Wider das Vergessen – ein Kiezspaziergang durch das Bayerische Viertel

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Mrz 242018
 

Bei kaltem Frost und strahlendem Sonnenschein warfen wir am vergangenen Samstag einen großartigen, erkenntnisreichen Blick in die Geschichte unserer Schöneberger Wohnumgebung! Geführt durch Bürgermeisterin Angelika Schöttler durchstreiften wir unseren Bezirk. An jedem dritten Samstag im Monat wird in der Regel mit der Bürgermeisterin ein neues Gebiet erkundet – sehr löblich, sehr empfehlenswert! Thema des Kiezspazierganges war dieses Mal das Bayerische Viertel.

Für die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie stellt zwar das heutige Schöneberg kein Ruhmesblatt dar, denn die Schöneberger Kohlenhandlung, in der die mutigen SPD-Politiker Annedore Leber und Julius Leber ihre konspirativen Treffen abhielten, ist in ihrem jetzigen Zustand nur noch als trauriges Denkmal für das Vergessen zu bezeichnen.

Aber es war mir um so mehr eine große Genugtuung, dass der maßgebliche Begründer des Revisionismus, der große Sozialdemokrat Eduard Bernstein, immerhin noch im Gedächtnis zumindest unserer kleinen Wandergruppe verankert wurde. Ja, wir kamen an der oben zu sehenden Gedenktafel in der Bozener Straße vorbei. Gelegenheit, dieses mutigen, unbeugsamen Theoretikers, der als einer der ersten SPD-Politiker öffentlich an den marxistischen Dogmen zweifelte, zu gedenken!

Bernsteins Grab besuchte ich übrigens am 4. Juni 2017 auf dem Friedhof an der Eisackstraße, der sich im Zuge der Auflösung befindet, umtost von der Stadtautobahn A 100, ebenfalls in Schöneberg. Dort dämmert Bernsteins Ehrengrab unter tiefschattenden Bäumen dem Ende alles Irdischen entgegen.

Die Schriftsteller Gottfried Benn und Arno Holz zählten ebenfalls zu den Schönebergern. Wir kamen an ihren ehemaligen Wohnungsadressen vorbei.

Besonders dankbar war ich dafür, dass sich endlich mein quälender Zweifel bezüglich der im Bayerischen Viertel überall ausgehängten nationalsozialistischen Verordnungen und Gesetze klärte, mit denen ab 1933 die Entrechtung, Verfolgung und Vertreibung der Schöneberger Juden juristisch abgesichert wurde. Das kann doch nicht sein! Sollten diese Gesetze und Verordnungen immer noch oder gar wieder gelten? So durchzuckt es mich immer wieder, wenn ich durch das Bayerische Viertel radle. Warum hängen diese schändlichen Unrechtsparagraphen Tag um Tag im Schöneberger Straßenraum herum? Ist es denn schon wieder so weit?

Weit gefehlt! Es handelt sich um ein Erinnerungsmahnmal, die Orte des Erinnerns, wie ja auch aus kleinen, nachträglich angehängten Täfelchen hervorgeht. Starker Tobak, nichts für empfindliche Nerven ist das; diese Erinnerungsorte wirken vermutlich re-traumatisierend für die Menschen, die jene Unmenschlichkeit der durch die Nationalsozialisten beherrschten Gesellschaft gerade hier in der Schöneberger „jüdischen Schweiz“ erleiden mussten. Auf mich entfalten offen gestanden die Täfelchen weiterhin eine nachhaltig verstörende, deprimierende Wirkung.

Insgesamt jedoch fand ich den Rundgang mit Bürgermeisterin Schöttler eine wunderbare Sache. Sie liebt ganz offensichtlich den Bezirk. Sie möchte all die schönen und weniger schönen Geschichten, die hier geschehen sind, weitererzählen und weitergeben. Und wir gerieten sogar ins persönliche Gespräch mit einem Mitwandernden, der tatsächlich ab 1952 hier am Bayerischen Platz seine Kindheit erlebt hatte. Er schilderte uns seine Erlebnisse und Erfahrungen. Wir hörten zu, lauschten, froren, nickten, fragten.

Mein Dank geht in diesem Augenblick an Frau Schöttler und alle, die uns erzählt, geführt, begleitet haben. Und an die Märzensonne! Sie wird es im Laufe der Tage schaffen. Der alte Winter wird sich ohnmächtig in seine Berge irgendwo hinter Bayern zurückziehen. Sie wird die Oberhand über den Frost behalten.

Strahle hell und warm! Im Zuhören, Lauschen, Nicken, Fragen, ja auch im Frieren entsteht allmählich das Gefühl der Zugehörigkeit, das Gefühl der Gemeinschaft. Und zuletzt erscheint, wie immer vorübergehend, wie fröstelnd und gefährdet auch immer, tatsächlich das Bewusstsein von Heimat.

https://www.berlin.de/ba-tempelhof-schoeneberg/ueber-den-bezirk/spaziergaenge/

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An den Grenzen des Bewohnten

 Historikerstreit, Karl Marx, Revisionismus  Kommentare deaktiviert für An den Grenzen des Bewohnten
Jun 042017
 

An den Grenzen der bewohnten Welt entlang wanderten wir heute, grüßten Eduard Bernstein, den Schöneberger Sozialdemokraten, der Engels noch persönlich gekannt hatte. Er glaubte an den Sozialismus, jedoch nicht an ewige Wahrheiten. Er war einer der ersten Sozialdemokraten, die Marx und Engels offen widersprachen. Er hatte den Mut, sich seines Verstandes ohne Anleitung einer Partei zu bedienen.

Der Friedhof an der Eisackstraße versinkt ins Naturhaft-Wuchernde. Ungastlich, umtost vom Lärmteppich der Stadtautobahn! Bernstein versinkt ins Vergessen. Der Vorwurf des Revisionismus sollte als Bannstrahl wirken. Doch Bernstein hatte in vielem mehr Recht als die Mehrheitler. Revisionismus ist doch Merkmal jeder echten Erkenntnis. Ein Ehrentitel!

Der Revisionismusstreit in der Arbeiterbewegung kann als Urbild des Historikerstreits des deutschen Feuilletons, des Positivismusstreits in der deutschen Soziologie gelten.

Als neueste Auflage dieser Scheindebatten mag der Kampf gegen den Begriff der Leitkultur gelten. In allen vier genannten Debatten wurde und wird gegen Evidenzen gekämpft im Namen einer anschauungslosen, gegen kritische Rückfragen abgedichteten Grundüberzeugung, die Züge einer Glaubenslehre angenommen hat.

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Doch muß man glauben! – Muß man?

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Nov 292016
 

Eine der nicht eben zahlreich20160514_130355en Stellen, in denen Dante ausnahmsweise die Rolle des Lehrenden, nicht wie üblich die Rolle des zu Belehrenden, des eifrig Lernenden einnimmt, finden wir im 19. Gesang des Inferno.

„Fatto v’avete Dio d’oro e d’argento
e che altro è da voi a l’idolatre,
se non ch’elli uno, e voi n’orate cento?“

„Ihr habt euch Gott gemacht aus Silber und aus Gold,
und worin seid ihr anders als der Götzendiener,
als daß ihr hunderten, doch er nur Einem hold?“
(eigene Übersetzung des hier Schreibenden)

Muß man glauben an Einen, oder darf man auch an hundert Götter glauben?

Seit der Erzählung vom Goldenen Kalb ist die abendländische Überlieferung gespickt mit Warnungen vor der Vergötterung von Gold und Geld. Karl Marx, der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus, schleudert seinen gehässigen Bannstrahl auf das Volk, dem er doch entstammt, indem er in seiner Schrift „Zur Judenfrage“ das Judentum als „Religion des Geldes“ bezeichnet. Moses selbst zweifelt an seiner Aufgabe, als er sieht, wie sein Volk Israel einem selbstgemachten Gott huldigt. Er zertrümmert die Gesetzestafeln, die er eben erst auf dem Sinai empfangen hat. Und Dante zählt im 19. Gesang der Hölle mit dem Papst Nikolaus III., dem Apostel Judas und mit der Konstantinischen Schenkung des Kirchenstaates an Papst Silvester I., einer der wirkungsvollsten Geschichtsfälschungen  des Abendlandes, eine lange Reihe von Sünden auf, in denen der Glaube an die Heilkraft und die Macht des Geldes die Christen in die Irre geführt hat und auch weiterhin führt. Für Mose, Dante Alighieri, Karl Marx und einige andere, darunter auch Fausts Gretchen, stand fest: Das Geld und das Gold kann niemals die Grundlage der Glückseligkeit sein. Es kann nicht das Fundament sein, auf das sich echter Glaube stützt.

 

Doch muß man glauben!
Muß man?

 

Bild: Mailand: ein Blick auf Kathedralen des Geldes

 

Quellen:

Die Bibel, Zweites Buch: „Und das sind die Namen“/ „Auszug“, hierin insbesondere Kapitel 32. Zum Beispiel nach folgender Ausgabe: Neue Jerusalemer Bibel. Herder Verlag Freiburg Basel Wien, 1. Auflage der Sonderausgabe 2007, Buch Exodus, Kapitel 32, S. 119-121

Dante Alighieri: La Divina Commedia. A cura di Fredi Chiappelli. Grande universale Mursia, 4a edizione, Milano 1976, p. 108-112 (Inferno, canto XIX, insbesondere vv. 112-114)

Karl Marx: Zur Judenfrage, in: Karl Marx: Die Frühschriften. Herausgegeben von Siegfried Landshut. 7. Auflage. Neu eingerichtet von Oliver Heins und Richard Sperl. Geleitwort von Oskar Negt. Stuttgart: Kröner 2004 [=Kröners Taschenausgabe; Band 209] S. 237-274, hier bsd. S. 268-270

 

 

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„Ist das wirklich so?“ oder „Glaubst du das wirklich?“

 Geld, Karl Marx, Liebe  Kommentare deaktiviert für „Ist das wirklich so?“ oder „Glaubst du das wirklich?“
Mai 112016
 

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„Heute haben wir es mit einer Form des Kapitalismus zu tun, der zum ersten Mal in der Geschichte kein Außen mehr hat, weder in der Weltgesellschaft noch im Inneren der sozialen Zusammenhänge. Die Kapitallogik dringt buchstäblich in alle Poren des menschlichen Lebens ein;  das Sprach- und Symbolspektrum rankt sich um wirtschaftliches Handeln, obwohl wir den Traum der Beseitigung der Mangelökonomie längst ausgeträumt haben.“

Das sind sehr markante Sätze, getragen vom Pathos des Leidens an den Verhältnissen, so wie sie nun einmal sind oder zu sein scheinen!

Wer mag diese wuchtigen Sätze im Januar 2004 zu Hannover in den Boden gerammt oder vielmehr auf das Papier gestochen haben? Sind oder waren wir Menschen damals, im Januar 2004, sind wir heute, im Mai 2016, wirklich alle, alle nur ein bloßes Anhängsel der Warenproduktion, eine verzichtbare Zutat zu seiner überragenden Majestät, dem Kapital? Oder können wir uns entscheiden, nicht mehr mitzuspielen?

Der Mensch – ein Anhängsel des Kapitals? Ist das wirklich so? Glaubst du das denn wirklich, mein lieber Freund? Teilst du diese Ansicht? Ist dem wirklich so?

Meine höchstpersönliche Meinung — ich mag mich irren, dennoch sage ich: Nein, ich teile diese Ansicht nicht. Ich glaube schlechterdings nicht, dass die Kapitallogik in alle Poren des menschlichen Lebens eindringt. Auch im Januar 2004 war dies nicht so. Und im November 1837, als Karl Marx einen langen Brief an seinen Vater schrieb, war es ebenfalls nicht so. Ich halte diesen Glauben Oskar Negts an die absolute Majestät des Kapitals für eine irrige Ansicht. Oskar Negts tiefer Glaube, seine felsenfeste Überzeugung von der alle Poren durchdringenden Macht des Kapitals entspricht auch in unseren Zeiten von ESM, EZB, Maastricht-Kriterien, Basel III, OMT und Targetsalden nicht meinem Glauben.

Wichtiger als die Logik des Kapitals ist, so glaube ich, der Glaube an etwas anderes.

Was denn? Doch nicht etwa das, jenes Gefühl, das Karl Marx am 10. November 1837 in Berlin als ewig wirkende Kraft gegenüber seinem Vater bekannte?

Darüber wollen wir demnächst nachdenken! Vorerst rate ich Dir und bitte ich Dich, das schmale Bändchen mit dem Frühschriften von Karl Marx von der ersten bis zur letzten Seite sorgfältig durchzuarbeiten.

Zitatnachweis:

Oskar Negt: Zum Geleit, in: Karl Marx: Die Frühschriften. Herausgegeben von Siegfried Landshut. 7. Auflage. Neu eingerichtet von Oliver Heins und Richard Sperl. Geleitwort von Oskar Negt. Stuttgart: Kröner 2004 [Kröners Taschenausgabe; Band 209] S. 7-19, hier bsd. S. 18-19

Karl Marx‘ Brief an seinen Vater vom 10. November 1837, in: Karl Marx: Die Frühschriften. Herausgegeben von Siegfried Landshut. 7. Auflage. Neu eingerichtet von Oliver Heins und Richard Sperl. Geleitwort von Oskar Negt. Stuttgart: Kröner 2004 [Kröners Taschenausgabe; Band 209] S. 69-79, hier bsd. S. 79

Bild:
Ein Baum in einem Rapsfeld in den Coswiger Elbauen bei Lutherstadt Wittenberg. Aufnahme vom Vatertag, 5. Mai 2016

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Dez 072015
 

„Und warum erfahren wir das erst jetzt?“ So geht es einem wieder und wieder, wenn man sich näher mit der Geschichte der Jahre 1914-1945 befasst. So mag es manchem ergehen, wenn er erfährt, dass gegen Ende des 2. Weltkrieges immerhin mehr als 1 Million sowjetische Kriegsgefangene bereit standen, um als Freiwilligenarmee unter der Führung des Generals Wlassow gegen Stalin in den Krieg zu ziehen. Was zum Teufel ritt sie denn? Wovor hatten die ehemaligen Rotarmisten Angst?

Früher, unmittelbar nach 1945 schob man zur eigenen Entlastung in beiden deutschen Staaten bisweilen alle Schuld von sich: „Das haben alles nur die Nazis gemacht, nicht wir!“

Und in Russland, Italien, Deutschland kann man umgekehrt seit 1956 bis zum heutigen Tage immer wieder hören: „Это была вина сталинизма. Это была не наша вина! Es war alles die Schuld des Stalinismus, nicht unsere!“ Man könnte diese Haltung gegenüber der eigenen Vergangenheit eine apologetische Erinnerungskultur nennen.

In Deutschland herrscht demgegenüber heute eine eindeutig auto-kategoretische, also selbst-anklagende Geschichtsbetrachtung vor. „Wir Deutschen tragen alleine die Schuld und die Verantwortung für die zweimalige Zerstörung Europas in den Jahren 1914-1945. Und wir Deutschen sind außerdem an dem bislang größten Menschheitsverbrechen schuld!“ Deutschland übernimmt tausendfach, stillschweigend oder ausdrücklich, die Alleinschuld oder doch die Hauptverantwortung für zwei Weltkriege und obendrein noch für die Shoah. Die Formulierung vom „größten Menschheitsverbrechen“, der Shoa (auch Holocaust genannt), ist mittlerweile in dieser Absolutsetzung geradezu offiziös geworden, sie findet sich beispielsweise auch bei H.A. Winkler im letzten Band seiner „Geschichte des Westens“ (München 2015, S. 597).

Von dieser autokategoretischen Haltung Deutschlands profitieren insbesondere Italien und Russland in ihrem vorwiegend apologetischen Geschichtsbild. Können sie doch zur eigenen Ehrenrettung stets darauf verweisen, dass die eigenen Verbrechen der Vergangenheit ausnahmslos früher oder später durch die Deutschen übertroffen oder mindestens verursacht worden seien. Weil die Deutschen überall so schlimm gewütet hätten, habe man auch selbst nicht unschuldig bleiben können.

Während sich also in Deutschland mittlerweile in vielen tonangebenden Medien – bis in den Bundestag hinein – diese selbstanklagende Geschichtsschreibung durchgesetzt hat, fördert die historische Forschung seit 1990 sehr viel mehr Zwischentöne heraus.

Die Stichworte dafür lauten: geteilte Verantwortung, Interdependenzen, Kausalketten, reaktive Eskalationsstufen der Verbrechen, „schwache Diktaturen“, Anomie-Prozesse in den Gesellschaften, „europäischer Bürgerkrieg“.

So hat Timothy Snyder etwa darauf hingewiesen, dass bis zum 01.09.1939 das Deutsche Reich unter nationalsozialistischer Herrschaft „nur“ etwa 20.000 Morde an Zivilisten begangen hatte. Deutschland wurde in den Jahren 1935-1939 überall hofiert. Die Tageszeitungen Amerikas, Frankreichs und Englands verfolgten nachweislich die ersten sechs Jahre der Hitlerregierung mit kritischem Wohlwollen oder auch mit Bewunderung.

Demgegenüber hatten die staatlichen Organe der Sowjetunion, also insbesondere die Rote Armee und die Tscheka/der NKWD, ab 1917 bis zum 01.09.1939 sicherlich mindestens das Hundertfache an Morden an Zivilisten begangen, während in der Buchhaltung der Massenmorde an zweiter Stelle das faschistische Italien folgte. Die Sowjetunion nahm also gemessen an der Zahl der Todesopfer bis 01.09.1939 mit großem Vorsprung den ersten Platz der verbrecherischen Regime in Europa ein, Italien den zweiten Platz. Das Deutsche Reich rangierte damals noch weit abgeschlagen auf dem dritten Platz in der europäischen Champions League der Massenverbrechen!

Die Angst vor einem kommunistischen Putsch beherrschte obendrein die Innenpolitik der westeuropäischen Staaten, hatten sich doch die Bolschewiki nicht durch eine Revolution, sondern alleine durch bewaffnete Kader an die Macht in Russland geputscht. Und das Deutsche Reich unter Hitler galt spätestens ab 1935 als eine Art Bollwerk gegen den drohenden kommunistischen Umsturz in den Staaten Westeuropas.

Man braucht nur beliebige Tageszeitungen westeuropäischer Länder jener Jahre aufzuschlagen, und man wird die Wahrheit dieser Thesen aus damaliger Sicht bestätigt finden.

Im großen und ganzen wird man aber sagen können, dass im Nachhinein die tiefe Überzeugung von der alleinigen Schuld der Deutschen erstens an den beiden Weltkriegen und zweitens an der absolut als das Böse an sich gesetzten Shoah eine doppelte Glaubenswahrheit geworden ist, ohne die die Völker Europas nicht friedlich zusammenleben wollen und können.

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Im Zeichen von Hammer und Sichel: Verbrannte Erde

 1917, Das Böse, Ethnizität, Frau und Mann, Islam, Karl Marx, Kommunismus, Russisches, Sozialismus  Kommentare deaktiviert für Im Zeichen von Hammer und Sichel: Verbrannte Erde
Apr 032012
 

Soeben las ich Jörg Baberowskis „Verbrannte Erde“ in einem Zug zu Ende. Großartiges Buch, aber die sehr starke Personalisierung auf Stalin als schlechthin „bösartig“ finde ich denn doch überraschend. Denn solche Psychopathen wie Stalin gibt’s überall! Und der systematische Terror, die Massenhinrichtungen, die Ausmerzung der Volksfeinde und Verräter, die Ausplünderung und Vertreibung von ganzen Menschengruppen begann bereits mit der Oktoberrevolution 1917, also lange vor der Machtergreifung Stalins, wie Baberowski selbst sorgfältig herausarbeitet (S. 33-109). Allerdings erreichte erst mit und durch Stalin der Terror eine völlig neue Stufe, weil nunmehr jeder, auch engste Freunde, Verwandte und Mitarbeiter jederzeit den Mordbefehlen ausgesetzt sein konnten.  

Warum konnte Stalin sich über Jahrzehnte gerade im Zeichen von Hammer und Sichel und unter der roten Fahne des Marxismus-Leninismus so lange an der Macht halten?

Aufregend und hochaktuell für uns Deutsche ist es, wie Baberowski die Verfolgung und Unterdrückung der islamischen Völker anreißt! In Deutschland weithin unbekannt: Es gab staatlich befohlene Zwangsentschleierungen der usbekischen, der tatarischen Frauen, die Frauen wurden als unterdrückte Opfer durch die Bolschewiki „befreit“ – und nach der „Entehrung“ oft von den eigenen Männern des Clans ausgestoßen, kollektiven Schandstrafen unterzogen. Es gab hunderte Ehrenmorde.

Die Frauen wehrten sich gegen die erzwungene Befreiung, indem sie sich bewusst re-islamisierten und re-nationalisierten: „Einen Schleier zu tragen und religiöse Bräuche auszuüben, hieß jetzt nationalen Widerstand zu leisten“ (S. 149-154, vor allem S. 153).

Mein Tipp: Von hinten her, also vom letzten Kapitel anfangend, lesen!

Bild: Sehnsucht nach Hammer und Sichel. Das Bild, das sich mir täglich beim Verlassen meines Hauses bietet.

Jörg Baberowski

Verbrannte Erde

Stalins Herrschaft der Gewalt

Cover: Verbrannte Erde

C. H. Beck Verlag, München 2012
ISBN-10 3406632548
ISBN-13 9783406632549
Gebunden, 606 Seiten, 29,95 EUR

Verbrannte Erde | Baberowski, Jörg | Verlag C.H.Beck Literatur – Sachbuch – Wissenschaft

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Wird der Mehringdamm jetzt zur zweiten Karl-Marx-Straße?

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Dez 022010
 

Bozhe moj! Was für eine herrliche Kälte! Was für ein herrliches Schneetreiben!  Nachdem ich mein Rad zum Reifenwechsel in der Werkstatt abgegeben habe, stapfe ich rüstig durch den Schnee nachhause! Brrr! Ein bisschen Wärme täte gut! Mein Auge fällt auf die beiden neueröffneten Glücksspiel-Lokale am Mehringdamm. GLÜCK! Ich trete ein. Eine wohlige, angenehme Atmosphäre empfängt mich. Freundliche, aufgeräumte Mitarbeiter und Besucher, Getränke-Automaten stehen bereit. Ich nehme Platz an einem Automaten. Ein Warnhinweis belehrt mich: „An diesem Gerät ist der Höchsteinsatz gesetzlich auf 500.- Euro pro Stunde begrenzt.“ Ich werfe 10 Cent ein, bleibe aber stecken im Gewirr der Angebote. Ich breche ab.

Ich müsste öfter hierherkommen, um endlich mitreden zu können! Jedenfalls konnte ich mich aufwärmen.

Zuhause angelangt schlage ich die heutige BILD (Berlin-Ausgabe) auf. Jan Wehmeyer berichtet auf Seite 6 über die Geschäftsmodelle der Spielsalons: Verwandte werden mit Lohn und Brot versorgt. Bei Verstößen wird einfach ausgewechselt. Gastlichkeit ist großgeschrieben! „Wer spielen lässt, gewinnt!“ Das Finanzamt ist dem Geschick und dem Einfallsreichtum der Betreiber weit unterlegen.

Spielhölle Berlin: BILD-Report über eine Großstadt-Seuche – Berlin – Berlin – Bild.de

O je! Die wärmende Erfahrung meines Spielhallenbesuchs wird mir von der BILD kaputtgemacht!

Ich denke über diesen kurzen Abschnitt des Mehringdammes nach:

Der Blumenladen, in dem ich noch vor wenigen Monaten einkaufte, hat dichtgemacht. Vorgestern wollte ich dort einen Adventskranz kaufen. Pustekuchen!  Ebenso wie ein Presseladen.

Zwei sehr große Spielhallen haben ein paar Schritte weiter aufgemacht. Und wieder ein paar Schritte weiter gibt es jetzt wieder einen jener zahllosen Handyläden. So viel können die Leute doch gar nicht telefonieren?!

Spielhallen aneinandergereiht, Handyläden aneinandergereiht, gut eingeführte Blumen- und Presse-Läden, die sterben und dichtmachen – das Bild kenne ich! Es ist das Bild an vielen Straßen Neuköllns, so etwa in der Karl-Marx-Straße und der Sonnenallee.

Kommunalpolitiker, aufgepasst! Der Mehringdamm droht zu kippen!

Ich hoffe von Herzen, dass wenigstens der Buchladen Anagramm sich hält. Wir kaufen schon recht fleißig in ihm. Sie bestellen jedes Buch! Er sieht schon sehr klein und verloren neben seinen riesigen beiden neuen Nachbarn aus.

Berlins SPD hat gefordert, dass ein Mindestabstand von 1000 m zwischen Spielhallen einzuhalten sei. Das wird nicht reichen. Das geht der CDU (und mir auch) nicht weit genug. Ich würde als Kommunalpolitiker Spielhallen wirklich nur in sehr sehr geringer Zahl oder besser gar nicht zulassen. Am Mehringdamm haben wir schon mindestens eine zuviel. Lieber endlich ein lautes Jugend-Hostel als noch so eine Spielhalle!

Lest die Berliner BILD von heute S. 6, schlendert mal am Mehringdamm entlang, links und rechts von der Deutschen Bank – euch werden die Augen übergehen. Seht die Signale!

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Feb 222010
 

In allen sozialistischen Staaten, die ich vor 1989 besucht habe, galt Arbeitszwang. Bereits Rosa Luxemburg forderte ihn: „Nur der darf Lebensunterhalt bekommen, der etwas als Gegenleistung erbringt.“ Bereits kurz nach der siegreichen Oktoberrevolution richteten die Sozialisten riesige Arbeits- und Umerziehungslager ein, in denen sie arbeitsscheues Gesindel und volksfeindliche Elemente – wie sie die Arbeits- und Obdachlosen nannten –  auf Vordermann brachten. Diese Idee übernahmen 15 Jahre später auch die deutschen Nationalsozialisten.

Von diesen sozialistischen Zwangsmaßnahmen sind wir heute glücklicherweise weit entfernt! Allerdings erlaubt das SGB eine Form der Sanktion,  nämlich die Kürzung der Bezüge, falls ein Leistungsempfänger eine zumutbare Arbeit ablehnt. Darauf weist zu Recht Klaus Ernst von der Linkspartei hin. Guido Westerwelle wiederum forderte, diese heute möglichen Sanktionen auch ungescheut anzuwenden. Ich meine: Klaus Ernst und Guido Westerwelle fordern nichts anderes als die Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze. Von dem typischen sozialistischen Arbeitszwang oder gar Zwangsarbeit, wie sie zur Praxis der sozialistischen Staaten gehört, sind sie beide gleich weit entfernt. Beide wollen einen Beitrag zur Debatte um Hartz IV leisten. Man sollte Westerwelle und Ernst  nicht in parteipolitischer Verengung gegeneinander ausspielen. Schluss mit dieser Hatz!

Aber lest selbst in der Jungen Welt nach:

20.02.2010: FDP bleibt auf Krawallkurs (Tageszeitung junge Welt)
Der designierte Parteivorsitzende der Linken, Klaus Ernst, erklärte, die Linke werde gegen jede Verschlechterung bei Hartz IV mit allen Mitteln protestieren, »auch auf der Straße«. Erwerbslosen, die angebotene Jobs nicht annehmen, drohe schon heute der Verlust existentieller Mittel.

 Posted by at 11:14

Rosa und Vera. Oder: Freiheit, die sie meinen

 1917, Freiheit, Karl Marx, Rechtsordnung, Rosa Luxemburg  Kommentare deaktiviert für Rosa und Vera. Oder: Freiheit, die sie meinen
Jan 142009
 

„Papa, was ist Freiheit?“

Geben Sie mal Ihrem sechsjährigen Kind eine Antwort auf diese Frage!

Durch Diktatur später irgendwann einmal zur Freiheit, durch Terror irgendwann einmal zum Glück, so ungefähr fassten wir vor zwei Tagen die Überlegungen Rosa Luxemburgs zum Terror der russischen Bolschewisten zusammen. Sie bejahte in ihren Schriften Morde und Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der von ihr und einigen wenigen Erwählten erkannten welthistorischen Ziele. Ihr Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie, zu Meinungspluralismus – das alles, wofür sie von einigen bis zum heutigen Tage verehrt wird – das alles stößt sich aufs heftigste mit ihrer Parteinahme für den gewaltsam durchgesetzten Kurs der Bolschewiki, die sofort nach der Machtübernahme alle durch die Mehrheiten gewählten Organe schachmatt setzten.

Denn das deutsche Proletariat hatte versagt, das deutsche Proletariat hatte einfach nicht genug Karl Marx und Rosa Luxemburg gelesen, um sich zu seinem welthistorischen Auftrag durchzuringen, der Weltrevolution zum Durchbruch zu verhelfen. Auch das russische Proletariat – soweit vorhanden – hatte sich in seiner Mehrheit verstockt und uneinsichtig gezeigt. Vor allem das Lumpenproletariat (also Kleinkriminelle, Huren, Schieber, Tagelöhner) bereitete den großen Führern der Arbeiterschaft, allen voran Lenin, große Sorgen, so große Sorgen, dass Lenin schon mal vorsorglich den Befehl zur unverzüglichen leibhaftigen Eliminierung dieses – wie auch anderen – volksfeindlichen Gesindels gab …

Doch zurück zur Frage – was ist Freiheit? Wir bewunderten vor zwei Tagen den Mut Rosa Luxemburgs. Sie sagte über Kaiser Wilhelm II: „Der Mann hat keine Ahnung von den Tatsachen.“ Dafür wurde sie ins Gefängnis gesteckt. Das war Majestätsbeleidigung. Da ist keine Freiheit. Das war – das Kaiserreich, der Obrigkeitstaat. In so einem Land herrscht keine Freiheit. So würde ich meinem Sohn antworten.

Und heute? Wenn jemand sagen würde: „In ihren Interviews des Sommers 2006 offenbart die Bundeskanzlerin eine Sicht der Dinge, die man getrost als Realitätsverlust bezeichnen kann“, wäre das auch Majestätsbeleidigung? Wenn jemand behauptete: „Der Bundespräsident, der glaubte, dass die Beugung der Verfassung kein zu hoher Preis für die Ermöglichung notwendiger Veränderungen sei, steht vor einem Scherbenhaufen“, würde so einer heute auch ins Gefängnis gesteckt? Bei uns – nicht. Schau her, lieber Sohn, in unserer Bundesrepublik darfst du auch den Bundespräsidenten und die Bundeskanzlerin heftig angreifen – es wird dir nichts geschehen. Das ist eine freiheitliche Ordnung. Du kannst eigentlich alles sagen, ohne dass du ins Gefängnis gesteckt wirst. In so einem Staat dürfen wir leben. Nicht alle haben dieses Glück gehabt.

Wir haben uns diese Beispiele nicht aus den Fingern gesogen. Die zitierten Sätze entstammen dem Buch Neustart! von Vera Lengsfeld. Ein bemerkenswertes Buch, dessen Überlegungen vielleicht unpopulär, aber eben deswegen um so beherzigenswerter sind! Die Autorin unternimmt den Versuch, eine Gesamtschau auf Deutschland zu werfen. Ein Land in der Selbstblockade. Dabei nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Vor allem kritisiert sie, neben den höchsten Vertretern des Staates, den Souverän der Bundesrepublik Deutschland, nämlich uns alle – das Volk. Nicht zufällig setzt sie Freiheit an die Spitze ihrer Werteskala. Nicht Gerechtigkeit. Lengsfelds Hauptthese: Gegenwärtig streben wir zu sehr nach einer nebelhaften „Verteilungsgerechtigkeit“ – jeder möchte etwas vom Freßkorb der öffentlichen Hand erhalten. Man könnte an die Milliardenpakete denken, die gerade jetzt wieder gepackt werden, damit jeder etwas abbekommt. Doch damit wird Kreativität und Selbstverantwortung erstickt – so Lengsfeld in aller Unerbittlichkeit. Wir müssen die Fesseln des gütigen Wohlfahrtsstaates lockern, damit Initiative und Eigenständigkeit freie Bahn bekommen.

Ich meine: Diese Behauptung hat etwas Bestechendes. In ihren Diagnosen zeigt Vera Lengsfeld eine erstaunliche Übereinstimmung mit dem von uns schon mehrfach gelobten Hans Herbert von Arnim. Beide kritisieren die eingespielte Klüngelwirtschaft der Parteien, die Selbstbedienungsmentalität der mächtigen Lobbyisten, die mangelnde Beteiligung der Bürger an staatlichen Prozessen. Und sie machen beide sehr konkrete Vorschläge, was sich ändern sollte. Spannend! Aber werden so unbequeme Mahner auch gehört? Schaffen sie es in die Parlamente? Das ist die große Frage!

Hier noch die Quellenangabe für unsere beiden Zitate mit der doppelten Majestätsbeleidigung:

Vera Lengsfeld: Neustart! Was sich in Politik und Gesellschaft ändern muss. Freiheit und Fairness statt Gleichheit und Gerechtigkeit. F. A. Herbig Verlag, München 2006, hier S.  9-10

 Posted by at 19:19