Besondere Reiseerlebnisse brachte mir am 25. Juli eine Zugfahrt von Rovereto im Trentiner Etschtal nach Brixen im Südtiroler Eisacktal.
In Rovereto setzte ich mich – da eben noch ein Platz frei war – zu einigen jungen Männern ins Abteil, die mich freundlich begrüßten. „Woher, wohin?“, fragten wir, wie es Reisende tun, wobei wir uns teils des Englischen, teils des Italienischen bedienten. Wir plauderten dies und das. Zwei meiner Reisegefährten kamen aus Eritrea, zwei aus Albanien. Alle waren sie auf dem Weg nach Deutschland, während ich selbst mich in Brixen verabschieden würde. Einer der Albaner fragte mich, wie er von München nach Nürnberg-Zirndorf zu seiner Schwester gelange, und ich versuchte, ihm die passende deutsche Frage, nämlich: „Wie komme ich von hier nach Nürnberg-Zirndorf?“, beizubringen, was er aber ablehnte, da Deutsch furchtbar schwer sei.
„Ihr müsst fei vom ersten Tag an Deutsch lernen!“, sage ich den Migranten dann immer. Aber ich habe meist den Eindruck, damit auf taube Ohren zu stoßen. Umgekehrt erkennen meine geschärften Ohren das Albanische mittlerweile recht zuverlässig, und an das eritreische Tigrinisch werden sie sich auch noch gewöhnen.
„Wir haben keine Dokumente!“, klagten die Eritreer. „Ihr braucht wirklich keine Angst zu haben!“, sagte beruhigend einer der Albaner zu den beiden jungen Migranten aus Eritrea, ehe die Carabinieri bei uns im Abteil zur Passkontrolle vorbeikamen. Er hatte recht: Die italienischen Polizisten, die einerseits von mir als EU-Bürger und von den Albanern die Dokumente verlangten, lassen andererseits in der Tat alle afrikanischen Migranten, die eine Fahrkarte haben, ohne Dokumente und ohne jede Feststellung der Identität nach Deutschland durchreisen. Es genügt zu sagen „from Eritrea“, und die Carabinieri lassen dich ohne Rückfrage durch nach Österreich und Deutschland. Das ist gelebte europäische Solidarität, das ist praktizierte Willkommenskultur auf der Südseite des Brenners!
Ganz anderes das Bild im kaltherzigen Norden. Am 28. Juli nahm ich den EC-Zug von Brixen nach München. Doch vor Rosenheim wurden wir über Lautsprecher aufgefordert, dort in Rosenheim umzusteigen, da der Zug wegen polizeilicher Ermittlungen einen längeren Aufenthalt in Rosenheim einlegen müsse. Kaum hatte ich den Zug verlassen, forderten mich die Schaffner am Bahnsteig auf, wieder einzusteigen. Die Ermittlungen sollten – entgegen der Ankündigung – im fahrenden Zug vorgenommen werden. Allein in dem einen nachfolgenden Zug seien 60 junge afrikanische Migranten. „Aber Ihre italienischen Kollegen lassen die Menschen alle nach Deutschland reisen!“, wandte ich gegenüber einem deutschen Grenzpolizisten ein. „Ja, das sollten wir auch einmal versuchen, einfach die Leute weiterschicken!“, erwiderte nur schwach schmunzelnd der deutsche Bundespolizist.
Was sollen wir einfachen Bürger davon halten? Sollen oder wollen die EU-Länder dem italienischen Beispiel solidarisch folgen und einfach alle ankommenden Migranten – fast immer sind es ja junge Männer – ohne Nachfragen in den nächsten Zug setzen und ins nächste EU-Land weiterschicken?
Diese italienische Solidarität einerseits, diese Hartherzigkeit von uns Deutschen andererseits sprechen sich natürlich herum unter den Migranten. Gelebte Vielfalt in Europa!
Bild: „Vom Wasser haben wirs gelernt!“ Ein Blick auf den tosenden Eisack in Brixen, Aufnahme vom 25.07.2015