„Der Ausnahmezustand wird zum Normalzustand“: Die Sehnsucht des Falk Richter

 Ausnahmezustand, Autoritarismus, Freiheit, Hass und Hetze, Parlament, Süddeutsche Zeitung  Kommentare deaktiviert für „Der Ausnahmezustand wird zum Normalzustand“: Die Sehnsucht des Falk Richter
Mrz 222016
 

Flächendeckende Personenkontrollen in Frankreich! Schwerbewaffnete Polizisten vor öffentlichen Gebäuden!  Der deutsche Regisseur  Falk Richter kann sein Theater in Straßburg nicht betreten, ohne dass er durchsucht würde. Das Parlament in Frankreich hat ja den dreimonatigen Ausnahmezustand anstandslos bis Ende Mai 2016 verlängert.

Der große Freiheitsexperte Falk Richter, der tolle deutsche Künstler findet es richtig gut, ständig kontrolliert zu werden, wie er heute auf S. 11 der Süddeutschen Zeitung bekennt. Kuckstu ma hier! So schnell kann also man in den Glauben an den STARKEN STAAT abrutschen! So schnell gibt man fundamentale Bürgerrechte gegenüber der Polizei preis. Denn der Ausnahmezustand ist in Frankreich beileibe kein Pappenstiel. Versammlungsverbote, Ausgehverbote, Hausdurchsuchungen zu jeder Tages- und Nachtzeit, Einschränkungen der Bewegungsfreiheit und und und… die Liste der Freiheitseinschränkungen ist lang. Sie gehen weit über die deutsche Notstandsgesetzgebung hinaus, gegen die damals die glorreichen 68er auf die Straße gingen.  Das ist der große Rollback zurück.

Nächstes Beispiel für die neue deutsche  Autoritätshörigkeit: Jeden Monat nimmt der EZB-Direktor 80 Milliarden Euro in die Hand, um damit Anleihen vom Markt wegzukaufen. Der EZB-Direktor – sein Name sei gepriesen, sein Wille geschehe – macht also direkt Finanz-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik. Er ist – so kann man durchaus glaubhaft begründen – der mächtigste Politiker Europas. Er dirigiert zentral vom Frankfurter EZB-Tower das Schicksal der Währungsunion. Und? Kein Hahn kräht danach. Unter der Chiffre „Super-QE“ wird durch das laufende EZB-Anleihenprogramm ohne jede Aufsicht jedes Jahr etwa drei Mal so viel Geld hin- und hergeschoben wie der Staat Belgien im selben Zeitraum einnimmt oder ausgibt. Kein Parlament, kein Pegida-Experte kuckt ihm auf die Finger. Dabei sind 80 Mrd. Euro pro Monat kein Pappenstiel. Oder?

Drittes Beispiel: Die EU hat zusammen mit der Türkei beschlossen, zusammen zigtausende Menschen hin- und herzuverfrachten. Rein in die Türkei, raus aus der Türkei. Werden die Menschen dazu befragt? Was, wenn sie dies nicht wollen, dieses Hin- und Herverfrachtetwerden? Was, wenn sie nicht folgen? Dürfen die Staaten dann Gewalt gegen die Menschen in Griechenland und der Türkei anwenden?

Jeder, der die aktuelle EU-Politik, insbesondere die Asylpolitik der EU kritisiert, der die aktuelle Geld- und Bankenrettungspolitik kritisiert, der gegen die dauerhafte Einschränkung der Parlamentsbefugnisse durch den Etat d’urgence protestiert, wird allzu leicht mit den „Europafeinden“, den „Europahassern“ in einen Topf geworfen.  Motto: Ist doch eh alles brauner Quatsch mit Soße! Ist die Welt des Falk Richter doch so einfach, sobald man einmal die „Hasser“ und „Hetzer“ erkannt hat. Das sind nämlich immer die anderen!

Falk Richter will den starken Staat. Er erklärt in der Berliner Schaubühne und auch heute im SZ-Interview manche, namentlich benannte Menschen explizit zu Feinden der bestehenden Gesellschaft.

Der Absturz des Falk Richter in die Autoritätshörigkeit, die Sehnsucht des Falk Richter nach dem starken Staat, seine kritiklose Zustimmung zur Verhängung der Notstandsgesetze in Frankreich sind ein Beweis dafür, wie schnell doch die Menschen bereit sind, fundamentale Freiheitsrechte der Gesellschaft zugunsten des starken Staates einschränken zu lassen. Was für eine tolldreiste Schaubühne!

Lesenswert! So schnell kann also ein einzelner Mensch abrutschen.

Beleg: „Wie schnell eine Gesellschaft abrutschen kann“. Schützen, was Europa ausmacht. In: Süddeutsche Zeitung, 22. März 2016, S. 11

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Der befremdliche Eichendorff in der Fremde

 Eichendorff, Europäisches Lesebuch, Hass und Hetze, Russisches, Sezession, Singen, Versöhnung  Kommentare deaktiviert für Der befremdliche Eichendorff in der Fremde
Aug 072014
 


 

„Von wem stammt der Text zu dem Lied von Felix Mendelssohn Bartholdy, das Du am Sonntag vormittag zur Klavierbegleitung sangst? In diesen Worten steckt so viel Verqueres, Befremdliches, Schweres und wunderbares Erleichterndes!“

Antwort, o Schwester: Das Gedicht von Eichendorff hat mich ebenfalls befremdet und rührt mich weiterhin befremdlich an. Besonders stark befremdend fiel es mich an, als ich kürzlich, mitten in den hundertjährigen Kiefernwäldern von Nikolina Gora, mit lauter Russen und Ukrainern Fußball spielte. Die russisch-ukrainisch-deutsch-europäischen Amateur-Fußballmanschaften spielten achtsam, fair, ohne den verbissenen Ernst der Politiker auf dem kleinen Kunstrasenfeld. Wir verstanden uns prächtig – die Russen, die Ukrainer, der eine Holländer, der eine hier schreibende Deutsche.

Da draußen aber, stets betrogen, rauschte erbarmungslos die geschäftige Welt, Ost und West überziehen einander wieder einmal gegenseitig mit Sanktionen und mit dem Vorwurf der Lüge, man versucht den jeweils anderen in die Ecke des Foul-Spielers zu stellen. Und draußen rauschte unaufhörlich die Rubljowka. Die Stimme Eichendorffs verhallt ungehört.

Die Musik ist von Felix Mendelssohn Bartholdy.

Das ist es, das Gedicht von Eichendorff, das ich in Nikolina Gora summte und sang:

Abschied.

O Thäler weit, o Höhen,
O schöner, grüner Wald,
Du meiner Lust und Wehen
Andächt´ger Aufenthalt!
Da draußen, stets betrogen,
Saust die geschäft´ge Welt,
Schlag‘ noch einmal die Bogen,
Um mich, du grünes Zelt!

Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Daß dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!

Da steht im Wald geschrieben,
Ein stilles, ernstes Wort
Von rechtem Thun und Lieben
Und was der Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Ward´s unaussprechlich klar.

Bald werd‘ ich dich verlassen,
Fremd in der Fremde gehn,
Auf buntbewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Ernst’s Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.

Joseph von Eichendorff: Abschied. Zitiert nach: Das deutsche Gedicht. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Herausgegeben von Wulf Segebrecht unter Mitarbeit von Christian Rößner. S. Fischer Verlag, o.O. 2005, S. 224-225

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Jul 252011
 

In einer schwierigen Lage sind weltweit alle jene muslimischen Menschen, die sich offen vom islamischen Glauben lossagen. In den arabischen Ländern ist dies ohnehin nur in ganz wenigen Ausnahmefällen zulässig. Du kannst nicht aus dem Islam austreten wie aus einer christlichen Kirche! In Deutschland wird der guten staatlichen Ordnung halber stillschweigend (jedoch zu Unrecht) angenommen, alle Menschen, die aus „islamischen Ländern“ zu uns kämen, seien Muslime. Kein türkisch- oder arabischstämmiger deutscher Politiker hat es etwa meines Wissens bisher gewagt, sich in Deutschland öffentlich vom Islam loszusagen. Er würde sich unabsehbare Schwierigkeiten einhandeln, gegen die die Pfiffe gegen den deutschen Nationalspieler Mesut Özil nur ein Kinderspiel darstellten.

Über den aus Marokko stammenden, jetzt Schweizer Islamkritiker Kacem El Ghazzali berichtet heute Rainer Wandler auf S. 18 der taz:

Bloggender Religionskritiker: Einmal Muslim, immer Muslim – taz.de
Als er zu schreiben begann, war er „eher Agnostiker als Atheist“. Er stellte philosophische Überlegungen an. Kritisierte Auswüchse der Scharia im Iran und anderen Ländern. Das reichte schon. Nach nur einem Jahr bedrohte ihn jemand auf seiner eigenen Facebookseite. „Ich weiß bis heute nicht, wie sie auf meine wahre Identität gekommen sind“, sagt er. Er trat die Flucht nach vorn an und bekannte sich mit vollem Namen zum Blog.

„Nach kurzer Zeit wusste alle über mich Bescheid. Die Lehrer auf dem Gymnasium begannen gegen mich zu hetzen.“ Sie brachten ihn mit den Mohammed-Karikaturen in Zusammenhang, nannten ihn wahlweise „Ungläubiger“, „Jude“, „Feind des Islams und von König Mohamed VI.“, der per Verfassung „Führer aller Gläubigen“ ist.

Eines Tages eskalierte die Situation. Der Direktor schlug ihn. Mitschüler bewarfen ihn mit Steinen.

Ist die taz islamfeindlich, wenn sie solche Meldungen bringt? Denn hier erscheint der arabisch geprägte Islam genau so, wie ihn die europäischen Rechtspopulisten immer wieder darstellen: als intelorant, diktatorisch, auf Unterwerfung der Einzelmenschen bedacht.

Ich glaube, der Vorwurf der Islamophobie gegen die taz wäre verfehlt. Nicht jede Befassung mit der Praxis der innigen Verquickung von Religion und politischer Macht in islamischen Ländern ist verwerflich! Und vergessen wir nicht: Im europäischen Mittelalter war es auch nur schwer möglich, den christlichen Glauben abzulegen. Also: Bei uns war es vor 600 Jahren auch nicht besser.

Das europäische Mittelalter entrichtete gewissermaßen den „Preis des Monotheismus“ für diesen Absolutheitsanspruch, mit dem die großen monotheistischen Religionen häufig aufgetreten sind. So nannte dies Jan Assmann.

Denselben Preis entrichten bis zum heutigen Tag die arabischen Länder. Und sie verknüpfen den Absolutheitsanspruch der Religion mit dem Anspruch der muslimischen Herrscher auf politische Unterwerfung der Untertanen bzw. der Bürgerinnen.

Hoffen wir, dass die arabischen Länder allmählich – in weniger als 600 Jahren – den mühseligen, schmerzhaften Weg zur Religionsfreiheit finden!

 Posted by at 19:10
Mrz 052011
 

Ich staune immer wieder, mit welcher persönlich diffamierenden Hetze in Foren von den Herren der Schöpfung  über manche türkisch- oder kurdischstämmigen Frauen hergezogen wird. Es ist Hetze, denn ein sachliches Argument gegen Frauen wie Ates oder Kelek habe ich schon lange nicht mehr gehört. Nie wird gesagt: „Das oder das finde ich falsch.“ Es läuft nur noch auf Beleidigung und Herabsetzung hinaus. Schande.

Hasstiraden: Wer schützt mich vor den verrückten Türken? – Nachrichten Debatte – WELT ONLINE
Die Wut darüber, Schweigen zu müssen, die Wut darüber, keine Kraft gegen die Gewalt zu haben, die uns entgegengebracht wird. Uns, die wir nach Freiheit streben, die wir nach Freiheit dürsten. Freiheit als Türkin, Freiheit als Muslimin. Denn Freiheit als Deutsche habe ich. Nur kann ich diese Freiheit nicht wirklich leben.

Der Grund dafür sind Menschen, die solche Mails schreiben und die Tatsache, dass aus den Drohungen Realität werden kann.

Die Mail ins Deutsche übersetzt:
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Betreff: „Du bist eine richtige Deutsche geworden, wer assimiliert ist, muss vorher eine Nutte gewesen sein.“

Text: „Ihr seid nicht von uns und wir sind nicht von euch, das sollt Ihr wissen. Aber, passen Sie auf Ihre Zunge auf, machen Sie keine Beleidigungen und Respektlosigkeiten, sonst können Sie Ihre Zunge verlieren.“

Die Mail wurde von einem Account namens Iskender Büyük abgeschickt. Übersetzt: Alexander der Große.

 Posted by at 15:23

„Wir Deutsche wehren uns zu wenig“

 Hass und Hetze, Rechtsordnung, Was ist deutsch?  Kommentare deaktiviert für „Wir Deutsche wehren uns zu wenig“
Jul 102009
 

„Wir Deutsche wehren uns zu wenig.“ Ich lese soeben diesen Satz aus dem Munde eines linken Hätschelkindes der deutschen Medien, der schon sehr oft in Talkshows zu sehen war. Was ist dran an dem Satz? Soll es jetzt wieder heißen: „Deutsche, wehrt euch!“ Ihr wisst doch, wer diesen Satz auf die Fahnen, auf die Schaufenster gewisser Geschäfte schrieb?

Das erinnert mich auch an einige Debatten, die ich in Kreuzberg auf offener Straße mit den Verteidigern von Brandanschlägen führte. Da ich Fahrradaktivist bin, verurteilte ich die Serie der verbrecherischen Brandanschläge auf Autos und mittlerweile auch auf Luxusfahrräder in Berlin in aller Schärfe. Wer das Eigentum anderer Leute beschädigt, wird irgendwann auch vor anderen Rechtsgütern, auch vor meinem tollen 3-Gang-Fahrrad nicht Halt machen. Ich wehre mich gegen diesen ständigen Rechtsbruch. Also, Herr Gysi, ich bin Deutscher, mir können Sie nicht vorwerfen, dass ich mich zu wenig wehre, oder?

Und was bekam ich da zu hören: „Was willst du denn, dieses Verbrennen von Autos, das ist doch ein Akt der sozialen Hygiene!“ Da gefriert einem das Blut in Adern! Ich habe das so gehört – von einer Frau auf der Straße, die zufällig vorüberging. In Kreuzberg.

Ich lese das ganze Interview in SPIEGEL online. Der Satz steht da: „Wir Deutsche wehren uns zu wenig.“ Lest ruhig das ganze Interview:

„Wir Deutsche wehren uns zu wenig“ – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik

Andrej Hunko, Vorstandsmitglied der Linken dort, hat soziale Unruhen in Deutschland für notwendig und wünschenswert erklärt. Ist das regierungsfähig? Gysi: Ich kann nicht erkennen, was an dem Satz so schlimm sein soll. Was Hunko meint, ist doch, dass die Leute lernen müssen, sich gegen soziale Ungerechtigkeit zu wehren. Wir Deutsche wehren uns zu wenig.

SPIEGEL: Soll man es auch als wehrhaftes Beispiel verstehen, wenn der Duisburger Linken-Stadtrat Hermann Dierkes zum Boykott israelischer Produkte auffordert?

Gysi: Er hat eine Forderung des Weltsozialforums zitiert und nicht bedacht, dass es einen ganz anderen Ton bekommt, wenn so etwas ein Deutscher sagt. Ich gebe zu: Ich wünsche mir manchmal, nicht jeder bei uns fühlte sich berufen, Weltpolitik zu machen.

Na, ich denke, für sich genommen ist der Satz kaum zu beanstanden.  Deswegen ist Gysi noch lange kein rechter Nationalist. Jeder Versuch, Gysi als rechten Nationalisten oder als linken Populisten darzustellen, nur weil er diesen einen Satz gesagt hat, wäre zum Scheitern verurteilt.

So meine ich durchaus, dass der Rechtsstaat, wenn er in Gefahr ist, verteidigt werden muss. Wir müssen uns wehren gegen das klammheimliche Einverständnis mit Rechtsbrüchen aller Art. In diesem Sinne meine ich: Etwas mehr Wehrhaftigkeit ist angesagt. Auch auf den Straßen Kreuzbergs.

 Posted by at 10:36
Mai 192008
 

Junge Banker schütten Champagner über ihren Köpfen aus, um ihre Boni zu feiern. Etwa 190 Parlamentarier der C-Parteien verlangen unter dem Motto „Mehr Netto vom Brutto“ rasche Steuersenkungen für kleine und mittlere Einkommen von der Bundesregierung. Die „kalte Progression“ zieht geringe Einkommensverbesserungen gleich wieder aus der Tasche. Diese und andere Phänomene greifen sowohl Bundespräsident Köhler wie auch die Partei DIE LINKE immer wieder auf. Sie legen den Finger auf offene Wunden. Salz in diese offenen Wunden streut auch der neue Armutsbericht der Bundesregierung, der am heutigen Tage herausgekommen ist.

Der stellvertretende Linksparteichef Klaus Ernst wertete den Armutsbericht als Dokument des Scheiterns der SPD. „In ihrer Regierungszeit hat sich die Zahl der Vermögensmillionäre verdoppelt und zugleich die Armut deutlich zugenommen“, sagte er laut Spiegel online von heute.

DIE LINKE greift mit großem Geschick Schwachstellen und Unzufriedenheiten aus der gegenwärtigen Lage auf. Aus welchen Parteien sie ursprünglich entstanden ist, diese Frage muss verblassen angesichts der Frage: Hat sie recht oder nicht recht mit ihrer Diagnose? Welche Vorschläge macht sie? Sind ihre Vorschläge brauchbar oder unbrauchbar, bezahlbar oder unbezahlbar?

Die beiden großen Parteien, SPD und Union, haben sich bisher fast überhaupt keiner sachlichen Argumente bedient, um sich mit der LINKEN auseinanderzusetzen. Ich höre statt sachlicher Argumente aus diesen Parteien nur ein diffuses Hintergrundrauschen, fast nur: „Billiger Populismus … unbezahlbar … eine Schande, dass die uns in Berlin mitregieren … die neue RAF … “ Dieses denkbar niedrigste Niveau der Auseinandersetzung hat den Erfolg der LINKEN noch verstärkt, denn die Bürger sind hellhörig geworden gegenüber Verteufelungsversuchen und „Rote-Socken-Kampagnen“ aller Art. Diese Manöver haben bisher ausnahmslos „nicht funktioniert“, wie Jörg Schönbohm der FAZ sagte. Eine der wenigen hellsichtigen Stimmen aus der Union stammt übrigens von Volker Kauder:

„Ohne Antworten auf die Fragen, die die Linke aufwirft, können wir uns nicht davonstehlen.“

Was können die verunsicherten Volksparteien SPD und CDU tun? Ich meine:

1) Verbale Abrüstung tut not. Die maßlose Verunglimpfung der LINKEN muss aufhören. Ein Dietmar Bartsch, ein Senator Harald Wolf und viele andere haben nun mal nichts mit dem Mauerbau und zurückliegendem DDR-Unrecht zu tun. Vieles vom heutigen Gezetere aus Unions- und SPD-Kreisen gemahnt an die maßlose linke Kritik an der CDU in den 50er und 60er Jahren, als in der Tat viele Nazi-Mitläufer und ehemalige NSDAP-Mitglieder Unterschlupf in den neu entstandenen Parteien fanden, darunter der berüchtigte Staatssekretär Globke.

2) Nachlesen, was die LINKE will. Fragt man diejenigen, die so heftig auf die LINKE einschlagen, was sie eigentlich gegen die LINKE haben, dann kommt meist keine genaue Antwort, außer undeutlichem Gebrummel, etwa: Das sind alles Stasi-Leute, die haben die Mauertoten auf dem Gewissen. Kaum jemand in den „Altparteien“ kennt die wesentlichen Forderungen der LINKEN, kaum jemand hat sich sachlich damit auseinandergesetzt.

3) Konsequent nach vorne schauen! Die meisten Argumente gegen die LINKEN speisen sich aus einer bestimmten Sicht auf die Vergangenheit. Aber: Das Hemd sitzt näher als der Rock, die Menschen im Lande wollen heute und morgen anständig leben, sie wollen nicht die Schlachten der Vergangenheit wieder und wieder kämpfen. Politik heißt: Gestaltung des Heute mit einem Blick auf tragfähige Zukunft. Es geht meist nicht um Gut und Böse, sondern um machbar/nicht machbar, bezahlbar/nicht bezahlbar. Die Menschen aus der DDR haben einfach keine Lust darauf, sich ihre „Biographie“ von selbsternannten Tugendwächtern aus Westdeutschland „würdigen zu lassen“. Sie werden ihr Kreuzchen bei den Parteien machen, von denen sie sich ernstgenommen und angenommen fühlen, bei jenen Parteien, die den richtigen Ton treffen, die die richtigen Fragen stellen.

4) Sachliche, auch harte Auseinandersetzungen führen, aber nicht ständig ad personam und ad historiam urteilen! Lasst die DDR doch mal DDR sein, Schnee von gestern! Materialien und die Homepage der Linken stehen im Netz. Man sollte sie zur Kenntnis nehmen.

5) Wo sie recht haben, haben die LINKEN recht. Es könnte doch sein, dass sie auch einmal den Nagel auf den Kopf treffen? So stellen sie besonders unbequeme Fragen zum Afghanistan-Krieg, auf die im Moment keine befriedigenden Antworten erfolgen. Man sollte nicht immer gleich alles in Bausch und Bogen verurteilen, was die LINKE sagt.

6) Auf die Bindekraft des parlamentarischen Systems vertrauen! Die Bundesrepublik hat erfolgreich die GRÜNEN in das System eingebaut, sie sind heute als wichtiger Teil des innerparlamentarischen Parteienspektrums nicht mehr wegzudenken. Das Gleiche wird auch mit den LINKEN geschehen und geschieht bereits jetzt.

7) Alternativen anbieten! Die Fragen, die die LINKE aufwirft, haben unleugbar ihre Berechtigung, die beiden anderen Volksparteien SPD und Union sollten in einen ständigen Wettbewerb um die besten Antworten mit dieser dritten Volkspartei treten.

Insgesamt meine ich: Man muss es der LINKEN nicht gar so einfach machen, wie es die älteren Parteien, insbesondere die Union, ihr derzeit machen. Respekt, Höflichkeit und Achtung ist angesagt, auch gegenüber den politischen Gegnern von der LINKEN. Wenn es daran fehlt, dann bestärkt man die Leute in ihrer Verdrossenheit gegenüber den „Altparteien“ noch zusätzlich, und man gräbt sich in den Trutzburgen seiner alten, löchrig gewordenen Weltanschauungspanzer ein.

Übrigens: Am Parteiensystem Italiens kann man wunderbar studieren, wie ganze Parteien sich selbst sehenden Auges umbringen – so gibt es die frühere Democrazia Cristiana (DC), die italienischen Christdemokraten nicht mehr. Sie haben sich aufgelöst. Nachdem die Mauer gefallen war, verloren sie die Peilung, gruben sich in ihren alten, sinnleer gewordenen Antikommunismus ein und wurden als Machterhaltungsapparate demaskiert – Selbstmord auf Raten! Profitiert haben originelle Neuschöpfungen, Anti-Parteien, die erfolgreich die Sympathisanten des früheren Faschismus, also die Neofaschisten vom MSI, mit dem Heer der Unzufriedenen und Verdrossenen verbanden. Man lese hierzu: Christian Jansen: Italien seit 1945, Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007. Im Kapitel „Die herrschenden Parteien werden abgewählt“ heißt es auf S. 204:

Während des Jahres 1993 verschwanden die fünf Parteien, die die Erste Republik bestimmt hatten, von der politischen Bühne: die DC, die offiziell am 26. Juli 1993 aufgelöst wurde, zerfiel in verfeindete Kleinparteien (die linkskatholische PPI, die konservativen CDU und CCD), die sich seitdem mehrfach neu gespalten und zusammengeschlossen haben. Die schnelle Auflösung der erfolgreichsten und mächtigsten Partei des Westens zeigt, dass nicht gemeinsame Ziele, sondern anfangs gemeinsame Gegner, die politische Linke, und dann mehr und mehr allein die Verteilung von Macht und Pfründen die DC zusammengehalten hatte.

Leute, Freunde: Das Leben geht weiter, schaut nach vorne! La vita è bella.

 Posted by at 16:39