Tatenarm und gedankenvoll – Oblomow im Renaissance-Theater

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Mrz 052023
 

„Tatenarm und gedankenvoll!“ Großer Theaterabend gestern im Renaissancethater! Der Oblomow in der meisterlichen Adaption von Volodia Serre und André Markowicz, das ist richtig gutes Sprechtheater, hinreißend auf die Bretter gebracht, wir atmeten im Publikum lachend, weinend, ergriffen mit!

Auch die im Parkett sitzenden Russen im Publikum bestätigten mir, dass sie „ihren“ Oblomow in dieser französisch-deutschen Gemeinschaftsleistung lächelnd und lachend wiedererkannten. Ein großer Auftritt für die große, die vielgerühmte russische Kultur!

Ja damals – damals las ganz Europa den Oblomow, fand sich in ihm wieder, erkannte in diesem Nichtstun eine große Gefahr und die Signatur der Zeit.

Und wir hatten anschließend mit den zufällig anwesenden Russen im Publikum Gelegenheit, uns aus erster Hand über die verheerende Vernichtungsorgie auf den neuesten Stand zu bringen, die nicht erst seit 24.02.2022, sondern schon seit 2014 von russischem Boden aus über das westlich angrenzende Nachbarland Ukraine hereinbricht und wie eine krebsartige Krankheit allmählich auch große Teile der russischen Gesellschaft zerfrisst und zerstört.

Wo findet sich Heilung? Sicher nicht im Oblomowismus! Sicher nicht im Nichtstun!

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„Wenn die Erde geschüttelt wird in ihrem Beben…“ Die „Last Generation“ des 7. Jahrhunderts spricht

 Angst, Antike, Apokalypse, Koran, Singen, Theater  Kommentare deaktiviert für „Wenn die Erde geschüttelt wird in ihrem Beben…“ Die „Last Generation“ des 7. Jahrhunderts spricht
Feb 152023
 
„…Und siehe, dunkler Rauch wird verhüllen die Sonne, verlassen werden verrotten die letzten Gerätschaften der verschwundenen Menschheit.“ Ist dies schon das Weltenende? Aufnahme vom 25.12.2022, Natur-Park Schöneberger Südgelände

„Wenn die Erde geschüttelt wird in ihrem Beben …“ Ich lese summend, klingend, eben rezitierend wie ich auch die Bibel der Juden und die der Christen lese, die Sure 99 im Koran – in der sehr eindrücklichen Übersetzung von Hartmut Bobzin. Diese mekkanischen Suren sind ja „beherrscht von der Thematik des nahenden Weltenendes“, wie dies Bobzin treffend ausdrückt.

Wie leicht schlägt sich da der Verständnisbogen zur heutigen Zeit!

Erdbeben, Wirbelstürme, Überschwemmungen und andere Naturkatastrophen galten damals wie heute als ein Anzeichen des Weltenendes! Ähnlich wie die Zeit Jesu von Nazareth, ähnlich wie die Zeit Martin Luthers war das 7. Jahrhundert ganz offenkundig eine Epoche der „Naherwartung“. So waren bekanntlich auch Martin Luther (gegen Ende seines Lebens) und Jesus von Nazareth selbst – wie die Last Generation unserer Zeit, die sich angsterfüllt an Autobahnen festklebt – zutiefst erfasst und durchzittert von der Erwartung des in Bälde bevorstehenden Untergangs dieser Welt „wie wir sie kennen“.

Ich meine: Die „Letzte Generation“ des 7. Jahrhunderts spricht auch heute noch zu uns. Ähnlich wie die „Last Generation“ unserer Tage waren damals viele Menschen überzeugt, dass es hienieden keine Zukunft mehr geben würde – durch unsere Schuld, durch unsere Schuld, durch unsre übergroße Schuld.

Ich werde am 17. Februar mit großer Freude erneut das Korano-Drama, diesmal den 2. Teil, besuchen. Das Leben hienieden, das Erkennen, das Erfahren, Staunen, Summen und Singen – es geht ja weiter!

Lesehinweis:

Der Koran. Aus dem Arabischen neu übertragen von Hartmut Bobzin unter Mitarbeit von Katharina Bobzin. C. H. Beck Verlag, 4. Aufl., München 2022, Sure 99, sowie auch bsd. S. 602 im Anhang

Veranstaltungshinweis:

Artistic Enactment of Quran. Eine künstlerische Aufarbeitung der Koransure 99 zum Mitmachen und Miterleben. Katholische Akademie in Berlin, Hannoversche Straße 5, 10115 Berlin, 17.02.2023, 14.00-19.00 Uhr

Artistic Enactment of Quran – Katholische Akademie in Berlin e.V. (katholische-akademie-berlin.de)

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Ist das Jenseits besser als das Diesseits?

 I' vidi in terra angelici costumi, Islam, Koran, Theater  Kommentare deaktiviert für Ist das Jenseits besser als das Diesseits?
Jul 092022
 

Korano-Drama
Eine künstlerische Aufarbeitung der Koransuren 93 und 94 zum Mitmachen und Miterleben
Workshop am Samstag, den 2. Juli von 13 – 18 Uhr,
in der Katholischen Akademie in Berlin

Bei diesem Workshop mit der Islam-Theologin Tolou Khademalsharieh und dem Theaterpädagogen Dirk Harms, an dem ich teilnehme, fällt mir, wie von unsichtbarer Hand geführt, folgender Vers in den Schoß und lässt mich bis heute nicht mehr los:

Das Jenseits ist besser für dich als das Diesseits

Innerhalb von genau abgemessenen 5 Minuten schreibe ich ohne Zögern und ohne Korrekturen folgendes nieder:

Zunächst einmal löst dieser Satz heftige Widerstände in mir aus! Ist er nicht eine Vertröstung auf ein besseres Dort, das nur davon ablenkt, wie schrecklich das alles hier ist? Nein, meine ich!

Wer ein Jenseits hat, wird auch das Diesseits besser gestalten: ihn leitet ein Vorblick auf Künftiges. Ich höre daraus, aus diesem Vers 4 der Sure 93, die folgenden unsterblichen Verse heraus:

I vidi in terra angelici costumi
e celesti bellezze al mondo sole

Also übersetzt etwa:

Ich sah in dieser Welt engelsgleiche Gebärden
und himmlische Schönheiten, einzigartig auf der Welt

Ein weiteres Geschehen kommt mir in den Sinn, wie es mir erzählt wurde: In einem Luftschutzbunker zu Kriegszeiten erzählten die Mütter ihren Kindern Märchen, während die Bomben fielen, und siehe, die Angst verschwindet aus den Herzen der Kinder! Die Kinder freuten sich schließlich, wenn die Alarmsirenen ertönten, denn dann durften sie endlich wieder in den Armen der Mutter die Märchen hören. Und alles wurde gut.

Angst, Tod, Schmerzen nehmen also ab im Angesicht des Schönen, im Angesicht des Jenseits. Sie sind eine Überlebenshilfe. So kommt auf jede Nacht der Morgen.

Zusatz vom heutigen Tage (09.07.2022):

Eine mir vorliegende italienische Übersetzung desselben Verses 4 aus Sure 93, vorgeschlagen von Luigi Bonelli, lautet übrigens:  

In verità, la vita avvenire sarà, per te, migliore della presente,

Zu deutsch etwa:
In Wahrheit wird das kommende Leben, für dich, besser sein als das gegenwärtige.

Was bedeutet das nun wieder? Die Frage bleibt offen. Die Antworten bleiben offen!

Quellenangabe:
Il Corano. Nuova versione letterale italiana. Con prefazione e note critico-illustrative del Dott. Luigi Bonelli, già titolare del R. Istituto Orientale di Napoli. Terza edizione riveduta, aggiuntovi l’indice analitico. Editore Ulrico Hoepli, Milano 1987, p. 593 [S. XCIII, 4]

Hinweis:
Nach Angabe des italienischen Übersetzers L. Bonelli bedeutet Kursivdruck (hier vita) eine zur Vervollständigung des Textes angebrachte Hinzufügung des Übersetzers. Cf. „Abbreviazioni e segni convenzionali“, in: Il Corano, a.a.O., p. XXIV

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Götterdämmerung oder Serva padrona – wohin am Sonntag?

 La serva padrona - Die Magd als Herrin, Singspielensemble Berlin, Theater  Kommentare deaktiviert für Götterdämmerung oder Serva padrona – wohin am Sonntag?
Nov 102021
 
Che mai sarà di me…? – Was soll bloß aus mir werden?“ Ist dies das Ende aller Dinge, Götterdämmerung? Gemach! Skepsis ist angebracht. Szenenbild aus der „Serva padrona“ des Singspielensembles Berlin. V.l.n.r.: George Stark als Vespone, Johannes Hampel als Uberto, Heike Borchardt als Serpina. Foto: Photo Zentrum – Tempelhof

https://deutscheoperberlin.eventim-inhouse.de/webshop/webticket/seatmap?eventId=8346
La serva padrona – Die Magd als Herrin Tickets, So, 14.11.2021 um 19:00 Uhr | Eventbrite

Wohin kann man diesen Sonntag, 14. November 2021, gehen, wenn man Musik und Schauspiel zugleich genießen will, also gerne eine Oper besuchen möchte? Zwei Alternativen seien hier gewählt, um einer Entscheidung näherzukommen, nämlich a) die „Götterdämmerung“ der Deutschen Oper Berlin und b) die „Serva padrona“ des Singspielensembles Berlin.

Der Entscheidungspfad wird kein einfacher sein, gilt es doch, eine Vielfalt harter und weicher Kriterien zu berücksichtigen!

Hier einige Grunddaten der beiden Opernvorstellungen im direkten Vergleich:

Götterdämmerung von Richard Wagner – Uraufführung am 17. August 1876 in Bayreuth
La serva padrona von Giovanni Battista Pergolesi – Uraufführung am 28. August 1733 in Neapel

Dauer der Aufführung:
Götterdämmerung – 6 Stunden 30 Minuten / zwei Pausen
Serva padrona – 1 Stunde 12 Minuten / eine Pause

Beginn:
Götterdämmerung – 14.11.2021, 16 Uhr
Serva padrona – 14.11.2021, 19 Uhr

Zutrittsregel:
Götterdämmerung – 3G
Serva padrona – 3G

Kartenpreis:
Götterdämmerung – € 50 bis € 210
Serva padrona – € 13, ermäßigt € 7,50

Grundstimmung:
Götterdämmerung: lastend, schwer, Endzeitstimmung, schicksalsschwanger, „ewiger November“
Serva padrona: heiter, leicht, Aufbruchsstimmung, schnippisch gegenüber dem Schicksal, „ewiges April April“

Wer also in Übereinstimmung mit dem gegenwärtigen gesellschaftlichen Klima bzw. Wetter eine lastende, schwere, gleichsam deutsche, schicksalsschwangere Endzeitstimmung sucht, dem sei vorab die Götterdämmerung wärmstens empfohlen.

Wer jedoch zur Erholung – in Übereinstimmung mit dem gegenwärtigen Klimawandel bzw. dem derzeit recht launischen Novemberwetter – eine leichte, heitere, gleichsam italienische Aufbruchsstimmung sucht, dem sei vorneweg eher zur Serva padrona geraten.

Dies nur als erste Handreichung, die selbstverständlich dem komplexen Entscheidungspfad der Opern- und Theaterliebhaber nicht vorgreifen kann und will.

Zur näheren Information seien folgende Links empfohlen:

https://www.deutscheoperberlin.de/de_DE/calendar/der-ring-des-nibelungen-goetterdaemmerung.16470929

Opera a Berlino: domenica 14 va in scena La Serva Padrona di Pergolesi in versione „bilingue“ – il Mitte

Startseite (singspielensemble-berlin.de)

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Sep 172021
 

La serva padrona – Die Magd als Herrin Tickets, So, 14.11.2021 um 19:00 Uhr | Eventbrite

Zwei große Abende durften wir mit der Aufführung der Serva padrona erleben! Alle wirkten zusammen, die Theateratmosphäre knisterte, wir beflügelten einander im Spielen, im Singen! Glückes genug!

Das Singspielensemble Berlin. V.l.n.r.: Ursula Hillermann (unten, Violine), Johannes Hampel (Uberto), Eva Vo (unten, Violine), Gerardo Colella (Dirigent und Regisseur), Heike Borchardt (Serpina), Jürgen Grunewald (unten, Bratsche), George Stark (Vespone), Andreas Bährle (unten, Cello). Leider nicht auf dem Foto: Daniel Merkel (Kontrabass), Regina Knobel (Cembalo)

Viele versuchten umsonst, das Ernsteste ernsthaft zu sagen,
hier spielt es endlich, hier im Gelächter sich aus!

La serva padrona – Die Magd als Herrin Tickets, So, 14.11.2021 um 19:00 Uhr | Eventbrite

In der Tat, Pergolesi tänzelt und tändelt um die Abgründe der Kleinheit des Herzens, der Ichbezogenheit des Mannes herum. Was ist das doch für ein Typ, den ich da zu singen und zu spielen hatte! Dieser Uberto! Verlangt alles von anderen, nichts von sich selbst!

Mit List, Tücke, Hingabe, Zärtlichkeit erreicht es seine Ziehtochter Serpina, ihn für sich zu gewinnen. Sein Herz öffnet sich, sein Geldbeutel auch. Hä? Was lernen wir daraus? Nichts!

Von r.n.l.: George Stark (Capitan Tempesta/Vespone), Heike Borchardt (Serpina), Johannes Hampel (Uberto)

Und damit kommen wir auch schon zu den Grenzen dieses Stückes. Es belehrt uns nicht. Es führt uns in eine Offenheit der Deutung. Wir in der Truppe waren uns selbst nicht einig, ob es hier um echte Gefühle gehe oder doch nur um List, Täuschung und Eigennutz. Vielleicht ist es eine Mischung aus allem. Vielleicht sollte man das Ganze nicht tierisch ernst nehmen. Jedenfalls war es schön, hinreißend, ich fühlte mich vollkommen hineingetragen, hineingezogen in ein Spiel, das über die Begrenztheit des Ichs hinausgeht.

Wenn Schiller sagt, der Mensch sei nur da Mensch wo er spiele, so wage ich zu sagen: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er singt und spielt, wo er lacht und weint, wo er scherzt und trauert, wo er sich der Unabgeschlossenheit seines Schicksals stellt, wo er die Unplanbarkeit des Lebens als den Freiraum nutzt und genießt, in dem er zu Entscheidungen hingezogen oder vielmehr hingesogen wird, die er schließlich als seine eigenen empfindet.

Und noch etwas füge ich hinzu: Wir spielten die Dienerin als Magd in einer zweisprachigen Fassung, die wir selbst erstellt hatten, wobei wir Arien und Duette im italienischen Original sangen, die Dialoge der Rezitative hingegen in unserer eigenen Übersetzung, angereichert mit Improvisationen, mit komödiantischen Elementen darboten. Das ganze Stück funktionierte also nur im Zusammenspiel zwischen zwei unterschiedlichen europäischen Sprachen: Italienisch und Deutsch. Im Kleinen gelang es uns also, ein perfektes Zusammenspiel zweier Kulturen zu inszenieren; denn nur im Verständnis des Italienischen konnte sich das Deutsche weiter entfalten. Umgekehrt bedurfte das Italienische vor einem des Italienischen unkundigen Publikum unbedingt der Übersetzung, Verdolmetschung, Verdeutlichung durch Geste, Handlung, Mimik und schließlich auch durch die eingefügten deutschen Dialoge. Man könnte es so sagen:

Viele versuchten umsonst, Europa im Großen zu gründen,
hier gelang es im Kleinen, die Länder Europens zu einen.

Applaus, Applaus, Applaus! Für die Musik, das Theater, den Gesang, die Menschen, Mann und Weib, Witz, Gelächter, Körper, Geld und Geist!

Zitatnachweise (Plagiatejäger – hier wird euch geholfen!):

Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen. [2. Teil; 10. bis 16. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 2. Stück. Tübingen, 1795, S. 88

Hölderlin, Friedrich: „Sophokles.“ In: ders., Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 122
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„Alle schick im Hause Uberto?“ oder: das Trio vor dem Sturm

 La serva padrona - Die Magd als Herrin, Singen, Singspielensemble Berlin, Theater  Kommentare deaktiviert für „Alle schick im Hause Uberto?“ oder: das Trio vor dem Sturm
Sep 022021
 
Das Trio vor dem Sturm: Heike Borchardt als Serpina, Johannes Hampel als Uberto, George Stark als Vespone

Mich erreichte im Frühling eine Anfrage, bei einer neuen Opernproduktion des Singspielensembles Berlin in der männlichen Hauptrolle mitzuwirken. Und welcher Sänger würde da zögern? Auf dem Spielplan steht:

Giovanni Battista Pergolesi / Gennarantonio Federico: La serva padrona / Die Magd als Herrin

La serva padrona – Die Magd als Herrin Tickets, So, 14.11.2021 um 19:00 Uhr | Eventbrite

Ein herrlicher duftiger Spaß, eine Erkundung der Tiefenschichten der männlichen, der weiblichen – nein: der menschlichen Psyche!

Worum geht es da?

Die Oper spielt in einem vornehmen Haushalt eines Edelmannes in einer italienischen Stadt, um 1730. Der alternde und mittlerweile sehr bequeme Junggeselle Uberto hat vor vielen Jahren die kleine Tochter verarmter Verwandten gnädig bei sich aufgenommen. Als Gegenleistung dient sie, zusammen mit dem Hausknecht Vespone, dem edlen Herrn als Magd.

Serpina ist mittlerweile zu einer reizenden Frau herangewachsen. Im Gegensatz zum armen Vespone, der arg unter ihrem Joch zu leiden hat, ist sie durchaus nicht auf den Mund gefallen. Sie besinnt sich ihrer aristokratischen Vorfahren und strebt nach Höherem. Doch im niederen Stand eines Dienstmädchens muss sie sich dafür etwas ganz Besonderes einfallen lassen…  Wird es ihr gelingen?

Arien und Duette singt das Singspielensemble Berlin in italienischer Originalfassung aus dem Jahr 1733. Die Dialoge spielt es deutsch in einer taufrischen Übersetzung aus dem Jahr 2021.

Es singen und spielen:

Serpina: Heike Borchardt
Uberto: Johannes Hampel
Vespone: George Stark

Streichorchester: Ursula Hillermann, Eva Vo, Andreas Bährle, Jürgen Grunewald, Daniel Merkel
Klavier: Regina Knobel
Neue Prosaübersetzung ins Deutsche und für den Gebrauch als Singspiel eingerichtet: Johannes Hampel

Künstlerische Gesamtleitung: Gerardo Colella

Samstag, 11. September 2021, 19 Uhr

Sonntag, 12. September 2021, 19 Uhr

Zugang nur mit Nachweis über „geimpft oder genesen oder getestet“

Testmöglichkeit vor Ort

Unkostenbeitrag 10 Euro

Restkarten an der Abendkasse/Einlass ab 18 Uhr

Neue Bühne Friedrichshain, Boxhagener Str. 18, 10245 Berlin

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Auf Flügeln des gesprochnen Wortes: Tennyson, Strauss, Kowalski, Albers

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Sep 262020
 
Gleich öffnen sich die Flügel der Zauberbühne: Hier geht es zum Piano Salon Christophori, Uferstr. 8, Berlin-Wedding, gestern, 18.50 Uhr!

25.09.2020. 20.00 Uhr. Pianosalon Christophori, Uferstr.8, 13357 Berlin
Melodram „Enoch Arden “ von Richard Strauss. Jochen Kowalski und Günther Albers, Klavier

Der aus dem brandenburgischen Wachow stammende Sänger Jochen Kowalski leistete gestern Abend Verzicht auf die Flügel des Gesanges. Er verwirklichte seinen Traum, Schauspieler zu werden. Er vertraute an diesem Abend ganz der Kraft des gesprochenen, klaren, leuchtenden Wortes, das sich vor dem Hintergrund des Klavierspiels mühelos entfalten konnte.

Long lines of cliff breaking have left a chasm;
And in the chasm are foam and yellow sands;
Beyond, red roofs about a narrow wharf
In cluster; then a moulder’d church; and higher
A long street climbs to one tall-tower’d mill…

So beginnt im englischen Original Alfred Tennysons Gedicht Enoch Arden, 1864 erstmals veröffentlicht. Tennyson erzählt darin die Geschichte Enochs, des Mannes, der mit Gott wandelt, der nach 10 Jahren Verschollenheit in sein Heimatdorf zurückkehrt und dort erfahren muss, dass seine Ehefrau Annie mittlerweile seinen Jugendfreund Philip geheiratet hat und glücklich in neuer Familie lebt.

Jochen Kowalski leistete als Erzähler der deutschen Übersetzung Außerordentliches. Wir waren alle von der ersten bis zur letzten Minute gebannt. Er gab aber auch alles – wie er dies auch als Sänger tut. Wieder einmal wurde uns klar: Wenn man heute noch das gute, bis in den letzten Laut hinein gut gearbeitete Deutsch hören will, dann sollte man sich weniger an die Schauspieler, sondern mehr an die klassisch ausgebildeten Sänger wenden! Günther Albers sekundierte sehr einfühlsam, deckte niemals das gesprochene Wort Tennysons zu, leistete aber auch Führungsarbeit da, wo Richard Strauss ganz bewusst seine Musik als eine Art Resonanzboden den Faserverläufen des Textes folgen lässt.

Und warum war das Publikum so still? Warum hätte man eine Stecknadel fallen hören können? Warum erblühte die Akustik des Leeren?

Antwort: Kowalski tat im Grunde mit den gesprochenen Worten das, was jeder gute Sänger auch mit den gesungenen Worten tut: Er verströmt sich, er legt Hingabe, Zuneigung, Mitfühlen in jeden einzelnen Laut. Ihm bleibt beim Sprechen wie beim Singen kaum etwas anderes als die Stimme, um seine ganze Bühnenpräsenz zu entfalten. Leidenschaftlich steigerte er sich in die Wendungen des Erzählten hinein, wandte sich mitunter dem Klavierpartner zu, trug auch das eine oder andere Mal die im Text liegende Ironie deutlich auf, etwa beim Vers Miriam Lane was good and garrulous. Unterstützt selbstverständlich durch Gesten, durch Wendungen und Neigungen des Kopfes und des Körpers, das ja. Aber das dichterische, in Freiheit gesprochene Wort trug alles, trug uns alle wie auf Flügeln.

Als echtes Schatzkästlein auf der Seefahrt des epischen Wortes erwies sich der Pianosalon Christophori, an dessen Wänden wie in einer alten Schiffswerft zahllose hölzerne Bauteile hingen, wie etwa vor allem die Lyras, also jene kunstvoll geschwungene Stützen, an denen bei älteren Flügeln die Pedale angebracht waren, ferner Hämmer, Böden, Stege, Deckel: ein ganzes Arsenal an Resonanzräumen schuf diese in sich geschlossene prachtvolle Welt, in der die Erzählung erklingt, Musik zu den Worten spricht.

Gerade in Zeiten der kulturellen Verknappung, der seuchenbedingten Vereinzelung, der Kargheit zeigt sich der Reichtum, der seit Jahrhunderten in den allereinfachsten Mitteln des Bühnenkunst liegt: Worte, Blicke, Gefühle, Töne. Unplugged. Das sind die Zutaten. Mehr brauchst du nicht. Armes Theater am Ufer der Panke im Weddinger Industriegebiet, wie dankbar radelten wir durch das Brandenburger Tor mit seinem aufgeschmückten Festival of Lights nachhause, wie reich bist du!

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Pumuckl und sein Meister Eder – die fröhlichen Superstars unserer Frühlings-Kindheit in Bayern

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Apr 042020
 

Frühling zieht machtvoll herein! Aufnahme vom 1. April 2020, Natur-Park Schöneberger Südgelände

Schmunzeln und lachen wir immer wieder laut auf, wenn wir an den PUMUCKL und seinen Meister EDER denken! Hier kann man richtiges Bairisch hören und lernen, hier lernt man die Welt Münchens von den Graswurzeln her kennen! Spielt in MÜNCHEN! Wenn ich diese Sprache meines Lebensfrühlings, die Sprache, in der meine Mama und mein Papa sich bei Tag und bei Nacht unterhielten, die Sprache meines Geburtsortes höre, da fallen mir unabweislich jene Zeilen Walthers ein:

Owê, war sint verswunden alliu mîniu jâr!
ist mir mîn leben getroumet, oder ist ez wâr?
daz ich ie wânde, daz iht wære, was daz iht?
dar nâch hân ich geslâfen und enweiz es niht.

Wenn ich dann noch den zweiten Podcast des Bayrischen Rundfunks höre, dann entspringt in mir wie ein munter sprudelnder Quell der Gewissheit die folgende Antwort an Walther:

Ja, wahr ist es! Und niemand kann’s dir wehren,
Kein Rost, kein Mehltau, kein Corona, keine Zeit,
Ein unvergesslich Schatz ist zu vermehren,
Den raubt dir allenfalls der Eigen-Neid.

https://www.br.de/mediathek/podcast/pumuckl/pumuckl-und-der-1-april/1794628?fbclid=IwAR0C0COxKOZz93lau3ghtJlelWfQ3AB69eqx0xTiWOpnu4RkdbY-K1oq9UI

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„Ich möchte gerne Persien sehen, Indien und dann China!“ Im neuen Bauhaus-Museum Weimar

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Apr 232019
 

Julia Feiningers Puppen fesselten am Ostermontag meine Aufmerksamkeit, wie so vieles andere danach im neueröffneten Bauhaus-Museum Weimar. Die strahlende Ostersonne goss über den neuen Bau in Weimar ihr Versöhnungslicht, dass er aufstrahlte wie eine Art magischer Würfel, der Anmutung nach in all seiner Abstraktion nicht unähnlich dem in aller Fremdheit thronenden Kubus in der Wüste Arabiens.

Manch stillen Winkel fand ich, wo es mir abseits der Besucherströme gelang, in echte Zwiesprache mit den ausgestellten „redenden“ Dingen zu treten. Das Museum ermöglicht dies, es beweist den unersetzlichen Rang der mit größter Meisterschaft und handwerklicher Klarheit gestalteten Objekte.

Eine Schatztruhe ist dieses neue Museum, das zu reden anfängt, – „triffst du nur das Zauberwort“.

Ich würde empfehlen, sich nicht zu sehr beeinflussen zu lassen von all den Strömen Tinte und Druckerschwärze, die das BAUHAUS durchfließen, umschließen und zu verschütten drohen, sondern bescheiden und lauschend, tastend und hinhorchend sich einzulassen auf all das Taugliche, Zweckmäßige, in all seiner Tauglichkeit und Zweckmäßigkeit Schöne, das dem staunenden Auge geboten wird.

So wie diese Puppen Julia Feiningers, die sie für das Spiel „Märchen aus dem Morgenland“ herstellte. Sie scheinen sich zu rühren, sie warten darauf, dass Du sie ansprichst und ihnen Worte in den Mund legst.

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„Wer ist eigentlich dieser Nico?“ Machiavelli in Augsburg

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Okt 072018
 

Das kurze Schreiben in italienischer Sprache, das ich letztes Wochenende in Augsburg zum Posting gab, entstand nach einem vergnüglichen Besuch im Museum der Augsburger Puppenkiste. Es lehnt sich an einen Brief Niccolò Machiavellis an, den dieser am 10. Dezember 1513 an seinen Freund Francesco Vettori richtete.

Er ist in diesem eingebildeten Marionettentheaterstück der gedachte „Francesco“, an den sich Machiavelli, der sich hier schlicht „Nico“ nennt, in seinem Sendschreiben richtet.

Wir haben es nicht versäumt, einige nahezu wörtlich zitierte Sätze aus jenem meisterhaften, funkelnden, unsterblichen Kabinettstück europäischer Prosa einzufügen, welches der auf den 10. Dezember 1513 datierte Brief Macchiavellis an Vettori für alle Menschen zu allen Zeiten darstellt; sie seien hier noch einmal in originaler Schreibung angeführt:

Venuta la sera, mi ritorno a casa ed entro nel mio scrittoio; e in sull’uscio mi spoglio quella veste cotidiana, piena di fango e di loto, e mi metto panni reali e curiali; e rivestito condecentemente, entro nelle antique corti delli antiqui huomini, dove, da loro ricevuto amorevolmente, mi pasco di quel cibo che solum è mio e ch’io nacqui per lui; dove io non mi vergogno parlare con loro e domandarli della ragione delle loro azioni; e quelli per loro humanità mi rispondono; e non sento per quattro hore di tempo alcuna noia, sdimentico ogni affanno, non temo la povertà, non mi sbigottisce la morte: tutto mi transferisco in loro.

Was die Realia unserer kleinen philologischen Belustigung angeht, so geben wir hier zu Protokoll:

Die Gespräche des päpstlichen Legaten Cajetan mit Luther fanden tatsächlich – wie von unserem Nico behauptet – vor recht genau 500 Jahren, vom 12.-14. Oktober 1518, im Fuggerschen Stadtpalast zu Augsburg statt, nur wenige Schritte entfernt vom Hotel am Rathaus, in dem unser frei erfundener Brief Niccolòs an den fiktiven Francesco entstand.

Der Diplomat und Politiker Francesco Vettori (1474-1539) kannte Deutschland aus seiner Zeit als Florentinischer Gesandter beim Reichstag von Konstanz, dem er 1507 beiwohnte.

Niccolò Machiavelli lebte von 1469 bis 1527; Martin Luther von 1483 bis 1546, Kardinal Tommaso Cajetan von 1469-1534. Vettori, Machiavelli, Luther, Cajetan waren also Zeitgenossen, so unterschiedlich nach Denkart, Lebensstil und historischer Bedeutung sie auch sonst gewesen sein mögen!

Aus all dem ergab sich für mich die reizvolle Möglichkeit des interesselosen Spieles mit denkmöglichen Gestalten und Figuren – ganz im Geist der Augsburger Puppenkiste, die ich wenige Augenblicke zuvor hatte erleben dürfen.

Bild:
Don Quijote und Sancho Pansa. Originale Puppen aus dem Schubert Theater in Wien; Theaterpremiere von „Don Quijote“ 2012; ausgestellt und gesehen im Augsburger Puppentheatermuseum „die Kiste“ am 28.09.2018 beim Altstephanertreffen, dem der hier Schreibende in Fleisch und Blut beiwohnen durfte.

Brief zitiert nach:
https://it.wikisource.org/wiki/Lettere_(Machiavelli)/Lettera_XI_a_Francesco_Vettori

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Die gerettete Poppea

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Dez 142017
 


Gestern kurzweilige Stunden in der Staatsoper unter den Linden bei der Aufführung von Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“! Was für eine tolle Sache war das!  Sehr körperbetontes Singen und Spielen, gerade bei Roberta Mameli als Poppea und Katharina Kammerloher als Ottavia! Mitreißend. Mameli schwebt dahin, sie scheint den herbeigesungenen Gefühlen höchstpersönlich zu glauben! Ein gesungener Schein, aber man möchte diesem Schein glauben, so schön ist er! Und so glaubt man ihm.

Max Emanuel Cencic weigerte sich als Nerone beharrlich, endlich erwachsen zu werden. Deshalb – konsequent Countertenor: Stimmig, aber gewöhnungsbedürftig.- Erstklassige Textverständlichkeit – das Italienische wirkt frisch, der Text bietet überhaupt alles, was der heutige Theaterbesucher erwartet: Tolle Volten, abgründige Verworfenheit, Schluchzen, Stöhnen, Seufzen, Jubeln. Abgefeimtheit: Hingerissenheit.

Die Aufführungsfassung von Diego Fasolis und Andrea Marchiol bedient sich freimütig bei anderen Komponisten wie etwa Cavalli, Laurenzi, Sacrati: hochmodernes Patchwork-Komponieren! Begriffe wie „Originaltreue“, „historische Aufführungsperaxis“ gab es zu Monteverdis Zeiten nicht; gerade heute beziehen solche rundweg gelungenen Inszenierungen wie etwa diese, von Eva-Maria Höckmayr besorgte, ihre Überzeugungskraft aus dem Abweichenden, dem Verrat am Werk! Es wird alles verraten, und deswegen stimmt es schon wieder. So verriet der Freund den Freund, und rettete ihn dadurch der Nachwelt. Judas verriet Jesus und überlieferte ihn uns dadurch, Max Brod verriet Franz Kafka, er widersetzte sich seinem testamentarischen Willen und überlieferte den Autor uns!

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Herbeigeströmt von fern und nah. Zur Aktualität Schillers

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Dez 232015
 

Bank an Bank gedrängt sitzen sie da in Schillers gut bürgerlicher Stube in der Akazienstraße. Allerlei fremde Sprachen schlagen an mein Ohr, wartend sitzen die Völker da, wer kennt die Sprachen alle, die hier in Schöneberg zusammenkommen? Niemand!

Sehen wir es einmal von dieser Seite her: Je länger wir gestern auf unseren Burger im Schiller Burger warteten, desto mehr Zeit blieb uns, wäre uns verblieben, das eine oder Gedicht Schillers laut, halblaut oder fast unhörbar leise zu rezitieren, so etwa jene Szene, in der Schiller packend beschreibt, wie sich in einer anonymen Menge allmählich eine Spannung, eine dumpfe Erwartung anstaut, die dann geradezu eruptiv in eine unerhörte Begebenheit ausbricht.

Auch hier wiederum treten – wie schon bei des Aischylos Schutzflehenden – die Analogien zur heutigen Lage sinnfällig ins Auge – denn auch heute kommen ja von Asiens entlegener Küste, von allen Inseln Griechenlands viele Völker, viele Menschen in Berlin zusammen, deren Namen niemand nennen kann. Doch was brabble ich da vor mich hin?

Lest lieber selbst, hört besser selbst:

Denn Bank an Bank gedränget sitzen,
Es brechen fast der Bühne Stützen,
Herbeigeströmt von fern und nah,
Der Griechen Völker wartend da,
Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen;
Von Menschen wimmelnd, wächst der Bau
In weiter stets geschweiftem Bogen
Hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen?
Von Kekrops‘ Stadt, von Aulis‘ Strand,
Von Phokis, vom Spartanerland,
Von Asiens entlegner Küste,
Von allen Inseln kamen sie
Und horchen von dem Schaugerüste
Des Chores grauser Melodie,

Der streng und ernst, nach alter Sitte,
Mit langsam abgemeßnem Schritte,
Hervortritt aus dem Hintergrund,
Umwandelnd des Theaters Rund.
So schreiten keine irdschen Weiber,
Die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmaß der Leiber
Hoch über menschliches hinaus.

Zitat auf der Packung des Feuchttuches:
Friedrich Schiller: Die Kraniche des Ibykus. In: ders., Sämtliche Werke. Erster Band. Gedichte, Dramen I. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1987, S. 349

Bild:
Im Schiller Burger, Akazienstraße, Schöneberg, gestern, beim Warten auf „An die Freude“
Schiller 20151222_125149

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Dienstbotengesänge

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Nov 182015
 

„Wir beugen unser Haupt vor den Toten, niemals aber beugen wir uns dem Terror.“ So Bundespräsident Gauck am vergangenen Sonntag. Hier wollen wir uns einmal nicht mit den Reden, sondern mit dem Reden des Bundespräsidenten befassen, also mit seiner Art des Vortragens, Sprechens, mit seiner Wortfindung und Gedankenführung. Völlig zu recht wird ja immer wieder seine besondere rednerische Gabe, sein Geschick und seine Überzeugungskraft gerühmt. Worin gründet die besondere Rednergabe Joachim Gaucks? Was macht Joachim Gauck zu einem herausragenden Redner, was macht einen guten Redner aus?

1) Der gute Redner verfügt über eine gute Ausbildung der Stimme, der Sprechwerkzeuge. Er hegt und pflegt das Wort. Er vertraut dem Wort, und das Wort scheint ihm zu vertrauen. Sein Motto scheint zu lauten:

Lebendgem Worte bin ich gut,
das kommt heran so wohlgemut.

Wenn er redet, fällt das Verstehen leicht. Jeder einzelne Laut wird geformt, jedes Wort wird geformt, jeder Satz wird geformt und gewissermaßen in den Raum auf die Zuhörer hin gesprochen. Insbesondere bringt der gute Redner auch die Konsonanten zum Klingen. Das kann so weit gehen, dass auch die Konsonanten wie „gesungen“ wirken.

2) Der gute Redner lässt jede Silbe, insbesondere auch jede unbetonte Silbe gedeihen. Er verschluckt nichts. Der gute Redner sagt also „beugen“, nicht „beugn“, „aufgegangen“ statt „a’fggangn“, „haben“ statt „habm“, „wir loben dich“, nicht „wir lobm dich“. Ein sehr häufiger Fehler der schlecht ausgebildeten deutschen Schauspieler ist seit jeher – von Goethe in seinen „Regeln für Schauspieler“ bereits getadelt – das Verhuschen und Verschlucken der unbetonten Silben.

Als Hörbeispiel diene ein kurzer Wortwechsel aus Goethes Clavigo (1. Akt, 1. Szene):

Clavigo. Zwar ist mir’s weiter nicht bange; sein Einfluß bleibt – Grimaldi und er sind Freunde, und wir können schwatzen und uns bücken –
Carlos. Und denken und thun, was wir wollen.

Man höre sich diese oder ähnliche Sätze in einer beliebigen Aufführung auf einer heutigen deutschen Bühne an – man wird rasch erkennen: Die Schauspieler machen oft mit dem Wortlaut, was sie wollen; sie sind oft nicht imstande, dem Wort zu dienen, sondern sie denken und tun, was ihnen gerade in den Sinn kommt. Die Lautung wirkt zufällig, die Konsonanten werden gekappt, die Vokale sind undeutlich, die gesamte Sprechweise wirkt kurzatmig und flachbrüstig.

Und dann versuche man einmal, eben diese Sätze zuhause für sich, oder mit einer Partnerin gemeinsam, einzuüben. Nach und nach wird das Ineinandergreifen, dieses florettartige „botta e risposta“, dieses Schlag auf Schlag eines gut vorgetragenen Dialoges hervortreten. Dann erwächst auch allmählich die Freude am Sprechen wieder.

3) Der gute Redner liest nicht nur ab, er hört die Sprache auch, er hat die Sprache gehört, er vernimmt das Singen im Hintergrund, er hat mindestens eine gewisse Zeit mit der Poesie verbracht, er trägt all die Kinderreime aus Küche und Keller, die Märchenverse, die Rätsel und Lautmalereien mit sich herum. Im guten Redner klingt immer etwas von der Dichtung nach, in ihm klingen die Lieder nach, die er gesungen hat. Seine Stimme wurde durch Poesie gekräftigt.

4) Die 1906 im niedersächsischen Linden geborene deutsche Philosophin Hannah Arendt sagt: „Im Deutschen gerade liegt das Volkslied aller Dichtung zugrunde, wenn auch in der eigentlich großen Dichtung so transformiert, daß es kaum noch kenntlich ist. So klingt die Stimme der Dienstbotengesänge durch viele der schönsten deutschen Gedichte.“

5) Atmen – Singen – Reden! Eine unersetzliche Übung für jede zukünftige Rednerin, einen unerschöpflichen Schatz zum Erwerb einer guten deutschen Aussprache – gerade auch im Unterricht mit Kindern und Lernenden nichtdeutscher Muttersprache – stellen die 100 oder 300 wichtigsten deutschen Volkslieder der letzten 300 Jahre dar, etwa das unsterbliche „Der Mond ist aufgegangen“. Wer mag und die Religion seiner Vorfahren nicht fürchtet wie der Teufel das Weihwasser, der kann und soll ruhig auch die 100 oder 300 wichtigsten geistlichen Lieder der letzten 700 Jahre hören und singen.

Empfehlung für alle Redner, Schauspieler, Sprachlehrer und Menschen, die in der Öffentlichkeit reden müssen:
Der Mond ist aufgegangen, In: 100 deutsche Kinderlieder. Für Klavier mit Liedertexten. Bearbeitet von István Máriássy. Illustriert von Claudia Faber. K 148. Könemann Music Budapest 2000. € 5,95, S. 40-41

Zitat Hannah Arendts hier nach:
Beatrix Brockman: Scherben im Bachsand. Der Nachlass der Lyrikerin Eva Strittmatter kommt in die Akademie der Künste nach Berlin. In: Ars pro toto. Das Magazin der Kulturstiftung der Länder, 3-2015, S. 25-29, hier S. 26

Scherben im Bachsand

Empfohlen sei auch:
Egon Aderhold/Edith Wolf: Sprecherzieherisches Übungsbuch. Henschel Verlag Berlin 2013

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