Ἰωάννης ἐστὶν ὄνομα αὐτοῦ. καὶ ἐθαύμασαν πάντες. „Sein Name ist Johannes. Und da gerieten alle in Verwunderung.“
So beendet der Evangelist Lukas die äußerst erstaunliche Geschichte der Namensfindung des nach christlichem Glauben letzten Propheten des alten Judentums, Johannes des Täufers. Beachtlich: Der Name wird dem jungen Juden beim Beschneidungsfest nicht durch den Vater, sondern durch seine Mutter Elisabet beigelegt. Sie ist es, die sich dem Wunsch der Verwandten und Nachbarn widersetzt und den vorgeschlagenen Vatersnamen Zacharias ablehnt. Sie ist es, die entgegen dem Drängen der Umstehenden NEIN sagt und anordnet: οὐχί, ἀλλὰ κληθήσεται Ἰωάννης. – „Nein, der wird Johannes heißen!“ Der seit längerem durch Sprachverlust gezeichnete Vater Zacharias stimmt zu – und dank seiner Zustimmung gewinnt er seine Sprechfähigkeit wieder. Und da gerieten alle in Verwunderung.
Die Vorbesichtigung der neuen Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin am Freitag, dem 21. August, spätnachmittags bot uns reichlich Anlass, über die gegenstrebigen Verwebungen des Judentums und Christentums nachzudenken. Verwebungen, die sehr tief gehen, die die Sprachgrenzen überschreiten, die enge Verwandtschaften und Nachbarschaften verbunden und zerrissen haben, oft auf schmerzhafte Weise.
Am Beginn der beeindruckenden neuen Dauerausstellung wird man aufgefordert, den eigenen Namen ins Hebräische „übersetzen“ zu lassen – ich gebe meinen Namen ein, und es erscheint mein deutscher Name in hebräischen Buchstaben transliteriert, wie man ihn heute in hebräischen Texten lesen kann: יוהנס
Ins Hebräische zurückübersetzt würde er anders lauten – nämlich יֹוחָנָן / Jochanan, denn bekanntlich ist ja die griechische Namensform Johannes eine „Übersetzung“ aus dieser hebräischen Namensaussage, die in etwa bedeutet: „Gott tut immer wieder mal aus eigenem Wollen etwas Ungewöhnliches, etwas Großes, etwas Tolles! Gott ist gnädig.“
Der ungewöhnliche Akt der Rebellion der weiblichen Namensfindung – gegen den Mehrheitswillen der Nachbarn und Verwandten – verhalf diesem Namen in der gesamten christlichen Welt zu einer ungeheuren Karriere, denn in allen europäischen Sprachen, aber auch im arabisch-islamischen Kulturraum ist er ein geläufiger Vorname geworden. Im deutschen Mittelalter wurde er etwa jedem zweiten männlichen Deutschen beigelegt. Johann Sebastian Bach und Johann Wolfgang Goethe sind zwei berühmte Träger dieses Namens, denen ich in meinem eigenen Leben seit vielen Jahren einen überragenden Platz gleich hinter jenem jüdischen Propheten, dem Weggefährten, Taufspender, Verwandten und Schicksalsgenossen Jesu zuspreche.
Was liegt an einem Namen? Viel, manchmal alles! Der Cheftrainer des FC Bayern München, Hansi Flick – bürgerlich Hans-Dieter Flick – besteht darauf, dass er mit seinem seit Kindheit vertrauten Rufnamen angesprochen wird. Auch dieses „Hansi“ ist eine späte Verwandlung dieses erstaunlichen Namens Jochanan, der es nun bis auf den beifallumtosten Gipfel der europäischen Champions League gebracht hat. καὶ ἐθαύμασαν πάντες. Beim Triumph des Hansi Flick geriet die gesamte Weltfußballöffentlichkeit in Erstaunen, ja in Verzückung.
Die ungeheure Karriere dieses Namens Johannes geht also weiter. Er ist topaktuell. Und uraltes Erbe des Judentums.
Belege:
Nestle-Aland. Novum Testamentum graece. 28., revidierte Auflage, Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart 2012, S. 181-182 (Lc 1,59-66). Übersetzung aus dem Griechischen durch Johannes Hampel
Christian Eichler: Trainer Flick und seine Bayern-Bande. Der Champions-League-Sieger. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 24.08.2020 (Online-Ausgabe)