Bioturbation: das immerwährende Sich-Umschaffen der Natur

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Sep 162023
 

Wasserbüffel beweiden die Pfaueninsel in der Havel im Südwesten Berlins. Aufnahme des Verfassers vom 3. Juli 2019.

Schaut hier hin: Großtiere wie diese Weidetiere schufen und schaffen durch Betreten, Äsen, Scharren, Wühlen, Absondern von Dung eine Vielzahl an kleinräumigen Habitaten für eine Unzahl an Lebewesen, von den humusbildenden Mikroben, den Asseln, Würmern, Insekten, den Kleinsäugern wie Mäusen, Hamstern bis hin zu den Beutegreifern wie Fuchs, Wolf, Habicht und Fischadler. Auch die vielgerühmte Schwarzerde der Ukraine, der Kornkammer der Welt, wie wir sie nennen dürfen, ist so entstanden!

Über diesen einst die Landschaften Europas und aller Kontinente prägenden Wirkzusammenhang schrieb Jan Haft im Jahr 2023:

„Unterirdisch lebende Tiere wie Regenwürmer, Käferlarven, Maulwürfe, Hamster, Ziesel und andere verfrachten den Humus beim Wühlen in immer tiefere Erdschichten. Dabei bringen sie Gesteinsbrocken und damit Mineralien an die Oberfläche und machen sie für die Pflanzen verfügbar. Hierfür gibt es sogar einen eigenen Fachbegriff: „Bioturbation“. Auf diese Weise sind überall auf der Welt mehrere Meter tiefe Braun- und Schwarzerdeböden entstanden, voller Humus und voller Kohlenstoff. Die Existenz dieser Böden beweist ihrerseits, dass es die offenen, von Großtieren dominierten Savannen gab. Sei es in der amerikanischen Prärie und Pampa oder den Steppen in Afrika, Asien, Australien und Europa.

Die wichtigsten Getreideanbaugebiete befinden sich heute im Bereich dieser Schwarzerden, von denen ein Drittel in der Ukraine liegt. So könnte man sagen dass die Menschheit ihre Nahrung zu einem beträchtlichen Teil den von ihr ausgerotteten Weidetieren zu verdanken hat.“

Zitatnachweis:
Jan Haft: Wildnis. Unser Traum von unberührter Natur. Penguinverlag, München 2023, Seite 66

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„Das Virus muss irgendwann laufen, aber vielleicht…“ Drostens goldene Worte

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Jan 152022
 
Sonnenuntergang, der den Wintertag endet – sei willkommen, o du des Todes heiterster, goldener Vorgeschmack! Aufnahme vom 14.01.2022

Gute, besonnene, zur Aussöhnung einladende Worte des Virologen Prof. Dr. Christian Drosten werden übereinstimmend durch verschiedene Medien aus der Bundespressekonferenz vom 14.01.2022 berichtet! Besonders gefällt mir Prof. Drostens kleines, machtvolles Wörtchen vielleicht. Mit diesem aber vielleicht setzt Prof. Drosten ein virtuelles Fragezeichen hinter die gesamte derzeitige Gemengelage der in sich nicht mehr durchschaubaren, einander im Stunden-, Tages-, und Wochentakt widersprechenden, für einfache, fachlich ungebildete Bürger wie den hier schreibenden nicht mehr entwirrbaren Vorschriften, Vorschläge, Entwürfe – und bissigen Meinungskämpfe.

Es tut einem einfachen, völlig ungebildeten Bürger wie dem hier schreibenden so gut auch mal zu hören: „Wir wissen es nicht. Vielleicht ist es so, vielleicht ist es auch anders. Vielleicht haben wir recht. Vielleicht täuschen wir uns.“

Mehr solcher O-Töne sind erwünscht!

Wir zitieren Prof. Drosten aus der gestrigen Pressekonferenz:

„Wir werden nicht auf Dauer über alle paar Monate die Bevölkerung nachimpfen können. Das geht nicht. Irgendwann muss das Virus auch in der Bevölkerung Infektionen setzen, und das Virus selbst muss die Immunität der Menschen immer wieder updaten.“ – „Das Virus muss irgendwann laufen, aber vielleicht darf es das jetzt noch nicht.“

„Bisogna convivere con il virus“, so äußerte sich bereits am 2. April 2020 der Mailänder Virologe Prof. Fabrizio Pregliasco, ein Berater der italienischen Regierung. Er forderte schon damals eine schiedlich-friedliche Koexistenz mit dem Virus, selbstverständlich unter Einhaltung aller gebotenen Vorsicht und Rücksicht.

Ich würde einen Schritt weitergehen und im Plural sagen: Bisogna convivere con i virus – auf gut deutsch: Es gilt, mit den Viren zusammenzuleben. Koexistenz, Koevolution mit den tausenden, hunderttausenden von Viren, die uns Tag und Nacht umgeben und auch unseren Körper innen und außen besiedeln.

Selbstverständlich – so meine ich – sollte jeder Einzelne nach bestem Wissen und Gewissen versuchen, sich selbst und andere zu schützen – durch Vorsicht, Rücksicht, durch Impfungen. Aber eine absolute Gewissheit wird es nicht geben, kann es in der Koevolution mit den zahllosen Viren nicht geben. Sie sind schneller als wir alle.

Eine virenfreie Welt – „Zero COVID“ – ist für uns weder machbar noch wünschenswert – genauso wenig wie ein kohlendioxidfreies Berlin, wie es die Berliner GASAG sich im November 2019 allen Ernstes nicht entblödet hat als ihr Ziel zu proklamieren und zu plakatieren.

Viren – diese unendlich wandlungsreichen, zwischen lebendem Organismus und unbelebter Materie oszillierenden Wesenheiten – gibt es schon länger als es den Menschen gibt!

Man also muss dem Virus auch mal die Freiheit lassen zu laufen… Christian Drostens und Fabrizio Pregliascos goldene Worte, die zur rechten Zeit gekommen sind, könnten als Türöffner für die Neueröffnung des Raumes der Freiheit dienen.

Quellenangaben:
La diretta di RAINEWS24, Sendung STUDIO24, 02. April 2020, 10.05-10.45 Uhr

Omikron-Welle: Drostens zentrale Botschaft ist ein politischer Paukenschlag – WELT

„GASAG. Für ein kohlendioxidfreies Berlin!“ Echt jetzt? – Schöneberger Blog (johanneshampel-online.de)

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Quellorte europäischer Geschichte – ein Neustädter Spaziergang

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Okt 262021
 
Prager Neustadt, Straße U nemocnice. Am Gebäude der medizinischen Fakultät entdeckte ich heute diese Gedenktafel für Franz Hofmeister, der Ende des 19. Jahrhunderts an der Prager Universität ein Modell zur Struktur von Eiweißen mithilfe von Peptidbindungen erarbeitete. Wir sehen hier die nach ihm benannte „Hofmeister-Reihe“, die die chaotrope Wirkung von Ionen auf Makromoleküle in wässriger Lösung angibt.

Soeben in dienstlicher Mission in Prag angekommen, erkunde ich erst einmal die Neustadt, in der ich untergebracht bin. Von der Katherinenstraße ausgehend, schlendere ich am riesigen Komplex des Krankenhauses entlang. Der Chemiker Franz Hofmeister forschte und lehrte genau hier, wo ab und zu ein Sanka in die Patientenaufnahme hineinfährt.

Man könnte sagen: Er wollte wissen, was die Eiweiße im Innersten zusammenhält – und seine Lösung lautete: Peptidbindungen! Eine Modellvorstellung, die bis heute Anwendung findet, nahm also von Prag aus ihren Ursprung, wie so vieles andere auch! Die goldenen Lettern dokumentieren diesen unvergänglichen Ruhm Franz Hofmeisters.

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Freedom for Fruit Flies?

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Sep 112020
 

Today, I would recommend reading a paper by biologist Björn Brembs, published in December 2010 in the renowned Proceedings of the Royal Society – B Biological Sciences.

Björn Brembs: Towards a scientific concept of free will as a biological trait: spontaneous actions and decision-making in invertebrates.Proc. R. Soc. B 22 March 2011 vol. 278 no. 1707 930-939

In simple terms, the author examined the following question: Do fruit flies have something like freedom of will? The author analyzed whether fruit flies have the ability to choose between alternative actions. According to a trivial assumption, animals of the same species will always take the same decisions if they are in excactly the same starting position. Therefore, hungry fruit flies would always move towards a possible food source.

Surprisingly, this is not the case! In the experiments, there were always some animals that showed a deviation from the expected regular behavior. We can gather that even in simple stimulus-response situations, where a basic stimulus is likely to be answered by a highly predictable reaction, there will be individuals deviating from the crowd. We will always find curious outliers among the fruit flies. Most of the times, they amount to roughly 20 percent of the respective group.

But there is more to come! If these 20 percent of the test flies are excluded and the remaining individuals are exposed to a new experiment, the deviation rate is about the same.

Flies thus seem to seek solutions to problems – instead of simply having instincts guide them. Björn Brembs concludes:

The fly cannot know the solutions to most real-life problems. Beyond behaving unpredictably to evade predators or outcompete a competitor, all animals must explore, must try out different solutions to unforeseen problems. Without behaving variably, without acting rather than passively responding, there can be no success in evolution.

The behavior of insects is never fully predictable, even in the simplest standard situations. It seems that insects have a kind of discretionary power. The freedom of trial and error gives the species an evolutionary advantage.

Decisions for or against something seem to be possible even in the largest sub-group of the animal kingdom, in the sense that invertebrate animals are not neuronally determined in their behaviour. Under absolutely identical initial conditions, genetically similar or genetically identical insects „decide“ differently even in fundamental questions of existence – for example, whether they should fly into the light or away from it!

Neurobiology – this lead science, which is so extremely hip at the moment – discusses whether something like free will can still be allowed or justified. Will freedom of will one day become obsolete, since it is becoming increasingly clear why our brain reacts the way it does?

In my opinion, Brembs‘ paper proves that neuronal processes in animals do not clearly determine their actual decision to act.

For the age-old philosophical problem of the freedom of will in humans, I think I may resume these considerations in the following words:

A biological proof that we do not have free will cannot be provided. Many findings seem to indicate that not only we humans, but also animals can use a considerable scope for decision. The fact that we can actually decide, that we are endowed with freedom of will, that we are to a large extent „masters of our own actions“, is a basic concept that is accessible through subjective introspection. Moreover, it cannot be refuted by scientific experiments.

In saying so, we do not deny that acts of will are inextricably bound to material processes – i.e. ultimately to processes among neurons, synapses, messenger substances and excitatory potentials in the brain. But these processes are only substrates, carrier substances of the will.

Any human individual is free to a considerable extent. He or she decides to do something – or decides not to. Only through such a concept of freedom will responsibility become a justifiable philosophical option. By the same token, morality, the differentiation between right and wrong become conceivable only if we accept this fundamental principle of freedom. Thus, for instance, hardly anyone will concede an excuse to a murderer if she or he claims: „I just had to kill! I was overtaken by the impulse to kill!“

Apart from few cases of utter madness or mental incapacity, we will always say: „The murderer did not have to kill. He or she must answer for the consequences of their actions.“

In this sense, I am strongly committed to the concept of human freedom.

Picture: Kreuzberg blogger talking to Berlin children about freedom, good and evil in Mozart’s Magic Flute. Picture taken at Lomonosov Elementary School Berlin in 2011

This post was originally published here on 11 February 2011. Re-edited and translated from German by this blog’s author.

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„Wie kann der Wandel zu einer CO2-freien Welt gelingen?“, oder: Der Club der Atmer tagt

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Jan 252020
 
EUREF-CAMPUS, Berlin-Schöneberg, November/Dezember 2019

Für ein CO2-freies Berlin.“ Mit diesem kraftvoll-knackigen Spruch setzt sich die Berliner GASAG, das bedeutende Berliner Energie-Unternehmen, für die Beseitigung des gesamten Kohlendioxids aus der Berliner Luft ein.

Die Tagesschau, jenes vielgerühmte Nachrichtenmagazin des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, unterstützt und erweitert diese Forderung nach vollständiger Befreiung nicht nur Berlins, nicht nur der Atmosphäre, nicht nur des Planeten Erde, sondern der Welt insgesamt von allem Kohlendioxid ins Grenzenlose.

Die Tagesschau der ARD fasst nämlich am 23.01.2020 in einem redaktionell bearbeiteten Bericht zum Davoser Weltwirtschaftsgipfel ein Hauptanliegen des Treffens mit folgenden Worten aus dem Off zusammen:

Es ist eine der Kernfragen von Davos: Wie kann der Wandel zu einer CO2-freien Welt gelingen?

Schauen wir es uns an! Kohlendioxid, ein farbloses, geruchloses, ungiftiges, für den Menschen in den üblichen Konzentrationen unschädliches Gas, entsteht durch Oxidationsvorgänge, bei denen sich ein Kohlenstoffatom mit zwei Atomen Sauerstoff verbindet. Bei jedem Verbrennungsvorgang, der unter Kohlenstoffbeteiligung abläuft, wird Kohlendioxid freigesetzt. Organisches Leben tierischer Organismen, wie wir es kennen, setzt ebenfalls unvermeidlich Kohlendioxid frei.

Betrachten wir zum Beispiel – das Atmen! Die Atmung ist ein Gasaustausch zwischen einem Tier (z.B. dem Menschen) und der umgebenden Atmosphäre. Die Atmung bedeutet eine Entnahme von Sauerstoff aus der eingeatmeten Luft, den Verbrauch dieses Sauerstoffes im körperinneren Stoffwechsel sowie die Abgabe von zusätzlichem, als Abfallprodukt entstandenem Kohlendioxid durch Ausatmen. Jeder Atemzug, den wir Menschen tun, erhöht naturnotwendig den Kohlendioxidanteil der aus unseren Lungen freigesetzten Abluft.

Jeder Verbrennungsvorgang mit kohlenstoffhaltigem Brennstoff, z.B. mit Holz, Pappe, Benzin, Kohle, Gas setzt ebenfalls zusätzliches Kohlendioxid frei.

Damit rücken wir einer Antwort auf die in der Tagesschau genannte Hauptfrage des Davoser Treffens näher: „Wie kann der Wandel zu einer CO2-freien Welt gelingen?“

Vorläufige Antwort: Es ist sicherlich nicht einfach, eine kohlendioxidfreie Welt zu erreichen. Zwei Vorbedingungen sind dafür aber unbedingt zu nennen:

Man verbiete oder beende einfach die Verbrennungsvorgänge jeglicher Art mit kohlenstoffhaltigen Brennstoffen wie Pappe, Holz, Gas, Kohle usw.

Man verbiete und beende zweitens das Atmen aller Tiere einschließlich des Menschen.

Damit ist freilich das angestrebte Ziel der CO2-freien Welt noch nicht erreicht. Aber zwei erste Schritte wären immerhin getan.

Wollen die GASAG, der Davoser Gipfel, die ARD-Tagesschau dies wirklich?

„Wie lange möchte uns das Denken wohl noch erlaubt bleiben?“, so fragte eine anonyme Karikatur unter dem Titel „Club der Denker“ aus dem Jahr 1819.

Wir dürfen in genau diesem Sinne im „Club der Atmer“ zu Beginn des Jahres 2020 fragen: „Wie lange möchte uns das Atmen wohl noch erlaubt bleiben?“

Beleg:

ARD, Tagesschau-Sendung, 23.01.2020, 20.00 Uhr Timecode: 09:45ff

https://www.ardmediathek.de/daserste/player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3RhZ2Vzc2NoYXUvOWM5YTgzOTctODNmMS00YjNjLWJjMGEtNTE1ZWQyYjk2MjQw/tagesschau-20-00-uhr

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„GASAG. Für ein kohlendioxidfreies Berlin!“ Echt jetzt?

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Dez 102019
 
„GASAG. FÜR EIN CO2-FREIES BERLIN.“ Plakat der GASAG an einem Rohbau auf dem EUREF-Campus. Berlin-Schöneberg, Aufnahme vom 04.11.2019

Geradezu irre, manische, ja manichäische Züge nimmt mittlerweile der erbitterte Kampf gegen das Kohlendioxid an! Was ist etwa von dem Slogan „Für ein CO2-freies Berlin“ zu halten, wie ihn seit Wochen am hellichten Tag die GASAG verkündet?

Fragen tauchen auf! Hat Berlin eine eigene Atmosphäre? Kann die Stadt sich in einer Blase abkapseln, um wirklich ganz kohlendioxidfrei zu werden? Man möchte es meinen! Kaum zu fassen, die Entfernung des gesamten Kohlendioxids würde das Ende des organischen Lebens in dieser Stadt bedeuten. Das wird jeder Biologe, jeder Naturwissenschaftler bestätigen. Wollen wir das?

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Wunder der Photosynthese, Wunder des Lebens

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Mrz 222019
 
Die ersten Blättchen entrollen sich an einem Rosenstrauch. Schöneberg, Natur-Park Südgelände, 21.03.2019

Woher das Leben? Woher diese ungeheuerliche Kraft, mit der diese Strauchrose genau gestern, am 21. März 2019 ihre Blätter nach dem Scheintod des Winters austreibt? Ich kam nicht umhin, ins Staunen zu versinken, als wäre dies der erste Frühling, den ich erlebte, als wäre dies der letzte Frühling, den ich erlebte.

Ringsum herrscht noch metallene Glätte, Rauhheit – dieser Strauch wagt sich hervor!

Dahinter steckt nicht zuletzt auch das Wunder der Photosynthese. Kohlenstoffdioxid, dieses derzeit so viel gescholtene, so übel beleumundete Molekül, das völlig zu unrecht als „klimaschädlich„, als „Klimakiller“ oder gar als „Klimagift“ oder gar als „Gift“ angeschwärzt und verteufelt wird, ist der Ausgangsstoff dieses Prozesses, der weltweit das gesamte Leben der Tierwelt einschließlich des Menschen trägt und buchstäblich nährt. Durch Photosynthese stieg im Laufe der letzten beiden Milliarden Jahre der Sauerstoffgehalt auf die heutigen 21%, die uns Säugetieren ein ruhiges Ein- und Ausatmen ermöglichen.

Nur etwa 0,038 Volumenprozent der heutigen Erdatmosphäre sind Kohlenstoffdioxid, also Kohlendioxid, das als der entscheidende Feind gilt, den die gesamte Klimapolitik mit wilder Entschlossenheit niederringen will. Denn Messungen haben ergeben, dass der Kohlenstoffgehalt der Luft etwa ebenso schnell steigt wie die mittlere Lufttemperatur. Daraus leiten die meisten ernstzunehmenden Wissenschaftler eine Ursache-Wirkungs-Beziehung ab und erklären den Anstieg des Kohlenstoffgehaltes zum Haupttreiber des derzeit zu beobachtenden Klimawandels. Alle zwischenstaatlichen Klimaschutzabkommen, die gesamte Klimapolitik drehen sich um die Vermeidung des Anstieges des Kohlenstoffgehaltes in der Atmosphäre.

Das überragende Ziel der klimapolitischen Maßnahmen ist die Verhinderung der Zunahme des CO2-Gehaltes in der Luft und damit die erhoffte Begrenzung des Anstiegs der mittleren Lufttemperatur auf 2,0 bzw. besser 1,5 Grad Celsius.

Als einer von zahllosen Belegen dafür sei die Stellungnahme der 18.000 deutschsprachigen Scientists for Future angeführt, wo als die eindeutige, ja einzige operative Richtschnur jeder Klimapolitik zum tausendsten oder auch abertausendsten Male die möglichst radikale Absenkung der Kohlendioxidemissionen (und anderer Treibhausgasemissionen) angegeben wird:

Es kommt nun darauf an, die Netto-Emissionen von CO2 und anderen Treibhausgasen schnell abzusenken und welt­weit spätestens zwischen 2040 und 2050 auf null zu reduzieren. Eine schnellere Absenkung erhöht hierbei die Wahrscheinlichkeit, 1,5 °C zu erreichen. Die Verbrennung von Kohle sollte bereits 2030 fast vollständig beendet sein, die Verbrennung von Erdöl und Erdgas gleichzeitig reduziert werden, bis alle fossilen Energieträger durch klima­neutrale Energiequellen ersetzt worden sind. Unter Berücksichtigung von globaler Kli­magerechtigkeit müsste in Europa dieser Wandel sogar noch deutlich schneller ablau­fen.

https://www.scientists4future.org/stellungnahme/

Hierzu ist freilich zu sagen, dass CO2 weder giftig noch ein Klimakiller ist. Es gibt selbstverständlich die wandelbare Erdatmosphäre, also Klimawandel der einen oder anderen Art auch ohne Kohlendioxid. Mehr noch: Kohlendioxid ist ein notwendiger Ausgangsstoff für das gesamte heterotrophe Leben, also für alle Lebewesen, die ihre Nahrung nicht durch Photosynthese selbst erzeugen können, darunter wir Menschen.

Doch diese Überlegungen sollten uns nicht daran hindern, mit ungeheurer Freude das Erwachen des Frühlings zu preisen!

Sei mir willkommen, Frühling, du lang ersehnter Gast! Dank an den Strauch im Schöneberger Süd-Park, danke an die 0,038 Volumenprozent Kohlenstoffdioxid, danke an die 21 Volumenprozent Sauerstoff, Dank an den Sauerstoff, der in meinen Adern rinnt, während ich hier dies schreibe!

Freude!

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Wo findet man sonst noch so herrliche Borkeninseln?

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Jan 012019
 

Borkeninseln einer älteren Plattenkiefer am Scharmützelsee bei Wendisch Rietz, 31.12.2018

Die märkische Plattenkiefer, ein hier im Wald rings um den Scharmützelsee heimischer Baum, eine Varietät der Waldkiefer (pinus sylvestris), erfreute mich gestern sehr! Diese Varietät kann bis zu 400 Jahre alt werden und ist ausgezeichnet an Klima und Boden dieses Standortes angepasst. Dicht an dicht gefügt sind die passgenau zueinander wachsenden Borkeninseln. Die Krone wirkt ausladender und unregelmäßiger, zugleich auch üppiger als die der Gewöhnlichen Waldkiefer.

Ich sah an Silvester mehrere Buntspechte eifrig an der Borke von Plattenkiefern auf Nahrungssuche hacken und emsig auf und ab klettern. Meine Hand glitt gestern über diese vom Borkenbild der Gemeinen Wald-Kiefer so deutlich abweichende, fast wie genäht anmutende, glatte Borkenoberfläche, wie man sie in märkischen Wäldern ganz selten zu fassen bekommt. Was für ein Unterschied zu der rissig abblätternden, schuppenartig abplatzenden Rinde unserer gewöhnlichen Waldkiefer!

Aber handelt es sich bei der Plattenkiefer wirklich um eine Varietät der Art Pinus sylvestris, oder liegt eine eigene Art vor? Wuchsform, Kronenbild, vor allem aber die Borke weichen so grundsätzlich von der Gewöhnlichen Wald-Kiefer ab, dass ich geneigt bin, die Plattenkiefer für eine eigene biologische Art zu halten. Hierzu scheint der folgende, mir nicht vorliegende Aufsatz Stellung zu nehmen:

Kohlstock, Norbert / Hertel, Heike: Ist die Plattenkiefer eine Besonderheit unter den Kiefern?

Erschienen in: Brandenburgische Forstnachrichten
Vol. 5, H. 52-53 (1996), S. 20-21

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Getragen von der Dünung der Zeit

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Dez 302018
 
Die Binnendüne Waltersberge am 30.12.2018

Getragen, gehoben, aufgestiegen auf den Wellenkamm der Zeiten unserer Erde! Während des Saale-Komplex genannten kalten Erdzeitalters, also vor etwa 300.000 bis vor etwa 130.000 Jahren, bedeckte ein wohl bis zu 1000m mächtiger, hin und her wogender Eispanzer diese Gegend am Scharmützelsee. Wir bestiegen heute nach höchst erfreulicher, abwechslungsreicher Wanderung durch die Rauener Berglandschaft die Binnendüne Waltersberge im Ort Storkow.

Hier oben erahnte ich die mächtige, unsere Fassungskraft übersteigende Zeitdauer, die ihrerseits in den etwa 4,7 Milliarden Jahren, seit denen unser Planet Erde besteht, nur einen Wimpernschlag darstellt. Wie winzig ist die Zeitdauer der beiden letzten Tage des Jahres 2018, die wir bei gelinden 4 bis 6 Grad und nur gelegentlich stäubendem Nieselregen gerade erleben dürfen. Wie dankbar bin ich, dies alles erahnen und umspannen zu dürfen!

Feinkörniger Sand wurde aufgeblasen, als sich die gewaltigen Eismassen zurückzogen; es bildeten sich Höhenzüge, Dünen, die wir heute als erstarrte Landschaftswellen mit Fuß und Aug erlebten! Großartig, erhebend, der Geist ward frei, erhob sich und spannte weit seine Flügel aus.

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Vorsichtiges Staubwischen erlaubt: im Haberlandstraßenland

 Deutschstunde, Einstein, Latein, Naturwissenschaften, Philosophie, Schöneberg, Sprachenvielfalt  Kommentare deaktiviert für Vorsichtiges Staubwischen erlaubt: im Haberlandstraßenland
Jun 152018
 


Kurzes Innehalten auf dem Fahrrad heute beim Befahren der Bamberger Straße, beim Nachsummen einiger Wortgleichungen verschiedener Sprachen. Nachsinnen über einige Probleme der sprachanalytischen Philosophie.

Alfred Tarski sagt: „If the domain A is infinite, then a sentence S of the language L is correct in A if and only if S is deducible from T and the sentences saying that the number of elements of A is not any finite number.“ Tarskis Wahrheitsbegriff scheint also axiomatisch von einer Mehrheit von Sprachen auszugehen. Wir könnten nur dann von Wahrheit begrifflich sprechen, wenn wir von einer Mehrheit an Sprachen ausgingen? Und ohne Übersetzbarkeit bliebe jede Aussage über etwas Nichtsprachliches sinnlos?

Hmmm. Du hältst dein Fahrrädle an. Wolltest du hier in Schöneberg nicht noch jemandem einen Besuch abstatten, der nicht mehr hier wohnt? Wer war dies doch, hier um die Ecke in der Haberlandstraße 5, der heutigen Haberlandstraße 8? Was würde der ehemalige Bewohner wohl zu dem Wahrheitsbegriff Alfred Tarskis sagen?

Von September 1917 bis Dezember 1932 wohnte er hier. Vor hundert Jahren wäret ihr Bezirksnachbarn gewesen.

Eines ist sicher: Sein Deutsch ist eine der besten deutschen Sprachen, die du letzthin gelesen hast. Seine persönlichen Briefe, die du gerade liest, bersten von Heiterkeit, funkeln vor Ironie, bisweilen unflätig wie Mozarts Bäslebriefe, sie sind durchtränkt von unvordenklicher, unauslotbarer Schwermut. Sein wissenschaftliches Deutsch hingegen ist streng und trocken, dabei in Satzbau und Genauigkeit des Wortschatzes durchaus ebenbürtig dem Lateinischen eines Titus Livius, eines Marcus Tullius Cicero. Professorendeutsch im besten Sinne! Sowohl in seinen Briefen wie in seinen wissenschaftlichen Schriften ist der Vf. auch heute noch durchaus empfehlenswert. Lesenswert und hinreißend!

Ja, hier war es, und du kannst es dir vorstellen. Über das Turmzimmer in der Haberlandstraße kannst du lesen:

„Regale voller Bücher, Zeitschriften und Seperatdrucken, ein wenig erhöht auf einem Podest vor einem der beiden kleinen Fenster ein Schreibtisch und ein Stuhl, und an den Wänden Drucke von Isaac Newton und Michael Faraday. Dies war sein war sein Reich, wo nicht aufgeräumt werden durfte, sondern nur vorsichtiges Staubwischen erlaubt war. Hier hat er gearbeitet, die ihm genehmen Gäste empfangen, und hier residierte auch das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik.“

Videoaufnahme: heute, Klock 12, Haberlandstraße 8, Schöneberg

Zitate:
zu Tarski:
https://plato.stanford.edu/entries/tarski-truth/

zur Haberlandstraße:
Albrecht Fölsing: Albert Einstein. Eine Biographie. Suhrkamp, 7. Auflage, Frankfurt 2017, S. 481

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Sep 282017
 

Kaum beachtet, meist verwechselt, schwer zu benennen, schwer zu erkennen: die Echte Mehlbeere. Wer achtet ihrer? Wer kann sie von einer Holz-Birne oder einer Echten Mispel sicher unterscheiden? Du, der Du dies liest? Ihr dort draußen? Ich nicht!

Wie dem auch sei – es gibt bei uns in der Schöneberger Heimat nicht nur die Robinie, die Weide, die Esche, die Kastanie, die Buche, sondern eben auch sie: die Echte Mehlbeere. Wie tüchtig ist sie doch! Wie klug schützt sie sich vor dem Klimawandel! Denn ihr Haarfilz auf den Blättern setzt die Verdunstung herab und ermöglicht es dem Baum, auch in sandiger Ödnis zu wachsen. Das ist wichtig, ja vorbildlich in Zeiten der Erderwärmung!

Mein gutes, kenntnisreiches Biologen-Ehepaar schreibt: „Die mehlig-weichen, fad schmeckenden Früchte, sind zwar essbar, eignen sich aber nur als Notnahrung. Getrocknet und vermahlen mischte man sie früher unter das Mehl, um Brot zu backen. Auch für die Gewinnung von Essig lassen sie sich verwenden.“

Mir kam ein Wandersang in den Sinn:

O ihr essigsauren Früchte, ich schätze euch sehr! Mir sollt ihr in Zeiten der Not willkommen sein! Wieviele hungrigen Mägen sättigtet ihr schon? Wie oft stilltet ihr das Geschrei der unmündigen Kindlein? Dein unten silberweiß behaartes Blatt, Aria, nötigt mir Ehrfurcht und Scheu ab wie das spärliche aschene Haar meiner Urgroßmutter Shulamith.  Sei mir gepriesen, Sorbus aria, sei mir gelobt und sei mir gesegnet, du echte, trutzige, nährende Beere! Andere starben, du lebst und wirst leben!

 

Bild: Echte Mehlbeere, Sorbus aria im Schöneberger Natur-Park Südgelände. 28.09.2017
Zitat:
Echte Mehlbeere. Sorbus aria (Rosengewächse), in: Margot und Roland Spohn: Welcher Baum ist das? Kosmos Naturführer, Stuttgart 2014, S. 111

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„Feldspat, Quarz und Glimmer, die drei vergess ich nimmer“

 Goethe, Harzreise im Winter, Naturwissenschaften, Philosophie  Kommentare deaktiviert für „Feldspat, Quarz und Glimmer, die drei vergess ich nimmer“
Jan 122017
 

Aus drei Bestandteilen – Feldspat, Quarz, Glimmer – setzt sich das Mischgestein Granit im Grundsatz zusammen. Diese ältere Einsicht gilt auch heute noch im wesentlichen.

Goethe selbst hielt den Granit bis in die 20er Jahre des 19. Jahrhunderts für das Urgestein der Erde, das unerschütterlich bis in den Erdkern hineinreiche. Allerdings wurde er nach und nach von Fachkollegen der Geologie eines besseren belehrt. Der Granit – so wissen wir heute – ist mitnichten das Urgestein der Erde, sondern selbst das Ergebnis älterer metamorpher Vorgänge in den Tiefenschichten der Erde.

Ein Blick auf „Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften“ von 1830 bietet einen späten Nachhall jener spekulativen Anstrengung, die bemüht ist, die Gesamtheit aller Erscheinungen das Alls, von der unbelebten geologischen Natur bis hin zum Geist zu durchmessen, zu durchschreiten, zu „schauen“.  Auch Hegel lässt noch die „Geologische Natur“ mit dem Granit beginnen, genauer, mit dem „granitischen Prinzip“.   Er schreibt in § 340:

Die physikalische Organisierung beginnt als unmittelbar nicht mit der einfachen, eingehüllten Form des Keimes, sondern mit einem Ausgang, der in einen gedoppelten zerfallen ist, in das konkrete granitische Prinzip, den die Dreiheit der Momente in sich schon entwickelt darstellenden Gebirgskern, und in das Kalkige, den zur Neutralität reduzierten Unterschied. Die Herausbildung der Momente des ersteren Prinzips zu Gestaltungen hat einen Stufengang, in welchem die weiteren Gebilde teils Übergänge sind, in denen das granitische Prinzip die Grundlage, nur als in sich ungleiche und unförmliche, bleibt; teils ein Auseinandertreten seiner Momente in bestimmtere Differenz und in abstraktere mineralische Momente, die Metalle und die oryktognostischen Gegenstände überhaupt, bis die Entwicklung sich in mechanischen Lagerungen und immanenter Gestaltung entbehrenden Aufschwemmungen verliert. Hiermit geht die Fortbildung des anderen, des neutralen Prinzips teils als schwächere Umbildung zur Seite, teils greifen dann beide Prinzipien in konkreszierenden Bildungen bis zur äußeren Vermischung ineinander ein.

Der Granit bzw. das granitische Prinzip steht in spekulativer Schau sowohl bei Goethe wie Hegel für eine Form der Bildung vor allem Leben, vor allem organischen Werden. Sie erblicken in ihm eine Art Urmuster des Werdens vor und über allem Lebendigen.

Nicht anders als bei den antiken Naturphilosophen, nicht anders als beim Evangelisten Johannes ist es ihr oberstes Ziel, eine das gesamte All, die gesamte Geschichte durchherrschende prinzipielle Einheit herauszuarbeiten, eine Theorie von allem, – eine Art Weltformel. Und genau daran arbeiten auch heute noch einige Astrophysiker wie etwa Stephen Hawking, aber auch einige Atomphysiker.

Und heute? Was wissen wir heute über den innersten Kern der Erde? Was ist noch dran an jenen naturphilosophischen Grundannahmen über den Granit?

Heute geht die Geophysik davon aus, dass der Erdkern zu etwa 85% aus Eisen (Fe) und zu etwa 10% aus Nickel (Ni) bestehe. Die verbleibenden 5% gelten als nicht endgültig geklärt. Doch hat sich eine japanische Forschergruppe in diesen Tagen mit der Hypothese an die Öffentlichkeit gewandt, es müsse sich dabei um Silicium (Si) handeln; Silicium wiederum ist im Granit reichlich vertreten! Quarz etwa ist reines Siliciumdioxid, mit Metallen bildet Silicium zahlreiche Gesteine aus; so sind auch Glimmer und Feldspat, die beiden anderen Hauptbestandteile des Granits, silicathaltige Gesteine!

Die Naturwissenschaftler zu Goethes und Hegels Zeiten lagen also nicht völlig falsch, wenn sie annahmen, dass der Granit bis in den Erdkern hineinreiche. Silicium, das zweithäufigste Element in der Erdkruste, scheint tatsächlich eine Art Bildungsgeschichte der Erde zu speichern, es kann wie der Granit auch in seinen mannigfaltigen Verbindungen mit Fug und Recht als eine Art „Archiv“ der Erdentstehung gelesen werden.

http://www.sciencealert.com/scientists-may-have-uncovered-the-missing-element-inside-earth-s-core

Bild:

Granitblöcke am Einstieg zu den Schnarcherklippen, von Goethe beim Aufstieg in die Walpurgisnacht seines „Fausts“ verewigt (es könnte genau hier gewesen sein!):
In die Traum- und Zaubersphäre
Sind wir, scheint es, eingegangen.
Führ uns gut und mach dir Ehre
Daß wir vorwärts bald gelangen
In den weiten, öden Räumen!
Seh‘ die Bäume hinter Bäumen,
Wie sie schnell vorüberrücken,
Und die Klippen, die sich bücken,
Und die langen Felsennasen,
Wie sie schnarchen, wie sie blasen!

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„Vor allem Leben und über alles Leben“ – Goethes Opferhymnus auf den Granit

 Harzreise im Winter, Naturwissenschaften, Opfer  Kommentare deaktiviert für „Vor allem Leben und über alles Leben“ – Goethes Opferhymnus auf den Granit
Jan 072017
 

Zu den merkwürdigsten Funden auf unsrer jüngsten Harzreise gehörten zweifellos die Felsklippen in der Gegend um Schierke: mächtig emporragende Türme, verwittert, klumpenartig aufeinandergeworfne Steinbrocken. „Wer hier nicht an das Werk von Riesen glaubt, dem ist nicht mehr zu helfen!“, so erscholl in unserer Wandergruppe der Ausruf des kindlichsten Staunens.

Und doch – diese Felsformationen sind nicht die Tat von Riesen! Sie sind das Werk der Erdgeschichte, der „Natur“, wie wir heute wohl sagen würden. Was wir hier sehen, ist eine der „Feuersteinklippen“. Vor etwa 50 Millionen Jahren dürfte sich diese Granit-Formation gebildet haben. Bei etwa 600 bis 800° C bildeten sich im Laufe von etwa 1 Million Jahren teilweise durch Schmelze, teilweise durch hohen Druck aus verschiedenen Gesteinsarten, wie etwa Feldspat, Quarz und Glimmer, die Granite aus: sie sind magmatische Mischgesteine mit unterschiedlicher Körnigkeit und unterschiedlicher Farbgebung.

Die umgebenden weicheren Gesteine – meist Schiefer, Grauwacke, Kalkstein – wurden durch die Verwitterung im Laufe der Jahrmillionen abgetragen. Was an Granit übrigblieb, wird weiterhin von den Einflüssen der Witterung abgeschliffen, abgerundet und abgeschmirgelt. Die Geologen sprechen treffend von „Wollsackverwitterung“, – als hätten Riesen mit Wolle gefüllte Säcke übereinandergestapelt.

„Der Granit war in den ältesten Zeiten …“ Goethes zu Lebzeiten nie gedrucktes handschriftliches Fragment, in dem er nach Besteigung des Brockens und nach Besichtigung einiger Felsklippen einige Gedanken zu Papier warf, entstand nach Begehung und geologischer Erforschung der Schnarcher- und der Feuersteinklippen bei Schierke.  Gedanken, geologische Erörterungen, theoretische Erwägungen? Ja, aber nicht nur das! Darüber hinaus quillt das Stück über von Gefühlen, tastender Selbstvergewisserung, abrupten Erschütterungen des Selbstbewusstseins, von Staunen, Freude, Dankbarkeit über das, was ist – alles mengt sich hinein in dieses eruptive Glanzstück deutscher Prosa, das selbst einem Opfergang auf dem granitenen Altar der Vernunft gleichkommt. In der überragenden Bedeutung für die Erkenntnis des Goetheschen Denkweges (und darüber hinaus Hölderlins und Hegels) kaum zu überschätzen! Ein Schlüssel zum Verständnis auch seines Gedichtes „Harzreise im Winter“!

Der Prosahymnus „Der Granit war in den ältesten Zeiten“ von 1784 ist ebenbürtig an die Seite der Ode „Harzreise im Winter“ zu stellen. Beide Stücke – der genannte Prosahymnus und die 1777 in freien Versen verfasste Ode  – ergänzen einander wie Nord- und Südklippe.

Warum aber veröffentlichte Goethe das Stück zu Lebzeiten nicht? Ich vermute: es war ihm selbst zu kühn. Der Verfasser legte bekanntlich größten Wert darauf, in der Gemeinde der Naturforscher als ebenbürtig anerkannt zu werden, und er musste wohl befürchten, es hätte seinen Ruf als Geologe und Naturwissenschaftler beschädigen können, vermengt es doch lyrische Herzensergießungen mit harten wissenschaftlichen Befunden, präzise Beobachtungen mit spekulativem, schweifendem Bekenntnis: kein naturwissenschaftlicher Text ist es also.

Nachstehend ist der Hymnus auf den Granit zu hören. Genieße! Hörst du, wie der brausende Wind zwischen den klippenartig gefugten Sätzen hindurchweht?

Johann Wolfgang Goethe: „Der Granit war in den ältesten Zeiten“ [=Über den Granit], [Handschriftliches Fragment 1784] zitiert nach: Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke. Band 17: Naturwissenschaftliche Schriften. Zweiter Teil, S. 478-483. Artemis Verlag Zürich, Deutscher Taschenbuch Verlag München 1977 [=Artemis-Gedenkausgabe 1952, unveränderter Nachdruck 1977]

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