Trennen, sondern, ordnen. Räum auf in deinem Leben. Mit Goethe und Inga Scheidt

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Dez 272019
 
Johann Wolfgang von Goethe: Lebendmaske. Gips, schellackiert. Mastermodell gefertigt vor 1950. Staatliche Museen zu Berlin, Gipsformerei (Original am Gesicht Goethes gefertigt im Oktober 1807 durch Carl Gottlieb Weißer). Fotografische Aufnahme gefertigt am 26.12.2019 durch den hier schreibenden Vf. in der Ausstellung „Nah am Leben. 200 Jahre Gipsformerei“ in der James-Simon-Galerie Berlin

Zu den nützlichen, gefälligen, aber leider auch notwendigen Geschenken, die uns an Heiligabend überreicht wurden, zählen wir „Das magische Aufräumbuch“ von Inga Scheidt. Durch fleißiges Lesen dieser Hinweise, die sich zwanglos in den Fächern „Loslassen, Ordnung schaffen, durchatmen“ rubrizieren lassen, hoffen wir gleichsam magisch, wie im Handumdrehen eine noch bessere Ordnung in Schreibstube, Küche, Schlafgemach und Keller herbeizuführen! „Richten Sie sich ein Regal mit Ordnern für die wichtigsten Unterlagen ein“, lautet eine der durchaus beherzigenswerten Einsichten der Autorin.

Neben dem Lesen des magischen Aufräumbuches fanden wir gestern zum ersten Mal auch Zeit, die neue James-Simon-Galerie ausführlich zu erkunden, und zwar nicht als Durchgang oder Übergang zu den fünf verschiedenen Museen der Museumsinsel, sondern um ihrer selbst willen! Ein derartiger Besuch lohnt sich! Uns überraschte zunächst der freie herrliche Ausblick, den man vom Kolonnadengang aus auf den Lustgarten und den Kupfergraben genießt. Hier der Beleg:

Hervorheben möchten wir heute die Ausstellung „Nah am Leben“, in welcher die Gipsformerei ihr gesamtes Handwerk und ihre Kunstfertigkeit an ausgewählten Beispielen zeigt. Besonders tat es mir gestern unter allen ausgestellten Stücken die Lebendmaske Goethes an, die der Alte vom Frauenplan im Jahr 1807 von seinem Gesicht abnehmen ließ. Es waren genau die Monate, in denen Goethe seine Wahlverwandtschaften verfasste! Und siehe da, auch hier spricht er das Thema des Ordnens, Aufräumens und Loslassens an. Er schreibt im vierten Kapitel des ersten Teils über den reichen Baron Eduard:

Zwar von Natur nicht unordentlich, konnte er doch niemals dazu kommen, seine Papiere nach Fächern abzutheilen. Das, was er mit Andern abzuthun hatte, was bloß von ihm selbst abhieng, es war nicht geschieden, so wie er auch Geschäfte und Beschäftigung, Unterhaltung und Zerstreuung nicht genugsam von einander absonderte. Jetzt wurde es ihm leicht, da ein Freund diese Bemühung übernahm, ein zweites Ich die Sonderung bewirkte, in die das eine Ich nicht immer sich spalten mag.

Sie errichteten auf dem Flügel des Hauptmanns eine Repositur für das Gegenwärtige, ein Archiv für das Vergangene, schafften alle Dokumente, Papiere, Nachrichten aus verschiedenen Behältnissen, Kammern, Schränken und Kisten herbei, und auf das Geschwindeste war der Wust in eine erfreuliche Ordnung gebracht, lag rubricirt in bezeichneten Fächern. Was man wünschte, ward vollständiger gefunden, als man gehofft hatte. Hierbei gieng ihnen ein alter Schreiber sehr an die Hand, der den Tag über, ja einen Theil der Nacht nicht vom Pulte kam und mit dem Eduard bisher immer unzufrieden gewesen war.

Ich kenne ihn nicht mehr, sagte Eduard zu seinem Freund, wie tätig und brauchbar der Mensch ist. Das macht, versetzte der Hauptmann, wir tragen ihm nichts Neues auf, als bis er das Alte nach seiner Bequemlichkeit vollendet hat, und so leistet er, wie du siehst, sehr viel; sobald man ihn stört, vermag er gar nichts.

Ein Vergleich zwischen den beiden Autoren Scheidt und Goethe ergibt: Scheidt setzt beim Bewußtseinswandel im einzelnen Menschen an. Sie verlangt vom Aufräumenden „einen Entschluss, den entscheidenden Klick im Kopf“. In Scheidts Weltsicht soll das Ich gewissermaßen endlich Herr im eigenen Hause werden; die äußere Ordnung spiegelt dann eine innere seelische Gestimmtheit, spiegelt Einklang mit sich und der Welt wider.

Goethe dagegen erzählt zu Beginn der Wahlverwandtschaften die Herstellung der Ordnung als Gemeinschaftsleistung mehrerer tätiger Individuen; nur im Zusammenwirken gelingt wie im Handumdrehen die wohltuende, entlastende, zeitsparende Ordnung, die neben dem Seelenfrieden auch Muße und Gelassenheit für das gemeinsame Erleben des Schönen schafft. Der einzelne Mensch allein schafft es nicht!

Wer hat nun recht, Goethe oder Scheidt? Die Entscheidung hierüber ist nicht abstrakt zu treffen. Sie ruht letztlich beim tätigen Erleben, beim Handeln und Anpacken, bei der Veränderung! Ein unbestreitbares Moment des Wahren steckt zweifellos in beiden Ansätzen, das erst im verändernden Zugriff auf Welt und Umwelt seine Wirklichkeit erweisen wird.

Quellenangaben:
Johann Wolfgang von Goethe: Die Wahlverwandtschaften. in: Goethes Sämmtliche Werke. Vollständige Ausgabe in zehn Bänden. Fünfter Band. Stuttgart. Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1885, S. 316-499, hier S. 334

Inga Scheidt: Das magische Aufräumbuch. Loslassen, Ordnung schaffen, durchatmen. Naumann & Göbel Köln, ohne Jahresangabe, hier bsd. S. 16 und S. 91

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Was man für Geld nicht kaufen kann: schön danken lernen!

 Adolf Hampel, Einladungen, Geld, Gleisdreieck, Personalismus, Tugend, Verwöhnt  Kommentare deaktiviert für Was man für Geld nicht kaufen kann: schön danken lernen!
Feb 122013
 

„Wir sollten den Bauherren des Potsdamer Platzes, vor allem DaimlerChrysler,  dankbar sein, denn aus ihren ca. 8 Millionen Euro Ausgleichszahlungen wurde unser wunderschöner neuer Park am Gleisdreieck gebaut!“

„Wir Berliner sollten als Single-Hauptstadt den tüchtigen Bayern und den wackeren Baden-Württembergern dankbar sein, denn sie finanzieren über den Länderfinanzausgleich unsere tolle BVG, unsere gegenüber den Südstaatleren viel bessere  Kita-Abdeckung, unsere gegenüber München um 50%  billigeren Berliner Mieten, unsere 3 Mal höhere Arbeitslosenrate …! Ohne die Bayern und Baden-Württemberger stünden jedem Single nur noch 18 statt 40 qm zu, die Miete würde verdoppelt, viele Berliner müssten als Gastarbeiter irgendwo anders zu niedrigen Löhnen arbeiten gehen, etwa in der Türkei, in Libanon, in der Slowakei, in Rumänien.“

Hä? Was ist das für ein schräges Gebrabbel? Darf man als Schwabe von uns Berlinern  Dankbarkeit gegenüber den Geberländern des Bundesfinanzausgleichs verlangen?

Schwierig, sehr schwierig! Dankbarkeit gegenüber anonymen Spendern, an deren mildtätige Gaben man sich gewöhnt hat und auf die wir einen erlernten Anspruch zu besitzen glauben?  Ich glaube, die dauernde Abhängigkeit von finanziellen Zuwendungen hat eher einen verwöhnenden Effekt, der schließlich in Aggressivität gegenüber dem Spender umschlägt: „DIE sollten uns mal dankbar sein, dass wir ihnen eine so schöne Hauptstadt bieten! Da können DIE nicht mithalten!“

Dankbarkeit in der Politik? Das klappt meist nicht. Echte Dankbarkeit empfinden wir meist nur gegenüber Personen mit einem Namen und einem Gesicht, denen wir uns irgendwie verbunden wissen.

Lest hierfür einige beliebige Beispiele von Danksagungen aus meinen jüngsten Lesestoffen:

1: „Den größten Dank schulde ich meiner Familie. Am Esstisch und bei Familienreisen waren meine Söhne Adam und Aaron, wann immer ich sie mit neuen ethischen Dilemmata konfrontierte, stets zu scharfsinnigen, moralisch abgewogenen Reaktionen bereit. Und immer wandten wir uns an Kiku, die uns sagte, wer recht hatte. Ihr widme ich dieses Buch in Liebe.“

2: „Ein großer Dank geht auch an meine Frau für all ihre Ideen, an meinen Mitarbeiter Veysel, dessen einziger Fehler ist, Bayern-Fan zu sein, an die beiden Hakans (Mican und Tunç), an Mustafa, ohne die ich noch heute versuchen würde, eine Verbindungsbrücke zwischen den beiden Gipfeln des Kilimandscharo zu bauen, an die Fußballfreunde aus dem sonntäglichen Kick in Kreuzberg, an die Kids, die mir geholfen haben, die richtigen Fragen zu stellen, und an Bruce Lee, der mir ein Motto lieh: „Wasser kann fließen, kriechen, tropfen, stürzen und schmettern. Sei Wasser, mein Freund!“

3: „Anders als in Türken-Sam bin ich in dieser Geschichte nicht der Hauptakteur. Dieses Buch haben andere auf den Weg gebracht. Menschen, die hinter den Kulissen wirken und die darin zu Wort kommen. Menschen wie Renate und Adolf Hampel in Hungen, die sich – beide längst im hohen Rentenalter – ein halbes Leben für die interkulturelle Verständigung engagiert haben. Ich danke ihnen und allen, die sich für eine bessere Gesellschaft einsetzen.“

Drei Männer, drei Mal ein Dankeschön gesagt, auf nette, echte, glaubwürdige Weise. Sie statten Dank an namentlich genannte Menschen in Fleisch und Blut ab, denen sie etwas ver-danken. Mit ihnen verbinden sie Geschichten von Wagnissen, von Treue, von Elternschaft, Ehe, Freundschaft, von wechselseitiger Hilfe. Nur diese persönlichen Erfahrungen von Güte und Treue ermöglichen ein echtes Gefühl von Dankbarkeit. Diese Verbundenheit ist es, die letztlich Familien, Städte und ganze Länder zusammenhält. Nicht das Geld der anderen, nicht die Politik, nicht so merkwürdige Dinge wie „soziale Gerechtigkeit“, sondern Treue und Liebe zwischen Eltern und Kindern, von Mann und Weib, von Freundin und Freund, von 11 oder 22 Freunden, von Mit-Menschen und Neben-Wohnern. Wir dürfen ein Wort wagen: das grundlegende Vertrauen in diese überzeitlichen Werte – Familie, Gattenliebe, Freundschaft , Treue – macht  den berühmten „Wertekonservatismus“ aus. Ich nenne diese Grundhaltung auch den Personalismus der Mitte. Eine Grundeinsicht dafür lautet: „Die Welt insgesamt, die Gesellschaft als solche ist eigentlich weder gerecht noch ungerecht. Menschen hingegen verhalten sich gerecht oder oder ungerecht, benehmen sich gut oder böse, geben sich faul oder fleißig. Lasst uns also möglichst gerechte, gute, fleißige Menschen sein und anderen als Vorbild dienen!

Das grundlegende Vertrauen in die regelnde, ausgleichende, gerechtigkeitschaffende Gesellschaft, der Glaube an den gütigen, geldverteilenden und fürsorglichen Staat, der Glaube an die strukturprägende Macht der Politik bis ins Leben der Familien und der individuellen Schicksale hinein ist im Gegensatz dazu ein Merkmal des reformerischen oder revolutionären linken oder rechten Politikansatzes. Man könnte ihn auch den Strukturalismus der sozialen Gerechtigkeit nennen. Grundbekenntnis ist: „Die Welt ist eigentlich ungerecht. Die Gesellschaft ist eigentlich ungerecht. Lasst uns endlich gerechte Verhältnisse schaffen!

Ich danke den vorbildlichen Buchschreibern Michael, Cem und Cem für diese Einsicht.

Und hier kommen die Quellenangaben (mit bestem Dank):

1) Michael J. Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des Marktes. Aus dem Amerikanischen von Helmut Reuter. Ullstein Verlag, Berlin 2012, S. 294
2) Cem Özdemir: Die Türkei. Politik, Religion, Kultur. Beltz&Gelberg, Weinheim 2008, S. 253
3) Cem Gülay/Helmut Kuhn: Kein Döner Land. Kurze Interviews mit fiesen Migranten. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2012, [Kindle-Ausgabe], Pos. 2770

Bild: unser wunderschöner neuer Park am Gleisdreieck. Wir sagen schon mal danke. An alle.

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„Lerne und arbeite! Damit wir füreinander sorgen können“

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Okt 012012
 

2012-09-30-170015.jpg

Ganz unter das Leitwort „Lerne und arbeite. Dann lache!“, ganz unter die beiden Leitwerte Freiheit und Verantwortung stellte ich in den vergangenen beiden Monaten meine Bewerbung um die Bundestagskandidatur meiner Partei im Wahlbezirk Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost.

In den Bewerbungsreden, in den spannenden, höchst aufschlussreichen Befragungen zitierte ich das Motto „Freiheit ist wie Fahrradfahren ohne Stützrad“, ich lud dazu ein, dass wir in einer gemeinsamen Anstrengung alle politischen Probleme werden lösen können. „Wenn wir uns alle mehr abstrampeln und aufeinander aufpassen, werden wir es schaffen!“  Der gute Fahrradfahrer, das Inbild des guten Bürgers, sorgt sich um die anderen, er stellt sich persönlich in die Bindung an die Ordnung des öffentlichen Lebens.

In den aktuellen erbitterten Debatten – Euro-Krise, Betreuungsgeld, Afghanistan, Islam, Integration usw. – erinnerte ich wieder und wieder an diesen Grundsatz der persönlichen Freiheit, an diesen Leitwert der persönlichen Verantwortung. Ich sprach mich wiederholt gegen die Abtretung von mehr sozialer Verantwortung an den Staat, gegen die Übergabe der Regelungskompetenz an die jeweils höhere Ebene aus. Nur in der Subsidiarität kann Gemeinschaft gelingen.  Die Menschen, die niedrigeren Ebenen, die Familien, die Gemeinden und die Regionen sollen und müssen in stärkerem Maße Selbstverantwortung übernehmen! Nur so kann Europa mit Sinn und Zustimmung gefüllt werden. Eine EU, die ausgerechnet im Euro, im Geld also die identitätsstiftende Klammer sieht, kann nicht gedeihen. Ohne die Gemeinschaft des Wortes ist das europäische Projekt zum Scheitern bestimmt.

Ich warb für den Wahlkampf der bescheidenen Mittel, gestützt auf das Zuhören, das Erzählen, das Zu-Fuß-Gehen, das Radfahren und – das Lachen.

Insgesamt stellte ich also genau jene politischen Konzepte zur Wahl, die ich in diesem Blog über die vergangenen 4 Jahren entwickelt habe: den Personalismus der Mitte also. Und wie kam das Ganze in meiner Partei der Mitte an?

Die öffentliche Nominierung zur Bundestagwahl 2013 hat am vergangenen Sonnabend, 29.09.,  stattgefunden. Als Kandidaten traten Dursun Yigit, Götz Müller, Stefanie Vogelsang MdB und Johannes Hampel an. Yigit trat in der Versammlung am 29.09.2012 selbst von der  Kandidatur mit einer Empfehlung zugunsten Hampels zurück.  

Ergebnis:

Erschienene Delegierte: 23 von 26

 Stimmenanzahl:

Götz Müller: 16
Johannes Hampel: 4
Stefanie Vogelsang MdB: 3

Enthaltung: keine

Ihr seht: Es hat für mich in diesem Feld starker Mitbewerber bei weitem nicht gereicht, ich war einer der ersten, der dem überragenden Sieger Götz Müller alles Gute für die Bundestagswahl wünschte.

Ich danke allen Unterstützern für die Hilfe der vergangenen Wochen!

Bild: so schön ist die Natur im heimatlichen Kreuzberg – aufgenommen gestern in der Kleinbeerenstraße, hinter dem Amtsgericht

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Jun 062012
 

2012-06-05-090117.jpg Ich nahm gestern an der Gedenkveranstaltung für die ermordete Semanur S. teil und betrat erstmals seit Monaten wieder diesen Hof. Ich musste beim Betrachten des Fotos schmerzhaft entdecken, dass wir Semanur sowie auch zwei ihrer Kinder kannten. Wir erinnern uns an eine warmherzige, fürsorgliche Mutter, die viel für ihre Kinder unternahm, nach außen keineswegs abgeschlossen und unterwürfig auftrat.

Die Reden und die Stimmung, aber ebenso auch die Inschriften und die Laibchen mit der Aufschrift „Erkekler şiddete karşı! – Männer gegen Gewalt“ deuteten neben aller Betroffenheit und Trauer in eine Richtung: „es hat sich seit langem angekündigt“, „es wäre zu verhindern gewesen“ – „viele andere Frauen hier in Berlin  sind ebenfalls mehr oder minder in dieser Lage – wir müssen uns zusammenschließen“.

Kazim Erdogan sprach zu Recht die gemeinsame Verantwortung jedes Menschen für sich und für sein Umfeld an. Von einer psychischen Störung des Täters war kein Wort zu hören, weder von seiten des Redners noch von sonst jemandem. Der Tenor war eher: Männergewalt darf nicht mehr so stark im Alltag verwurzelt sein! Die Männer sollen der brutalen Gewalt über die Frauen, die sie mit Schlägen und Messern, mit Flüchen und Drohungen ausüben, abschwören.

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Mai 262012
 

Ein Hauptsatz dessen, was ich hier den Personalismus der Mitte nenne! Diese Fähigkeit, sich der Mehrheit zu widersetzen. Allerdings unter Einhaltung der bestehenden Gesetze. Sokrates, aus dessen Apologie hier zitiert wird, erkennt die Gültigkeit der Gesetze an, er unterwirft sich dem Recht und der Ordnung.

Und genau darin halte ich ihn für vorbildlich auch in unserer Demokratie. In der Mitte steht der einzelne Mensch, der sich aller Rechte und Pflichten bewusst ist und diese auch nutzt.

„Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure,
doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück.“

Grass identifiziert offensichtlich in seinem neuesten Gedicht Griechenland mit Sokrates. Ein großer Fehler! Nicht ein Land kann man mit Sokrates identifizieren, sondern nur einen einzelnen Menschen. Jedem – auch Günter Grass – steht es frei, sich mit Sokrates zu identifizieren.

Jeder kann Sokrates nacheifern, aber eben nicht als Land, sondern als Person. Prüfen, bedenken, Rechenschaft ablegen, das Für und Wider erörtern im Gespräch unter Einhaltung anerkannter Regeln, das ist sokratisch. Steuern zahlen, Schulden zurückzahlen, nicht lügen und nicht betrügen, das ist sokratisch.

Das ist zugleich das Lebenselement der Demokratie und des Rechtsstaates.

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Lebe nachhaltig! Vom Wurzelgrund der persönlichen Verantwortung

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Mai 242012
 

„Wir sind die Partei der persönlichen Verantwortung. Seien Sie selbst das Rad der Verantwortung!“ So äußerte ich mich in einem Redebeitrag am 11.05.2012 beim Landesparteitag meiner Partei, auf dem der Leitantrag „Berlin – Hauptstadt der Nachhaltigkeit“ mit überwältigender Mehrheit verabschiedet wurde.

Ich will persönlich selbst das tun, was im gegebenen Augenblick das Richtige für mich, für meine Mitmenschen und meine Mitwelt ist.

Nachhaltige Politik ohne Selbstanbindung an diesen Grundsatz der personalen Verantwortung kann nicht funktionieren. Man kann nicht immer die Verantwortung auf DIE Politik, DIE Verhältnisse, DIE anderen abschieben. Dafür liefert dieses Bild ein gutes Beispiel. Wir sehen den neuen Umweltminister Peter Altmaier, wie er sein Fahrrad anbindet.

Leider fehlt es hier dem Umweltminister an guten Abstellmöglichkeiten für sein Fahrrad. Er muss die Baumscheibe betreten, wodurch der feine Wurzelgrund des Baumes gepresst wird.  Eine vorschriftswidrig geparkte Limousine beansprucht obendrein viel Platz, der eigentlich den Fußgängern zusteht.

Dennoch: Der Minister ist ein Vorbild. Er fährt Fahrrad, obwohl die gesamte städtische Infrastruktur – wie das Bild beweist – noch allzu sehr auf den PKW ausgerichtet ist, obwohl der motorisierte, erdölgetriebene Verkehr den Fußgängern und Fahrradfahrern viel zu viel Platz wegnimmt.

Er beherzigt den Grundsatz: Sei selber das Rad der Nachhaltigkeit. Denn: Die Energiewende fängt beim Einzelnen an.

Das Gebot lautet: Sei du zuerst die Energiewende. Lebe nachhaltig.

Foto entnommen dem Berchtesgadener Anzeiger, 22.05.2012

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Mensch, werde wesentlich! Sei selber das Rad der Nachhaltigkeit!

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Mai 132012
 

Ich rate zur Vorsicht bei allen Bekenntnissen zur Fernstenliebe! Ich hege Zweifel gegenüber all jenen, die Forderungen an andere, an den Staat, an die Politik erheben, ohne sich selbst als Person zuerst und vorrangig in die Pflicht zu nehmen. Bekenntnisse nützen nichts, wenn sie nicht mit der nachprüfbaren Selbst-in-Dienst-Stellung verbunden sind. Das gilt gerade für Bekenntnisse zur Nachhaltigkeit und zum Klimaschutz. Man zeige mir doch bitte an einer sichtbaren Handlung, dass man es ernst meint, statt kostspielige Programme und Projekte aufzulegen, deren Finanzierbarkeit in den Sternen der Fernstenliebe steht. So zeigt sich beispielsweise, dass die staatlichen Pflicht-Programme zur energetischen Gebäudesanierung ebenso wie die Subventionierung der Elektro-PKW zunächst einmal einen kräftigen Verteuerungseffekt für die öffentlichen und die privaten Haushalte haben, ohne dass ein Klimaschutzeffekt sofort einträte. Sie steigern jedoch das Bruttoinlandsprodukt und haben insofern eine volkwirtschaftlich erwünschte, wachstumsfördernde Wirkung.

Umgekehrt gilt: Das Umsteigen vom PKW auf das mit Muskelkraft betriebene Fahrrad führt nachweislich zu einem sofortigen Umweltschutz- und Klimaeffekt, verlangt aber dem Einzelnen etwas ab, insbesondere den Verzicht auf Annehmlichkeiten des Alltags. Massives Umsteigen vom PKW auf ÖPNV und Fahrrad kann zwar zu einem Rückgang der Verschuldung, zugleich aber auch zu einem Rückgang der Wirtschaftsleistung eines Landes führen und ist insofern unerwünscht.

Nachhaltigkeit erstreckt sich nicht nur auf die Nachwelt, sondern zunächst und zumeist auf den Umgang mit dem eigenen Leib und mit der Mitwelt. Nachhaltigkeit strebt stets neben der Ressourcenschonung und dem Klimaschutz die leibliche Gesundheit der eigenen Person und das Wohlergehen des begegnenden Nächsten an. 

All jenen, die da glauben, durch Programme, Planvorgaben, Absichtserklärungen und wohl gar weit in die Zukunft reichenden Soll-Zahlen etwas zugunsten der zukünftigen Generationen zu bewirken, rufe ich zu:

Mensch, lebe nachhaltig! Sei selbst das Rad, das Nachhaltigkeit bewirkt.

Einer meiner wichtigen Lehrer, der heute bei meinen Deutschen fast schon in Vergessenheit geratene Breslauer Johannes Scheffel, drückte diesen Gedanken so aus:

 37. Die Unruh kombt von dir.
Nichts ist das dich bewegt/du selber bist das Rad/
Das aus sich selbsten laufft/und keine Ruhe hat.

Quelle:

Johannis Angeli Silesij
Cherubinischer Wandersmann [… ]
Glatz / auß Neu auffgerichter Buchdruckerey Ignatij Schubarchi Anno 1675, Seite 39.

 http://diglib.hab.de/wdb.php?dir=drucke/lo-6724

http://diglib.hab.de/drucke/lo-6724/start.htm?image=00032

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Jul 262011
 

Eine uralte, von Sigmund Freud wiederbelebte Einsicht der Psychoanalyse lautet: Die eigenen, versteckten, nicht eingestandenen oder verdrängten seelischen Regungen werden unbewusst häufig einem  verteufelten Anderen, einem geschmähten Gegenüber, einem Sündenbock zugeschrieben. Salopp gesagt: „Die schärfsten Kritiker der Elche sind selber welche.“ Was man sich selber nie eingestehen würde, das wird einem Sündenbock aufgeladen. Der Sündenbock wird dann rituell verjagt und in die Wüste geschickt.

So erleben wir hier seit vielen Jahren, wie die deutschen Familien aus Kreuzberg wegziehen, sobald die Kinder das Schulalter erreichen. „Wir sitzen auf gepackten Koffern.“ So formulierte es vor wenigen Jahren eine private Elterninitiative, die sich anschickte, eine Grundschule zu errichten.

Grund: Man hat Angst vor den vielen deutschen Kindern und Jugendlichen, deren Eltern, Großeltern und Urgroßeltern vor vielen vielen Jahren dereinst aus den islamischen Ländern zugezogen sind. Man will die eigenen Kinder nicht zu diesen anderen Kindern schicken. Alle wissen ja, und die taz hat es gestern auf S. 18 breit bekräftigt: „Einmal Moslem, immer Moslem.“ Das heißt: Auch wenn Menschen die islamischen Länder verlassen, dürfen sie ihren Ursprungsglauben nicht ablegen. Der Islam gestattet es den Gläubigen grundsätzlich nicht, die Herkunftsreligion abzulegen. Diese muslimischen Kinder und Jugendlichen stellen hier in Kreuzberg ebenso wie in zahlreichen anderen Bezirken des ehemaligen West-Berlin die Mehrheit an den staatlichen Grundschulen. Die Vorbehalte gegenüber den neuen islamischen deutschen Mehrheiten gesteht man selbstverständlich nicht offen ein. Denn dann würde sofort das Klappmesser Islamophobie, also Angst vor dem Islam, herunterfallen. Angst vor dem Islam ist tabu. Islamophobie ist böse. Angst vor Überfremdung ist böse. Ein Reizwort, das sofort die Gegenreaktion des Rassismus-Vorwurfes auslöst.

Wie es den wenigen einzelnen nichtmuslimischen, also den christlich, jüdisch oder gar atheistisch erzogenen Kindern ergeht, die sich allein an den Grundschulen unter den muslimischen Mehrheiten bewegen, wird gar nicht gefragt. Ein weiteres unbefragtes Tabu!

Es wird stattdessen immer taktvoll gemurmelt oder gebetsmühlenhaft geleiert von „sozialen Ursachen der Bildungsarmut“ usw. Und dankbar ergreift man jede Gelegenheit, die eigene, nicht eingestandene Angst vor dem Islam auf einen Dritten zu verschieben.

Ein typisches Beispiel für diese Verteufelungsmechanismen eines bösen Gegenüber lieferte vor wenigen Tagen  wieder einmal der SPIEGEL! Alles Böse, das in der eigenen Seele kocht und brodelt, wird einem verteufelten Gegenüber in die Schuhe geschoben. Ob er dies oder jenes gesagt oder geschrieben hat, spielt keine Rolle. Entscheidend ist, dass es möglich wird, ihm die eigenen, als böse oder gefährlich erlebten Gedanken oder Wünsche zuzuschreiben. Die Grundregung scheint zu sein: „Er hat es zwar nicht gesagt oder geschrieben, aber er könnte es gedacht haben!“ Lest selbst:

Kreuzberg-Dreh des ZDF: Kritik an Provo-Tour mit Sarrazin – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Kultur
„Belastbare empirisch-statistische Analysen, ob die Gastarbeiter und deren Familien für Deutschland überhaupt einen Beitrag zum Wohlstand erbracht haben oder erbringen werden, gibt es nicht“ hatte Sarrazin in seinem Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ geschrieben, der im Sommer 2010 erschienen war. „Für Türken und Marokkaner wird man sie sicher verneinen können. Zu groß ist das Missverhältnis zwischen der Zahl der ursprünglichen Gastarbeiter und dem dadurch ausgelösten Nachzug großer Familienverbände.“

Die Bewohner Kreuzbergs schienen nur darauf gewartet zu haben, dem prominenten Autor, der ihnen auf diese Weise das Existenzrecht in Deutschland abspricht, endlich die Meinung zu geigen. Vor dem Restaurant „Hasir“ im Herzen von Kreuzberg konfrontierte ein Mann mit Sonnenbrille den ungebetenen Besucher: „Dieser Mann hat Menschen beleidigt. Sie laufen jetzt hier, das ist unglaublich. Du kannst hier nicht sein!“

“ … der ihnen auf diese Weise das Existenzrecht in Deutschland abspricht, …?“Ein Lehrbuchbeispiel für Sündenbockmechanismen! Sarrazin hat mit keiner Silbe von „Existenzrecht“ gesprochen. Als Mann der Zahlen und Statistiken, der er zu sein scheint, hat er versucht, eine volkswirtschaftliche Gesamtrechnung anzustellen. Ob er recht hat, sei dahingestellt.

Eindeutig aber ist, dass SPIEGEL online dem Manne Aussagen unterstellt, die dieser weder hier noch irgendwo sonst gesagt hat, nämlich dass er den Zuwanderern das Existenzrecht in Deutschland abspreche. Ihm wird durch den SPIEGEL reflexhaft etwas unterstellt, was sich nur als Projektion aus der Psyche des schreibenden Journalisten erklären lässt. Ich meine: Der Journalist sollte in sich gehen und sich bei seinem Opfer, bei seinem Sündenbock entschuldigen.

Nichts ist gut in der Sarrazin-Debatte.

Mein analytischer Befund: SPIEGEL online erweist sich auch in diesem Artikel als deutlich islamophob, ohne es zu bemerken. Das Online-Medium lässt Gedanken und Unterstellungen einfließen, die der berichtete Vorgang nicht hergibt. Niemals hätte die Redaktion derartige Unterstellungen vor dem prüfenden Gewissen der journalistischen Redlichkeit durchgehen lassen sollen. Es grenzt an Verleumdung, was hier geschieht.

Ich persönlich bedaure übrigens, dass Sarrazin offenbar auch bei dieser Gelegenheit noch nicht gewillt oder noch nicht imstande war, wirklich frei und unbefangen auf den einen einzelnen Menschen zuzugehen, der ihm gegenübersteht. Auf diesen einen einzelnen Menschen, man könnte sagen, den Nächsten, der eben jetzt in diesem Augenblick mehr als alle Zahlen und Statistiken zählt und der von so unendlicher Wichtigkeit ist. Güner Balcı hat – soweit mir ein Urteil zusteht – wirklich alles Erdenkliche getan, um ihm diesen Schritt zu ermöglichen. Man hätte allerdings möglicherweise nicht gleich den Schritt in die Öffentlichkeit tun sollen, sondern im geschützten Raum des Hasir-Hinterzimmers die geeigneten Gesprächspartner, also den Wirt des Kreuzberger Hasir, den Vertreter der alevitischen Gemeinde, Sarrazin selbst und Balcı als bestmögliche Moderatorin zusammensetzen können.

Im Mittelpunkt: Die genannten Personen mit ihren subjektiv empfundenen Wünschen, Ansichten und Ängsten.

Der Personalismus der Mitte, wie ich ihn vertrete, scheint hierzulande leider noch in der Minderheit zu sein.

„Aber sprich nur ein einziges Wort, und so wird meine Seele gesund.“ Diesen Satz nenne ich geradezu das Merk- und Kennzeichen des „Personalismus der Mitte.“

Wer von allen Beteiligten, die da so laut ihre Stimme erhoben haben, kennt diesen wunderschönen Satz?

Mein Vorschlag: Das Kreuzberger Hasir, in dem ich selbst schon oft und gut mit muslimischen und nichtmuslimischen Freundschaften aller nur erdenklichen Herkunft gespeist habe, bietet doch ein hervorragendes Hinterzimmer mit etwa 12 Plätzen. Ich kenne es. Versucht es noch einmal – ohne Öffentlichkeit! Mit nicht mehr als 12 Personen. 12 ist eine gute Zahl.

Es ist nie zu spät für das erlösende Wort.

 Posted by at 10:58

Überwiegt das Gute oder das Schlimme in deinem Leben?

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Apr 292011
 

Of course there is love as well as war, laughter as well as howling, joy as well as torture. But have these two sets of features, positive and negative, really balanced out in the account book of human history to date? The answer is surely no. On the contrary …

Freunde, was würdet ihr auf diese Frage Terry Eagletons antworten? Ich las diese Frage heute Vormittag. Bitte eine rationale Begründung eurer Antwort!

Am besten fangen wir bei uns selbst an. Jede möge sich fragen: Was überwiegt in meinem Leben? Das Böse oder das Gute?

Zitat:
Terry Eagleton: On Evil. Yale University Press, New Haven and London 2010, Seite 146

Bild: der hier schreibende, geigende Blogger im Hof

 Posted by at 22:51
Mrz 122011
 

12032011414.jpgWeltweit scheint der Frontalunterricht – Lehrer lehrt, Schüler hören zu und lösen die vom Lehrer gestellten Aufgaben – die vorherrschende Unterrichtsform zu sein.  Bei uns in Berlin freilich nimmt der Anteil des Frontalunterrichts ab – also müssten nach Meinung vieler Didaktiker auch die Lernergebnisse sich verbessern. Das Gegenteil ist der Fall.

Manche modernen Didaktiker in Deutschland schreiben den Frontalunterricht fast völlig ab. Ich selbst habe jahrelang Sprachen mit einer Mischung aus Fontalunterricht, Gruppenarbeit, kreativen Arbeitsformen, Medienarbeit, Stillarbeit usw. unterrichtet.

„Der Frontalunterricht ist passé.“ So sagen es manche Schulleiter, wenn sie das moderne, multimedial hochgepuschte  „Lernzentrum“, früher Schule genannt, der Presse vorführen. Ich halte dies für falsch.

Öfter lerne ich erfolgreiche Menschen aus armen Ländern kennen. Dann frage ich: „Was hat Sie geprägt? Warum haben Sie so viel gelernt, obwohl doch bei Ihnen die Schulen im Vergleich zu Deutschland miserabel schlecht ausgestattet sind?“

Antwort: „Es waren Lehrerpersönlichkeiten, die an uns glaubten, die uns forderten, die gerecht, streng und liebevoll waren.“

Die Persönlichkeit des Lehrers entscheidet ganz offenkundig in hohem Maße über den Erfolg des Unterrichts – mehr als die Methode und die Ausstattung, ganz sicherlich mehr als die Klassenfrequenz! Man kann – so meine ich – ruhig die Klassengröße erhöhen. Solange der Lehrer mit Autorität, Strenge und Glauben an die Schüler arbeitet, wird er erfolgreich sein.

Der Wissenschaftler Gerhard Roth, Autor des Buches „Bildung braucht Persönlichkeit“, hat einige Einsichten von der überragenden Wichtigkeit der Persönlichkeit auf sehr überzeugende Weise sehr frontal ausgesprochen:

Der erste Eindruck zählt – Hirnforscher rät Lehrern auf ihr Auftreten zu | Campus & Karriere | Deutschlandfunk

 Posted by at 22:27
Mrz 122011
 

Sicher, zielstrebig, auf geraden Gleisen brachte mich der ICE gestern von Hamburg nach Berlin zurück. Das schreckliche Unglück in Japan erschütterte mich mit Magnitude.

Von irgendwoher erinnerte ich mich des großartigen Augustinus-Wortes: ama et fac quod vis. „Liebe und tu was du willst.“ Bei allen Zweifelsfragen, bei allem  Tappen und Tasten kann dieses starke Wort helfen, den richtigen Weg, den Weg der Mitte zu finden.

Beim Blättern einer in Hamburg erscheinenden Tageszeitung stieß ich auf die Wendung „personalistische Mitte“. Ein bekannter Diener des Wortes und Diener der Gemeinde hat diese gute Wendung gefunden! Die Welt berichtet darüber:

Die Vernunft ist nicht ewig haltbar – Nachrichten Print – DIE WELT – Kultur – WELT ONLINE

„Wie man ein Kind lieben soll“ – dieser Titel eines großen Buches von Janusz Korczak fiel mir ein, nachdem der ICE-Schaffner seinen Zangenabdruck hinterlassen hatte. Kann man Liebe lehren? Ich meine: ja! Das richtige Erziehen, die richtige Liebe zu Kindern ist kein Zauberkunststück. Sie muss das Kind annehmen und ernstnehmen, dem Kind bedingungslose Aufmerksamkeit und Wertschätzung entgegenbringen, aber auch feste Grenzen und erreichbare Ziele setzen. Dies alles in einen Ausgleich zu bringen, zwischen den Extremen der Verwöhnung und der Vernachlässigung die rechte Mitte zu finden, ist nicht leicht. Aber es ist möglich, sofern nur die Person des Kindes mit seinen Grundbedürfnissen nach Geborgenheit und Selbständigkeit ganz im Zentrum steht.

Diese Haltung nenne ich den Personalismus der Mitte.  Der Personalismus der Mitte – das sei meine Haltung in vielen Dingen – im Umgang mit Menschen ebenso wie in der Politik.

 Posted by at 21:13
Feb 092011
 

Ein ganz grundlegender Unterschied zwischen den türkischen und den arabischen Organisationen  ist der unterschiedliche Rang, der Werten wie der Nation oder der Verwandtschaft beigemessen wird.

Für arabische Länder scheint nicht die Nation, also etwa „Tunesien“, „Ägypten“ usw. und noch weniger das Konstrukt einer „arabischen Nation“ vorrangig zu sein, sondern die Zugehörigkeit zu weitgespannten verwandtschaftlichen Netzwerken. Die Familie, die Sippe, der Clan sind weit wichtiger als der Staat! Darauf weist heute Boualem Sansal auf S. 2 der WELT hin:

Essay: Das Problem heißt Islam – Nachrichten Print – DIE WELT – Debatte -WELT ONLINE
Die andere Lesart der aktuellen Bewegung ist, dass sie nur eine neue Episode darstellt in den Kämpfen der Clans an der Spitze des Staates. In den arabischen Ländern ist die Macht eine illegitime. Jeden Tag muss – je nach Agenda – ein neues Gleichgewicht gefunden werden zwischen den verschiedenen Clans. Meistens ist eine Einigung schnell gefunden, man teilt sich problemlos den Gewinn. Aber manchmal muss lange verhandelt werden, manchmal greift man zu den Waffen, und die effizienteste Waffe ist das Volk.

Auch im Ausland bedeutet dies: Die familialen Netzwerke sind für Araber wichtiger als der Staat. Der Staat wird als Objekt der Ausnutzung gesehen.  So beklagen Polizisten immer wieder, sie würden an der Dienstausübung in teilarabisierten Straßenzügen Weddings oder Neuköllns gehindert. Warum ist dies so? Nun, die arabischen Clans versuchen einfach ihr Territorium zu erweitern. Der deutsche Staat ist geduldet, ja sogar willkommen, solange er durch fürsorgliche Zahlungen seinen Beitrag zur Herrschaftssicherung familiärer Netzwerke leistet und diesen Herrschaftsanspruch der Clans nicht durch lästige Parkstrafzettel oder ähnliche Zumutungen in Frage stellt. So entstehen letztlich die berühmten und von manchen Politikern wie etwa unserem Bürgermeister Schulz verteidigten arabischen Parallelgesellschaften. Die arabischen Clans versuchen unablässig ihren Einflussbereich zu erweitern.

Anders bei den türkischen Organisationen! Diese zielen nicht auf Erweiterung eines familialen, sondern eines nationalen Netzwerks. Die Zugehörigkeit zur türkischen Nation soll auch im Ausland gefestigt und behauptet werden. Ein Extremfall dafür ist Zypern, wo über Jahrzehnte hinweg eine Art türkische Quasi-Staatlichkeit aufgebaut wurde, die letztlich zur Abspaltung, zur Schaffung eines neuen türkischen Staates geführt hat.

Der türkische Staat erweitert also durch seine Auslandsorganisationen auch in Deutschland den Einfluss der ewigen türkischen Nation auch jenseits seines Territoriums, während arabische Sippen darum bemüht sind, den Einflussbereich ihrer Familie zu vergrößern, und sich recht wenig um Staatszugehörigkeit scheren.

Was wäre die Alternative zum türkischen Nationalismus und zum arabischen Familialismus?

Ich meine, als dritte Alternative sollte man „Personalismus“ nennen. Im Personalismus ist die Person, also der einzelne Mensch, der Träger aller wesentlichen Rechte und Freiheiten. Weder die Nation noch die Sippe, sondern der einzelne Mensch, die Person, ist die entscheidende Größe! Von der Person, von der unverletzlichen Würde und Einzigartigkeit jedes Menschen rühren die größeren, die übergeordneten und dennoch nachrangigen Größen wie etwa die Familie, der Staat oder die Nation her.

Die Person ist vorrangig mit Rechten und Pflichten ausgestattet, der Staat dient letztlich dem Schutz und der Pflege dieser Rechte und Pflichten der Person.

In genau diesem Sinne bekenne ich mich leidenschaftlich zum „Personalismus“ – wie etwa auch das deutsche Grundgesetz dies unvergleichlich klar in Artikel 1 tut:

 

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

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Dez 142010
 

Zu den Psychologen, die mein Denken nachhaltig beeinflusst haben, gehört der aus Berlin stammende Fritz Perls. Ihn beschäftigten bei den Neurosen und den psychischen Störungen weniger die tiefsitzenden, infantilen Reste einer unbewältigten Vergangenheit, wie dies etwa Sigmund Freud tat. Viel stärker richtete er die Aufmerksamkeit auf das, was den Patienten hier und heute gefangen hielt: welche inneren Hemmungen und Bedenken ihn davon abhielten, so zu werden, wie er sein wollte. Perls entdeckte, dass es nicht der Vater, nicht die Mutter oder die Kindheit waren, die seine Patienten gefangen hielten – sondern feste Muster, eingeschliffene Selbstwahrnehmungen und zum Zwang geronnene Gewohnheiten.

Solche festgelegten, immer wiederkehrenden Erlebnismuster nannte er GESTALT.  Therapie besteht darin, diese Gestalten zu erkennen, mit ihnen zu arbeiten und sie schließlich zu überwinden, indem sie durch bewusstes Gegen-Denken, durch bewusstes Gegen-Fühlen und Gegen-Handeln überwunden werden.

So mag ein Hauptschüler einmal gehört haben: „Mit dem Hauptschulabschluss können Sie nichts anfangen!“ Ich hörte erst vor wenigen Monaten im Abgeordnetenhaus einem Berliner  Bildungspolitiker zu, der genau diesen Satz verwendete.

„Damit kannst du nichts anfangen!“ Diese Voraussage des Scheiterns prägt sich als verhindernde Gestalt in die Psyche ein. Nicht die objektive Unmöglichkeit wird dann zur Selbstbehinderung des Hauptschülers führen, sondern die gestalthaft geronnene, von der Umwelt wieder und wieder bekräftigte Versagenserwartung.

Ich protestierte damals – ich protestierte namens der Freiheit gegen diesen Satz „Damit können Sie nichts anfangen.“ Gegen die Misslingensvorhersage, wie sie leider auf viel zu viele unserer jungen Menschen einströmt, setze ich die Gelingenserwartung: „Du hast den Hauptschulabschluss. Schön! Was willst du jetzt? Du willst mehr Erfolg?“

In der Berliner Grundstimmung lautet die Ansage dann meist: „Ich werde durch die Umstände gehindert. Ich habe zu wenig Zeit. Ich habe zu wenig Geld. Ich bin zu alt. Meine Familie lässt es nicht zu.“ Ich habe viele Gespräche mit Menschen geführt, die die Schuld am Scheitern irgendwelchen anderen, irgendwelchen Umständen gaben.

„Ich verlor in der 8. Klasse das Interesse an Chemie, weil ich mit dem Lehrer nicht klarkam.“ Der Lehrer ist schuld. So schreibt es ein Vater in der Informationsbroschüre des Senats zur Schulreform. Wer weiß, wenn es den schlechten Lehrer nicht gegeben hätte, vielleicht wäre aus dem Schüler ein Chemiker geowrden?

Perls hätte hier angesetzt und gesagt: Du interessierst dich für Chemie? Du willst Chemiker werden? Du willst Erfolg? Wie hinderst du dich daran?

Im Laufe der Gespräche und Übungen wäre er darauf gekommen, dass es nicht der andere ist, der einen behindert, sondern die eigene Erwartung des Nicht-Könnens.

Die Erwartung des Scheiterns frisst sich in die Psyche als Bewusstsein der Benachteiligung ein. Die Pläne und Maßnahmen zugunsten der Benachteiligten verstärken diesen Mangel an Selbstvertrauen. Der Mensch gerät in den Strudel aus negativen Zuschreibungen, Übernahme des entmutigenden Selbstbildes, Einschleifen der Scheiternserfahrungen. Das Selbst verkriecht sich, wird mehr und mehr abhängig von den stützenden Maßnahmen. Der Mensch gerät in Abhängigkeit von dieser GESTALT. „Ich kann nichts. Andere müssen für mich sorgen.“

So entsteht Anhängigkeit von der Versorgung durch andere, die schließlich in lähmende Überversorgung kippt.  Überversorgung manifestiert sich bei Individuen etwa als jahre- oder jahrzehntelange Abhängigkeit von Therapien, von Medikamenten. Sie kann in eine Sucht umschlagen.

Bei Familien oder ganzen Klassen manifestiert sich Überversorgung als generationenübergreifende Abhängigkeit von Fürsorge, Familien- oder Sozialhilfe.  Hier wäre nun nichts falscher, als die Fürsorge noch einmal zu verstärken. Ein therapeutischer Schock ist vielmehr dringend gefordert!

So rate ich etwa dazu, jungen Menschen, die sich an Abhängigkeit gewöhnt haben, nach Verlassen der Schule oder Ausbildung keinerlei Hilfen zum Lebensunterhalt zu gewähren. Sie müssen sich selbst Lohn und Brot erarbeiten – und sei es durch Fortziehen.

Den negativen Zirkel aus Scheiternsvorhersage, Abhängigkeit und Überversorgung gilt es zu durchbrechen. Kein Mensch ist gefangen in den Umständen, aus denen er hervorgeht.

Die Ansprache muss lauten: Du willst Erfolg? Dann tu etwas dafür! NIMM dein BETT und GEH! Die Besinnung auf die große, befreiende Botschaft des Fritz Perls kann in der heutigen Debatte über die Umgestaltung der Sozialsysteme wertvolle Anstöße liefern.

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