
Manches Geheimnis umrankt den Ausdruck „in die Maske singen“, auf Italienisch „cantare in maschera“. Es gilt als eines der erfolgversprechenden Rezepte des klassischen Gesangs, also des bel canto. Oft wird dabei die Vorstellung aufgerufen, man müsse „nach vorne singen“, also gewissermaßen von der Kehle weg in den Saal hinein, man solle sich also vorstellen, die Stimme nicht „kehlig“, sondern „pfeilgerade“ durch eine imaginäre Maske nach draußen zu schicken.
Ich habe selbst als Gesangsschüler verschiedene Lehrer verschiedenes dazu lehren hören, verschiedene Meinungen dazu vernommen. Nun hörte ich aber gestern eine für mich neue, gleichwohl auf Anhieb überzeugende Erklärung des „In-die-Maske-Singens“, und zwar durch die Stimme des italienischen Physikers Valerio Rossi Albertini. Er erhielt zum Festival des italienischen Liedes in San Remo seinen tönenden Auftritt in der Gesundheits-Ratgeber-Sendung Buongiorno Benessere im Sender Rai Uno, in der es um alltägliche Erscheinungen wie Krampfadern, Diabetes, Fettleibigkeit und Sodbrennen ging, und er platzierte geschickt die Nachbildung einer antiken Theatermaske, um die Physik und die Physiologie des Singens zu erklären; weiterhin nachzuvollziehen unter folgendem Link ab Minute 24:00:
Buongiorno Benessere 2024/25 – Puntata del 15/02/2025 – Video – RaiPlay
Wir fassen Rossi Albertinis Ausführungen zusammen:
Unsere eigentliche „Stimme“, also genauer die beiden Stimmlippen, die den gesungenen Ton erzeugen, bringen einen für sich genommen schwachen, kaum hörbaren, eher dünn und kläglich klingenden Laut hervor. Nicht die schöne Stimme, auch nicht die sprichwörtliche goldene Kehle erzeugt die Fülle des Wohllauts! Erst durch den Widerhall in einem Resonanzkörper entstehen die Farben, entstehen die reichen Obertöne, welche wir als Merkmale schönen Gesangs erleben.
Die volle, schöne, klingende Lautgebung erfolgt insbesondere durch die Resonanzhohlräume im Schädel, also die verschiedenen Höhlungen, wie sie durch die 16 unterschiedlichen, teils paarigen, teils unpaarigen Knochen des Gesichts- und des Hirnschädels gebildet werden.
Dieses knochige Gerüst bildet den Resonanzkörper, in dem sowohl Sänger wie auch Schauspieler die weittragenden, volltönenden, die „richtigen“ Töne, oder besser die richtigen Klänge – also aus vielen Frequenzen zusammengesetzten Schall – erzeugen.
Im Theater der griechisch-römischen Antike verstärkte man diesen bereits bekannten körpereigenen Effekt noch zusätzlich, indem man tönerne Masken vor das Gesicht setzte, die die menschliche Stimme so sehr verstärkten, das auch tausende von Zuhörern im Freien jedes Wort des häufig sehr komplexen gesungenen oder rezitierten Tragödien- oder Komödientextes vernehmen und verstehen konnten.
„In die Maske“ singen, das bedeutet also laut dieser Erklärung im wesentlichen, dass die körpereigenen Resonanz- und Hohlräume maximal wie eine tönerne oder tönende Theatermaske zur Verstärkung und Bereicherung ausgenutzt werden. Es geht also vorrangig nicht darum, die eigene Stimme nach vorne am Gesicht zu projizieren, zu schieben, oder die Klänge in die Fassade einer Maske hinein zu verlegen, sondern die reiche körpereigene, mehrdimensionale, die im besten Sinne geräumige Resonanzkörperlichkeit zu entfalten.
Unbedingt sehenswert und mehr sogar noch hörenswert diese Darbietung des italienischen Physikers Valerio Rossi Albertini!
Bild: Prophet Jona, ohne Maske, da soeben aus der Kehle eines Wales ausgespien, im Augsburger Dom, Buntglasfenster, wohl 12. Jh.