Aus der Heimat hinter den Blitzen rot. Ein Totenopfer

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Aug. 062024
 

6. August 2024. Zurückgekehrt bin ich aus Dresden, wo wir gestern die so plötzlich verstorbene Natalia Petrowski zur Ruhe der Waldeinsamkeit im Loschwitzer Friedhof betteten. Unser Abschied von einem geliebten Menschen endet nicht vor einem verschlossenen Tor, sondern öffnet neue Zugänge zu Menschen und Welten, die uns ohne ihren Tod wohl nicht offen gestanden hätten. In diesem Sinne bin ich der Abgeschiedenen, der Verstorbenen auch in der Trauer unendlich dankbar.

Hier oben ein Bild von einem meiner letzten Bühnentode, in der Kirche Sanct Jacobi in Perleberg bei einem Konzert der Lotte Lehmann Woche: Menschen kommen aus der Tiefe des Raumes, wo Sand und Wasser sich trennen, Menschen gehen zurück in das scheinbar Vertraute, das sich seither verändert hat und weiter verändern wird. Und so verändern wir uns mit ihnen.

„Und keiner kennt mich mehr hier.“ Ich singe hier gerade „In der Fremde“ von Robert Schumann, den Blick nach oben gerichtet, ins Lichte, ins Weite.

Und in dem all dem steckt Versöhnung. „Keiner kennt mich mehr hier“, so wie auch ich mich nicht mehr kennen muss. „Lass gehen, lass fahren dahin…“

Aufnahme vom 27. Juli 2024. Bühnenregie: Florian Hackspiel. Am Flügel: András Vermesy. Foto: Nico Dalchow

Credits:

Joseph von Eichendorff/Robert Schumann: „In der Fremde“, taken from: Eichendorff Totenopfer/Schumann Liederkreis, op. 39
Recorded live on stage at St. Jacobi Kirche in Perleberg, Prignitz district, Germany, during scenic concert for Lotte Lehmann Woche 2024, 27 July 2024
Johannes R. Hampel, tenor
András Vermesy, piano
Scene director: Florian Hackspiel
Director of photography: Nico Dalchow

Script:
Joseph von Eichendorff: Totenopfer. In der Fremde

Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
Da kommen die Wolken her,
Aber Vater und Mutter sind lange tot,
Es kennt mich dort keiner mehr.
Wie bald, wie bald kommt die stille Zeit,
Da ruhe ich auch, und über mir
Rauschet die schöne Waldeinsamkeit
Und keiner mehr kennt mich auch hier.

Quelle: Joseph von Eichendorff: „In der Fremde“. Aus: „Totenopfer“. In: Joseph von Eichendorff: Werke in einem Band. Hg. von Wolfdietrich Rasch. 6. Aufl., Carl Hanser Verlag, München 2007, S. 221-235, hier S. 233

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Eichendorf oder Eichendorff – was liegt an einem Buchstaben?

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Sep. 292014
 

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„Warum schreibt sich Joseph von Eichendorff eigentlich mit zwei F? Etwa weil er ein Adliger war, oder etwas Besseres sein wollte?“ So hörte ich ein Kind fragen.

Nein, mein Kind.

Höre folgende Verse:

Aus der Heimat hinter den Blitzen rot da kommen die Wolken her, aber Vater und Mutter sind lange tot, es kennt mich dort keiner mehr.

So schlicht und doch so niederschmetternd traurig beginnt das Gedicht „In der Fremde“. Eichendorff hat es hingetuscht, Schumann hat es an den Anfang seines Liederkreises op. 39 gesetzt. Robert Schumann hat die Vorzeichnung Eichendorffs mit Blut und mit Farben gefüllt. Schumann steht zu Eichendorff wie der Maler zum Zeichner. Ich hörte das Lied „In der Fremde“ erstmals vor vielen Jahren im Alten Rathaus in Potsdam und kann es nicht vergessen und werde es nie vergessen. Schumann schafft es, den bezwingenden, den abgründigen Kern der Elternlosigkeit als gemaltes, geflochtenes Band, als Schmerzenskrone hinzustreichen und hinzustreifen wie eine heilende Salbe, die die Augen des vor Schmerz Erblindeten wieder sehend macht.

Joseph von Eichendorff, dessen Lied „O Täler weit o Höhen“  ich gern beim Spazierengehen am U-Bahn-Hof Felix-Mendelssohn-Park in Kreuzberg singe und summe, streift in diesen Gedichten alles Gefällige, als Romantisch-Hübsche ab. Das ist keine dörfliche Idylle, das ist kein Dorf-Arkadien. Es sind die Stadt-Arkaden. Das ist kein Eichendorf, das er auf ein Stück altes Lindenholz malt. Es ist sperrig, dunkel, untröstlich. Es ist Eichendorff. Und deswegen passt Eichendorff so herrlich in die Shopping-Malls, in die Arkaden am Potsdamer Platz. Jetzt weißt du es, mein Kind.

Und so lautet das ganze Gedicht:

Aus der Heimat hinter den Blitzen rot
Da kommen die Wolken her,
Aber Vater und Mutter sind lange tot,
Es kennt mich dort keiner mehr.

Wie bald, ach wie bald kommt die stille Zeit,
Da ruhe ich auch, und über mir
Rauscht die schöne Waldeinsamkeit,
Und keiner kennt mich mehr hier.

Hier kannst du das Lied nachlesen. Lies das Gedicht, lies das Lied mit deinen Augen. Dann – singe! Singe das Lied, und dann kennt dich mindestens der, der dir zuhört. Singe, wenn du einsam bist, und du wirst erkannt.

Robert Schumann: Liederkreis op. 39.: I: In der Fremde. In: Robert Schumann: Lieder I. Für eine Singstimme mit Klavierbegleitung. Nach den Handschriften und Erstdrucken herausgegeben von Max Friedlaender. Ausgabe für tiefe Stimme. C.F. Peters, Frankfurt/M. u.a.,  o.J., S. 58-59

Foto: Die Joseph-von-Eichendorff-Gasse an den Potsdamer-Platz-Arkaden. Aufnahme von heute.

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Der befremdliche Eichendorff in der Fremde

 Eichendorff, Europäisches Lesebuch, Hass und Hetze, Russisches, Sezession, Singen, Versöhnung  Kommentare deaktiviert für Der befremdliche Eichendorff in der Fremde
Aug. 072014
 


 

„Von wem stammt der Text zu dem Lied von Felix Mendelssohn Bartholdy, das Du am Sonntag vormittag zur Klavierbegleitung sangst? In diesen Worten steckt so viel Verqueres, Befremdliches, Schweres und wunderbares Erleichterndes!“

Antwort, o Schwester: Das Gedicht von Eichendorff hat mich ebenfalls befremdet und rührt mich weiterhin befremdlich an. Besonders stark befremdend fiel es mich an, als ich kürzlich, mitten in den hundertjährigen Kiefernwäldern von Nikolina Gora, mit lauter Russen und Ukrainern Fußball spielte. Die russisch-ukrainisch-deutsch-europäischen Amateur-Fußballmanschaften spielten achtsam, fair, ohne den verbissenen Ernst der Politiker auf dem kleinen Kunstrasenfeld. Wir verstanden uns prächtig – die Russen, die Ukrainer, der eine Holländer, der eine hier schreibende Deutsche.

Da draußen aber, stets betrogen, rauschte erbarmungslos die geschäftige Welt, Ost und West überziehen einander wieder einmal gegenseitig mit Sanktionen und mit dem Vorwurf der Lüge, man versucht den jeweils anderen in die Ecke des Foul-Spielers zu stellen. Und draußen rauschte unaufhörlich die Rubljowka. Die Stimme Eichendorffs verhallt ungehört.

Die Musik ist von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Das ist es, das Gedicht von Eichendorff, das ich in Nikolina Gora summte und sang:

Abschied.

O Thäler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt´ger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft´ge Welt,
Schlag‘ noch einmal die Bogen,
Um mich, du grünes Zelt!

Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Daß dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!

Da steht im Wald geschrieben,
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Thun und Lieben
Und was der Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Ward´s unaussprechlich klar.

Bald werd‘ ich dich verlassen,
Fremd in der Fremde gehn,
Auf buntbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernst’s Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.

Joseph von Eichendorff: Abschied. Zitiert nach: Das deutsche Gedicht. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Herausgegeben von Wulf Segebrecht unter Mitarbeit von Christian Rößner. S. Fischer Verlag, o.O. 2005, S. 224-225

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Capri, Sonne. Mein Liederzettel vom 28. Juli 2014

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Juli 292014
 

28. Juli – Geburtstag meiner Mutter.  Der richtige Tag, um altes Liedgut zu hegen und zu pflegen. Einige der Lieder sind übrigens älter als wir und 5 Bewohner im Pflegeheim zusammen. Ich sang gestern am Geburtstag meiner Mutter mit den Alten und für die Alten „O Täler weit o Höhen“ von Joseph von Eichendorff/Felix Mendelssohn Bartholdy, „Nun danket alle Gott“ von Paul Gerhardt/Johann Crüger. Sowie zu guter Letzt zum Ausklang die unverwüstlichen „Capri-Fischer“ von Ralph Maria Siegel/Gerhard Winkler. Alles gut. Alles paletti. Schmeckt. Ein guter Tag, der 28. Juli, mag die Weltgeschichte auch in diesen Tagen  anderes im Sinn haben. Ich setzte die Capri-Fischer dagegen, gegen das Juli-Ultimatum vom Kaiser vom 28. Juli 1914, und trank eine Capri-Sonne darauf.

Mendelssohn, Crüger, Winkler – alles in ihrer unverwechselbaren Art vortreffliche Komponisten, die wir nie vergessen dürfen!

 Posted by at 07:52
Juni 202011
 

… so hoch da droben?“ Sehr schöner Artikel  über die Forstakademie Tharandt heute in der Süddeutschen Zeitung auf S. 9! Unbedingt lesenswert! Herrliches Bild „Einsamer Baum“ von Caspar David Friedrich! Online leider nicht abrufbar, Kauf der Druckausgabe lohnt sich aber.

Burkhard Müller greift unter dem Titel „Die Schönheit des Waldbaus“ in seinem Bericht über 200 Jahre „Forstakademie Tharandt“ die zentralen Themen der deutschen Forstwirtschaft auf: Nachhaltigkeit, Biodiversität, Monokultur, Naturschutz, behutsame Walderneuerung.

Joseph von Eichendorff dichtete in genau jenen Jahren eins der ersten Wald-Lobpreis-Gedichte – Hunderte andere von Dutzenden anderen Dichtern werden dann folgen! Felix Mendelssohn Bartholdy, der im tiefsten Geschoß, 500 Meter von meinem Kreuzberger Ansitz, ruht, hat das großartige Nachhaltigkeitsgedicht 1841 in Melodie gesetzt.

Nachrichten aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport – sueddeutsche.de

Die Jahre um 1810 sind die Gründerjahre des forstwirtschaftlichen Nachhaltigkeitsgedankens!  Von Tharandt aus trat das Leitbild der nachhaltigen Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen seinen Siegeszug an – bis nach Cuba, Vietnam, Litauen, Russland, Polen – ja sogar in den Mittelmeerraum.

Bild: Einsamer Baum im Havelland, aufgenommen im Jahr 2007.

 Posted by at 12:36