Was schuf Donatello: ein rilievo „stiacciato“ oder ein rilievo „schiacciato“?

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Sep 062015
 

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Kaum je sonst ist in einem Kunstwerk die innige Umarmung, die Fürsorge, Zärtlichkeit, die wechselseitige Stützung, Abhängigkeit und Obhut zwischen Mutter und Kind so ergreifend und so begreiflich dargestellt wie in dem Flachrelief Donatellos, das wir gestern in der Skulpturensammlung des Bode-Museums betrachteten.

Die Mutter Maria umfasst Jesus, das Buberl, mit beiden Händen; sie schützt, hegt, umfasst das Kind und zeigt der Welt zugleich das Kind mit seiner ganzen Geschichte. Durch seine unglaubliche Kunstfertigkeit gelingt es Donatello, Maria zugleich innerhalb wie außerhalb des steinernen Rahmens zu zeigen. Innerhalb weniger Millimeter Dicke erzeugt also der Bildhauer eine phänomenale räumliche Tiefe, die sich aufschließt, wenn man dieses gepresste Relief von verschiedenen Blickwinkeln aus in den Blick nimmt. Weltöffnung und Innigkeit, Ausgesetztsein und Geborgenheit treten auf ungeheuerliche, fast atemberaubende Weise ins Gleichgewicht:

Ihr Auge sieht die goldne Waage nun
der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn,

möglicherweise dachte der Dichter an einen ähnlichen Einklang von Innen und Außen, von Nacht und Tag, als er sein Gedicht Um Mitternacht schrieb. Wer weiß dies?

Abschließend besprachen wir noch die Terminologie: rilievo stiacciato oder rilievo schiacciato? Welcher der beiden Ausdrücke ist richtig? Antwort: beide, stellt doch das seltene Verbum stiacciare eine Abart oder Sonderform des geläufigeren schiacciare dar. Dieses Flachrelief Donatellos ist zweifellos ein rilievo stiacciato (so die in der Kunstgeschichte besser belegte Variante), ein Pressrelief, dessen Eigenart darin besteht, in sehr geringer tatsächlicher räumlicher Tiefe eine perspektivische Mächtigkeit zu erzielen.

Was sollte man danach noch anschauen? Ich war danach für die vielen anderen, vermutlich fast ebenso bedeutenden Kunstwerke dort drinnen im Bodemuseum schon fast verloren; erst draußen, auf den Stufen zum Bodemuseum, gelangte ich wieder ganz in die Außenwelt – und zwar durch Maria; denn das spielende Kind, dem wir dort begegneten und nach dessen Namen ich mich erkundigte, hieß genau so.

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