25.09.2020. 20.00 Uhr. Pianosalon Christophori, Uferstr.8, 13357 Berlin
Melodram „Enoch Arden “ von Richard Strauss. Jochen Kowalski und Günther Albers, Klavier
Der aus dem brandenburgischen Wachow stammende Sänger Jochen Kowalski leistete gestern Abend Verzicht auf die Flügel des Gesanges. Er verwirklichte seinen Traum, Schauspieler zu werden. Er vertraute an diesem Abend ganz der Kraft des gesprochenen, klaren, leuchtenden Wortes, das sich vor dem Hintergrund des Klavierspiels mühelos entfalten konnte.
Long lines of cliff breaking have left a chasm;
And in the chasm are foam and yellow sands;
Beyond, red roofs about a narrow wharf
In cluster; then a moulder’d church; and higher
A long street climbs to one tall-tower’d mill…
So beginnt im englischen Original Alfred Tennysons Gedicht Enoch Arden, 1864 erstmals veröffentlicht. Tennyson erzählt darin die Geschichte Enochs, des Mannes, der mit Gott wandelt, der nach 10 Jahren Verschollenheit in sein Heimatdorf zurückkehrt und dort erfahren muss, dass seine Ehefrau Annie mittlerweile seinen Jugendfreund Philip geheiratet hat und glücklich in neuer Familie lebt.
Jochen Kowalski leistete als Erzähler der deutschen Übersetzung Außerordentliches. Wir waren alle von der ersten bis zur letzten Minute gebannt. Er gab aber auch alles – wie er dies auch als Sänger tut. Wieder einmal wurde uns klar: Wenn man heute noch das gute, bis in den letzten Laut hinein gut gearbeitete Deutsch hören will, dann sollte man sich weniger an die Schauspieler, sondern mehr an die klassisch ausgebildeten Sänger wenden! Günther Albers sekundierte sehr einfühlsam, deckte niemals das gesprochene Wort Tennysons zu, leistete aber auch Führungsarbeit da, wo Richard Strauss ganz bewusst seine Musik als eine Art Resonanzboden den Faserverläufen des Textes folgen lässt.
Und warum war das Publikum so still? Warum hätte man eine Stecknadel fallen hören können? Warum erblühte die Akustik des Leeren?
Antwort: Kowalski tat im Grunde mit den gesprochenen Worten das, was jeder gute Sänger auch mit den gesungenen Worten tut: Er verströmt sich, er legt Hingabe, Zuneigung, Mitfühlen in jeden einzelnen Laut. Ihm bleibt beim Sprechen wie beim Singen kaum etwas anderes als die Stimme, um seine ganze Bühnenpräsenz zu entfalten. Leidenschaftlich steigerte er sich in die Wendungen des Erzählten hinein, wandte sich mitunter dem Klavierpartner zu, trug auch das eine oder andere Mal die im Text liegende Ironie deutlich auf, etwa beim Vers Miriam Lane was good and garrulous. Unterstützt selbstverständlich durch Gesten, durch Wendungen und Neigungen des Kopfes und des Körpers, das ja. Aber das dichterische, in Freiheit gesprochene Wort trug alles, trug uns alle wie auf Flügeln.
Als echtes Schatzkästlein auf der Seefahrt des epischen Wortes erwies sich der Pianosalon Christophori, an dessen Wänden wie in einer alten Schiffswerft zahllose hölzerne Bauteile hingen, wie etwa vor allem die Lyras, also jene kunstvoll geschwungene Stützen, an denen bei älteren Flügeln die Pedale angebracht waren, ferner Hämmer, Böden, Stege, Deckel: ein ganzes Arsenal an Resonanzräumen schuf diese in sich geschlossene prachtvolle Welt, in der die Erzählung erklingt, Musik zu den Worten spricht.
Gerade in Zeiten der kulturellen Verknappung, der seuchenbedingten Vereinzelung, der Kargheit zeigt sich der Reichtum, der seit Jahrhunderten in den allereinfachsten Mitteln des Bühnenkunst liegt: Worte, Blicke, Gefühle, Töne. Unplugged. Das sind die Zutaten. Mehr brauchst du nicht. Armes Theater am Ufer der Panke im Weddinger Industriegebiet, wie dankbar radelten wir durch das Brandenburger Tor mit seinem aufgeschmückten Festival of Lights nachhause, wie reich bist du!
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