Nun aber bricht aus jenen ewigen Gründen
Ein Flammen-Übermaß, wir stehn betroffen;
Des Lebens Fackel wollten wir entzünden,
Ein Feuermeer umschlingt uns, welch ein Feuer!
Ist’s Lieb? Ist’s Haß? die glühend uns umwinden?
Mit Schmerz und Freuden wechselnd ungeheuer,
[…]
Soweit seien einige morgendliche Gedanken aus der Feder eines bei den Deutschen heute im großen und ganzen vergessenen Dichters zitiert. Beachtlich an diesen aus dem kollektiven Gedächtnis radierten Versen: Beim Blick in die Sonne weiß der Sprechende – nennen wir ihn einfach auf italienisch Pugno – nicht, ob LIEBE oder HASS ihn umschlingt. Seine Sehkraft reicht nicht aus, diesem Glutkern ins Auge zu schauen.
Liebe und Haß sind also „umschlingende“ Leidenschaften aus „ewigen Gründen“, Gefühle, die stärker sind als wir selbst, die uns gewissermaßen über unsere Kräfte hinausführen.
Und deswegen ist der Hass so interessant, aber auch so unfassbar! Im innersten Glutkern scheinen Haß und Liebe mitunter ununterscheidbar zu sein. Sigmund Freud hat viel darüber nachgedacht. Er spricht vom Gegensinn der Urworte. Wir dürfen hier vom Gegensinn der Urgefühle sprechen. Weniges ist dabei klar, vielleicht dieses: Die Liebe ist zweifellos das große Ja zum Du. Der Hass ist zweifellos das große Nein zum Du.
Dies ist Stadium 1 des Hasses: eine unerklärliche, bannende, das Ich übersteigende Macht, die noch unentschieden ist.
„Man wußte nicht, was man mehr bestaunen sollte: ihre Zungenfertigkeit oder ihre Kunst der Lüge. Ich begann sie allmählich zu hassen.“
Erneut – der Umschlag von guten, positiven Gefühlen der Bewunderung, des Bestaunens in das Gegenteil: das böse, negative Gefühl des Hasses. „Ich begann sie allmählich zu hassen.“ Ein klug sezierender Einblick in die Genese des Hasses – lesenswert. Alice Miller und Thomas Mann haben das Wagnis unternommen, den Autor dieses Buches als ihresgleichen zu verstehen. Thomas Mann nannte ihn „Bruder“, er meinte, in dem Verfasser der zitierten Zeilen nichts wesentlich anderes zu erkennen als in jedem anderen Menschen und in sich auch.
Dies ist Stadium 2 des Hasses: an einem bestimmten Objekt, das zunächst bewundert oder auch geliebt wird, entzündet sich nach und nach das Gefühl der Unterlegenheit, das Gefühl der Benachteiligung, das Gefühl des Neides. Wir sagen: der Neid „flammt auf“, und Neid (althochdeutsch nit oder nid) ist semantisch mit Hass verwandt. Von Bewunderung über Neid zum Haß!
Den vollkommen ausgebildeten Haß, das Stadium 3 des Hasses, das auch therapeutischer Durcharbeitung nur noch schwer zugänglich sein dürfte, legt die populistische BZ, nach eigenem Bekunden Berlins größte Zeitung, heute offen. Sie druckt in voller Länge ein Dokument von 210 Zeilen ab, das zweifellos einen exemplarischen Inbegriff des Hasses darstellt. Hier, bei den Friedrichshain-Kreuzberger Linksextremisten, bricht sich ungeschminkt, unbeschönigt der „blanke Haß“ Bahn. Gegenstand dieses rassistischen Hasses der Linksextremisten ist hier eine bestimmte Gruppe von Menschen, eine Gruppe, die als „Schweine“ bezeichnet wird, die als eine entmenschte Horde verspottet werden, denen man alles Böse an den Hals wünscht. Sie sind gewissermaßen die „Macker, die es überall gibt“, die man plattmachen, also vernichten möchte.
Die Objekte des Hasses sind austauschbar: „Macker gibt’s in jeder Stadt“, das heißt auch: Jeder kann Macker sein, jeden kann es treffen, als Macker angegriffen zu werden.
Man kann das gut auch bei Adolf Hitler zeigen: In seinem autobiographischen Buch bekundet er an der einen Stelle Bewunderung für den englischen Parlamentarismus, und an anderer Stelle bezeugt er seinen Haß auf den Parlamentarismus in Österreich.
Der Haß entzündet sich also an einem zufälligen Du, an einer Projektionsfläche. So wird man wohl auch annehmen dürfen, dass der blanke, der krankhaft, ja wahnhaft verfestigte Haß auf „Macker“ oder „Schweine“, wie er sich in den Unterstützerkreisen der Rigaer Straße bekundet, gleichsam als überwältigende Kraft, als Urkraft aus dem Glutkern der Psyche herausbricht.
Das klingt schlimm, aber es ist menschlich, allzu menschlich!
Diesen derart verfestigten Haß (in diesem Fall den grundlosen Haß auf die Polizisten) in Gesprächen aufzulösen, ist ein schwieriges Geschäft. Zunächst einmal ist es wichtig, den Haß anzuerkennen. Ja, da steckt viel Haß in diesen Menschen. Sie erleben den Haß, sie sind gefangen im Haß. Aber, so meine ich: der Haß muss und darf kein Letztes sein.
Alice Miller sagt sinngemäß: Der Haß wird erlebt; Haßgefühle zu erleben, ist zunächst einmal etwas Normales. Was wir wollen, ist, dass Hassgefühle nicht ausgelebt werden. Haßgefühle, die schrankenlos ausgelebt werden, führen zu Verletzungen, Zerstörungen, zur Vernichtung des Menschlichen im Hassenden wie im Gehassten.
Hier ist zunächst einmal die Herstellung eines gesetzlichen Zustandes zu erwarten. Der Staat kann mit Gewalttätern nicht darüber verhandeln, ob die Gesetze einzuhalten sind oder nicht.
Eine echte Schlichtung kann – so hoffe ich – in Gesprächen als zweiter Schritt erfolgen.
Quellenangaben:
Goethe, Faust II, Verse 4707-4712, ed. Albrecht Schöne, Frankfurt 1999
Thomas Mann: Der Bruder
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8c/Thomas_Mann_Der_Bruder_Foto_%C2%A9_H.-P.Haack.JPG
Alice Miller:
DIE KINDHEIT ADOLF HITLERS
„Wer meint, man könne mit den Linksextremisten verhandeln, sollte diese 210 Zeilen lesen.“ BZ, Berlins größte Zeitung, 12. Juli 2016, S. 4-5
Mein Kampf : eine kritische Edition / Hitler ; herausgegeben von Christian Hartmann, Thomas Vordermayer, Othmar Plöckinger, Roman Töppel unter Mitarbeit von Edith Raim, Pascal Trees, Angelika Reizle, Martina Seewald-Mooser ; im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte München – Berlin, vierte, durchgesehene Auflage, 2016, hier Band I, bsd. S. 225 [S. 63] und S. 261 [S. 77]
Bild:
„Macker gibt’s in jeder Stadt, bildet Banden, macht sie platt.“ Hauswand in der Rigaer Straße, Aufnahme vom 23.06.2016