Mrz 162024
 

Eine schneebedeckte Herrlichkeit erstrahlt da in vollem Sonnenglanz! Wir brechen gemeinsam zu unserer Winterwanderung vom alten Walserdorf Monbiel auf. Von ferne gleißen verschwimmend im Mittagsglast die über 3000 m aufragenden Gipfel der Silvretta, ihnen vorgelagert das Pischahorn, die Plattenhörner, das Gorihorn, der Piz Grialesch – und wie sie alle heißen!

Foto aufgenommen am 08.03.2024

 Posted by at 20:56

Verlust und Gewinn, morgendlich

 Europäische Galerie, Freude, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Verlust und Gewinn, morgendlich
Feb 052024
 

Früh ist es, da schleicht ein einsamer Wanderer an diesem kahlen Baum vorbei. Zauber der Stille im Innehalten! Wer hat denn dieses feine Geäst so zart, so ausgeglichen in die aufleuchtenden Wolken gezeichnet? Wer führte die Hand des Zeichners? Wer erkannte, dass hier ein Maler am Werke war, bei dem selbst ein Caspar David Friedrich in die Schule hätte gehen können?

Mehr noch: Wog diese einzige, greifbare, vergängliche Zeichnung des Morgens nicht alle Trauer über die Verluste auf, über den verlorenen steinigen „Ostseestrand“, den verbrannten „Hafen in Greifswald“, die hingeraffte „Augustusbrücke“, die zu Asche zerstobene „Abendstunde“ – alles Werke, die am 6. Juni 1931 im Münchner Glaspalast in Flammen aufgingen?

Ja, es ist noch nicht alles zu Ende. Immer wieder erhebt sich die Sonne. Es gibt Grund zu hoffen. Mit diesen Gedanken griff der Wanderer in seinen Rucksack, holte den Schlüssel zur Haustür hervor, öffnete die Tür. Jetzt – war er da. War angekommen im Tag.

Hinweis:
Florian Illies: FEUER. In: ders., Zauber der Stille. Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023, S. 13-77, hier bsd.: S. 13-14

 Posted by at 21:22
Jan 252024
 

Gewaltig ragt er da auf, unser Watzmann,
So dass jeder ihn bewundern kann,
Mir lange vertraut aus frühesten Kindertagen!
Doch kann ich der Befremdung mich nicht entschlagen,
War er auch damals so schroff, so weltenthoben,
Eiskalt ins Herz hinan, so schneebestoben?
Und drängte er seine Frau so patzig und grob
Zur Seite, wenn sie ihr Haupt erhob?
Und kümmerte er sich damals so wenig um seine sieben Kinder,
Die ihm zum Trotz mit Semmeln spielten und tobten, die Sünder?
Ja, ja, der Watzmann, er war ein Tyrann,
Der seine Rute über Weib und Kinder schwang,
Verhängnis bracht er über seinen Stamm,
Bis zum heutigen Tag versteint ist der König Watzmann
Mit seiner ganzen elenden Bagasch,
Da hängt er nun traurig und lasch
In der Hamburger Kunsthall an der Wand,
Wo ich ihn gestern im Menschengedräng fand.

Und doch bin ich ihm nicht gram,
Er ist eben doch – immerhin! – nicht zahm,
Ist ein Original, das Original von so vielen Fälschungen,
Von Schwindel, Hinterhalt und dreisten Täuschungen!

Ja, hänge da nun, ruhe da nun, nichts hast du zu tun.
Also sei ruhig und lass dich bestaunen,
Lass die Leut raunen.

„Du hoitst as Mai!“

Bildnachweis:

Caspar David Friedrich: Der Watzmann. Öl auf Leinwand. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie. Leihgabe der Deka Frankfurt am Main.

Gemälde gesehen am gestrigen Abend, dem 23. Januar 2023, in der Kunsthalle Hamburg

 Posted by at 00:48

Urzeugung des Lebens – Metamorphosen der Form im Strandbad Wannsee

 Freude, Knaul, Nahe Räume, Natur, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Urzeugung des Lebens – Metamorphosen der Form im Strandbad Wannsee
Sep 242023
 

Heute Vormittag besuchte ich als erster und längere Zeit all-einziger Badegast das riesige Strandbad Wannsee, ein herrliches Gefühl! Zumal ich dann auch zwei Mal in dem brackigen, von reichlich Grünalgen besiedelten See umherschwamm und anschließend auch kalt duschte. Um mich herum als Badegast die etwa zehn Bediensteten, Sicherheitsleute, Badewärter, Aufsichtspersonen! Ich plauderte ein bisschen mit dem einen oder anderen und fühlte mich rundum behütet und betreut! Ein Betreuungsschlüssel von 10 Betreuern für einen einzigen zu betreuenden Schwimmgast, davon können sie in Schönebergs oder Neuköllns Sommerbädern, in Berlins Kitas und Schulen nur träumen!

Ein wunderbarer Tag – schaut hin! Dieses Wasser der Havel lebt und wimmelt, Milliarden von grünen Zellen verknäueln sich hier ineinander; unter dem kraftvoll anregenden Sonnenlicht blühen die winzigen, gallertartig verklumpten Lebewesen schimmernd auf! Wenn man so will, – dies ist die Urzeugung des Lebens aus der unbelebten Materie – dem Wasser!

Nach allerlei sportlichen Übungen und sorgsamem Abduschen des Körpers mit Schwällen klaren, kalten aus geometrisch geformten Duschköpfen spritzenden Wassers blieb mir Zeit, die einsam daliegende, anmutig gestaltete Landschaft zu betrachten, in die ich sozusagen als kleiner König des Augenblicks versetzt war. Und siehe, sogar an ein Kunstwerk haben die Planer gedacht, denn um ein Kunstwerk muss es sich zweifellos handeln bei diesem archaisch hingewuchteten, wie von Zyklopen aufgestellten Felsgebilde! Ein Besinnungsgeviert, eine Art Begräbnisstätte, ein Menhir für einen Abwesenden – gewidmet dem einzigen hier Anwesenden, wer vermöchte das zu entscheiden?

Und wie lieblich, wie ansprechend ist doch diese Hausfassade, der ich beim Verlassen des weitläufigen Geländes meine Aufwartung macht! Man möchte an das Gartenhaus Goethes denken, das ich vor Jahr und Tag in Weimar besuchte. Wie sorgfältig haben die Architekten und Ausführenden (Martin Wagner, Richard Ermisch) in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts hier jedes Detail entworfen und gestaltet! Jeder Fensterladen, jeder Blumenkasten, jedes Gebüsch, jedes Gitter, die Farben, die unverputzten, in Rot und Ocker spielenden Backsteine – alles tritt hier zu einem harmonischen Ganzen zusammen, das dem müßigen Wanderer Bewunderung und Entzücken abverlangt!

 Posted by at 22:00

Überwachsener Weg

 Natur-Park Schöneberger Südgelände, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Überwachsener Weg
Jul 022023
 

Der Weg in unsrem Park ist überwachsen
von frischem Grün und krautig wucherndem
Gebüsch, so daß wir tastend gingen, das eine
an des andern Hand, und dankbar dafür
daß wir dies erleben durften, trotz allem
was da draußen tobt und brandet,
schritten wir hinein in eines weißen Hauses
Frieden, das auf uns wartete und uns empfing
mit Zeilen, die auf Birkenrinde rot geschrieben
waren, und die wir einst als Kinder hörten,
und die wir doch erst jetzt verstanden,
als wir erahnten, dass es so nicht wieder sein würde,
nie wieder …:

[…] Die So-geliebte, daß aus einer Leier
mehr Klage kam als je aus Klagefrauen;
daß eine Welt aus Klage ward, in der
alles noch einmal da war: Wald und Tal
und Weg und Ortschaft, Feld und Fluß und Tier;
und daß um diese Klage-Welt, ganz so
wie um die andre Erde, eine Sonne
und ein gestirnter stiller Himmel ging,
ein Klage-Himmel mit entstellten Sternen -:
Diese So-geliebte. […]

Zitat aus: Der ewige Brunnen. Gesammelt und herausgegeben von Dirk von Petersdorff. C.H. Beck, München 2023, S. 451

Foto: Natur-Park Schöneberger Südgelände, 30. Juli 2023




 Posted by at 17:40

O du Waldeinsamkeit in den Glauer Bergen!

 Freude, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für O du Waldeinsamkeit in den Glauer Bergen!
Sep 262022
 
Waldeinsamkeit! Blick vom Löwenberger Aussichtsturm nach Westen, Richtung Wildgehege Glauer Tal, 29.09.2022

Die Glauer Berge sind eins der schönsten, überraschungsreichsten Wanderreviere in der näheren Umgebung Berlins. Bei unserer kleinen Tour zurück vom Wildgehege Glauer Tal nach Trebbin haben wir gestern nachmittag einen kleinen Umweg gemacht, querfeldein über Pferdekoppeln, unter unter Strom stehenden Zäunen durchkrabbelnd. Denn wir waren an einer Weggabelung bei der Friedensstadt Weißenberg gutgläubig dem breiten bequemen Wirtschaftsweg statt dem kaum zu entdeckenden, verkrauteten Pfad gefolgt.

So endeten wir vorübergehend im Weglosen, wenngleich nicht Ausweglosen einer Pferdeweide. Manchmal muss man schlechterdings Wege gehen, die im Unbegangenen enden. Aber schon nach einer Stunde, ein paar Minuten nach fünf,  standen wir am Fuße des Löwenberger Aussichtsturmes, bestiegen diesen und warfen einen großartigen Blick in den sich allmählich rötlich färbenden weiten Abendhimmel. 

Nach einer weiteren Stunde zügigen Ausschreitens langten wir am Bahnhof Trebbin an. Der RE kam nach 10 Minuten, um viertel vor acht waren wir dann zuhause, glücklich über all das Erlebte und Gesehene! 

Übrigens begegneten wir im Wald über die vielen Stunden hinweg nur einem einzigen anderen Menschen, einem jungen Mountainbike-Fahrer. Wanderer gab es keine außer uns. Herrliche Waldeinsamkeit!

 Posted by at 20:33

Im Kar, im Geröll, im Schrofengelände

 Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Im Kar, im Geröll, im Schrofengelände
Aug 152022
 
Der hier schreibende Wanderer steigt im Hinteren Dammkar zur Westlichen Karwendelspitze auf.14. August 2022

Ausgesetzt in tiefen Tälern, im Schrofengelände trittsuchend. Um mich nur Felsenwände, 300, 400, 500 Meter hoch aufragend! Die Sonne erreicht den Grund nicht, an dem wir wie Krebslein klettern und klimmen, krabbeln und kämpfen. Nur oben zeichnen sich Zacken und Zinnen schroff ragend ab, fein ziseliert wie ein Scherenschnitt.

Jenseits dieses tiefen, wannenartig eingeschnittenen Kars, am Viererspitz, so hören wir, starb gestern ein Alleinkletterer, ein 39-jähriger Mann aus dem Münchnener Raum seinen einsamen Tod. Heut, am 14. August, kommen sie mit dem Heli um ihn abzuholen. Der Mann war abgestürzt.

Ich halte kaum je inne. So nah an der Gefahr, so weit entfernt von jeder Gewissheit!

Hier musst du durch. Hier musst du rauf.

 Posted by at 18:29

Auch er wollte wissen, was die Welt zusammenhält…!

 Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Auch er wollte wissen, was die Welt zusammenhält…!
Okt 262021
 
Faustův dům, das „Faustische Haus“, am Karlsplatz in Neustadt gelegen – in direkter Nachbarschaft der Universität.

Faust, der vielbeschreyte Schwarzkünstler, Aufschneider, Zauberer, alfanzende Mädchenverführer soll hier seinen Pakt mit dem Teufel eingegangen sein. Lange Beobachtungsreihen waren wohl seine Sache nicht – ganz im Gegensatz zu dem deutlich seriöseren Franz Hofmeister. Das dunkle Treiben des englischen Mystikers und Alchemisten Edward Kelly, der hier ab 1587 auf Geheiß von Kaiser Rudolf II. seine Experimente vollführte, dürfte dem Haus diesen Übernamen eingetragen haben.

Im Innenhof des Prager Fausthauses, heute kurz vor 18 Uhr

In einer Hofecke schraubte ein Mann am Boden eines Autos herum. Nüchternes Heute!

Da das Haus nur bis 18 Uhr geöffnet bleibt und ich nicht in den Fängen von Zauberern oder Alchemisten gefangen werden wollte, verließ ich den Innenhof nach wenigen Minuten wieder.

 Posted by at 21:50

Du bist der erste nicht!

 Goethe, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Du bist der erste nicht!
Okt 062021
 
Blick vom Steubenplatz auf ein Brachfeld, Potsdamer Stadtschloss, Nikolaikirche, Wohngebäude mit Mittelbrandenburgischer Sparkasse, Bauzaun vor Bauplatz, 4 Baukräne. Aufnahme vom 4. Oktober 2021

Unaufhörlich bauet die Zeit, reißt wieder ein,
Was sie gebaut mit mächtigem Arm – es gilt ihr als nichtig.
Was du im großen entstehen hast sehn, nicht sinnst du es aus.
Merke dir, Wanderer, das und tue im kleinen desgleichen!

Diese Verse kamen mir unwillkürlich in den Sinn, als ich vorgestern mittags in Gedanken versonnen über den Steubenplatz meinen Weg zurück zu meinem Dienstort suchte. Wer mochte diese Hexameter wohl gedrechselt haben? Mir war es so, als kämen sie von weit weit her.

„Merke dir Wanderer, das …“, richtig: Goethe hatte diese Wendung in einem seiner Venezianischen Epigramme gefunden. Und in der Tat, es gibt kaum eine italienischer geplante, italienischer gebaute Stadt in Deutschland als es Potsdam vor seiner Zerstörung im zweiten Weltkrieg war. Das hier nicht zu sehende Museum Barberini, überhaupt der Alte Markt vermag heute wieder einen Eindruck davon zu geben.

Doch das Ganze drumherum, diese Einsicht in das notwendigerweise Unabgeschlossene jedes städtebaulichen Strebens und Wollens? Städte sind teils geplant, teils wuchern sie weiter, ergreifen Brachfelder, teils werden sie zerstört… Endgültiges ist nicht. Diese Erkenntnisse – ich war der erste nicht, der sie hatte – flossen schließlich zusammen in diese vier harmlosen Zeilen. So, und da stehen sie nun hier. Sie sind einfach so gekommen – gekommen um zu bleiben.

 Posted by at 18:21

Weisungslos Wandern im Weglosen in den Werbelliner Wäldern

 Klimawandel, Natur, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Weisungslos Wandern im Weglosen in den Werbelliner Wäldern
Sep 172020
 

Prachtvolle alte, beständig sich verjüngende Baumbestände durchwanderten wir am 30. August 2020. Als Wanderstrecke hatten wir am Vorabend die Route „Joachimsthal-Altenhof-Hubertusstock. Rund um den Werbellinsee“ gewählt, und zwar nach folgendem, in vielerlei Hinsicht vortrefflichem Büchlein:

Bernhard Pollmann: KOMPASS Wanderführer+Karte Berlin-Brandenburg. 75 Touren. Innsbruck 2017, S. 188-191

Das Abenteuer im Weisungslosen begann bereits mit dem Schienenersatzverkehr ab dem Bahnhof Eberswalde, denn wegen Lokführermangels konnte die fahrplanmäßige Bahnverbindung zum Ausgangspunkt der Wanderung, dem Kaiserbahnhof Joachimsthal nur mit einem eiligst beorderten Bus bedient werden. Der sehr freundliche Busfahrer erkundigte sich nach der Strecke und nach unseren Fahrtzielen, und einige ortskundige Mitreisende schlugen ihm eine geeignete Route zu dem vorgegebenen Endbahnhof vor.

Betrachtet das Bild aus dem Inneren der Werbelliner Berge! Ihr seht mittig einen uralten Baumstumpf aufragen, der bis auf Schulterhöhe von einer Moosschicht überwachsen wird. Was mag den Riesen gefällt haben? Ein zuckender Blitzschlag, knickender Windwurf, jahrelang nagende Kernfäule? Schaut genauer hin: Schwämme klammern sich an den Flanken des gebrochenen Titanen fest, Spinnen haben an einigen Stellen ein feines Gespinst gewoben, um darin Fliegen zu fangen.

Die mächtige Krone der abgestorbenen Buche ist nicht mehr zu erkennen. Junges, frisches, aufsprießendes Grün hat Platz gegriffen, wo einstmals die weit ausgebreitete Baumkrone Licht in sich aufnahm und Wasser von Regengüssen aufsaugte. Büsche und junge Bäume suchen sich nun einen Platz, streben ungestüm dem Licht entgegen! Nicht alle werden sich behaupten, vielleicht wird nur ein einziger Baum die Größe, den Stammumfang des vormaligen Herrschers dieser Lichtung erobern.

Doch damit nicht genug! Weitere Überraschungen erwarteten uns: die angekündigten Markierungen fehlten meist, oftmals erkannten wir an Weggabelungen oder Kreuzungen nicht, wie wir weitergehen sollten. Nach einigen Kilometern fanden wir denn doch noch einen Wegweiser auf einem morschen Zaunpfahl. Doch dieser Wegweiser war frei drehbar in beliebige Richtung, und die Richtung, in der jetzt zufällig gerade zeigte, führte weglos ins Unterholz. Einige Male endeten wir derart im Weglosen, im Unbegangenen – wir waren auf einem Holzweg! Holz lautet ja ein alter Name für Wald. Holzwege sind weisungslose Wege, die im Unbegangenen enden.

Und siehe da – wir gelangten auf einem kaum erkennbaren Pfad zu einem Ansitz, vor dem auf einem Pfahl ein mächtiger Salzstein in Kopfhöhe ausgelegt war. Hier soll wohl das Rotwild direkt vor die Flinte angelockt werden, und wenn es dann den Hals emporbeugt, bietet es sich dem Jäger auf dem Hochsitz ungeschützt zum Blattschuss dar.

Theodor Fontane ist es, der uns erzählt, dass der Werbelliner Forst weltweit an der der Spitze des Jagdwildbestandes liege – übertroffen nur vom Kopenhagener Tiergarten („Dyrehave“), und er fährt fort:

Aber an Rotwild bleibt Werbellin à la tête. Seine Forsten umschließen dreitausend Hirsche, die größte Zahl, die, soweit die Kenntnis davon reicht, an irgendeinem Punkte der Welt, innerhalb eines abgegrenzten Reviers gehalten wird. Hier war denn auch, wie selbstverständlich, der Platz, wo sich die Zahl der getöteten Hirsche (denn trotz des Prinzips der Schonung müssen die alten weggeschossen werden) auf eine Höhe bringen ließ, die selbst von den Taten des Cooperschen »Hirschtöters« schwerlich erreicht worden ist. Der jetzt im Potsdamer Wildpark angestellte Wildmeister Grußdorf war dreißig oder vierzig Jahre lang Förster im Werbelliner Forst, und die Leute versichern von ihm, daß er derjenige Jäger sei, der in seinem Leben die meisten Hirsche geschossen habe. Er kannte nicht nur alle, die überhaupt da waren, er fand auch alle, die er finden wollte, und traf alle, die er treffen wollte. 

Wir können nicht vorhersagen, wie es an diesem verschwiegenen Ort bei Joachimsthal weitergeht. Doch wir sind gewiss: Die Natur wird sich behaupten, unter all den Pflanzen und Tieren bildet sich eine wandelbare Lebensgemeinschaft heraus, die auch über den Tod des einzelnen Lebewesens, etwa den Tod dieser uralten Buche hinausgeht.

Ein großartiges Theater, das sich abseits des Weges vor unseren staunenden Augen auf dieser begeisternden Wanderung entfaltete. Weisungslos! Denn ein menschlicher Regisseur für dieses beständig sich erneuernde, sich verjüngende Schauspiel des Lebens ist nicht zu erkennen.

Zitat
Theodor Fontane: „Am Werbellin„. In: ders., Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Zweiter Teil. Das Oderland. Barnim-Lebus. Herausgegeben von Gotthard Erler und Rudolf Mingau. Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2005, S. 480-486, hier S. 483

 Posted by at 10:13

Tief greifen die Wurzeln der Tanne in den…

 Natur, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Tief greifen die Wurzeln der Tanne in den…
Jul 242020
 

Tief greifen die Wurzeln der Tanne in den Boden, leicht zieht sie mit ihren Fasern die Nährstoffe in sich ein. Schon lange steht sie hier auf dem Schöllkopf, nicht weit von Freudenstadt entfernt, wohl 250 bis 300 Jahre ist sie alt, sie, die nachweislich mächtigste Tanne des ganzen Schwarzwaldes! Erst stand sie freistehend, spendete Schatten dem unter ihr weidenden Vieh; später wurde rings um sie herum aufgeforstet.

Großvatertanne wird sie genannt. Da sie sich bester Gesundheit erfreut, mag sie durchaus das natürliche Höchstalter der Tanne, also etwa 400 Jahre erreichen. 46 Meter ist sie hoch, ihr Stammvolumen umfasst 36 Kubikmeter.

Tanne und Buche sind die beiden Baumarten, die von Natur aus hier auf etwa 700 m Höhe über dem Meer am besten gedeihen. Sie sind die Charakterbäume des Schwarzwaldes; die heute oftmals dominante Fichte wurde erst später durch den Menschen zur Ausbeutung als Monokultur nachgepflanzt.

Ich legte am Sonntag, dem 19. Juli 2020, meine Hand auf die merkwürdig sanft anmutende Rinde der Großvatertanne. Sie war schon lange vor mir da, sie wird auch lange nach mir noch da sein. Und doch kann ich Fühlung mit ihr aufnehmen. Beglückend!

 Posted by at 23:33

Wo steht dieses Fahrrad – in Baden oder in Württemberg?

 Elektromobilität, Fahrrad, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Wo steht dieses Fahrrad – in Baden oder in Württemberg?
Jul 142020
 

Wo befindet sich mein schwarzes Rössle mit den azurblauen Fesseln, das mich jeden Tag von meiner Unterkunft zu meinem derzeitigen Dienstort trägt, verlässlich und treu? Das Rössle hört auf den Namen Haibike SDURO CROSS 5.0, statt Heu frisst es jeden Tag 0,2-0,4 KWh Strom, genügsam steckt es Wurzeln und spitze Steine weg, fröhlich packt es jede Steigung, hurtig wie der Wind rennt es die steilsten Hänge hinab. Und es liebt Rätsel!

Hier also das Rätsel: Ist das Rössle auf diesem Bild in Baden oder in Württemberg? Kleine Hilfestellung: Wir sind hier an der historischen Grenze zwischen dem Großherzogtum Baden-Baden und dem Herzogtum Württemberg (bzw. dem späteren Königreich Württemberg, 1806-1918). Weiter hinten hat sich die Kinzig ihren windungsreichen Weg durch die vermoorten Buntsandsteinhochflächen und felsendurchsetzen Flanken bis tief hinunter in das aus Gneis und Granit gebildete Grundgebirge gefräst.

Die Sonne lacht, der Sommer schickt seine Wärme in wehenden Wellen über die Wiesen hin, das Tal blitzt und blinkt, dass dir das Herz im Leibe springt.

Wo steht das Rössle auf obigem Bild? Weißt du es?

 Posted by at 21:51

Von Paris nach Kienbaum: Wanderungen in der Sprachenfuge

 Europäisches Lesebuch, Versöhnung, Wanderungen  Kommentare deaktiviert für Von Paris nach Kienbaum: Wanderungen in der Sprachenfuge
Jun 012020
 

Von Paris nach Kienbaum! Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens! Fast bis zur Quelle der Löcknitz hat es also diese Aneinanderreihung von einfältigen Bitten geschafft, die erstmals zu Paris im Jahr 1912 in der Zeitschrift La Clochette erschienen ist.

O einfältige Bitte! Du hast die Sprachengrenze vom Französischen ins Deutsche überwunden, bist Flüsse bergauf gewandert, hast Gebirge überwunden – wandere weiter! Du hast noch viel Puste!

Hier deine älteste bezeugte Fassung des Jahres 1912:

Seigneur, faites de moi un instrument de votre paix.
Là où il y a de la haine, que je mette l’amour.
Là où il y a l’offense, que je mette le pardon.
Là où il y a la discorde, que je mette l’union.
Là où il y a l’erreur, que je mette la vérité.
Là où il y a le doute, que je mette la foi.
Là où il y a le désespoir, que je mette l’espérance.
Là où il y a les ténèbres, que je mette votre lumière.
Là où il y a la tristesse, que je mette la joie.
Ô Maître, que je ne cherche pas tant à être consolé qu’à consoler, à être compris qu’à comprendre, à être aimé qu’à aimer, car c’est en donnant qu’on reçoit, c’est en s’oubliant qu’on trouve, c’est en pardonnant qu’on est pardonné, c’est en mourant qu’on ressuscite à l’éternelle vie.

http://www.franciscan-archive.org/franciscana/peace.html

 Posted by at 11:16