Per Astra Zeneca ad Senecam. Der Bericht des Dr. Pegasus

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Apr 262021
 
Dr. Pegasus vor dem Flughafen Tegel am 3. April 2021

Wir haben einen neuen Mitarbeiter in unserer Beratungskanzlei, ein neues Pferd im Stall sozusagen. Wie berichtet, hatte einer unserer wertvollsten Mitarbeiter, der sich in unserem Unternehmen stets als Burâq bezeichnet hatte, sich den Verlockungen eines unmittelbaren Konkurrenten nicht entziehen können und uns nach drei Jahren Zugehörigkeit verlassen. Erst nach langem Suchen haben wir einen würdigen Ersatz gefunden. Sein Name lautet Dr. Pegasus. Rein äußerlich erinnert nichts mehr an seine große, sozusagen mythische Zeit, als er noch in höherem Dienst stand und als geflügeltes Roß unersetzliche Mittlerdienste zwischen den untersten Bediensteten und der obersten Leitung unseres Unternehmens leistete. Heute gilt er als verlässliches Arbeitspferd, wird häufig für Botengänge und kleinere Besorgungen eingespannt. So geschah es auch am vergangenen 3. April. Wir hatten durch Zufall eine Behandlung durch den Wirkstoff Vaxzevria erhalten und schickten einen unserer wertvollsten Mitarbeiter zusammen mit Dr. Pegasus an die Behandlungsstelle im mittlerweile außer Dienst gestellten Flughafen Tegel. Kräftige Gegenwinde bliesen an jenem Nachmittag feine Staubkörner in die Richtung, aus der Dr. Pegasus sich zusammen mit seinem Reiter einen Weg bahnte. Der Zugang zur Behandlungsstätte war durch vielfache Kontrollen gesichert. Doch wer wollte einem Dr. Pegasus sich in den Weg stellen? Alle Aufsichtsbeamten ließen nach kurzen Gesprächen Pegasus durch. Es herrschte eine freundliche, gottesdienstähnliche, zuversichtliche Stimmung. Die Behandlung selbst war eine Sache von wenigen Minuten. Im Grunde nur ein Piekser. Doch wie viel bedeutete dieser Piekser!

Pegasus selbst beschreibt die Gesichter derer, die die Behandlung erfahren hatten, als von innen heraus strahlend, erleichtert, glücklich. Gar manche verfielen in zunächst unverständliche Reden, in Lallen, in das, was man früher wohl als Zungenrede bezeichnet hätte: ein unverständliches, aus verschiedenen unbekannten Sprachen zusammengestelltes Gemisch, dem trotz allem ein geheimer Sinn innezuwohnen schien. Als besonders merkwürdige Ansprache berichtete uns Dr. Pegasus die folgende lateinische kurze Rede, die ein soeben Behandelter von einem umgedrehten Bierkasten herab an diejenigen richtete, die er als Schicksalsgefährten, als Mit-Impflinge mit folgenden Worten ansprach:

Per aspera ad Astra Zeneca! Liebe Impflinge! Per Astra Zeneca ad Senecam. Quem mihi dabis qui aliquod pretium tempori ponat, qui diem aestimet, qui intellegat se cotidie mori? In hoc enim fallimur, quod mortem prospicimus: magna pars eius iam praeterit; quidquid aetatis retro est mors tenet. Fac ergo, mi Lucili, quod facere te scribis, omnes horas complectere; sic fiet ut minus ex crastino pendeas, si hodierno manum inieceris. 

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„Se innanzi tempo Grazia a sé nol chiama“ – Tod vor der Zeit, ein Geschenk der Gnade?

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Apr 132021
 
„Der Sinn von Politik ist Freiheit. Hannah Arendt.“ Meinungsäußerung auf der Roten Insel in Schöneberg, Gustav-Müller-Straße. Aufnahme vom 10.04.2021

„Mit diesem Dante musst du dich gut stellen,
kann er dir doch zu langem Ruhm verhelfen,
sofern ein gnädiges Geschick sein langes
Leben nicht vor der rechten Zeit beendet.“

Guter Ratschlag Vergils an den Riesen Antaios! In der Tat, wir sprechen heute noch über diesen Antaios aus dem 31. Gesang in Dantes Inferno. Ohne Vergils Rat täten wir es nicht. Dass Vergil hier den vorzeitigen Tod (la morte innanzi tempo) als Geschenk der Gnade darstellt, ist eine unerträgliche Provokation des geruhsamen Gewissens, wonach ein möglichst langes Leben das erstrebenswerteste Ziel überhaupt sei. Mehr noch: dass alles staatliche Handeln letztlich darauf abzielen müsse, möglichst vielen Menschen das Erreichen eines möglichst hohen Lebensalters und einen planbaren Tod zu gewährleisten, gilt heute als höchste Maxime der Politik. Dem dienen Inzidenzberechnungen, Ausgangssperren, Stotterbremsen, Notbremsen aller Art. Der Staat wacht von ganz oben herab darüber, dass die einfältigen Bürger nicht wissend-unwissentlich in die Falle eines vorzeitigen Todes tappen.

„Ich trage dafür als Bundeskanzlerin immer die letzte Verantwortung.“ Mit diesen Worten hat die Bundeskanzlerin sich am 24.03.2021 eindeutig zu dem überragenden, monarchischen Grundgedanken des quasi göttlich legitimierten Staates, verkörpert in der überragenden Hellsicht und Weitsicht der Herrscherin bekannt. Nicht der einzelne Mensch, nicht die niedrigen Ebenen – also die Stadt, die Region, die Familie – tragen die letzte Verantwortung für Leben und Tod (man nannte dies früher Subsidiarität), ganz zu schweigen von heillos veralteten Instanzen wie „Gnade“ oder „Gott“, sondern der staatliche Souverän, und der Träger der Souveränität, das ist nach eigenem Bekunden die Herrscherin. Ein phantastischer Anspruch, wie ihn im Mittelalter die römischen Kaiser immer wieder zu erheben versuchten!

In Dantes realistischer Weltsicht wäre ein derart übersteigerter Anspruch unhaltbar gewesen. Für ihn zählte stets die Verantwortung des Einzelnen vor Gott mehr als der mit staatlicher Macht bewehrte Wille des Herrschers. Die letzte Verantwortung trägt für Dante immer – wer, ja wer? Der einzelne Mensch! Begriffe wie „Gnade“, „Gott“, „Freiheit – das größte Geschenk Gottes an den Menschen“ deuten darauf hin. Il maggior dono fu della volontà la libertate.

Der Zeitpunkt des Todes entzog sich der bewussten Kontrolle des einzelnen; er lag völlig außerhalb der Kontrolle des Staates. Der Tod war nicht planbar.

Ich meine: Souverän im Dasein ist der einzelne freie Mensch. Souverän im staatlichen Sinne ist in der Bundesrepublik Deutschland die den Staat tragende Bevölkerung, das freie Volk, vertreten durch die frei gewählten Parlamente. In der parlamentarischen Demokratie, so meine ich, tragen immer die Parlamente die letzte politische Verantwortung. Nicht die Regierung. Nicht der Bundeskanzler.

Hannah Arendt griff diese Hochschätzung der Freiheit auf, wie sie ein Dante, ein Thomas von Aquin, ein Immanuel Kant schon vorformuliert hatten. In schroffem Gegensatz zu den herrscherlichen Ansprüchen der heutigen Politik formulierte sie es so: „Der Sinn der Politik ist Freiheit.“

Zitate: Dante, Commedia, Inferno, canto XXXI, 129; Paradiso, canto V, 19-22. Freie Wiedergabe aus dem Gedächtnis und freie Übersetzungen der Dante-Zitate durch den hier Schreibenden.

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Translating Amanda Gorman seems to be an uphill battle…

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Apr 062021
 

Amanda Gorman’s inaugural poem ‚The Hill We Climb‘ full text (cnbc.com)

Gorman-Gedicht: Deutsche Übersetzung in höchstem Maß missglückt – Buchneuerscheinungen – derStandard.at › Kultur

Hmm, zu dieser Rezension einer möglicherweise missglückten, vielleicht auch nicht missglückten Übersetzung, erschienen in der Zeitung Der Standard am 30. März 2021, kann und will ich nichts sagen. Denn ich habe die Übersetzung nicht gelesen. Vielleicht darf ich aber doch nur dies sagen: Translating Amanda Gorman’s „The Hill We Climb“ seems to be an uphill battle from the outset.

Trotzdem, das Gedicht hat mich auf Anhieb beim Hören und später auch beim Lesen tief beeindruckt. Ach was, überwältigt, ach was, hingerissen! Und ich fand und finde die Autorin begnadet, übrigens auch als singende Darstellerin ihrer eigenen Lyrik. Ich dachte unwillkürlich an – König David, den dichtenden König Israels, und an Horaz, den Priester-Dichter, den Seher Roms! Und an Walt Whitman, den großen dichtenden Herold der US-amerikanischen Demokratie! Amanda Gorman! Endlich einmal jemand, der dem Sog der Worte und Bilder noch vertraut! Endlich wieder jemand, der uns zeigen kann, was echte, lebendige Dichtung vermag! Amanda Gorman, endlich ein Dichter, der sich den Bildern aus uralten Quellen – ob nun der Bibel, der paganen Antike, der Renaissance, der Moderne – anvertraut, der dem Klang der Sprache, dem mystischen Bann der Wörter nachlauscht. Groß! Wir bräuchten mehr solche Dichter wie Amanda Gormann – auch bei uns in Europa! Was hindert uns eigentlich daran? SIE hat sich NICHT hindern lassen!

 Posted by at 15:46