Müssen oder sollen katholische Priester ehelos leben?

 Adolf Hampel, Religionen, Ukraine  Kommentare deaktiviert für Müssen oder sollen katholische Priester ehelos leben?
Feb 122020
 
Statue des Hl. Wolodymyr von Kiew, aufgestellt vor dem Moskauer Kreml

Die Kollateralschäden von Benedicts Zölibatsmahnung

Unter diesem Titel erreichte uns vor wenigen Tagen der Zwischenruf des katholischen Theologen Adolf Hampel, der bis zu seiner Emeritierung an der Universität Gießen lehrte – und dem der hier Schreibende das Gnadengeschenk der christlichen Taufe verdankt. Wir geben den Text hier gerne unverändert wieder:

„Die Behauptung einer geradezu notwendigen Verbindung von Ehelosigkeit und Priestertum lässt nicht nur die Kenntnis der Geschichte, sondern auch die Existenz Tausender legal verheirateter katholischer Priester vermissen.

Die Verherrlichung zölibatären Lebens wirkt angesichts der Sexualverbrechen zölibatärer Priester nicht nur peinlich, sondern degradiert die verheirateten Priester zu Priestern zweiter Klasse. Metropolit Wolodymyr Sterniuk (1907 – 1997), der im Untergrund gewählte Bischof der Griechisch-Katholischen Kirche der Ukraine, hat die Degradierung seiner Priester durch einen Brief von Johannes Paul II erfahren. Am Ende dieses päpstlichen Schreibens, das ich einsehen konnte, stand ein Satz, der ihn beleidigte: „Bei aller Treue zum Heiligen Stuhl darf das Ideal des ehelosen Priesters nicht verdunkelt werden.“ Der Vater von Sterniuk war ein in der ganzen Gegend geachteter Priester.

Die verheirateten Priester der von Stalin 1946 verbotenen griechisch-katholischen Kirche haben ihre Treue zum Stuhle Petri in Gefängnissen und Zwangsarbeitslagern in Sibirien bewiesen. Nachdem sie 1989 durch Gorbatschow die Freiheit erlangten, erfahren sie von Wojtyla und Ratzinger, dass sie Priester 2. Klasse sind. Die von ihnen gestaltete religiös-kirchliche Wiedergeburt ihrer Kirche kann heute auf einen festen Bestand blicken: 4 500 000 Gläubige, 50 Bischöfe, 3000 meist verheiratete Diözesanpriester, 400 Ordenspriester, 1500 Ordensschwestern.

Dem Synodalen Weg ist zu empfehlen, der griechisch-katholischen Kirche der Ukraine Aufmerksamkeit zu schenken.“

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Jul 052018
 


Удивительная жизнь Адольфа Хампеля, судетского немца, полюбившего Россию, „Das wunderbare Leben Adolf Hampels, eines Sudetendeutschen, der Russland liebgewonnen hat“ –

unter diesem Titel konnten wir am 5. Juli 2018, also vorgestern, eine Radiosendung des russischen Echo Moskaus (Эхо Москвы) verfolgen.

 

 

Adolf Hampel, 1933 in Klein-Herrlitz in der Tschechoslowakei geboren, katholischer Priester und Theologe, der an der Universität Gießen lehrte, hat in seinem Buch „Mein langer Weg nach Moskau“ auf sehr ansprechende  Art einen Rückblick auf einige Stationen seines ereignisreichen, wunderbaren Lebens geworfen. Das Buch ist mittlerweile durch Irina Potapenko ins Russische übersetzt worden und fand so das Interesse des Echos Moskaus. Der Autor kam nun in dieser Interview-Sendung in russischer Sprache zu Wort, und einzelne Abschnitte der russischen Übersetzung wurden vorgelesen. Angesprochen wurden Begegnungen mit Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche, die Rückführung einer Ikone nach Kasan, Kapitel aus Kindheit und Jugend, Kriegserfahrungen, die Enteignung und Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei im Jahr 1946, der mühsame Neubeginn der Vertriebenen in den aufnehmenden Ländern. Einen breiten Raum nahmen dann im Gespräch  die unermüdlichen Bemühungen Adolf Hampels um Begegnung, Austausch und Versöhnung mit Menschen in den Gesellschaften des Ostens ein. Er ist einer jener zahlreichen Pioniere der deutsch-tschechischen Aussöhnung, für die beispielhaft der Name Václav Havels stehen mag. Dabei öffnete ihm seine wundersam erwachte Liebe zur russischen Sprache auch das Tor zu allen Völkern der früheren Sowjetunion.

Ich meine: Gerade in der heutigen Zeit, wo – wie damals auch – ethnische Konflikte, Kriege, Flucht, Vertreibungen, der Wiederaufbau, die Versöhnung, das Erzählen, das Erinnern, das Teilen und das Weitergeben der Erinnerungen das Tagesgespräch bestimmen, stellen die lebendigen Erinnerungen Adolf Hampels einen unschätzbaren Denkanstoß dar. Sie verdienen sowohl im deutschen Original wie in der russischen Übersetzung größte Aufmerksamkeit.

Hier kann man die Sendung nachhören, indem man einfach mit der Maus auf den Link klickt und dann ganz oben auf dem Bildschirm das „Abspielen“-Symbol anklickt:

https://echo.msk.ru/sounds/2234122.html

https://echo.msk.ru/programs/diletanti/2234122-echo/

Adolf Hampel: Mein langer Weg nach Moskau. Ausgewählte Erinnerungen. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried, 2012; russisch: A. Hampel: Moi dolgij put v Moskvu, übers. von I. Potapenko, Verlag Pero, Moskwa 2017, ISBN 978-5-90633-76-8

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Was man für Geld nicht kaufen kann: schön danken lernen!

 Adolf Hampel, Einladungen, Geld, Gleisdreieck, Personalismus, Tugend, Verwöhnt  Kommentare deaktiviert für Was man für Geld nicht kaufen kann: schön danken lernen!
Feb 122013
 

„Wir sollten den Bauherren des Potsdamer Platzes, vor allem DaimlerChrysler,  dankbar sein, denn aus ihren ca. 8 Millionen Euro Ausgleichszahlungen wurde unser wunderschöner neuer Park am Gleisdreieck gebaut!“

„Wir Berliner sollten als Single-Hauptstadt den tüchtigen Bayern und den wackeren Baden-Württembergern dankbar sein, denn sie finanzieren über den Länderfinanzausgleich unsere tolle BVG, unsere gegenüber den Südstaatleren viel bessere  Kita-Abdeckung, unsere gegenüber München um 50%  billigeren Berliner Mieten, unsere 3 Mal höhere Arbeitslosenrate …! Ohne die Bayern und Baden-Württemberger stünden jedem Single nur noch 18 statt 40 qm zu, die Miete würde verdoppelt, viele Berliner müssten als Gastarbeiter irgendwo anders zu niedrigen Löhnen arbeiten gehen, etwa in der Türkei, in Libanon, in der Slowakei, in Rumänien.“

Hä? Was ist das für ein schräges Gebrabbel? Darf man als Schwabe von uns Berlinern  Dankbarkeit gegenüber den Geberländern des Bundesfinanzausgleichs verlangen?

Schwierig, sehr schwierig! Dankbarkeit gegenüber anonymen Spendern, an deren mildtätige Gaben man sich gewöhnt hat und auf die wir einen erlernten Anspruch zu besitzen glauben?  Ich glaube, die dauernde Abhängigkeit von finanziellen Zuwendungen hat eher einen verwöhnenden Effekt, der schließlich in Aggressivität gegenüber dem Spender umschlägt: „DIE sollten uns mal dankbar sein, dass wir ihnen eine so schöne Hauptstadt bieten! Da können DIE nicht mithalten!“

Dankbarkeit in der Politik? Das klappt meist nicht. Echte Dankbarkeit empfinden wir meist nur gegenüber Personen mit einem Namen und einem Gesicht, denen wir uns irgendwie verbunden wissen.

Lest hierfür einige beliebige Beispiele von Danksagungen aus meinen jüngsten Lesestoffen:

1: „Den größten Dank schulde ich meiner Familie. Am Esstisch und bei Familienreisen waren meine Söhne Adam und Aaron, wann immer ich sie mit neuen ethischen Dilemmata konfrontierte, stets zu scharfsinnigen, moralisch abgewogenen Reaktionen bereit. Und immer wandten wir uns an Kiku, die uns sagte, wer recht hatte. Ihr widme ich dieses Buch in Liebe.“

2: „Ein großer Dank geht auch an meine Frau für all ihre Ideen, an meinen Mitarbeiter Veysel, dessen einziger Fehler ist, Bayern-Fan zu sein, an die beiden Hakans (Mican und Tunç), an Mustafa, ohne die ich noch heute versuchen würde, eine Verbindungsbrücke zwischen den beiden Gipfeln des Kilimandscharo zu bauen, an die Fußballfreunde aus dem sonntäglichen Kick in Kreuzberg, an die Kids, die mir geholfen haben, die richtigen Fragen zu stellen, und an Bruce Lee, der mir ein Motto lieh: „Wasser kann fließen, kriechen, tropfen, stürzen und schmettern. Sei Wasser, mein Freund!“

3: „Anders als in Türken-Sam bin ich in dieser Geschichte nicht der Hauptakteur. Dieses Buch haben andere auf den Weg gebracht. Menschen, die hinter den Kulissen wirken und die darin zu Wort kommen. Menschen wie Renate und Adolf Hampel in Hungen, die sich – beide längst im hohen Rentenalter – ein halbes Leben für die interkulturelle Verständigung engagiert haben. Ich danke ihnen und allen, die sich für eine bessere Gesellschaft einsetzen.“

Drei Männer, drei Mal ein Dankeschön gesagt, auf nette, echte, glaubwürdige Weise. Sie statten Dank an namentlich genannte Menschen in Fleisch und Blut ab, denen sie etwas ver-danken. Mit ihnen verbinden sie Geschichten von Wagnissen, von Treue, von Elternschaft, Ehe, Freundschaft, von wechselseitiger Hilfe. Nur diese persönlichen Erfahrungen von Güte und Treue ermöglichen ein echtes Gefühl von Dankbarkeit. Diese Verbundenheit ist es, die letztlich Familien, Städte und ganze Länder zusammenhält. Nicht das Geld der anderen, nicht die Politik, nicht so merkwürdige Dinge wie „soziale Gerechtigkeit“, sondern Treue und Liebe zwischen Eltern und Kindern, von Mann und Weib, von Freundin und Freund, von 11 oder 22 Freunden, von Mit-Menschen und Neben-Wohnern. Wir dürfen ein Wort wagen: das grundlegende Vertrauen in diese überzeitlichen Werte – Familie, Gattenliebe, Freundschaft , Treue – macht  den berühmten „Wertekonservatismus“ aus. Ich nenne diese Grundhaltung auch den Personalismus der Mitte. Eine Grundeinsicht dafür lautet: „Die Welt insgesamt, die Gesellschaft als solche ist eigentlich weder gerecht noch ungerecht. Menschen hingegen verhalten sich gerecht oder oder ungerecht, benehmen sich gut oder böse, geben sich faul oder fleißig. Lasst uns also möglichst gerechte, gute, fleißige Menschen sein und anderen als Vorbild dienen!

Das grundlegende Vertrauen in die regelnde, ausgleichende, gerechtigkeitschaffende Gesellschaft, der Glaube an den gütigen, geldverteilenden und fürsorglichen Staat, der Glaube an die strukturprägende Macht der Politik bis ins Leben der Familien und der individuellen Schicksale hinein ist im Gegensatz dazu ein Merkmal des reformerischen oder revolutionären linken oder rechten Politikansatzes. Man könnte ihn auch den Strukturalismus der sozialen Gerechtigkeit nennen. Grundbekenntnis ist: „Die Welt ist eigentlich ungerecht. Die Gesellschaft ist eigentlich ungerecht. Lasst uns endlich gerechte Verhältnisse schaffen!

Ich danke den vorbildlichen Buchschreibern Michael, Cem und Cem für diese Einsicht.

Und hier kommen die Quellenangaben (mit bestem Dank):

1) Michael J. Sandel: Was man für Geld nicht kaufen kann. Die moralischen Grenzen des Marktes. Aus dem Amerikanischen von Helmut Reuter. Ullstein Verlag, Berlin 2012, S. 294
2) Cem Özdemir: Die Türkei. Politik, Religion, Kultur. Beltz&Gelberg, Weinheim 2008, S. 253
3) Cem Gülay/Helmut Kuhn: Kein Döner Land. Kurze Interviews mit fiesen Migranten. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2012, [Kindle-Ausgabe], Pos. 2770

Bild: unser wunderschöner neuer Park am Gleisdreieck. Wir sagen schon mal danke. An alle.

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Karel Schwarzenberg – der moralische Sieger der Präsidentenwahl

 Adolf Hampel, Vergangenheitsunterschlagung, Vertreibungen  Kommentare deaktiviert für Karel Schwarzenberg – der moralische Sieger der Präsidentenwahl
Jan 282013
 

Mehrfach bezeugte ich in diesem Blog meine tiefe Sympathie für das Herkunftsland meiner väterlichen Vorfahren, das ich mehrfach bereist habe und dessen Sprache ich mir mehr schlecht als recht angeeignet habe: die heutige Tschechische Republik bzw. die frühere Tschechoslowakei.

Aus dem hessischen Hügelland erreicht dieses Blog soeben ein Gastkommentar zum Ausgang der tschechischen Präsidentenwahl. Verfasser ist Prof. Dr. Adolf Hampel. Wir geben den Kommentar unverändert wieder und stellen ihn zur Diskussion:

Der amerikanische Historiker R.M. Douglas  stellt in seinem Buch „Ordnungsgemäße Überführung“ fest: „Während die Geschichte der Vertreibungen in  Deutschland  zu wenig bekannt ist, kann man für den Rest der Welt ohne Übertreibung sagen, dass sie bis heute  das am besten gehütete Geheimnis des Zweiten Weltkriegs ist.“ Während die deutschen Regierungen geflissentlich alles tun, dieses Geheimnis zu erhalten, hat der unterlegene tschechische Präsidentschaftskandidat Karel Schwarzenberg das Tabu um dieses Geheimnis gebrochen, indem er erklärte, dass die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutscher ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war.  Bereits Jan Sokol hatte durch sein Eintreten für die geschichtliche Wahrheit gegenüber seinem Rivalen, dem noch amtierenden Präsidenten Vaclav Klaus, den Kürzeren gezogen.

Karel Schwarzenberg ließ sich durch diese Erfahrung nicht beirren und vertraute auf die Losung der tschechischen Präsidentenflagge „Die Wahrheit siegt.“ Durch seine Kritik an Edvard Benes und dessen Dekrete hat er die Wahl verloren. Wieder einmal in der Tschechischen Geschichte hat mit Milos Zeman die Lüge gesiegt.

Auch nach über 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg findet eine Mehrzahl der Tschechen Gefallen an den antideutschen Attacken beider Präsidenten, Klaus und Zeman. Dahinter verbergen sich Traumata, denen nur schwer beizukommen ist.

Das von Klaus und Zeman repräsentierte kollektive Bewusstsein kann es sich offensichtlich nicht verzeihen, gegen das Naziregime keinen überzeugenden Widerstand geleistet zu haben, obwohl die Tschechoslowakei eine der stärksten Verteidigungslinien Europas und eine gut gerüstete Armee hatte. Der Nachholbedarf an Widerstand war schon eine der Ursachen  für die grauenhaften massenhaften  Exzesse unmittelbar nach dem Krieg. Die Tschechen müssen damit leben, dass sie es  – wie die Deutschen und Österreicher, aber im Unterschied zu Polen, Russen, Franzosen, Italienern und anderen, vor dem Mai 1945 nicht zu einer Partisanenbewegung  gegen das Naziregime gebracht haben.-

Durch die Entrechtung  und Vertreibung der Sudetendeutschen sollte dieser Nachholbedarf an Widerstand gedeckt werden. Zeman hat dafür eine robuste Erklärung: „Nach dem tschechischen Recht haben viele von ihnen Landesverrat begangen, ein Verbrechen, das nach dem damaligen Recht durch die Todesstrafe geahndet wurde. Auch in Friedenszeiten. Wenn sie also vertrieben oder transferiert wurden, war das milder als die Todesstrafe.“

Das Bedenkliche an Zemans politischer Moral ist, dass er nicht nur geschehene Vertreibungen rechtfertigt, sondern Vertreibungen auch heute noch für ein probates Mittel der Politik hält. Er empfiehlt Israel zur Lösung des Palästinenserproblems, das tschechische Modell der Massenvertreibung anzuwenden. Es habe sich zur Lösung der Sudetenfrage bestens bewährt. Die deutschen Regierungen haben sich überraschend schnell damit abgefunden. Nachdem Zeman wieder einmal diese seine politische Moral vorgetragen hatte, besuchte ihn Außenminister Joschka Fischer. Er kam mit der Botschaft zurück: „Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei waren noch nie so gut wie heute.“ Diese Einschätzung wurde in Folge von Bundeskanzler Schröder und Bundeskanzlerin Merkel  nach Besuchen in Prag mehrfach wiederholt.

Viele Pioniere der deutsch-tschechischen Verständigung sind zutiefst enttäuscht. Die Erwartungen, die sie jahrzehntelang bewogen, unter Risiken und Opfern den Kontakt mit tschechischen Demokraten zu suchen und zu pflegen, sind nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht in Erfüllung gegangen. Ihre Erwartungen zielten nicht auf eine Rückgabe von Hab und Gut. Sie wehren sich aber dagegen, dass die Einsicht in die Unumkehrbarkeit der Geschichte zu einer Rechtfertigung vergangener Verbrechen pervertiert wird.

Gerade dazu ermuntern Aussagen und Publikationen der deutschen Regierungen. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes wurde 2005  die maßgebliche Informationsschrift für das Ausland in 14 Sprachen „Tatsachen über Deutschland“ veröffentlicht. In 10 Kapiteln werden auf 184 Seiten wichtige Punkte der deutschen Wirklichkeit behandelt. Zur Tatsache von 15 Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen begnügt sich die Schrift mit folgender Feststellung: „Die ostelbischen Rittergutsbesitzer, die mehr als jede andere Machtelite zur Zerstörung der Weimarer Republik und zur Machtübertragung an Hitler beigetragen hatten, verloren Grund und Boden“ (S.43).

Besser hätte es Zeman auch nicht sagen können.

Karel Schwarzenberg hat mit seinem mutigen Auftreten  im Wahlkampf einen moralischen Sieg nicht nur über Zeman  errungen, sondern auch über deutsche Politiker, die aus Ignoranz, Feigheit oder Böswilligkeit Tatsachen über Deutschland verdrehen und verschweigen.

Prof. Dr. Adolf Hampel

 Posted by at 00:46
Sep 062012
 

Ein steter Mittler zwischen Ost und West ist für mich immer wieder in meinem Leben mein Onkel Adolf Hampel, der am 7. September 1933 in Klein-Herrlitz bei Troppau geboren wurde.  Er war es, der mich 1959, wenige Monate nach seiner im byzantino-slawischem Ritus erteilten katholischen Priesterweihe als seinen ersten Täufling auf den Namen Johannes des Täufers taufte. Bis zum heutigen Tag sehe ich diesen Taufnamen als steten Aufruf zum Umdenken, als Aufruf zur Aussöhnung der Väter und Söhne, als Versuch der Wiedergewinnung der verlorenen Sprachen, wie es ja insbesondere aus der im Lukasevangelium erzählten Geschichte um den Vater des Johannes, den vorübergehend verstummten Priester Zacharias, hervorgeht.

Das Ideal des freiwillig gewählten Konsumverzichts, das Johannes am Jordan vorzuleben versuchte, hat sich mir bereits in frühesten Kindertagen eingeprägt. Ich meine in der Tat: Bequemlichkeit ist kein Argument – im Gegenteil, etwas mehr Unbequemlichkeit, mehr Treppensteigen, mehr Verzicht, mehr Strampelei tut Herz und Sinn und Kreislauf gut.  Vor allem aber sehe ich das zentrale Motiv der Johannesgestalt im Gebot des Um-Denkens, also des Ausbruchs aus eingeschliffenen Routinen des bloß Zweckdienlichen, des allzu leichtfertig wiederholten Immergleichen.

In seinen Lebenserinnerungen schildert Adolf Hampel auch eine anekdotische Begebenheit, an der ich selbst beteiligt war: eine nette kleine Verhaftung in der bosnischen Stadt Bihać. Es war am 28. August 1968. Der Einmarsch der befreundeten Panzer aus den verbündeten Staaten in Prag lag gerade eine Woche zurück. Eine kleine Reisegruppe – bestehend aus Onkel Adolf, meinem Vater, meinem Bruder und mir – war von der Insel Rab aufgebrochen, um dieses wichtige Zentrum der bosnischen Muslime zu besuchen. Doch erregten wir offenkundig Verdacht bei der jugoslawischen Polizei UDBA: Wieso sollten einige Deutsche sich ausgerechnet eine Woche nach dem Einmarsch der Panzer des Warschauer Pakts in Prag für eine Moschee in Bihać interessieren? Da stimmte doch etwas nicht!

Schatten der Weltgeschichte, deren Sinn sich mir nicht enträtselte! Im Gedächtnis geblieben ist mir vor allem ein Spucknapf, der in der Polizeistation in einer Ecke stand. „Im alten Österreich-Ungarn fand sich so etwas häufiger in den Amtsstuben“, erklärte mir mein Vater mit leiser Stimme.

Das Missverständnis klärte sich nach langen Stunden auf. Ein Anruf bei den Milizionären auf der Ferieninsel ergab, dass es sich bei uns wirklich um eine harmlose Reisegruppe handelte, die im Kloster der hl. Eufemia wohne und  die den Milizionären besonders oft durch falschparkende Autos auffalle, was andererseits zu durchaus erwünschten Bußgeldzahlungen führe.

Die bosnische Moschee habe ich damals nicht gesehen. Aber  vor wenigen Tagen begrüßte ich eine Gruppe offensichtlich südslawischer Reisender bei uns im Hof mit einem herzhaften Dobar dan! und fragte:

– Woher kommt ihr?

– Aus Bosnien!

-Aha! Das kenne ich gut. Ich war schon als Kind in Bihać, der Stadt mit der berühmten Moschee!

Wir plauderten noch ein wenig, und so gelang mir die vollkommene Aussöhnung mit dem weit zurückliegenden Abenteuer, zusammen mit meinem Onkel, meinem Vater und meinem Bruder von der jugoslawischen Geheimpolizei UDBA verhaftet worden zu sein.

Ad multos annos, o Adolphe!

Quelle:

Adolf Hampel: „Falsch parken kann auch nützlich sein“, in: Mein langer Weg nach Moskau. Ausgewählte Erinnerungen. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried, 2012, S. 152-155

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Aug 132012
 

Seit vielen Jahren beobachte ich das beeindruckende Anwachsen der Mahnmale für deutsche Schuld in meinem unmittelbaren Wohnumfeld. Neben dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas wächst auch die Steinwüste der „Topographie des Terrors“ raumgreifend heran, wie das obige Foto belegt. Beide Mahnmale sind absolute Tourismus-Magneten, ich sehe jeden Tag europäische, asiatische und amerikanische Touristen zu den Gedenkstätten der deutschen Schande pilgern. Durchaus denkbar ist es, dass diese Flächen sich nach und nach ausbreiten und schließlich das gesamte Antlitz von Berlins Mitte prägen werden. Den Touristen läuft ein Schauder über den Rücken. Wir können stolz bekennen: Deutschland bekennt sich im Gegensatz zu vielen andern Ländern offen zu seinen mannigfachen Schandtaten. Wir sind, wie uns Timothy Garton Ash bescheinigt hat, die Weltmeister der Vergangenheitsbewältigung. Es ist, als wollte Deutschland sagen: Völker der Welt, kommt her und seht euch an, was wir euch alles Böse angetan haben.

Einige Male erwähnten wir in diesem Blog die allgemeine Friedensformel, welche ab 1945 tausendfach in Europa ausgegeben wurde und seither fest in die historische DNA eingebaut worden ist:

1) Letztlich kommt alles Übel in Europas Geschichte im 20. Jahrhundert von Deutschland her.

2) Sofern Deutschland diese Allein- oder doch mindestens Hauptschuld anerkennt und in rituellen Bußübungen dafür um Verzeihung bittet, kann Frieden herrschen.

3) Sobald Deutschland – etwa in der Europäischen Union – nur im mindesten irgendwelche Ansprüche als gleichberechtigter Partner oder gar als in Europa führende Wirtschaftsnation erhebt, wird bewusst oder unbewusst auf das Dogma Nummer 1 verwiesen. So beschwor die italienische Zeitung Il giornale bereits Il quarto Reich – Das Vierte Reich – herauf, als Kanzlerin Merkel auf die Einhaltung bestimmter vertraglicher Abmachungen drängte. Ein absoluter Tiefpunkt der antideutschen Meinungsmache.

Helmut Schmidt, der Altkanzler, hat erst jüngst wieder bei Sandra Maischberger darauf verwiesen: „Der Mord an sechs Millionen Juden ist im Unterbewusstsein der europäischen Völker ein so schweres Gewicht, dass es eine Führung durch die Deutschen ausschließt.“

4) Der Holocaust ist das entscheidende Ereignis der deutschen, ja der europäischen Geschichte. Alles, was vorher kam, ist dadurch entwertet. Dieses absolut zu setzende Ereignis begründet für die Deutschen eine negative Geschichtstheologie. Die Deutschen sind somit Trägervolk des absoluten Bösen. Sie werden unablässig von Selbstzweifeln geschüttelt.

5) Deutschland verordnet sich gehorsam daraufhin weitere Lektionen in der Pädagogik der Scham.

Eine ganze Fülle an neuen Erkenntnissen bringt allerdings seit 1990 diese nahezu unumstößlichen Glaubenssätze ins Wanken. Die Archive öffnen sich, Forschungs- und Redeverbote werden gelockert. Die letzten überlebenden Zeitzeugen beginnen ganz andere, von den Lehrsätzen der Friedensformel abweichende  Geschichten zu erzählen. Die Völker Europas fangen an, sich der gemeinsamen Verstrickung in die verschiedenen Massenmorde, Vertreibungen und Kriegsgreuel zu erinnern.  Insbesondere in Italien, Polen, Tschechien und Russland wird in einem Akt schmerzhafter Selbsterforschung zunehmend erkannt, dass ab 1917 Völkermord, eliminatorischer Massenterror gegen ganze Völker, verbrecherische Angriffskriege, staatlich angeordnete Judenpogrome, Vertreibungen, Konzentrationslagersysteme keine Eigenheit Deutschlands waren, sondern ebenso – und oft sogar früher – in anderen Ländern, in anderen europäischen Staaten geplant, eingeleitet und durchgeführt wurden.

„Hitleristen, Judenfeinde und Stalinisten gab es überall – nicht nur unter Deutschen, sondern auch bei den Polen, in der Ukraine, in Tschechien und Lettland.“ So hörte ich es selbst bereits 1975 aus dem Munde eines überlebenden polnischen Häftlings bei einer Führung im KZ Maidanek. In Polen fördern nun neue Forschungen zutage, dass es während des Kriegs auch zu gemeinsamen deutsch-polnischen Judenpogromen gekommen ist. Das ab 1939 geraubte jüdische Eigentum verblieb nach dem Ende des Krieges in polnischem Besitz.  Ein Sammelband unter dem Titel „Inferno of Choices“, empfohlen vom polnischen Außenministerium, berichtet darüber – was naturgemäß die nationalistische Rechte auf den Plan ruft. Darüber referiert  Konrad Schuller am 11.08.2012 in der FAZ: „Die Wahrheit schwarz auf weiß.“ Und selbst nach dem Ende des Krieges und nach der Vertreibung der Deutschen kam es in verschiedenen Ländern Mitteleuropas zu weiteren gewaltsamen Pogromen gegen die Juden, wie es aus eigenem Erleben etwa auch der 1929 in der Tschechoslowakei geborene Robert F. Lamberg – seinerseits jüdischer Herkunft – berichtet.

Polnische Kommunisten vollstrecken nach dem Ende des 2. Weltkrieges an polnischen Landsleuten oftmals das, was den Nazis vorher nicht gelang: die grausame Hinrichtung von polnischen Widerstandskämpfern, die sich auch der Nachfolgediktatur der Nationalsozialisten, nämlich der bolschewistischen Terrorherrschaft widersetzen. Emil Pilecki etwa wird nach der Katyn-Methode hingerichtet, wie sie die sowjetische Geheimpolizei hunderttausendfach anwandte: durch Pistolenschuss in den Hinterkopf des Verurteilten. Der Partisanenkrieg gegen die Sowjetrussen dauert nach 1945 in Polen und in den baltischen Ländern, insbesondere in Lettland noch jahrelang. Und diese zahlreichen Bürgerkriege – insbesondere auch in Italien, Spanien und Griechenland – gehören bis heute zu den am besten gehüteten Geheimnissen der europäischen Friedensformel.

Emil Hácha, der letzte tschechoslowakische Ministerpräsident vor dem 2. Weltkrieg, herrschte mit eiserner Faust über seinen Staat und gebärdete sich als willfähriger Scherge des Deutschen Reiches. Seine Truppen und seine Polizei verhafteten und vertrieben 1939 ohne äußeren Druck 20.000 sudetendeutsche Gegner der Nazis und lieferten sie in deutsche Konzentrationslager ein. So berichtet es R. M. Douglas in seiner umfassenden Studie Orderly and Humane: Tschechische Polizisten liefern sudetendeutsche Widerständler an Hitler aus.

Was folgt daraus? Die europäische Friedensformel, wie sie oben faustformelartig skizziert wurde, ist so nicht haltbar. Ich meine, im Laufe der nächsten Jahre wird sie etwa in folgende Richtung gehen:

1) Nicht alles Übel in Europas Geschichte im 20. Jahrhundert kommt von Deutschland her. Zahlreiche europäische Länder beschritten ohne äußeren Druck den Weg der Gewalt und des Terrors. Die erste Häfte des 20. Jahrhunderts war durch eine bis dahin beispiellose Verkettung von staatlichen Massenverbrechen, Vertreibungen, eliminatorischen Verfolgungen, Angriffskriegen und Bürgerkriegen gekennzeichnet. In den Jahren 1933-1953 bildeten sich jedoch Sowjetunion und Deutsches Reich als die beiden entscheidenden Pole der staatlichen Massenverbrechen heraus. Diese beiden Länder versuchten ihre Terrorherrschaft nach und nach auf alle Nachbarländer und den Rest Europas auszudehnen.  Die europäische Staatenordnung war etwa ab 1933  entscheidend durch die bipolare Kräfteanordnung zwischen Deutschem Reich und Sowjetunion bestimmt.

2) Sofern die vielen europäischen Länder aufgrund freier Einsicht ihre Schuld anerkennen und in symbolischen Akten voreinander um Verzeihung bitten, kann echter innerer Frieden herrschen.

3)  Deutschland sollte weiterhin sich umfassend zu seiner aus der Vergangenheit herrührenden moralischen Schuld bekennen, aber auch gerade deswegen in der Europäischen Union Ansprüche als politisch gleichberechtigter Partner erheben, die im Einklang mit seinem Gewicht als Europas größter Volkswirtschaft stehen. Mangelnder politischer Gestaltungswille bei den Deutschen ist von Übel.

4) Allen EU-Staaten stehen gerade in dieser jetzigen Krise der EU weitere Lektionen in der Pädagogik der Scham gut zu Gesicht. Gefragt ist dabei nicht der erhobene Zeigefinger, sondern die aufrichtige, wissenschaftlich gestützte Erforschung der eigenen staatlichen Verbrechen, aber auch der Stolz auf die eigenen Großtaten und Leistungen.

Quellen (Auswahl):

Jan Puhl: Gefangener Nummer 4859. SPIEGEL 32/2012, S. 70-71
Konrad Schuller: Die Wahrheit schwarz auf weiß. Streit um Polens Rolle im Holocaust. FAZ, 11.08.2012, S. 5
Robert F. Lamberg: Bootspartie am Acheron. Ein Leben zwischen braunem und rotem Totalitarismus. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2006
Adolf Hampel: Mein langer Weg nach Moskau. Ausgewählte Erinnerungen. Gerhard Hess Verlag, Bad Schussenried, 2012
Menschen bei Maischberger. Sendung vom 07.08.2012, ARD
R. M. Douglas: Orderly and Humane: The Expulsion of the Germans after the Second World War. Yale University Press, New Haven&London 2012, hier Amazon-Kindle-Ausgabe, Pos. 396

 

 Posted by at 23:05
Jan 022010
 

02012010005.jpg Die drei ersten Tage im Jahr verbringe ich in Augsburg und Dießen. Meine Eltern benötigen von Jahr zu Jahr mehr Liebe, mehr Sorge und Zuwendung.  Wie immer streife ich durch die alten Bücherbestände, greife dies und das heraus. Ein Buch über die Religion in Russland hat es mir besonders angetan. Die beiden Autoren, Thomas Ross und Adolf Hampel, haben Russland in den frühen neunziger Jahren durchstreift und dabei insbesondere das erstaunliche Aufblühen der orthodoxen Christenheit begleitet.

Als wir 2002 unseren Wanja nach orthodoxem Ritus taufen ließen, wurden zugleich auch zwei Erwachsene ganzkörperlich eingetaucht. Und der Teufel, den der Ritus im Westen vermutet, wurde wortreich vertrieben. Kein Zufall, die russisch-orthodoxe Kirche scheint nach dem Zusammenbruch des aus dem Westen stammenden, atheistischen Kommunismus Orientierung und Halt zu bieten.

Unser Bild zeigt eine Skulptur im Park des Augustinums in Dießen am Ammersee. Dort spazierten wir heute vorbei. Warum sitzt denn die Liesel verkehrt herum auf dem Tier? Niemand reitet auf einem Esel mit dem Gesicht nach hinten! Zu Jahresbeginn schaue ich nach vorne! Was steht an?

Ich wünsche mir für Russland das weitere Erstarken einer neuen Mittelschicht, die die Traditionen der Fürsorge, der Bindung an sittliche Werte, wie sie etwa die orthodoxe Kirche liefern kann, mit den tatkräftigen Engagement für Gesellschaft und Staat verbindet.  „In der Wechselwirkung von Mittelklasse und Kirche könnte sich die Rechtskultur entwickeln, der Sinn für Initiative und Verantwortung, ein Mechanismus gewaltfreier Konfliktbewältigung und andere Qualitäten und Strukturen, die Voraussetzung für ein neues, zukunftsreiches Russland sind.“ So schreiben die Autoren auf S. 142 des höchst instruktiven Bändchens.

Ich füge hinzu: Diese „Mittelschicht“, die sollte natürlich nicht hermetisch abgeschlossen sein, keine „Bourgeoisie“, wie das Marx/Engels immer formulierten. Sondern eine Gesellschaft von tüchtigen Aufsteigern, von Chancenverwertern und Neubürgern, die das beste aus ihren Möglichkeiten und Potenzialen machen. Jeder, der will und kann, sollte dazustoßen können. Zusammenwachsen – zusammen wachsen! Das ist mein Motto.

Die Gelegenheiten zum Zusammenwachsen sind günstig. Packen wir sie beim Schopfe!

Quelle: Thomas Ross/Adolf Hampel: Gott in Russland. Ein Bericht. Carl Hanser Verlag, München 1992

 Posted by at 23:58