Eine wirklich gute, vorbildliche Regelung für das vielbeschworene Europa der Regionen hat der Nationalstaat Italien für Südtirol geschaffen: Die mehrheitlich deutsche Provinz Südtirol („Obere Etsch“, wie sie auf Italienisch genannt wird) hat hohe Autonomierechte, und dieser Autonomiestatus drückt sich auch in der Finanzverfassung aus: 90% des Steueraufkommens verbleiben in der Provinz. Folge der finanzpolitischen Eigenständigkeit: Südtirol erwirtschaftet deutlich mehr als der Durchschnitt des italienischen Nationalstaates, und ein Großteil des selbst erwirtschafteten Geldes verbleibt satzungsgemäß in der Provinz. Die Südtiroler haben weitgehende Gewissheit, dass sie nicht irgendwelche Schwerindustriefabriken, die berüchtigten „Kathedralen in der Wüste“ bei Taranto finanzieren, sondern Straßen, Schulen, Krankenhäuser in der eigenen Provinz. Das Geld der Provinz der Provinz! Nur 10% wird an die Zentrale in Rom abgeführt. Die Provinz genießt ein Höchstmaß an finanzpolitischer Eigenverantwortung und schaffte so innerhalb weniger Jahrzehnte, von einem agrarisch bestimmte Armenhaus zu einem reichen Powerhaus der EU zu werden. Der separatistische Gedanke ist gottlob weitgehend verschwunden.
Nicht Separatismus der Regionen („Weg vom Nationalstaat!“), sondern stärkere finanzpolitische Eigenverantwortung für die Regionen und Bundesländer sind der Weg, auf dem die Europäische Union gesunden kann.
Die Bundesländer bzw. die Regionen wie etwa Katalonien oder Schottland brauchen mehr subsidiäre Verantwortung bei der Verwaltung ihrer Mittel! Ich bin von folgender Zielvorstellung überzeugt: Nur ein festgelegter Anteil des Steueraufkommens sollte in der EU an die jeweils nächsthöhere Ebene abgeführt werden. Dahin müssen wir in den nächsten Jahrzehnten mit der EU kommen.
Das Rezept wirkt, denn es hat schon oft in der Weltgeschichte gewirkt. Falsch ist eine Stärkung der zentralwirtschaftlichen Umverteilung von oben herab, wie es derzeit die EU und leider auch die deutsche Bundesregierung durch zahlreiche politische Maßnahmen vertreten. Beispiele für das verkehrte zentralistische Umsteuern liegen auf der Hand: Die Bankenrettungspolitik, die Schuldenmacherei dank der Euro-Rettungsmechanismen, die national- und zentralstaatliche Energiewende, die ständigen Eingriffe der EU-Kommission in Bereiche, die unbedingt der unteren Ebene vorbehalten bleiben sollten: so etwa Saatgutauswahl, Bestimmungen über die öffentliche Daseinsvorsorge, Abgaswerte für PKW usw.
Die EU sollte sich bemühen, die wenigen Kernaufgaben, die ihr sinnvollerweise zukommen, einigermaßen anständig und vertretbar zu bewältigen: vernünftige, abgestimmte Währungs- und Außenpolitik, gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht, Freizügigkeit der Unionsbürger, Niederlassungs- und Gewerbefreiheit, Schutz der Freiheits- und Bürgerrechte. In allen diesen Punkten ist die EU nicht gut genug, mehr noch: sie versagt weithin.
Falsch war es meines Erachtens, eine feste Schuldenbremse in die Verfassungen bzw. ins Grundgesetz zu schreiben. Denn selbstverständlich müssen die Regionen oder Bundesländer vorübergehend auch einmal gesetzliche Schuldenbremsen „reißen“ dürfen, ohne gleich als Verfassungsfeinde dazustehen! Die von oben her durchgesetzte Aufnahme der numerisch festgelegten Schuldenbremse in die Verfassungen war für mich ein Kipp-Erlebnis, das mir die Verkehrtheit des Hauptstroms der heutigen Finanzpolitik vor Augen führte!
„Das Geld des Dorfes dem Dorfe!“ So formulierte einst Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der hochverdiente Gründervater der deutschen Selbsthilfe- und Sparkassengenossenschaften diesen Grundsatz der finanzpolitischen Eigenverantwortung. Während die Europäische Union seit Jahren im wesentlichen nur noch über zentrale Umverteilungsmechanismen streitet und zu diesem Zweck sogar numerische Schuldengrenzen in die Verfassungen der Nationalstaaten hineinschreibt, liefern die wirtschaftlich erfolgreichen Regionen der EU, etwa Südtirol, Bayern oder Baden-Württemberg eine Art Blaupause dafür, wie die EU vielleicht trotz des unseligen derzeitigen Euro-Regimes noch einen Weg zur finanzpolitischen Vernunft finden kann – unter Beibehaltung des Euros!
Wie sagte Johannes? „Denkt um und tut Buße!“ Wie kann der Euro gerettet werden? Antwort: Durch Umdenken, durch Umsteuern, durch „Buße“, also durch das Eingeständnis eigener Fehler und die Zusage, „es in Zukunft besser zu machen“. Dabei gilt die Grundeinsicht: Die Subsidiarität in der Finanzverfassung – nicht die „immer engere Union“ – ist der Kerngedanke einer Währungsunion, die vielleicht noch eine Chance auf längeren Zusammenhalt wahren will.
Dabei hilft es nicht, ganze Kübel von Verachtung über irische Banker auszuschütten. Die irischen Banker haben 7 Mrd. Bedarf angemeldet und 40 Mrd. Euro erhalten. Die irischen Banker haben also ebenso wie die griechischen Reeder und Politiker das gemacht, wozu das herrschende Euro-Regime sie angestiftet hat: Möglichst viel von den riesigen Umverteilungssummen der EU in die eigene Tasche bzw. die Taschen der eigenen Klientel zu wirtschaften. Das ist de facto das Grundprinzip der EU-Finanzpolitik.
Den irischen Bankern, die im Suff buchstäblich „gesungen“ und die Wahrheit ausgeplaudert haben, sollte nicht unsere Verachtung, sondern unsere Dankbarkeit für die schonungslose Offenlegung der EU-Ausplünderungsmechanismen gebühren. Ein irischer Banker bittet uns Deutsche als guter Ire (irischer Katholik?) für sein eigenes Fehlverhalten um Verzeihung. Wir Deutsche sollen ihm die Verzeihung gewähren und ihn preisen und ihn ermuntern, noch mehr zu singen, noch mehr Wahrheiten zu verraten.
Das Geld des Dorfes dem Dorfe! Das Geld der Region der Region! Das Geld des Bundeslandes dem Bundesland!
Nur ein festgelegter Anteil des Steueraufkommens jedes einzelnen Bundeslandes sollte an die übergeordnete Ebene abgeführt werden müssen. Bayern sollte also einen ebenso hohen Prozentsatz des selbst erwirtschafteten Steueraufkommens an den Bund zahlen wie Berlin oder Sachsen. Ich bin sicher: In zwei oder drei Jahrzehnten wäre die Finanzverfassung der Bundesrepublik wieder im Lot. Gleiches gilt für die EU: Die Bundesrepublik Deutschland sollte einen ebenso hohen Anteil des selbst erwirtschafteten Steueraufkommens an die höhere Ebene zahlen wie Griechenland, Frankreich oder Irland. Das muss meines Erachtens die Zielvorstellung sein.
Innerhalb weniger Jahrzehnte wird die EU dann gesunden. Sie wird dann ein Vorbild für andere sein können. Die EU wird sich dann gegenüber China und den USA als gleichstark behaupten können. Daran gebricht es uns derzeit noch in erheblichem Maße!
Bild: ein uralter babyfarbener Opel Kadett in Berlin-Kreuzberg, gesehen gestern – Zeugnis der Gründer- und Aufbruchsjahre der Bundesrepublik!