Du blick dich um von deines Insulaners Gipfel! Das neue Jahr beginnt verhalten, Es übernimmt so manche Last vom alten, Und gibt die Sicht frei über kahler Bäume Wipfel.
Da hinterm Gasometer, da wohnst du, Und da ist deines Daseins kleiner Kreis, Da wartet auf dich, was noch keiner weiß, Und dort gärt auch die Stadt, stets ohne Ruh.
Dann sammle dich, erkenne, was du bist, Beschränke dich, doch nicht zu sehr, Der kleinste Fluss fließt ja doch auch ins Meer. Nun freue dich auf das, was dir erreichbar ist!
Johannes Robert Hampel, Blick vom Insulaner auf das Gasometer Schöneberg, am 1. Januar 2024
Der Weg in unsrem Park ist überwachsen von frischem Grün und krautig wucherndem Gebüsch, so daß wir tastend gingen, das eine an des andern Hand, und dankbar dafür daß wir dies erleben durften, trotz allem was da draußen tobt und brandet, schritten wir hinein in eines weißen Hauses Frieden, das auf uns wartete und uns empfing mit Zeilen, die auf Birkenrinde rot geschrieben waren, und die wir einst als Kinder hörten, und die wir doch erst jetzt verstanden, als wir erahnten, dass es so nicht wieder sein würde, nie wieder …:
[…] Die So-geliebte, daß aus einer Leier mehr Klage kam als je aus Klagefrauen; daß eine Welt aus Klage ward, in der alles noch einmal da war: Wald und Tal und Weg und Ortschaft, Feld und Fluß und Tier; und daß um diese Klage-Welt, ganz so wie um die andre Erde, eine Sonne und ein gestirnter stiller Himmel ging, ein Klage-Himmel mit entstellten Sternen -: Diese So-geliebte. […]
Zitat aus: Der ewige Brunnen. Gesammelt und herausgegeben von Dirk von Petersdorff. C.H. Beck, München 2023, S. 451
Foto: Natur-Park Schöneberger Südgelände, 30. Juli 2023
Meiner Vaterstadt Dichter, wie find ich ihn doch? Angelehnt ans lebensrettende Gitter nimmt er die Gestalt eines weiß überstrichenen Tandems an. Gemütlich lächelnd wacht er vor dem Haus, das seinen Namen trägt. Zwischen den Zahnrädern, nein zwischen den Zähnen höre ich ihn pfeifen – „Ja macht nur einen Plan, und macht noch einen Plan…“ Dann wendet er sich ab von dem Fremden, der seine Vaterstadt mit ihm teilt. Es ist ja Karsamstag. Tag der Grabesruhe. Das war seine Erklärung zum heutigen Tag.
Fremd geworden, steige ich den altvertrauten Pilgerhausberg hinan. Es regnet nieselnd, lächelnd im Regen blickt mir der Dichter hinterher angelehnt an das ihn haltende Gitter der Zeit.
Eine Hütte für Kugelmenschen entdeckte ich vor zwei Tagen im Cheruskerpark!
Schön aufgeschlichtet aus sauber behauenen Planken Von hellem Holz erhebt sich nun ein kleines Büdchen Mit freundlichem Schornstein mitten auf kahlgetret’ner Wiese. Wer mag darin wohnen, für wen ist das Hüttchen bestimmt? Ein Blick auf die hell leuchtende Tür gibt Auskunft: die Kugelmenschen Sind’s, von denen schon Aristophanes in Platons Symposium erzählt. Denn ursprünglich gab es ja nicht die Unterscheidung in Mann und Frau, Sondern die ersten Menschen besaßen Kugelform, bewegten sich In alle Richtungen, rollten umher und gaben sich allerlei Freuden hin. Drei Gattungen gab es, das männliche und das weibliche und auch das Gemischtgeschlechtliche. Und so schillerte eine bunte Palette an Unterschiedlichsten Mengungen. Keiner war eindeutig festzulegen. Selige Vorzeit, als die schroffe Scheidung in männlich und weiblich Noch nicht eingeführt war! An diesen Urzustand knüpft der heutige Geschlechterdiskurs erneut an. Und so mag denn In diesem Hüttchen zugleich Anfang und Ende der Menschheitsgeschichte Verkörpert sein. Inizio heißt ja auf italienisch Anfang. Fine dagegen Heißt Ende, und so ist auf wundersame Weise Anfang und Ende In diesem kleinen Büdchen symbolisch vereinigt, und der Name des Büdchens Lautet: Finizio. Trefflich gesagt, zu finden im Cheruskerpark zu Berlin, Schöneberg.
Eigene GedichteKommentare deaktiviert für „Beruhigt euch. Wir sorgen für euch.“ Botschaft des Staates an seine neuen Siedler
Feb282021
Die Siedler
Hier ist es also. Hier sollen wir leben. Die Blätter, der Regen im fahrenden Zug, die Lichter. Niemand erwartet uns. Niemand hat uns verabschiedet. Der Zeiger rückt vor.
Was heißt schon weggehen. Was heißt ankommen. Die Sprache war dort eine andere. Die Sprache ist hier eine andere. Falle, fiel, gefallen. Die Falle, die Klappe, die Pillen in der Lade.
Beruhigt euch. Die Vorräte im Wasserturm sind gewaltig. Wir sorgen für euch. Füllt Formulare aus, kauft Fische in Dosen und Salz, unterschreibt Verträge. Wartet. Ihr bekommt bescheid, bald. Denkt an morgen.
Geht dorthin. Bildet Schlangen. Kriechen, kroch, gekrochen. Geht langsam vorwärts. Denkt an die Blindschleiche. Die Zeigerarten: die Flechten, die Moose, die Farne. Sucht euch Nischen. Richtet euch ein.
So aber, wenn der Abend kommt, fließen die Bäche rückwärts, schimmern die Weiden hellgrau, rattern Traktoren über riesige Felder. Rücken der Erde. Lupinen am Wegrand, stürzende Habicht. Der Zeiger steht, die Kinder müssen ins Bett. Die Geschichten kommen von selbst, die Zunge klebt am Gaumen. Wann sie löst sich
Geschrieben in Mannheim, August 1990, wieder aufgefunden in Schöneberg, Februar 2021
Nicht zu fassen, Die dreisten Gesellen! Sie können’s nicht lassen, Die Bäume zu fällen Im Tal der Briese, Sie stauen die Quellen, Sie fluten die Wiese, Sie hausen im Dunkeln, Sie nagen bei Nacht, Bleib wach und munter, Du nimm dich in acht, Wenn Sterne funkeln, Sonst gehst du unter.
Nun frage ich euch, liebe Kinder: Wer ist gemeint? Wer sind die fleißigen Gesellen, das dreiste Gelichter?
Eigene Gedichte, GnadeKommentare deaktiviert für Pied Beauty. An einem Sonntag in dieser Zeit
Apr192020
Kurzes, stummes Innehalten vor dem bunt gesprenkelten Bild, den hingetupften Blüten der Bäume, den blumengesprenkelten Rainen und dem üppig emporwuchernden Kraut, dem Gewürm, dem unordentli chen Durcheinander, das unsere Welt so schön macht an diesem Sonnentag, der wie ein immerwährender Sonntag erscheinen mag dank DIR!
Ich greife in all dieser Pracht dankbar zu einem entzückenden, rätselvollen Gedicht des englischen Dichters Gerard M. Hopkins. Es heißt
Pied Beauty
Glory be to God for dappled things – For skies of couple-colour as a brinded cow; For rose-moles all in stipple upon trout that swim; Fresh-firecoal chestnut-falls; finches’ wings; Landscape plotted and pieced – fold, fallow, and plough; And áll trádes, their gear and tackle and trim.
All things counter, original, spare, strange; Whatever is fickle, freckled (who knows how?) With swift, slow; sweet, sour; adazzle, dim; He fathers-forth whose beauty is past change: Praise him.
Zitatnachweis: Gerard M. Hopkins: Pied Beauty, in: The Oxford Book of English Verse. Edited by Christopher Ricks. Oxford University Press, 1999, S. 509
Schmunzeln und lachen wir immer wieder laut auf, wenn wir an den PUMUCKL und seinen Meister EDER denken! Hier kann man richtiges Bairisch hören und lernen, hier lernt man die Welt Münchens von den Graswurzeln her kennen! Spielt in MÜNCHEN! Wenn ich diese Sprache meines Lebensfrühlings, die Sprache, in der meine Mama und mein Papa sich bei Tag und bei Nacht unterhielten, die Sprache meines Geburtsortes höre, da fallen mir unabweislich jene Zeilen Walthers ein:
Owê, war sint verswunden alliu mîniu jâr! ist mir mîn leben getroumet, oder ist ez wâr? daz ich ie wânde, daz iht wære, was daz iht? dar nâch hân ich geslâfen und enweiz es niht.
Wenn ich dann noch den zweiten Podcast des Bayrischen Rundfunks höre, dann entspringt in mir wie ein munter sprudelnder Quell der Gewissheit die folgende Antwort an Walther:
Ja, wahr ist es! Und niemand kann’s dir wehren, Kein Rost, kein Mehltau, kein Corona, keine Zeit, Ein unvergesslich Schatz ist zu vermehren, Den raubt dir allenfalls der Eigen-Neid.
Gestern begingen wir den Tag der Handschrift. Anlass, mich ungescheut hier an dich, die Handschrift, zu wenden!
Welche Lust bereitet es mir, nach Jahren des Handschrift-Fastens mit dem Füllfederhalter zu schreiben, die Feder Zeile um Zeile hinwandern zu lassen über das leicht angerauhte Papier meiner Tages-Kladde! Die Mühsal des Kindes nachzuempfinden, das über die harte Schulbank gebeugt mit der Bewegung der Hand sich unauslöschlich einprägt den Schlüssel zum ungeheuren Schatz, den die Menschheit sich mit einer winzigen Anzahl Zeichen geschaffen hat.
Was wären wir ohne dich, o Handschrift! Wir wären unendlich ärmer. Wir stünden vor der Geschichte der letzten 3000 Jahre wie vor den milliardenjahrealten Granitsteinen. Dann gölte, dass –
Gebirgesmasse blieb‘ uns edel-stumm Wir fragten nicht woher und nicht warum.
Wir bissen uns die Zähne am Granitgestein der Vergangenheit aus. Wir hätten keinen Aischylos, keinen Platon, keinen Thukydides, keine Bibel. Keinen Koran, keinen Newton, keine Hildegard von Bingen, keine Sappho, keinen Messiah von Händel mit dem Berliner Figuralchor am kommenden Sonntag um 19.30 Uhr im Kammermusiksaal der Philharmonie! Denn komponiert wurde und wird mit der Handschrift. Händel hat so komponiert, Bach auch, Mozart auch.
Wir hätten die Prometheus-Hymne von Goethe nicht. Denn Goethe schrieb sie eines uns unbekannten Tages im Zeitraum ab Oktober 1773 bis vielleicht 1775 von Hand. Gäbe es die Handschrift nicht, hätte Goethe die Prometheus-Hymne mit Sicherheit ganz anders gedichtet. Wir wären um so vieles ärmer! Wir wären um so vieles stummer!
Handschrift, du holde Kunst, In wievielen trüben Stunden, Hab ich durch dich beglückt mich erst empfunden, Aufgerichtet, gewärmt, geborgen! In dich hinein, da flossen alle Sorgen, Du nahmst sie alle auf, du gabst sie weiter, In dir entstand die Himmelsleiter, Durch dich erst sprach zu uns der Raum, In dir gewann Gestalt der Traum. Handschrift, du ew’ge Kunst, du Schenkerin der Menschheit – ich danke dir.
Der oben handschriftlich wiedergegebene griechische Text lautet übersetzt: „Das Bühnenbild der Handlung liegt im Skythenland am Kaukasischen Gebirg; der Chor wiederum wird durch Okeaniden-Nymphen gebildet. Aisch“[ylos?] (Handschrift bricht unvollendet ab)
Wie der Zeiger einer Sonnenuhr fiel der Schatten des Körpers des Bloggers auf die Fläche der Plane. Die auf Widerruf gestundete Zeit wurde sichtbar am Horizont. Noch mochte er sich täuschen über das Dahinrinnen der Stunden, Tage, Jahre. Doch sank die Sonne schneller als früher. Vater und Mutter waren lange tot, es kannt‘ ihn hier keiner mehr. Die großen Geschichten, mit denen er seine guten, erhebenden Stunden füllte, galten als veraltet. Hagar, oder Haddschar, wie man auf Arabisch sagte, dieser Name war außerhalb der Fachkreise unbekannt. Auf den Kulturplakaten fiel ihn die platteste Anbiederung an die Kita-Sprache an. Sprachverlotterung. Nicht einmal die indirekte Rede beherrschten die Meinungsmacher in Funk und Fernsehen mehr. So etwas! It sucks!
Die Altersgruppe, in die er sich einzurücken anschickte, war unwiderruflich Gegenstand des Volksbelustigungs-Vorabendprogramms in den öffentlichen Anstalten geworden. Ihn verdross dies. Es stimmte ihn traurig. Er ging weiter, grummelnd, summend. Die Sonne sank.
Ich soll euch noch recht festlich grüßen:
Herr Sommer, der den Abschied nimmt,
Winkt uns noch zu, als wäre es sein letzter Tag!
Die Beute legt er sich zu seinen Füßen:
Ein Volleyball, der auf den Wellen schwimmt.
Aus gelbgeflecktem Schnabel noch ein Schrei.
So sehr die Möwe ihr Gefieder spreizen mag,
Herrn Sommer ist es mittlerweile einerlei,
Er hat sich’s überlegt: er geht vorbei.
Zwar war er groß, doch größer ist das Jahr,
Das hinter ihm den dunklen Berg erklimmt.
Die Sonne sinkt, das Licht strahlt hart und klar.
Beim Abschiedsfest erklingt die Melodie: Es war.