Viel hat von Morgen an,
Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,
Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang.
„Bald sind wir aber Gesang.“ So Hölderlin, in seiner Hymne „Friedensfeier“ (Fassung vom 28.09.1802). Vom Gespräch, das wir von Morgen an sind, zum Gesang, der wir bald sind. Eine großartige Aufgipfelung, die vermutlich auf Erasmus von Rotterdam zurückgreift, der ja Joh 1,1 übersetzt hatte mit: Im Anfang war das Gespräch.
Eine weitere gedankliche Hymne auf das Gesangliche, dieses Mal am Geigen, stimmt heute in der FAZ auf S. 11 der Frankfurter Geiger Alois Kottmann an. Höchst lesenswert! Er beklagt die heutige artistisch-zirzensische Geigenbetriebsamkeit und sagt:
„Die Geige ist nicht da, um zu geigen, sondern um etwas zu sagen. Denn der Gesang ist das Ursprünglichste in Tönen. Ich nehme an, das Erste, was der Mensch konnte, war nicht sprechen, sondern summen. Der Gesang stimuliert den Menschen. Der Gesang macht das ganze Gemüt aus und war schon da, bevor die Sprache sich in ihrer ganzen Komplexität entwickelt hatte. Und da müssen wir im Geigenspiel wieder hin, zu dieser Ursprünglichkeit, dieser Ganzheit des Gemüts, aus der heraus sich erst wieder tonsprachlich arbeiten lässt.“
Quellen:
Friedrich Hölderlin: Friedensfeier, in: Sämtliche Werke, Briefe und Dokumente. Herausgegeben von D. E. Sattler. Luchterhand Verlag, München 2004, Band IX, S. 231-236, hier S. 234
„So kann man doch nicht Geige spielen!“ Wir müssen zurück zum Gesang, zum Ton als Sprache – und weg von der reinen Selbstdarstellung. Ein Gespräch mit dem Hochschullehrer Alois Kottmann. Das Gespräch führte Jan Brachmann. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13. Juni 2019, S. 11
Bild: Feld- und Wiesengeigen inmitten summender Mückchen und Fliegen. „Das Märchen von dem Frettchen und dem Stier Ferdinand.“ In Irenes Garten. Der hier schreibende Geiger mit seinem Sohn Ivan. Aufnahme vom 05.07.2009. Bildhintergrund: Die rückwärtige Einbandansicht der Septuaginta-Ausgabe des Jahres 1935 von Alfred Rahlfs, Verlagsnummer 5121. Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 1979