Versagende Eltern, gefährdete Kinder, belastete Mutter-Kind-Beziehungen – das dürfte das enorm wichtige Grundmotiv sein, welches zwei Schriftstellerinnen in ihren neuen Büchern aufgreifen. Gut, bedeutend, es stimmt mich nachdenklich! Ist dies eine Bestandsaufnahme einer Situation, die jeden von uns unvorbereitet treffen kann?
Katharina, die Mutter in Mareike Krügels neuem Roman Sieh mich an, musste ihre Karriereträume beerdigen, nachdem sie ihren Mann Costas geheiratet und das erste Kind bekommen hatte. Sie erteilt jetzt, statt auf Konzertbühnen zu glänzen, Musikunterricht für Vorschulkinder und setzt das Orffsche Instrumentarium ein. Das schwierige Muttersein, schwierige Schwangerschaften und ihre eigene schwere Krankheit strichen ihre Lebensplanung durch. Sie sagt:
„Nichts ist mehr so, wie es gehört. Nichts ist so geworden, wie ich es wollte, gar nichts, und nun stehe ich da und muss mir selber zuhören, wie ich zu mir sage: War das nicht klar? Das hast du doch gewusst, Katharina, damit war doch zu rechnen.“
PLANBARES LEBEN! Das ist eine zentrale Verheißung, mit welcher eine bedeutende Partei, Die Linke, in diesen Bundestagswahlkampf zieht. Die Politik soll es einrichten, dass alles so kommt, wie man sich das wünscht und vorstellt. Und dann – dies! Krankheiten, Schwangerschaften und schwierige Kinder vermasseln einem die Lebensplanung.
Monika Helfer schildert in Schau mich an, wenn ich mit dir rede! eine U-Bahn-Szene. Eine Mutter nimmt ihre Tochter ins Verhör. Mutter und Tochter haben beide einen Stadtroller zwischen den Beinen, beide tragen eine Schildmütze auf dem Kopf. Die Mutter fragt:
„Und du? Du? Du? Magst du ihn immer noch, deinen lieben, lieben Vater? Ich will es wissen. Ich weiß schon, nichts darf ich, aber etwas wissen wollen darf ich wohl. Oder wollt ihr mir das auch noch verbieten?“
Der Mund des Mädchens nahm einen leidenden Zug an, und ich dachte, gleich wird sie weinen. Sie weinte nicht. Sie drehte sich weg von ihrer Mutter, sagte nur sehr leise: „Mmhm.“
Zwei kurze, meisterhaft verdichtete Miniaturen aus zwei lesenswerten Büchern! In Monika Helfers Szene fällt mir etwas auf, was für viele unserer Familien charakteristisch geworden ist: Die Einebnung der Unterschiede zwischen Eltern und Kindern. Die Eltern ziehen sich so an wie die Kinder, sie ziehen die Kinder aber auch in ihre eigene emotionale Verstricktheit hinein.
Das Kind wird behandelt, als sollte es ein gleichartiger Partner der Eltern sein. „Dein Kind – dein Partner“, so hieß der Ratgeber von Carl H. Schmitt-Rogge, den ich übrigens selbst als Jugendlicher las, um meine Eltern in ihrem Erziehungsstil besser zu verstehen.
Das Kind als Partner? Ich finde das bedenklich! Das Kind wird so allzu leicht hineingezogen in den Paarkonflikt. Und dies, so meine ich, stellt eine heillose Überforderung des Kindes dar. Das Kind wendet sich dann ab wie in der U-Bahn-Szene, es verweigert die Antwort.
Und der Grund ist: Es muss sich schützen. Das Kind möchte nicht Sparringspartner für die ungelösten Konflikte der Eltern werden.
Ich lese aus diesen beiden Grundkonstellationen zweierlei heraus: Ja, Kinder können alles durcheinanderbringen. Ja, das Leben ist fundamental nicht planbar. Ja, Muttersein ist nicht einfach schön. Es kann schrecklich sein. Muttersein ist nicht angeboren. Die Frau wird hineingestoßen in etwas, was ihre Pläne umwirft. Anders ist es meist für den Mann; ihm wird viel eher zugestanden, seine eigene Karriereplanung duchzuziehen.
Und ja, Kinder sind etwas anderes als Erwachsene. Die Beziehung zwischen Eltern und Kindern ist keine demokratische Beziehung zwischen Gleichberechtigten; es wird immer eine größere Macht, eine größere Verantwortung bei den Eltern geben.
Zwei Bücher, die jetzt, wo die Abende früher einsetzen, sicherlich das Lesen lohnen.
Monika Helfer: Schau mich an, wenn ich mit dir rede! Jung und Jung Verlag, Salzburg 2017, hier zitiert nach: Deutscher Buchpreis. Die Longlist 2017. Leseproben. Börsenblatt, Frankfurt 2017, S. 27-31, hier S. 28-29
Mareike Krügel: Sieh mich an. Roman. Piper, München 2017, hier zitiert nach: Petra Pluwatsch: Begrabene Träume. Mareike Krügel zieht eine bitterböse Bilanz des Mutterseins. Berliner Zeitung, 1. September 2017, S. 23