Durst.
Lichtere Wälder. Kiefernforst, klar: Hitzespeicher!
Erdursten, wieder das Herzpochen,
oder schon Vorhofflimmern?
Schritt um Schritt hin
zum Baumlabyrinth für Rollstuhlfahrer.

 

Foto:
Großseggenried im Schlaubetalgrund, Aufnahme vom 15.08.2015
Zitat:
Michel Houellebecq: Soumission. Flammarion, Paris 2015, S. 132

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Unter dem Zwange der Verhältnisse: Der Streit um die Hakenkreuzfahne im Rathaus Berchtesgaden

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Mai 012015
 

Aus dem Berchtesgadener Gemeindebeschlußbuch zitieren wir ungekürzt und unkommentiert eine unerhörte Begebenheit, bei der der Großvater des hier Schreibenden eine entscheidende Rolle spielt:

Konstatierung. – Am 9. März 1933 abends 7 Uhr erschienen im Arbeitszimmer des noch im Rathaus anwesenden 1. Bürgermeisters Seiberl (BVP = Bayerische Volkspartei) die Gemeinderäte B. und S., begleitet von etwa 50 teilweise bewaffneten SA- und SS-Leuten. Gemeinderat B. eröffnete dem 1. Bürgermeister, daß er von der Gauleitung der N.S.D.A.P. den Befehl erhalten habe, auf dem Rathaus Berchtesgaden die Hakenkreuzfahne zu hissen, wenn nötig, auch unter Anwendung brutaler Gewalt. Auf dem Bezirksamt sei ebenfalls soeben die Fahne gehißt worden. Darauf entgegnete Bürgermeister S., daß zunächst um unnötiges Blutvergießen und gefährliche Weiterungen zu vermeiden, er der Gewalt weiche und die Einwilligung gebe die Fahne auszuhängen, daß er aber die endgültige Entscheidung dem Gemeinderat vorbehalten müsse, den er sofort zu einer außerordentlichen Sitzung einberufen werde. In der dann auf 8 Uhr abends einberufenen Sitzung waren mit Ausnahme des entschuldigten Gemeinderats A. sämtliche Gemeinderäte und die beiden Bürgermeister anwesend. Nach dem Bericht des 1. Bürgermeisters und einer kurzen Beratung, zunächst vertraulicher, dann in öffentlicher Sitzung, wurde einstimmig folgender Beschluß gefaßt: »Unter dem Zwange der Verhältnisse erklärt sich der Gemeinderat damit einverstanden, daß die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus gehißt wird, jedoch unter der Bedingung, daß gleichzeitig auch die weiß-blaue und die schwarz-weiß-rote Fahnen aufgehängt werden.«

Darauf zogen die SA- und SS-Leute, die das Rathaus besetzt hatten, wieder ab. Der Gemeinderatsbeschluß wurde sofort durchgeführt.

Zitiert nach:
Erinnerung an 1933. Von Dr. Manfred Feulner. In: „Marktbote“. Beilage des „Berchtesgadener Anzeigers“, Donnerstag 2. Mai 1996

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Der Gepard von St. Ottilien

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Mrz 092013
 

Zu meinen allerfrühesten Kindheitserinnerungen gehört ein ausgestopfter Gepard im Museum der Missionare von St. Ottilien, der während der Familienfreizeiten meine und meines Bruders Aufmerksamkeit fesselte und mir bis zum heutigen Tage in den Sinn kommt, wenn ich Dantes unsterbliche Verse

„una lonza leggiera e presta molto,
che di pel maculato era coverta“

 halblaut vor mich hin murmele.


Die schlanke schnelle Pardelkatze
bedeckt von getüpfeltem Fell!

Das schnellste aller Landtiere, der Gepard, stand gezähmt, scheuen, in sich gekehrten Blicks vor uns! Was nützte ihm nun seine Schnelligkeit! Wo war die Steppe, wo war die Weite, wo war das Flirren der erhitzten Luft über der Serengeti! Wo jenes unvergleichliche Gefühl, das den Gepard durchströmt, wenn er in 300 oder 400 Meter Entfernung ein Beutetier erahnt und sich dann, geduckt pirschend, immer wieder Witterung einsaugend, zwischendurch endlose Minuten verharrend, sich dem arglosen Tier nähert, das dann, viel zu spät, in einigen wilden Haken vergeblich seinem Schicksal zu entkommen versucht. Ein geheimes Einverständnis scheint zwischen Jäger und Beute zu herrschen, so als wollte das eine dem anderen noch einmal seine ganze Kraft, seine hakenschlagende Geschicklichkeit zeigen, ehe der erlösende Tatzenhieb erfolgt und das Tier, einige letzte Male zuckend, sich dem Biss in die Halsschlagader ergibt.

So schien der Gepard zu träumen. Dies war seine Vergangenheit. Das Tier vor uns schien sich zu schämen, stand stolz aufgerichtet, endlos witternd hinter einer Glasscheibe. Und wir, die Vorschulkinder, waren klüger, lernten die Geschwindigkeiten auswendig, die das schnellste Landtier der Erde zu erreichen vermag, wenn auch nur für wenige Hundert Meter! 112 km/h, das war die Spitzengeschwindigkeit, die das rasch atmende Tier mit weit geöffneten Nüstern für 700-800 Meter durchzuhalten vermochte. Alles entschied sich in diesen wenigen Hundert Metern. Und aufs Ganze gesehen musste der Gepard verlieren. Irgendwann, so dachten wir, würden die Gazellen und Antilopen eine Warnungskette errichten. Dann wäre es aus, irgendwann, in zehn oder 15 Jahren vielleicht. Was sind schon 800 Meter im Vergleich zu 10 oder 15 Jahren! Es gab doch immer jemanden, der langsamer lief und deshalb viel mehr Zeit hatte.

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