Mai 252011
 

„Immer sind die anderen schuld.“ Dies ist das Ergebnis unserer langjährigen philosophisch-politischen Betrachtungen.

Ich habe noch von keiner der 5 großen Berliner Parteien das Anerkenntnis gehört:  „OK Jungs. Wir geben es zu. Wir waren dabei. Wir haben mitgemacht und haben kräftig davon profitiert.“

In meinen kühnsten Entwürfen hab ich mir mal gewünscht, dass eine Partei oder alle Parteien den Mut fänden, etwa folgendes zu erklären:

Mitschuld an Schulden eingestehen – um Vertrauen werben!

Wir vertrauen dem Menschen und wir bitten um das Vertrauen der Menschen. 

Wir bekennen uns darum als Berliner Partei XYZ ausdrücklich und feierlich zu unserer wesentlichen Mitschuld an dem heutigen Zustand des Landeshaushaltes.  Denn auch die Berliner Landesregierungen und die Bezirksregierungen mit [setze deinen Parteinamen ein!] XYZ-Beteiligung haben die bekannten, seit 1989 absehbaren Fehlsteuerungen nicht verhindert, sondern waren ein tragender Teil davon. Allzu leichtfertig sind wir mit öffentlichem Geld umgegangen. Wir haben staatliche Mittel im Übermaß verteilt und zu viele ungedeckte Sicherheiten und Bürgschaften auf die Zukunft ausgeschrieben. Wir erklären hiermit entschlossen unseren Abschied vom alten Muster der staatsverquickten Verteilungspolitik, wie sie sich in beiden Hälften der Stadt Berlin auf so unverantwortliche Weise seit dem Mauerbau am 13. August 1961 über Jahrzehnte hinweg herausgebildet hat.

Die alte Verteilungspolitik, die bekannte Günstlingswirtschaft, der bürgerverhätschelnde „Staatssozialismus“, an dem die Stadt heute noch leidet, ist nicht mehr der Weg der Berliner Partei XYZ.

Stattdessen werden wir die Bürger ermutigen, ihr Schicksal im Geist der großartigen friedlichen Revolution von 1989 in die eigene Hand zu nehmen. Wir wollen, dass die Menschen für ihr Wohlergehen selber arbeiten statt weiterhin wie gewohnt die Segnungen und Vergünstigungen des bemutternden Staates einzufordern. Wir setzen unser Vertrauen nicht vorrangig in die Regelungsmechanismen des Staates, sondern in die Kreativität, den Fleiß und die Tatkraft der Menschen.

Die Bürger sollen sich ihre Stadt vom verwöhnend-ohnmächtigen und deshalb bis zur Halskrause verschuldeten Staat zurückholen. Leistung, Gemeinsinn, Redlichkeit, die persönliche Verantwortung des Einzelmenschen und der Familien, der Respekt voreinander, die Fürsorge der Menschen füreinander, die jüdische, christliche, muslimische und atheistisch-humanistische Nächstenliebe, die Einhaltung der Regeln des zivilen Zusammenlebens: zu diesen Tugenden und Grundwerten bekennen wir uns hiermit als die XYZ-Partei Berlins. Aus diesen grundlegenden Elementen wird die lebendige, die starke Bürgergesellschaft unserer gemeinsamen, zu unserem Glück nicht mehr geteilten Stadt zusammenwachsen.  

Daran glauben wir. Dafür arbeiten wir. Dafür treten wir im Dienst des Gemeinwohls an. An diesen Werten wollen wir gemessen werden.

Ob wohl irgendeine Partei in Berlin sich finden wird, die ein derartiges Bekenntnis ablegt? Mich würde es sehr freuen! Die Berliner würde es auch freuen!

Und diese Partei – die es leider nicht zu geben scheint – würde auf einen Satz 7-8% zulegen. Sie würde mit Sicherheit in die nächste Stadtregierung gelangen.

Also – Berliner Parteien! Gebt euch einen Ruck! Warum nicht einmal eigene Schuld an Schulden eingestehen, wenn’s der Machterweiterung dient?

 Posted by at 21:20
Mai 222011
 

Und wieder hat die CDU deutlich verloren, während die Grünen sich als westdeutsche Volkspartei  der Akademiker und der Jungen festsetzen.

Berliner Zeitung – Aktuelles Politik – Rot-Grün gewinnt in Bremen – CDU auf drittem Platz
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe sprach von einer «schmerzhaften Niederlage» und einer «herben Enttäuschung». Er betonte in der ARD: «Es ist schwer, Volkspartei in einer Großstadt zu sein.»

Nicht unbedingt.  Ich meine, die CDU könnte durchaus auch in Großstädten wie etwa Bremen oder Berlin Volkspartei sein. Bedingungen: Klare Erkennbarkeit mit klaren Themen. Dasselbe in schwarz, was auch die Roten oder die Grünen anbieten? Reicht nicht! Zumal ja neokonservative Grüne wie etwa Kretschmann, Künast und neuerdings auch Özdemir erfolgreich in zentrale Themen wie Familie, Eigenverantwortung und Wirtschaftsförderung einsteigen. Kantigkeit, Griffigkeit sind gefragt.

In Berlin wäre es meiner festen Überzeugung nach ein anderes Verständnis vom Zusammenspiel zwischen Staat und Mensch, womit die CDU punkten könnte.

Die linken Parteien vertrauen dem zentral gelenkten Staat, setzen auf den Staat, erwarten fast alles von der fürsorglichen Politik, kämpfen um den Staat. Sie nehmen Politik wahnsinnig ernst.

CDU sollte auf „das Volk“ vertrauen, auf die einzelnen Menschen, die kleinen Einheiten, also Familie, Kita, Unternehmen und Schule. Die CDU sollte sich selbst und auch die Politik nicht so wahnsinnig ernst nehmen.

Berlin leidet weiterhin an einer jahrzehntelangen Überversorgung durch staatliches Geld, die letztlich neben zahlreichen Skandalen und einer gigantischen Verschuldung zu einer Lähmung der Eigenkräfte geführt hat und als Aufforderung zur Ausplünderung des Staates gewirkt hat und wirkt.

Passivität, Staatsgläubigkeit und Anspruchshaltung herrschen in Berlin vor. CDU-Politik muss diesem verheerenden Syndrom eine Absage erteilen.

Hier muss sich die CDU bewusst und kraftvoll absetzen. Sie kann ruhig zeitgemäß, aktuell, peppig und was auch immer sie will sein. Aber sie muss ihren Kernbestand hegen und pflegen: den subsidiären Freiheitsbegriff, das Vertrauen in die Verantwortung des Menschen. Kernbotschaft könnte etwa sein: „Ich trau es dir zu!“

 Posted by at 23:09
Jan 112010
 

Einer, der sich gut auskennt in der Politik, ist mein Vater. Ihn fragte ich als kleiner 10-jähriger Bub nach dem Unterschied zwischen SPD und CDU/CSU.  Seine Antwort lautete: „In vielem stimmen sie überein.“ Das schockierte mich, denn die Schwarzen und die Sozen bekämpften einander erbittert. Warum, wenn sie doch in vielem übereinstimmten?

Mein Vater fuhr fort: „Aber der Unterschied ist: Die SPD will mehr Gleichheit, mehr Gerechtigkeit, mehr Verantwortung des Staates. Die Union will mehr Freiheit, mehr Verantwortung des einzelnen, der unteren Ebenen. Die Union hat kein so starkes Vertrauen in die Regelungskraft des Staates, sie hat mehr Vertrauen in die Verantwortung der einzelnen Menschen. Die SPD verlangt mehr vom Staat. Der Staat soll es richten.“ Das verstand ich einigermaßen, war aber doch der Meinung, dass irgendwann eine der beiden Parteien „recht bekommen“ würde. Ich glaubte als Kind, dass sich irgendwann herausstellen musste, dass entweder die SPD oder die CSU recht hatte.  Irgendwann würde nur noch eine Partei übrigbleiben, glaubte ich, und der ganze Streit hätte endlich ein Ende.

Heute glaube ich das nicht mehr: Ich glaube, dass die Demokratie sogar auf dem streitigen Gegeneinander von nicht austauschbaren Positionen beruht. Ferner glaube ich, dass weiterhin die Union und die SPD durch ein unterschiedliches Verständnis dessen geprägt sind, was der Staat leisten und nicht leisten kann.

Man kann dies wunderbar zeigen an den Integrationsvorstellungen für die Stadt Berlin, wie sie Bürgermeister Wowereit kürzlich entfaltet hat: Mehr Beratung, mehr Förderung, mehr Fürsorge und Unterstützung der Bürger durch den Staat. Mehr Geld für Quartiersmanagement und Stadtteilmütter.  Das Zusammenwachsen der Stadt Berlin sieht Wowereit nunmehr als Kernaufgabe seines Senats. Im nächsten Doppelhaushalt stellt er deshalb erhebliche Mittel bereit. Der Tagesspiegel kommentierte:

Wowereit ist als neuer stellvertretender SPD-Vorsitzender zuständig für Stadtpolitik; da kann er, wenn er noch mehr will, es sich nicht so leicht machen. Statt fatalistischer Äußerungen wie jener, er würde seine Kinder auch nicht in Kreuzberg zur Schule schicken, braucht Wowereit hier jetzt Erfolge. Er weist zurecht auf sinnvolle Projekte wie das Quartiersmanagement hin; aber das reicht nicht. Das beitragsfreie letzte Kitajahr ist wichtig, aber zu wenig. Er kündigt an, mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen; er sagt aber nicht, wie das gehen soll.

Ich hingegen sehe das Zusammenwachsen der Stadt Berlin als Kernaufgabe von uns Bürgern. Zu diesem Zweck vertrete ich das Leitbild von der „Zusammenwachsenden Stadt“. Dieses Leitbild müssen die Bürger mit Leben füllen. Deshalb sage ich nicht nur: „Ich würde meine Kinder in Kreuzberg in die Schule schicken“, sondern ich tue dies auch.

Die Parteien können uns beim Zusammenwachsen helfen, aber sie können es uns nicht abnehmen. Auch Armin Laschet weist letztlich allen Bürgern diese Verantwortung zu: Jedem Bürger obliegt es, den Aufstieg zu erarbeiten. Der Staat kann allenfalls helfen, aber er kann es nicht selber für die Bürger machen.

So widerspreche ich also all jenen, die von einer immer stärkeren Angleichung der beiden großen Volksparteien sprechen. Im Bundesland Berlin trifft dies zwar in gewissem Sinne zu. Ja, wir beobachten hier sogar die Kuriosität, dass die CDU einige Jahre noch staatsverflochtener, noch staatsverquickter war als die SPD. Mit schädlichen Folgen für das Selbstverständnis dieser Partei.

Aber grundsätzlich bin ich überzeugt: Die CDU lässt das Gemeinwesen von unten nach oben wachsen. Die SPD greift von oben her ordnend und ausgleichend ein.

Ich bin für die Konturierung der Gegensätze, nicht für den weitgehenden programmatischen Ausgleich zwischen den Volksparteien. Darüber lesen wir heute im SPIEGEL:

Gefahr von der Basis – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Die Tatsache, dass so viele Wähler schwanken, hängt auch mit der in der Öffentlichkeit konstatierten völligen Austauschbarkeit von Positionen der großen Parteien zusammen. Die Tatsache, dass sich gerade in der Großen Koalition die politischen Partner doch letztlich thematisch sehr nahe waren, machte ein Umschalten der Wähler zu einer anderen Partei eher möglich.

 Posted by at 17:50
Jun 062009
 

05062009.jpg Die wichtigste Tat heute: Zusammen mit den fünf türkischen und arabischen Nachbarskindern reinigen wir den gesamten Innenhof des Nachbarhauses: überall lagen Windeln, Glasscherben und sonstiger Müll herum. „Ramadama“ hieß das in München. Danach macht das Spielen mehr Spaß. Die Kinder formen einen Turm aus Sand. „Das ist ein Gefängnis“, sagen sie.

Im Vorbeigehen, am Fuße des Kreuzbergs, spreche ich mit einigen Vertretern der Friedrichshain-Kreuzberger Linkspartei. Sachlich erkennen wir große Unterschiede, aber es wird gleich klar: wir respektieren einander. Und es macht sogar Spaß mit ihnen zu streiten. Wir kommen überein, dass alle morgen bei den Europawahlen wählen gehen sollen. Auf keinen Fall sollte man den Europawahlen fernbleiben.

Das Plakat „Stadtpolitik statt Parteipolitik“ fing ich gestern in Dresden ein. Ich werte es als Dokument eines tiefen Misstrauens gegenüber den „Big Five“, den fünf großen Parteien.

 Posted by at 22:54

Socialisti e Popolari perdono pezzi, boom degli Euroscettici

 Italienisches, Parteienwandel  Kommentare deaktiviert für Socialisti e Popolari perdono pezzi, boom degli Euroscettici
Mai 252009
 

Einige klare europaweite Trends zeichnet das italienische Magazin Panorama in seiner neuesten Ausgabe heraus:

1. Noch einmal leicht fallende Wahlbeteiligung auf nur noch knapp über 40 Prozent. 2. Sehr viele Neulinge im Parlament. 3. Verluste der beiden wichtigen großen Fraktionen, also der Sozialisten und der Volksparteien (zu denen die deutsche CDU gehört). 4. Starke Zunahme der euroskeptischen und nationalistisch gesonnenen Parteien, die die EU eigentlich ablehnen.

Alterspräsident wird vermutlich Jean-Marie Le Pen, der Franzose soll aber nicht die erste Sitzung eröffnen. Statt dessen wird unser Hans-Gert Pöttering, der amtierende Parlamentspräsident, vorgeschlagen.

L’Eurocamera che verrà: Socialisti e Popolari perdono pezzi, boom degli Euroscettici » Panorama.it – Mondo
La prima sessione del nuovo Europarlamento non sarà presieduta dal leader del Front National francese Jean Marie Le Pen (gli sarebbe toccato in quanto membro più anziamo). Il regolamento sarà cambiato per fare parlare invece Hans Poettering, il presidente uscente. “I leader si sono consultati e una persona che non condanna l’Olocausto” ha detto Poettering, “non è la più indicata per la prima sessione”. Ma il leader dell’ultradestra transalpina avrà comunque le sue soddisfazioni: il gruppo degli euroscettici e dei partiti nazionalisti potrebbe raggiungere dimensioni mai viste prima.

Alle diese Daten können uns nicht beruhigen. Sie sind zusammengenommen ein Alarmzeichen. Wir müssen Europa stärker machen als es im Moment dasteht. Wie? Darüber sprechen wir noch! Ein Mittel: Mehr Berichte aus anderen Ländern. Ein Anfang ist hiermit gemacht!

 Posted by at 12:40
Feb 182009
 

In der BBV ging es gestern um die Marchlewskistraße – benannt nach Julian Marchlewski, zusammen mit Rosa Luxemburg ein Herausgeber der ersten polnischen sozialdemokratischen Zeitschrift.

So musste ich danach unbedingt zur Diskussionsveranstaltung mit Vera Lengsfeld, Halina Wawzyniak, Manfred Scharrer, Manfred Wilke hechten! Ich kam etwas zu spät, kriegte aber doch noch das meiste mit. Beachtlich fand ich das Podium: alle sprachen zur Sache, niemand bemühte sich, einen billigen Punktgewinn auf Kosten anderer einzufahren, und sogar im Publikum regte sich die eine oder andere Stimme, die die Bereitschaft zu erkennen gab, eigene Positionen und Vorurteile zu überdenken.

Allerdings waren im Publikum diese nicht so festgelegten Stimmen in der Minderheit. Egal, auch Rosa Luxemburg vertrat eine winzige oppositionelle Splittergruppe innerhalb der damaligen Arbeiterbewegung, sie gewann bei den Wahlen sogar noch weniger Stimmen als selbst die CDU in Friedrichshain-Kreuzberg – trotzdem sprechen wir heute noch über sie.

Halina Wawzyniak sagte auf die Gretchenfrage nach Revolution und Sozialismus sinngemäß: „Einen Sozialismus, wie ich ihn wünsche, hat es bisher noch kein einziges Mal gegeben.“ Das hat Dubcek fast wortgleich 1968 damals in Prag verlauten lassen. „Einen  Sozialismus, wie wir ihn wollen, hat es bisher noch nicht gegeben.“ Ganz oft habe ich das schon gehört: „Das war alles kein Sozialismus, wie wir ihn wollen, was wir bisher erlebt haben! Wir müssen es endlich einmal richtig probieren!“

Man könnte auch sagen: Das war alles kein realer Sozialismus, sondern … ja was?  –  ein irrealer Sozialismus, das alles, was in 60 Ländern weltweit schon ausprobiert worden ist. Aber fast alle Sozialisten sind bisher mit genau diesem Versprechen aufgetreten: WIR machen jetzt aber alles ganz anders – besser!

Was würde Karl Marx zu so einer Aussage sagen? Vermutlich würde er entgegendonnern: „Abstrakt-idealistisches Denken, undialektisch, man kann einen Begriff nicht von seiner Wirklichkeit trennen.“ Was würde Rosa Luxemburg dazu sagen? Mir fällt ihr Ausspruch ein. Er steht in ihrer Artikelserie Sozialreform oder Revolution? aus der Leipziger Volkszeitung von 1898. Sinngemäß lautet er: „Man kann im Geschichtsbüffet nicht heiße Würstchen und kalte Würstchen auswählen.“ So glaube ich im Gefolge Rosa Luxemburgs: Entweder man ist für den Sozialismus, das schließt ein, das man ihn in seinen bisherigen Erscheinungsformen grundsätzlich bejaht, so unvollkommen diese auch gewesen sein mögen.

Oder man lehnt den bisherigen Sozialismus ab – und dann wird man es sehr schwer haben zu begründen, weshalb die Wähler einem Zutrauen entgegenbringen sollten, dass es diesmal besser klappt.

Meine Vermutung: Die Linke macht noch einmal den Prozess durch, den die SPD vor ihrem Godesberger Programm durchlief – das Sich-Lossagen vom Klassenkampf, von der Diktatur des Proletariats. Sie könnte zu einer sozialdemokratischen Partei vor Godesberg werden, etwa im Sinne der Sozialreformer wie Eduard Bernstein, gegen die Rosa Luxemburg so erbittert kämpfte.

Solange sie aber an Karl Marx, an Rosa Luxemburg festhält, wird man auch annehmen dürfen, dass sie zum gegebenen Zeitpunkt die „Umwälzung aller Verhältnisse“ herbeiführen will. Man kann das Systemwechsel nennen oder auch Revolution.

Aber sind Karl Marx und Rosa Luxemburg für Die Linke noch maßgebliche Vorkämpfer? Die Frage blieb gestern in meinen Augen unbeantwortet.

Manfred Scharrer hob in aller Deutlichkeit hervor: Luxemburg bekämpfte auf Biegen und Brechen die neu entstandene Weimarer Republik. Sie wollte den Bürgerkrieg.

Vera Lengsfeld: „Für mich ist Freiheit der übergeordnete Wert, Gerechtigkeit ist mir zu unklar.“

Es war spannend, ein Abend, der geprägt war durch große Fairness auf dem Podium und eine hochinteressante Zusammenstellung an klugen Menschen. Bitte mehr davon!

 Posted by at 19:56
Jan 202009
 

Freude, Freude, Freude allenthalben nach der Wahl in Hessen! Wir bescheinigten am 16.11.2008 in diesem Blog der jüngsten Generation von Grünen-Polikern, dass sie ihre Partei zielstrebig von einer Akademiker- und Elitepartei, die sie derzeit ist, zu einer kleinen, aber feinen Bürger- und Volkspartei umwandeln wollen. Das Bild der Bürgerschreck-Partei wird abgestreift, die Grünen werden erwachsen. Die gestrige Wahl in Hessen hat gezeigt: Ja, sie können es! Unter dem betont seriös, zugleich jungenhaft auftretenden Tarek Al-Wazir konnten sie ihren Stimmenanteil bei den Bürgern binnen eines Jahres nahezu verdoppeln. Al-Wazir finde ich ausgesprochen sympathisch, und er hat im Wahlkampf keine Fehler gemacht, sondern erfolgreich die grünen bürgerlichen Stammwähler mit den neubürgerlichen Wählern vereint. Deshalb: Freude bei den Grünen!

CDU und FDP freuen sich ausweislich der Stellungnahmen ihrer Spitzenleute wie die Schneekönige, dass die ersehnte „bürgerliche Mehrheit“ zustande kommt und träumen schon von ihrer bevorstehenden Hochzeit im Bund. Dass die CDU sogar binnen eines Jahres noch einmal 45.949 Bürgerstimmen verloren hat, trübt die Vorfreude nicht, denn es kann als sehr wahrscheinlich gelten, dass die CDU weiterhin stärker als die FDP bleibt und deshalb auch die Bundeskanzlerin stellen wird. Und „Merkel ist unser Angebot an die Wähler“, so hat es Herr Öttinger ja vor einigen Monaten gesagt. Da die FDP ja doch wohl in jedem Fall Frau Merkel mittragen wird, denkt sich der Wähler: „Wir müssen Frau Merkel ein wirksames Korrektiv und eine echte Unterstützung an die Seite stellen, zumal einige CDU-Landesfürsten schon öffentlich mit den Hufen scharren. Deshalb wählen wir FDP.“

Um 13 % weniger bürgerliche Stimmen vereinte die SPD auf sich. Dies zeigt die starken Beharrungskräfte der bürgerlichen Wähler, denn die SPD-Wähler in Hessen stehen als gute Bürger zu ihrer Partei, nur die Wechselwähler lassen sich durch erwiesene Unfähigkeit verprellen. Deshalb müsste auch in der SPD große Freude ob der Treue dieser 23% herrschen! Also, Bürgerinnen und Bürger: Freut euch doch ein bisschen!

Die Linkspartei darf sich ebenfalls freuen, denn sie konnte ihren Stimmenanteil ausbauen, obwohl es im Laden wegen interner Querelen und einiger Austritte kräftig gerummst hatte. Die anderen bürgerlichen Parteien werden – so steht zu erwarten –  sich weiterhin von der Linkspartei zum nächsten Schwächeanfall treiben lassen.

Was lernen wir daraus? Die Schwäche der CDU und der SPD  ermuntert die kleineren, also die notgedrungen lernfähigen Parteien, sich zu mausern und zu wandeln. Statt immer nur auf die eigene Klientel zu starren, haben es FDP, Grüne und Linkspartei geschafft, auch für neue Wählerschichten attraktiv zu werden. Das Parteiensystem steuert erkennbar auf ein 5-Volksparteien-System zu. Statt von einer Krise, von einem Herbst der Volksparteien zu sprechen – wie es etwa Franz Walter tut – spreche ich lieber von einem Wandel der Klientelparteien. Ich glaube, das Modell „Klientelparteien“ wird schwächer – Hessen lehrt dies. Was kommen wird, ist das Modell „Bürgerpartei“, das derzeit einen echten Frühling erlebt. Die Bürgerpartei ist offen für alle Bürger, die Bürgerpartei hört zu, in ihr mischen die Bürger kräftig mit, die mächtigen Parteiapparate werden gestutzt.

Der langfristige Trend wird – so meine ich – weitergehen: SPD und CDU schwächen sich selbst weiterhin, da bei abnehmenden Wählerstimmen die internen Ressourcenverteilungskämpfe an Härte noch zunehmen. Seitdem SPD und CDU immer weniger Posten und Mandate zu vergeben haben, werden sie immer stärker durch interne Machtkämpfe absorbiert. Es kracht sozusagen immer häufiger im Gebälk. Die Parteiapparate gewinnen dadurch paradoxerweise an innerparteilicher Macht, je schwächer sie beim Wähler dastehen. So deute ich jedenfalls die unerhört heftigen Binnenzwiste, die allein in den letzten 12 Monaten diese beiden Parteien immer wieder erschüttert haben und wohl auch weiter erschüttern werden – ich nenne nur die Namen Junghanns, Clement, Pflüger, Schmitt, Beck.

Die drei kleineren Volksparteien können von dieser fortgesetzten Selbstbeschädigung der SPD und der CDU profitieren, indem sie das tun, was die beiden größeren Volksparteien verlernt haben: Sie erzählen ihre Geschichte, ihren Parteikern so um, dass sie auch für frische Wählerstimmen anziehend werden.

Die CDU-Spitze hat sich offenbar auf den tollen Slogan verständigt: „Eine bürgerliche Mehrheit ist möglich!“

Was für eine starke, was für eine treffende Analyse! Auch ich meine: Da unsere Bürger unter 5 Bürger- und Volksparteien auswählen können, werden sich immer 2 oder 3 bürgerliche Parteien finden, die dann die Mehrheit bilden. Das ist die berühmte bürgerliche Mehrheit.Voilà!

Personen werden in diesem Wettbewerb der Bürgerparteien wichtiger als die Lagerzugehörigkeit des vergangenen Jahrtausends. Proletarier, Protestler, Lumpenproletariat, Adlige, Sozialhilfeempfänger, Spießbürgerliche, Kleriker – sie alle werden ihre Kreuze bei derjenigen der 5 bürgerlichen Parteien machen, die sie am Wahltage am meisten überzeugt. Der Hausbesitzer, der von Hartz IV lebt in Pankow, wird eher die Linkspartei wählen, der Hausbesitzer in Kronberg/Taunus, der von satten Prämien lebt,  eher die FDP. Aber das sind historisch zu erklärende Zufälle.

Meine Prognose für das Superwahljahr 2009 lautet also: SPD und CDU werden weiter verlieren, wenn sie nicht erkennbar und deutlichst umsteuern. Die drei anderen Volksparteien werden jede für sich und auch insgesamt zulegen.

Heute wird Obama vereidigt. Was hat er gemacht? Wie konnte er einen so überwältigenden Wahlsieg holen, und zwar mit und in der ältesten amerikanischen Volkspartei? Eines ist klar: Er macht es völlig anders als unsere deutschen Parteien – von Anfang an sprach er alle an! Er ließ sich nicht auf eine Revierbeschränkung ein wie unsere mutlosen deutschen Parteistrategen. Er erzählte von seinen Werten, die die amerikanischen Werte sind. Er sprach zu allen und mit allen. Er hörte zu. Und dann – erzählte er dasselbe noch einmal, aber mit anderen Worten. Dann hörte er wieder zu. Dann erzählte er. Er erzählte seine Geschichte. Es ist eine Geschichte, die jede und jeder so erleben kann. Er erzählte seine Werte. Es sind Werte, denen jede und jeder zustimmen kann. Und irgendwann – hörten die Leute ihm zu. Und ganz zum Schluss – wählten sie ihn. Auch darüber – herrscht Freude.

 Posted by at 14:15
Sep 192008
 

Nachdem ich heute Unter den Linden den bösen Slogan hörte „Schmidt muss weg. Lauterbach auch!“, muss ich aber nun endlich einige gute Nachrichten aus den Volksparteien zusammentragen. Niemand sollte sie – die Volksparteien  – so in Grund und Boden schreiben, wie das in den letzten Tagen in einigen Blättern, in den Medien geschah. Und leider war auch dieses Blog nicht frei von allerlei kritischen Betrachtungen.

Nein – nein – nein, es ist vieles sehr gut in den Volksparteien Berlins. Beweise? Hier kommen sie:

Beweis 1: Tamara Zieschang, stellvertretende Ortsvorsitzende einer Volkspartei,  setzt sich in Berlin-Mitte für  konkrete Belange von Bürgern ein: gegen Drogenhandel am Weinbergspark, für eine Schule in fußläufiger Nähe, für eine neue Kunsthalle. Bitte mehr davon, Frau Zieschang! Der Tagesspiegel berichtet:

Politik als Dienstleistung? Nicht nur, aber auch. Wer sich als Bürger in Mitte engagiere, der mache in der Bezirksverordnetenversammlung „parteiübergreifend“ eine Erfahrung, sagt Tamara Zieschang: Ablehnung. „Was wollen denn diese Bürger hier? Die sollen sich bitte mal schön hinten anstellen.“ Politik – das bedeutet für Zieschang, die Interessen der Bürger aufzunehmen und umzusetzen, ob es nun um eine Schulgründung geht oder um Verkehrsberuhigung im Kiez.

Graswurzeldemokratie

Beweis 2: In unserem Heimatbezirk führt eine Volkspartei eine Mitgliederbefragung zu den Bundestags-Direktkandidaten durch:

Die SPD Friedrichshain-Kreuzberg und die Abteilungen der SPD im Prenzlauer Berg werden ihren Bundestagskandidaten in einer gemeinsamen Mitgliederbefragung bestimmen. Im Zeitraum vom 14. Oktober bis 12. November 2008 werden drei Kandidaten sich und ihr Programm in sechs Veranstaltungen vorstellen, bei denen die Mitglieder ihr Votum abgeben können.

„Jetzt haben die Mitglieder das Wort“, sagte der Kreisvorsitzende der SPD Friedrichshain-Kreuzberg, Dr. Jan Stöß. „Wir haben drei starke Kandidaten, die gut zu unserem bunten, vielfältigen Wahlkreis passen. Durch das Mitgliedervotum wird jedem Mitglied eine Stimme gegeben und Politik aus dem Hinterzimmer herausgeholt. Ich freue mich auf spannende Diskussionen und einen inspirierenden Wahlkampf,“ so Stöß weiter.

Ich meine: So etwas sollte man nicht vorschnell als „Kampfkandidatur“ bezeichnen. Ich spreche lieber von „Wettbewerbsdemokratie“.  Bitte mehr davon! Und die Chancen gegen den bekannten grünen Meister Ströbele? Was sagt einer der drei Kandidaten, Björn Böhning?

„Wenn man keine Chancen sieht, braucht man nicht anzutreten. Ich sehe gute Möglichkeiten für die SPD, diesen Wahlkreis zu holen, der vielfältiger ist, als es die Grünen je sein werden.“

Gut gebrüllt, Björn Böhning, toi toi toi!

Beweis 3: Christoph Wegener, ein weithin unbekanntes Parteimitglied einer Volkspartei, erklärt, am heutigen Abend, während wir dies schreiben, gegen den eigenen Landesvorsitzenden bei der Bewerbung um den Platz des Direktkandidaten antreten zu wollen. Er begründet dies mit „parteischädigendem Verhalten“ seines Vorsitzenden.

Vor zwei Tagen erklärte überraschend der 41-jährige Unternehmer Christoph Wegener, er trete gegen Schmitt an. Wegener begründete seine Kandidatur mit Schmitts Verhalten in dem beispiellosen Machtkampf um die Parteiführung in der Berliner CDU. „Leuten, die parteischädigend agieren, müssen Alternativen zur Seite gestellt werden“, sagte Wegener.

Dies werte ich als Beweis: Innerparteiliche Demokratie ist stark, sie kann sich auch auf vermeintlich aussichtslosem Platz behaupten, kann mindestens ein Zeichen setzen. Bitte mehr davon, Frau Zieschang, Herr Böhning und Herr Wegener! Und toi toi toi. Wir sind gespannt auf die Ergebnisse.

Es ist leicht zu rufen: „Schmitt muss weg. Rot-rot muss weg! Weg mit dem Chaos! usw.“ Ich halte nichts von solchen „Weg mit …“-Sprüchen. Besser, fruchtbarer ist es zu fragen: Was wollen wir? Welche Alternativen gibt es? Welche Personen stehen für welche Alternativen?

Das ist echte Demokratie!

Unser Foto zeigt die Demonstranten, die da heute riefen: „Schmidt muss weg. Lauterbach auch.“

 Posted by at 18:28

Mitgliederschwund: Parteien sind weiterhin ratlos

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Jul 252008
 

Seit der letzten Bundestagswahl haben SPD und Union zusammen etwa 5 Millionen Wähler verloren. Auch die Mitgliederzahl der Parteien schrumpft insgesamt. Gutgemeinte Werbekampagnen helfen nicht weiter. Das Interesse an Politik ist weiterhin riesengroß, aber den Parteien wird weniger und weniger zugetraut, die Probleme des Landes zu lösen. Nicht Politikverdrossenheit herscht also in Deutschland, sondern Parteienüberdruss und Misstrauen gegenüber den Politikern. So berichtet heute der Tagesspiegel:

Die CDU hat die SPD als mitgliederstärkste Partei Deutschlands abgelöst. Ihre Mitgliederzahl lag Ende Juni nach dpa-Informationen erstmals über der der Sozialdemokraten. Die genauen Daten will CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla am Montag in Berlin vorstellen. Die CDU hatte Ende Mai 531.300 Mitglieder und lag nur knapp hinter der SPD mit 531.740 Mitgliedern. Ende Juni zählte die SPD lediglich noch 529.994 Parteimitglieder. Bisher litten beide Volksparteien unter sinkenden Zahlen – die Sozialdemokraten jedoch stärker als die Christdemokraten.

Brauchen wir überhaupt Parteien? Es gibt auch Politikauffassungen, wonach Parteien kaum mehr sind als Machterhaltungsinstrumente oder Rekrutierungsbecken für den politischen Nachwuchs. „Kanzlerwahlvereine“, wie man damals zu Adenauers Zeiten anmerkte. Wenn ich heute höre: „Wer Kandidatin Y will, muss Partei X wählen!“, dann spiegelt dies genau diese eben skizzierte recht geringe Meinung von den Parteien wider. Eine Geringschätzung, die zum Selbstbild der Parteien zu werden droht und sich dann negativ in einer Abwärtsspirale verstärkt.
Ich meine dennoch: Parteien können mehr, sie werden weiterhin gebraucht. Vielleicht nicht in dieser Art, wie sie heute noch bestehen, bis ihnen die letzten Mitglieder davongelaufen sind. Eher in einer verschlankteren, offeneren Art.

Parteien sind eine Art Nervengeflecht des politischen Handelns. Vielleicht kein Zentralnervensystem, aber doch – wie die Physiologen sagen – ein „peripheres“ Nervensystem. Aufgabe der Parteien ist es demnach, Impulse aus der diffusen Interessenlage der Bürger aufzunehmen, Signale zu verstärken, Reize zu melden, Reaktionen zu erzeugen und letztlich in Handlungen münden zu lassen.

Parteien speichern auch politische Erfahrungen als eine Art institutionalisiertes Gedächtnis. Sie verbürgen durch interne Abstimmungsvorgänge eine gewisse Kontinuität, die ein sich wandelndes Umfeld dringend braucht.

Barack Obama verkörpert bereits die neue Parteiauffassung, wie sie auch mir vorschwebt: Er wirbt aktiv um möglichst reichhaltige „Erzählungen“, „Geschichten“ – von der Partei, von den Bürgern im Lande, von den Institutionen aller Art. Aufgabe seiner Partei ist es, diesen Stimmen zuzuhören, diese mannigfaltigen Anregungen zu bündeln, zu kanalisieren und dann in ein Vorhaben, ein Programm einfließen zu lassen.

Unübertroffen die Formulierung des Grundgesetzes: Die Parteien wirken bei der Willensbildung des Volkes mit. Sie wirken „mit“, sie sind nicht die Hauptakteure, als die sie sich heute gebärden!

Die deutschen Parteien werden sich wandeln müssen. Sie tun es bereits, aber weitgehend konzeptionslos. Das Lamento ist zwar groß. Doch ich erkenne in unserem Lande noch niemanden, der die Debatte um den Parteienwandel in dem hier angedeuteten Sinne aktiv vorantreibt. Die Zahlen sprechen für sich: Die Wahlbeteiligung nimmt ab, der Mitgliederstand der Parteien ebenso.

Bürgerentscheide und Volksentscheide versalzen den Parteien die Suppe. Bürgerinteressen manifestieren sich zunehmend quer zu den alten Parteilinien – oder scheren sich nicht um Parteien. Beispiel: „Mediaspree versenken!“ in Friedrichshain-Kreuzberg. Keine der ansässigen Parteien im Bezirk war imstande, den geballten Unmut einiger Gruppen produktiv aufzunehmen und in ein wie immer geartetes Konzept von „Gemeinwohl“ einfließen zu lassen! Ich glaube: Dies ist ein schlagendes Beispiel von Parteienversagen!

Dass wir mittlerweile ein 5-Parteien-System haben, sehe ich hingegen nicht als Krisensymptom. Es ist eher ein Ausdruck der spezifischen Schwäche der einen großen Volkspartei. Im Vergleich zu anderen demokratischen Ländern ist ein 5-Parteien-System gut handhabbar.

Ich bin gespannt, welchen Parteien es bei der Bundestagswahl 2009 gelingen wird, die Lehren aus dem Ansehensniedergang zu ziehen und die Wähler durch ein gewandeltes Selbstbild zu überzeugen!

SPD-Basis schrumpft unter CDU-Niveau

 Posted by at 16:53

Wie gewinnt man Kommunalwahlen? Das Lehrstück des Kurt Gribl

 Augsburg, Parteienwandel, Positive Kommunikation  Kommentare deaktiviert für Wie gewinnt man Kommunalwahlen? Das Lehrstück des Kurt Gribl
Mai 292008
 

Recht vollmundig hatten wir in diesem Blog verkündet, wir wollten das Wahlverhalten in vier ausgewählten europäischen Großstädten betrachten. London wurde am 12.05.08 bereits in diesem Blog umfassend abgehakt. Jetzt ist Augsburg dran. Was geschah in der Stichwahl am 16. März 2008?

Die Augsburger wählten den beliebten Oberbürgermeister Paul Wengert aus dem Amt und stimmten mehrheitlich für den parteilosen Kurt Gribl. Der Mann, ein promovierter Jurist, konnte keinerlei politische Vorerfahrung vorweisen. Er war nicht einmal Mitglied einer Partei. Die CSU machte ihn zu ihrem Kandidaten. „Wir haben keinen Besseren“, hört man oft in solchen Fällen. Was sprach für ihn?

1) Er ist das Gegenteil eines Politikers der alten Garde, sondern trat als kundiger Vermittler der Bürgerinteressen an. 2) Er versprach, unbeliebte Großprojekte des Amtsinhabers zu kippen, so etwa den ÖPNV-freundlichen kompletten Umbau der Friedberger Straße. 3) Er spielte den „Ich-bin-einer-von-euch“-Trumpf aus. Der waschechte Augsburger schlägt den Berufspolitiker von auswärts. 4) Er präsentierte sich als moderner Internet- und Popfan. Er hat ein Profil auf Myspace und Xing. 5) Er hat ein Ohr für die kleinen pragmatischen Anliegen. In seinem Hundert-Punkte-Programm nimmt er zahlreiche Forderungen von Betroffenen auf, kümmert sich höchstpersönlich um kommunalpolitische Kleinstprojekte, wie etwa Fahrradabstellbügel und Popkonzerte. Die Botschaft ist klar: „Ich kann zuhören, ich wälze euch kein Programm zur Weltverbesserung auf.“ 6) Er formulierte alle seine Anliegen positiv, nach vorne gewandt. Er stellte ein positives Leitbild für seine Vaterstadt auf, gestützt auf Werte wie Selbstvertrauen, Zukunft, Selbstbewusstsein. 7) Er griff nicht den beliebten Amtsinhaber an, sondern überging ihn weitgehend einfach mit Schweigen. Kein Zank, kein Gezetere. Was blieb ihm auch übrig?

Was lernen wir daraus? Ich würde sagen: Das Kleine 1 mal 1 der politischen Kommunikation in diesem ersten Jahrzehnt:

1) Die alten Parteien sind (fast) abgeschrieben, Personen zählen mehr. 2) Fahrrad schlägt Straßenbahn! Kleinstprojekte kommen besser an als Großbaustellen. 3) Zeig, dass du zuhören kannst. Rede weniger, höre mehr zu. 4) Spalte nicht, beleidige nicht, lärme nicht rum. Polarisiere nicht. Lass die Welt eher so, wie sie ist. 5) Blicke nach vorn, nicht in die Vergangenheit. 6) Zeige ein klares Leitbild auf! Wo siehst du deine Stadt in 5 oder 10 Jahren? 7) Kopple dich von der veralteten Rhetorik der Volksparteien CSU/CDU und SPD ab. Präsentiere dich als Außenseiter, Quereinsteiger, Querdenker, als Fachmann/Fachfrau oder Moderator oder was auch immer, eher denn als Berufspolitiker. 8) Sei keine Trantüte, sondern zeige, dass du dein Leben genießt. 9) Such dir die richtige Unterstützerin. Lade Angela Merkel in dein 264.000-Seelen-Dorf ein. Die Frau segelt weiterhin auf herausragenden Zustimmungswerten. Segle auch du mit den Erfolgreichen. 10) Mach dein Schicksal nicht vom Ausgang dieser einen Wahl abhängig!

Zum Nachlesen auf der Homepage des neuen Augsburger Oberbürgermeisters hier klicken.

Unser Foto zeigt heute einen Blick auf die Lechauen im Stadtteil Hochzoll-Nord, nur einen Steinwurf von der Friedberger Straße entfernt. Übrigens: Dies war in meiner Jugend ein Teil meines täglichen Schulwegs.

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