Translating Amanda Gorman seems to be an uphill battle…

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Apr 062021
 

Amanda Gorman’s inaugural poem ‚The Hill We Climb‘ full text (cnbc.com)

Gorman-Gedicht: Deutsche Übersetzung in höchstem Maß missglückt – Buchneuerscheinungen – derStandard.at › Kultur

Hmm, zu dieser Rezension einer möglicherweise missglückten, vielleicht auch nicht missglückten Übersetzung, erschienen in der Zeitung Der Standard am 30. März 2021, kann und will ich nichts sagen. Denn ich habe die Übersetzung nicht gelesen. Vielleicht darf ich aber doch nur dies sagen: Translating Amanda Gorman’s „The Hill We Climb“ seems to be an uphill battle from the outset.

Trotzdem, das Gedicht hat mich auf Anhieb beim Hören und später auch beim Lesen tief beeindruckt. Ach was, überwältigt, ach was, hingerissen! Und ich fand und finde die Autorin begnadet, übrigens auch als singende Darstellerin ihrer eigenen Lyrik. Ich dachte unwillkürlich an – König David, den dichtenden König Israels, und an Horaz, den Priester-Dichter, den Seher Roms! Und an Walt Whitman, den großen dichtenden Herold der US-amerikanischen Demokratie! Amanda Gorman! Endlich einmal jemand, der dem Sog der Worte und Bilder noch vertraut! Endlich wieder jemand, der uns zeigen kann, was echte, lebendige Dichtung vermag! Amanda Gorman, endlich ein Dichter, der sich den Bildern aus uralten Quellen – ob nun der Bibel, der paganen Antike, der Renaissance, der Moderne – anvertraut, der dem Klang der Sprache, dem mystischen Bann der Wörter nachlauscht. Groß! Wir bräuchten mehr solche Dichter wie Amanda Gormann – auch bei uns in Europa! Was hindert uns eigentlich daran? SIE hat sich NICHT hindern lassen!

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Platos Katze im Kerameikos

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Feb 032020
 
Katze im Kerameikos, dem antiken Friedhof Athens, 29.12.2019

Zu den erstaunlichsten Geschöpfen auf unserer Reise gehörte diese Katze im Kerameikos, dem antiken Friedhof Athens. In trübem winterlichem Wetter wollten wir den Weg abschreiten, der einst längs dem Friedhof der Stadt hinaus zum Hain des Akademos führte, wo Plato seine Akademie leitete.

Dieses in sattem Grün triefende Tal hatte einst der Fluss Eridanos geprägt. Hier fand diese Katze sicher alles, was zu einem gelungenen Leben im Frieden mit den Toten und den Lebenden gehörte. Sie schien mit ihrem Leben sehr zufrieden zu sein, hörte auf unser Locken und Schnalzen …

… und doch wehte der Geist Platos herüber, denn das Tier war nicht zufrieden mit der Welt der sinnlichen Erfahrung! Vergleichbar den Gefangenen in Platos Höhlengleichnis dämmerte es ihr, dass es noch etwa anderes geben musste als nur die Welt der sinnlichen Erscheinungen. Sie strebte nach Höherem!

Sie reckte und streckte sich, mühte sich ab, kletterte, strebte empor an der alten verfallenen Mauer! Es war, als wollte sie uns eine Botschaft übermitteln – „Hinauf, hinauf strebt’s, es schweben die Wolken abwärts, das Höhere neigt sich mir entgegen, mir, mir… O nehmt mich auf und achtet mich nicht zu gering, ihr höheren Wesen!“ Vergebens! Sie schaffte es nicht, diese Mauer zu erklettern.

Es war nur ein kurzer Augenblick im Kerameikos, eine Illumination, die sich mir gleichwohl unvergesslich einprägte!

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Du warst nicht nur von dieser Welt, Andrea! (Ihm nachgerufen)

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Jul 202019
 

Wegwarte und Rispen-Flockenblume auf der Wiese, am 15.07.2019, Hans-Baluschek-Park

Andrea Camilleri war soeben im italienischen Fernsehen zu hören, bei einem seiner letzten Interviews. Ich zitiere:

«Io sono stato felice per pochi attimi e per cose inspiegabili. Una volta quando in campagna mi entrò la citronella nelle narici, nei polmoni e mi venne voglia di cantare ad alta voce e sentii il mio essere in armonia con l’universo, non con il mondo, ma con il grandissimo nulla dentro cui fui felice di perdermi».

[Ich bin wenige Momente glücklich gewesen, und wegen unerklärlicher Dinge. Einmal, als in Feld und Wiese Zitronengras in meine Nasenlöcher und Lungen drang, und ich Lust bekam, mit lauter Stimme zu singen, und ich fühlte, dass ich in Harmonie mit dem Universum war, nicht mit der Welt, sondern mit dem riesengroßen Nichts, in dem ich glücklich war verloren zu gehen.]

… also im Augenblick von diesem höchsten Glück verspürtest du Lust, mit lauter Stimme zu singen? Darauf rufe ich dir als Überlebender deines Todes zu: Bereits das Singen mit lauter Stimme kann uns Lebenden, uns noch Lebenden im rechten Moment, in nicht wenigen Momenten Glück bedeuten. Du erinnerst dich?

ed era il cielo a l’armonia sì ’ntento
che non se vedea ’n ramo mover foglia!

C’è tanta dolcezza che ti aprirà le narici, Andrea, che farà entrare l’odore della citronella nei tuoi polmoni …

In memoriam Andrea Camilleri (Porto Empedocle, 6 settembre 1925 – Roma, 17 luglio 2019)

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Heroes not just for a birthday: David Bowie und Klaus Nomi in Schöneberg

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Jan 082019
 
Gedenktafel und Graffito an der Hauptstraße 155 in Schöneberg, aufgenommen heute

Boah, ist das heute ein unablässig prasselnder, galaktisch sprühender Nebelregen! Nach einem Friseurbesuch pilgere ich passend zu diesem nebelfeuchten spacigen Dunstschwadenwetter einen kurzen Abstecher zur Hauptstraße 155, zu dem Haus, in dem von 1976-78 David Bowie wohnte. Er wurde ja an einem 8. Januar geboren!

Die Immenstädter Autorin Barbara Frey führte mich kürzlich an diese Stelle, als sie auf Forschungsreise in Schöneberg vorbeikam und mich in das Leben und Schaffen Klaus Nomis einführte. Der außerhalb seiner Geburtsstadt sehr bekannte Countertenor Klaus Nomi, der in Immenstadt/Allgäu geboren wurde, in Berlin eine Gesangsausbildung durchlief und oft im Schöneberger Kleist-Casino auftrat, unter anderem mit der berühmten Arie der Dalila aus „Samson et Dalila“, war während seiner New Yorker Jahre (ab 1973) eine wesentliche Anregungsquelle für den 3 Jahre jüngeren David Bowie, der wesentliche Elemente von Nomis Bühnenerscheinung übernahm und produktiv weiterentwickelte. Insbesondere die Bühnenkostüme Nomis dürften maßgeblich die späteren Outfits von Bowie beeinflusst haben, wovon das oben zu sehende Graffito Zeugnis ablegt. Am 24. Januar 2019 veranstaltet das Literaturhaus Allgäu in Immenstadt mit Barbara Frey eine Soirée auf den Spuren Klaus Nomis.

David Bowie – 8.1.1947 London – 10.1.2016 New York City
Klaus Nomi – 24.1.1944 Immenstadt – 6.8.1983 New York

www.literaturhausallgaeu.de/Veranstaltung/literarische-soiree-out-of-immenstadt-klaus-nomi-24-jan-1944-6-aug-1983-2/?instance_id=94

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Jul 052018
 


Удивительная жизнь Адольфа Хампеля, судетского немца, полюбившего Россию, „Das wunderbare Leben Adolf Hampels, eines Sudetendeutschen, der Russland liebgewonnen hat“ –

unter diesem Titel konnten wir am 5. Juli 2018, also vorgestern, eine Radiosendung des russischen Echo Moskaus (Эхо Москвы) verfolgen.

 

 

Adolf Hampel, 1933 in Klein-Herrlitz in der Tschechoslowakei geboren, katholischer Priester und Theologe, der an der Universität Gießen lehrte, hat in seinem Buch „Mein langer Weg nach Moskau“ auf sehr ansprechende  Art einen Rückblick auf einige Stationen seines ereignisreichen, wunderbaren Lebens geworfen. Das Buch ist mittlerweile durch Irina Potapenko ins Russische übersetzt worden und fand so das Interesse des Echos Moskaus. Der Autor kam nun in dieser Interview-Sendung in russischer Sprache zu Wort, und einzelne Abschnitte der russischen Übersetzung wurden vorgelesen. Angesprochen wurden Begegnungen mit Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, die Rückführung einer Ikone nach Kasan, Kapitel aus Kindheit und Jugend, Kriegserfahrungen, die Enteignung und Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei im Jahr 1946, der mühsame Neubeginn der Vertriebenen in den aufnehmenden Ländern. Einen breiten Raum nahmen dann im Gespräch  die unermüdlichen Bemühungen Adolf Hampels um Begegnung, Austausch und Versöhnung mit Menschen in den Gesellschaften des Ostens ein. Er ist einer jener zahlreichen Pioniere der deutsch-tschechischen Aussöhnung, für die beispielhaft der Name Václav Havels stehen mag. Dabei öffnete ihm seine wundersam erwachte Liebe zur russischen Sprache auch das Tor zu allen Völkern der früheren Sowjetunion.

Ich meine: Gerade in der heutigen Zeit, wo – wie damals auch – ethnische Konflikte, Kriege, Flucht, Vertreibungen, der Wiederaufbau, die Versöhnung, das Erzählen, das Erinnern, das Teilen und das Weitergeben der Erinnerungen das Tagesgespräch bestimmen, stellen die lebendigen Erinnerungen Adolf Hampels einen unschätzbaren Denkanstoß dar. Sie verdienen sowohl im deutschen Original wie in der russischen Übersetzung größte Aufmerksamkeit.

Hier kann man die Sendung nachhören, indem man einfach mit der Maus auf den Link klickt und dann ganz oben auf dem Bildschirm das „Abspielen“-Symbol anklickt:

https://echo.msk.ru/sounds/2234122.html

https://echo.msk.ru/programs/diletanti/2234122-echo/

Adolf Hampel: Mein langer Weg nach Moskau. Ausgewählte Erinnerungen. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried, 2012; russisch: A. Hampel: Moi dolgij put v Moskvu, übers. von I. Potapenko, Verlag Pero, Moskwa 2017, ISBN 978-5-90633-76-8

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Unverhoffte Hilfe in der S 1

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Mai 302018
 

„Ach wenn ich doch nur einen Platz hätte!“ Diesen unhörbar leisen Satz oder Seufzer glaubte ich heute Vormittag in Schöneberg von einer älteren Dame zu hören, die soeben in die S-Bahn nach Wannsee eingestiegen war. Mühsam und leicht wackelnd hielt sie sich auf ihrem Gehstock aufrecht. Wir schrieben 28 Grad im Schatten. Alles war verrammelt! Kinder und Erwachsene standen dicht gedrängt vor den Sitzen, die alle belegt waren. Schwitzende Menschen in der S 1! Außerdem versperrte ein quer gestelltes Fahrrad den Zugang zu den wenigen freien Stehplätzen, die es noch gab. „Es tut mir leid“, sagte ich laut, „dass ich Ihnen nicht helfen kann! Es ist kein Sitz frei.“ Da hörte ich eine Stimme mir gegenüber: „Schauen Sie sich um, da wird ein Platz frei!“ Ich drehte mich um, in der Tat: Soeben war ein Sitz frei geworden, und das Fahrrad hatte sich wie von Engelsgebärde gerührt zur Seite gestellt, sodass eine schmale Gasse zu dem mittlerweile freigewordenen Sitz offen stand. Ach wie schön! Die Frau konnte endlich Platz nehmen. Sie war wohl 80. Sie ging wohl zum Arzt, dachte ich, so adrett und ordentlich war sie herausgeputzt. Nun fuhr sie weiter bis Mexikoplatz, wo sie ausstieg. Zum Abschied wandte sie sich noch an mich und sagte: „Wissen Sie, ich habe einen Arzttermin, und ich komme schon von Baumschulenweg!“ „Na, da haben Sie ja eine Odyssee hinter sich!“, erwiderte ich. Und so endete diese kleine Begebenheit. Einige Stationen später, in Nikolaussee, stiegen all die Kinder und Erwachsenen und ich aus. Schon bald danach konnten alle aufatmen: Vor uns lag das Strandbad Wannsee mit all seinen Herrlichkeiten!

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„Да и мы тоже.“ Dostojewskis universale Einsicht

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Jan 042018
 

В большинстве случаев люди, даже злодеи, гораздо наивнее и простодушнее, чем мы вообще о них заключаем. Да и мы тоже.

Endlose, quälende Hustenanfälle in der Nacht treiben den schlaflos Schreibenden immer wieder hoch. Dieser Husten, dieser Schleim, ach all dieses Ungemach, das aus dem Inneren des eigenen Leibes hervorzuquillt! Wer oder was bringt hier Linderung?

Der Schreibende befindet sich in Russland, auf dem Land, in einer Datschensiedlung hart am Ufer der kraftvoll dahinströmenden Moskwa. Moskwa, Fluss des Schicksals, Fluss des Lebens, der die Jahrzehnte verbindet!

Hin und her streifen die Augen des Schreibenden über die Buchrücken, die in hundertjährigen Holzregalen vor ihm aufgereiht sind. Ich ziehe dieses und jenes Buch hervor, suchend irren meine Augen über die Seiten hin. Da – endlich ein Buch, dem ich verfallen war, das ich als Jugendlicher schon durchlas, dem ich dann erneut in Niederbayern nächtens begegnete beim Tode eines Onkels. Und auch damals las ich mich darin fest. Sollte jetzt der Augenblick gekommen sein, das Buch erneut vorzunehmen? Genau da, wo ich jetzt bin, genau jetzt, da ich an unstillbarem Husten leide?

Ich ziehe das Buch hervor, öffne die ersten Seiten. Da ist sie schon, die Stelle, bei der ich hineinspringe in diesen Fluss des Lesens! Da!

Da, da – Да и мы тоже, „… ja, und wir sogar auch…“ So beschließt Dostojewski das erste Kapitel seines Romans von den drei Brüdern. Ja, wir sind so auch, wir können so auch sein, wie die da, die Schlechten, die Verworfenen. Tröstlich stärkende Einsicht! Sie kann sogar den Husten stillen. Dieses Da, dieses Да eröffnet die Pforten zum Du! Ja, so könntest du auch sein! Denke daran, ehe du dich schlafen legst. Du bist wahrscheinlich auch ein Teil der Mehrheit, erkenne, dass Du einer aus der Mehrheit bist!

Wisse: In der Mehrheit der Fälle sind die Menschen, auch die niederträchtigen, viel unbefangener, zutraulicher als wir gemeinhin von ihnen annehmen. Ja sogar wir auch.

Dostojewski schreibt es so:

В большинстве случаев люди, даже злодеи, гораздо наивнее и простодушнее, чем мы вообще о них заключаем. Да и мы тоже.

 

Bild: Der Fluss Moskwa, am heutigen Tag. Bei Nikolina Gora

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Doppelter Schein

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Jul 152017
 

UNLESBARKEIT dieser
Welt. Alles doppelt.

Die starken Uhren
geben der Spaltstunde recht,
heiser.

Du, in dein Tiefstes geklemmt,
entsteigst dir,
für immer.

Diese Zeilen von Paul Celan fallen mir beim Betrachten des obenstehenden Bildes ein. Der Gasometer scheint in ein unwirkliches Licht getaucht. Nein, der Eindruck täuscht: Das Licht scheint aus ihm hervorzubrechen. Ja, wahrhaftig, es entsteigt dieser leeren Hülle! Darauf erfolgt ein Einspruch: Nein, so ist es nicht! Dieses Stahlgerüst gleicht in Wahrheit einem aufgegebenem Uhrturm, den Siedler anderer Zeiten, die unsere Erde längst verlassen haben, kurz vor ihrer Abreise entkernt haben. Aber siehe, auch das ist nur Schein. In Wahrheit, so scheint es, bereiten sie ihre Ankunft vor.

Zitatnachweis des Gedichtes von Paul Celan:
Werner Hamacher: Unlesbarkeit, in: Paul de Man: Allegorien des Lesens. Aus dem Amerikanischen von Werner Hamacher und Peter Krumme. Mit einer Einleitung von Werner Hamacher. Frankfurt, Suhrkamp Verlag, 1988 [=edition Suhrkamp 1357], S. 7-26, Zitat hier: S. 23

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Im Treibhaus

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Jun 302017
 

Kurzes Aufatmen nach den sintflutartigen Regenfällen der letzten 30 Stunden! Wie in einem Treibhaus ist es heute Mittag. Langsam und schwer kriechen die Menschen aus ihren Quartieren hervor. Die Sonne steht nur als trüber Schein über der Stadt. Ein Erkundungsgang führt mich ins Schöneberger Habichtsquartier am alten Lokschuppen. Werde ich das lockende Gickern des Habichts hören, das ängstliche Anschlagen der Amseln?

Hochgewölbte Blätterkronen spannen sich wie Baldachine über üppig wucherndem Rankenwerk. Schweigend neigen sich die Zweige, kein menschlicher Tritt ist zu vernehmen. Wie einsam ist’s hier! Schwere Tropfen rinnen die Blätter herab. Da hinter mir, das Aufrauschen des Windes, ein sanftes Rascheln!

Ich wende mich: Ein schwerer Vogel nimmt den Ansitz wohl drei Klafter über mir. In seinen Krallen hält er blutiges Gekröse. Ein prachtvolles Tier! Die braungebänderte Brust zeigt ihn eindeutig als Habicht an, die stattliche Größe – wohl ein halber Arm eines Kriegers – weist den Vogel als Weibchen aus. Deutlich über 1 Kilo wird es schon wiegen!
Herrisch wendet das Tier den Kopf hin und her. Wer wagt es? Nein, dich stört hier niemand, und auch ich bin dein Feind nicht!

Schließlich aus innen heraus – der Entschluss zum Abflug. Du stürzt dich hinab in die grünen Tunnel, weit breitest du die Schwingen aus und fliegst berührungslos hindurch durch das Rankengemenge, über den Mulch hin, als wäre es Deine Bahn, Deine Spur, Dein Revier!

Foto: Habichtweibchen, aufgenommen heute um 13.25 Uhr im Natur-Park Schöneberger Südgelände

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Schwarzer Schimmel

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Mai 152017
 

Rätselhaftes, tiefsinniges Gespräch und Nachdenken über den hinreißenden Film Get out des Regisseurs  Jordan Peele!

Chris, sehr bezwingend von dem jungen Daniel Kaluuya gespielt, ist ein schwarzer, kluger, charmanter junger Amerikaner; er wird von seiner weißen Freundin Rose zu einem fabelhaften Wochenende eingeladen.

Herzlich heißen die weißen Akademiker den neuen Begleiter ihrer Tochter auf dem herrschaftlichen Landgut am Rande eines träumerisch daliegenden Sees willkommen. So ist alles bereitet für ein ungetrübtes Wochenende voll inklusiven geselligen Beisammenseins.

Es kommt ein bisschen anders, wie man sich denken kann und ahnen muss – spätestens zu dem Zeitpunkt, als der Vater Roses, ein angesehener Chirurg, bei dem Rundgang durch das stattliche Anwesen dem jungen hochwillkommenen schwarzen Gast gegenüber nonchalant erwähnt, man habe die Tür zum Keller verschließen müssen, da sich dort zu viel schwarzer Schimmel – black mould – angesammelt habe.

Was sich dann entfaltet, ist eine grandiose Irrfahrt in die Unterwelt, eine bannende Rückführung in  die tiefsten Schichten, wo das Selbst noch nicht es selbst ist, sondern hilflos einem übermächtigen Schicksal ausgeliefert wird, aus dem nur das Einwirken einer Gnade von außen Rettung bringen kann.

Wer unter euch ohne Rassismus ist, der werfe den ersten Stein auf all die anderen Rassisten! Ein tiefschwarzer Spiegel wird da den liberalen, ach so aufgeklärten Ostküsten-Akademikern vorgehalten!

Der aufwühlende, verstörende Film – eine schreckliche Tragödie, bei der wie in der Antike zum Schluss sehr viel Blut fließt – wirkte noch lange in mir nach! Wir sahen ihn am vergangenen Dienstag im Kino Odeon in Schöneberg.

Erst später erfuhr ich von Kennern, es handle sich nur um eine Horror-Komödie, und deswegen brauche ich mir den Film nicht so zu Herzen gehen zu lassen. Dies sei eine Gattung, die derzeit großen Erfolg in den USA und weltweit einfahre.

Ist es eine Tragödie? Ist es eine Komödie? Sei dem wie ihm sei, mir ist der Film noch lange nachgegangen.

 Posted by at 22:21