Wenn Felsen singen: Busonis erhaben-erhebendes Gebet an Allah

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Jun 032024
 

Der einsame Höhepunkt der morgen anstehenden Enthüllung der Gedenktafel in der Augsburger Straße dürfte wohl die Vertonung eines muslimischen Gebetes an Allah sein, die Ferruccio Busoni in sein monumentales Klavierkonzert C-dur eingebaut hat. Entnommen ist das majestätische Gedicht dem Drama Aladdin und die Wunderlampe, das der dänische Dichter Adam Oehlenschläger auf den uns Heutigen wohlbekannten Stoff unter dem Titel  Aladdin eller den forunderlige lampe 1805 auf Dänisch und dann 1820 in seiner eigenen Übersetzung auch auf Deutsch veröffentlichte.

Busoni hatte begonnen, das Drama Oehlenschlägers zu einer Oper auszugestalten, gab das Vorhaben aber auf und verknüpfte stattdessen den orientalischen Märchenstoff mit seinem durchweg faustisch angelegten, monumentalen Klavierkonzert, in dem ein großer Geist danach strebt, „Musik über alles“ zu erschaffen – freilich in witzig-ironischer Brechung durch den in 1001 Farben irisierenden Märchenstoff!

Und gegen Ende des kolossalen Werkes finden wir uns in der gewaltigen Höhle wieder, aus der Aladdin ursprünglich die Lampe der Erkenntnis zuteil ward. Hört, lest selbst, wie da scheu tastend Aladdin und die zauberhafte Gulnare in das mystische Halbdunkel der Höhle eindringen:

Aladdin:
Wie ehrenfest und bieder.

Gulnare:
Hier wird es dunkler! Breite, schwarze Schatten werfen die Pfeiler. Wie geheimnisvoll!

Aladdin:
Die braunen Blöcke seh‘n uns an wie Krieger=Gesichter, von der Sonne schwarz gebrannt, wie tiefen Narben alter Heldentaten.

Gulnare:
Als Sterne blinket das Gestein im Dunkeln.

(Die Felsensäulen fangen an tief und leise zu ertönen.)

Ein ferner Chor singt:

Hebt zu der ewigen
Kraft eure Herzen;
Fühlet euch Allah nah ,
Schaut seine That!

 
Wechseln im Erdenlicht
Freuden und Schmerzen;
Ruhig hier stehen die
Pfeiler der Welt.

Tausend und tausend, und
Abermals tausende
Jahre, so ruhig wie
Jetzt in der Kraft,

Blitzen gediegen mit
Glanz und mit Festigkeit ,
Die Unverwüstlichkeit
Stellen sie dar.

Aus: Adam Oehlenschläger: Aladdin und die Wunderlampe, Amsterdam 1820, S. 254

Bild: C.D. Friedrich: Gebirgslandschaft mit Regenbogen. Öl auf Leinwand 1809/1810

EINLADUNG:
Enthüllung der Gedenktafel für Ferruccio Busoni an seinem Wohnhaus

Augsburger Str. 33 (ehemals 55), 10789 Berlin

am Di. den 4. Juni 2024 um 11:00

in Anwesenheit des Pianisten Igor Levit.

Catering von Salut, ein Kammerchor singt Busoni-bezogene Chorwerke.

Von 1902 bis 1908 lebte hier

der italienische Komponist

FERRUCCIO BUSONI

(Empoli 1866 – Berlin 1924)

und komponierte u.a. das Klavierkonzert op. 39,

die Turandot-Suite und die Elegien 1–6 

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Wie spricht man eigentlich das italienische Wort „pera“ aus?

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Feb 182024
 

Aus Italien erreichte mich soeben folgendes Rätsel:

Was ist die richtige Aussprache von „pera“, pèra mit offenem E wie Pèroxid, oder péra mit geschlossenem E wie in Péter?

Il blogger schöneberghese risponde:

La pronuncia corretta di pera dipende dal contesto.

La pèra era nel passato una tasca („Tasche, Ranzen“), una bisaccia („Satteltasche“). 

Pèra („er/sie möge sterben“), nel senso di muoiacrepi è il congiuntivo presente di perire.

Vedi per esempio il coro finale nella Dalinda del Donizetti: „Pera, pera, figlio suo, figlio suo, che orror!“

La péra („die Birne“) è un frutto carnoso commestibile.

A voi la scelta!

Francamente, io preferisco di gran lunga la péra alla pèra pesante del passato, per non parlare delle maledizioni di tipo pèra, pèra!

Fonti citate:

  • Newsletter Dizione.it, 18 febbraio 2024
  • Gaetano Donizetti: Dalinda. Dramma in tre atti. Napoli, 1838. Riduzione per canto e pianoforte a cura di Eleonora Di Cintio. Ricordi, Milano 2022, Rondò finale, pp. 253-256

Foto: Spuntano i primi crochi lungo il sentiero del parco Hans Baluschek, 18 febbraio 2024

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Feb 122024
 

„Ci sono momenti in cui ciò che si colloca ai lati della nostra vita e che pare le farà da sfondo in eterno – un impero, un partito politico, una fede, un monumento, ma anche semplicemente le persone che fanno parte della nostra quotidianità – viene giù in modo del tutto inaspettato, e proprio mentre mille altre cose c’incalzano. Quel tempo fu così. Giorno dopo giorno, mese dopo mese, a fatica si aggiunse fatica, a tremore tremore. Per un lungo periodo mi sembrò di essere come certe figure dei romanzi e dei quadri che stanno ferme su una rupe o sulla prua di una nave fronteggiando una tempesta che però non le travolge e anzi nemmeno le sfiora.

„Es gibt Zeiten, in denen all das, was an den Randzonen unseres Lebens steht und den unerschütterlichen Hintergrund zu bilden scheint – ein ganzes Reich, eine politische Partei, ein Glaube, ein Denkmal, oder auch einfach nur die Menschen, die zu unserem Alltag gehören – völlig unerwartet zusammenstürzt, während tausend andere Dinge auf uns eindrängen. So war es auch in dieser Zeit. Tag für Tag, Monat für Monat türmte sich Mühsal auf Mühsal, folgte Erschütterung auf Erschütterung. Lange Zeit fühlte es sich an, als wäre ich wie so manche Gestalten in Romanen, auf Gemälden, die reglos auf einer Klippe oder am Bug eines Schiffes stehen und einem Sturm die Stirn bieten, der sie allerdings nicht hinwegfegt, sondern sie ganz im Gegenteil auch nicht ansatzweise streift.“

Eine der bezauberndsten, ja verzauberndsten Begegnungen, die ich in den letzten Wochen erfahren durfte und noch darf, ist diejenige mit Elena Greco, geboren im August 1944, aufgewachsen in einem der armen Außenbezirke Neapels. Über sechs Jahrzehnte hinweg spannt sie den Bogen ihrer Ich-Erzählung; der unbestechlichen Autorin Elena Ferrante weiß ich es sehr zu Danke, dass sie diese Erzählungen getreulich aufgezeichnet hat, und zwar so, dass am Wahrheitsgehalt der berichteten Ereignisse sich jeder Zweifel verbietet.

Ich habe sogar hier in unserem kleinen schönen Randbezirk einen Lesezirkel gegründet, in dem wir Erfahrungen, Sorgen, Nöte aus der Lektüre miteinander teilen und das ganze tragische Geschehen vor unseren Augen abrollen lassen. Freilich ohne eingreifen zu können! Wir teilen als Leser das bittere Gefühl zu spät zu kommen, nichts mehr ändern zu können, zumal die vier Bände dieser Lebensbeschreibungen schon wohlgeordnet vorliegen.

„Ach, lassen wir sie handeln, wie sie handeln müssen! Sie sind alle unlösbar ineinander verstrickt, es ist doch ein unentwirrbarer Knaul, vergleichbar einer Tetralogie des Dionysos-Theaters“, entfuhr es mir einmal in tiefem Mitleiden. -„Ein Knaul? Nein, kein Knaul ist es, es ist ein wohlgeordnetes Ganzes, das sich freilich nur einem Gott in der Überschau zu erschließen vermöchte – nicht uns!“, erwiderte mir lächelnd eine Mitleserin.

Und so lasse ich es denn beruhen; diese Figuren – Lila, Lenù, Pietro, Nino, Dede, Elsa, und wie sie alle heißen – gleichen in der Tat Gestalten der attischen Tragödie, in die wir uns hineinversetzen mit Haut und Haar – und von denen wir doch getrennt bleiben, auf immer andere; hierher, nur hierher mögen wohl die folgenden Verse Goethes passen:

„Und sie scheinen uns nur halb beseelet,
Dämmernd ist um sie der hellste Tag,
Glücklich, dass das Schicksal, das sie quälet,
Sie doch nicht verändern mag.“

Zitatnachweis:
Elena Ferrante: Storia della bambina perduta. L’amica geniale. Volume quarto. Edizioni e/o, Roma 2014, 15a ristampa 2018, p. 354-355; deutsche Übersetzung des kleinen Bruchstückes vom hier schreibenden Johannes Hampel

Bild:
Das Eismeer. Gemälde von Caspar David Friedrich. Gesehen am 23. Januar 2024 in der Kunsthalle Hamburg

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Trasumanar e tramortir – über das Tote hinausdenken

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Jan 192022
 

„al doloroso e continuamente sofferto urgere dei sentimenti, corrisponde metodicamente in me, un riordinamento poetico, che se non altro serve a mettere tra due argini, a tramortire la corrente di quel mio sentimento sempre in moto“ – mit diesen Worten beschrieb Pier Paolo Pasolini in einem Brief an Franco Farolfi das Geschäft des Schriftstellers, des Künstlers, – des Philosophen, so füge ich hinzu. Das Schreiben dient als eine Art Eindämmung eines ständig andrängenden Gefühls, wobei Pasolini das seltene Verbum tramortire verwendet, in dem bekanntlich die alte Wurzel mors, morte steckt. Nicht nur um Eindämmung geht es dabei, sondern auch um eine Art Stillstellung, eine Betäubung, das Erträglichmachen eines anströmenden flutenden Weltgefühls. Das Abtöten, das Eindämmen – die Einsicht in die Sterblichkeit, in die Wohltat des Sterblichmachens, des Sterblichwerdens! Zugleich ein Griff über das allzu Menschliche hinaus, über die menschliche Angst vor dem Tode. Dieses Tramortir wird zum – Trasumanar!

Zitiert nach: Nicola Gardini: Lettere come diario di vita e ispirazione. Il Sole 24 Ore, domenica 2 gennaio 2022, pag. VI [= Rezension von:] Pier Paolo Pasolini: Le lettere. Nuova edizione a cura di Antonella Giordano e Nico Naldini. Garzanti, pgg. 1496, hier: pag. 453

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Sep 172021
 

La serva padrona – Die Magd als Herrin Tickets, So, 14.11.2021 um 19:00 Uhr | Eventbrite

Zwei große Abende durften wir mit der Aufführung der Serva padrona erleben! Alle wirkten zusammen, die Theateratmosphäre knisterte, wir beflügelten einander im Spielen, im Singen! Glückes genug!

Das Singspielensemble Berlin. V.l.n.r.: Ursula Hillermann (unten, Violine), Johannes Hampel (Uberto), Eva Vo (unten, Violine), Gerardo Colella (Dirigent und Regisseur), Heike Borchardt (Serpina), Jürgen Grunewald (unten, Bratsche), George Stark (Vespone), Andreas Bährle (unten, Cello). Leider nicht auf dem Foto: Daniel Merkel (Kontrabass), Regina Knobel (Cembalo)

Viele versuchten umsonst, das Ernsteste ernsthaft zu sagen,
hier spielt es endlich, hier im Gelächter sich aus!

La serva padrona – Die Magd als Herrin Tickets, So, 14.11.2021 um 19:00 Uhr | Eventbrite

In der Tat, Pergolesi tänzelt und tändelt um die Abgründe der Kleinheit des Herzens, der Ichbezogenheit des Mannes herum. Was ist das doch für ein Typ, den ich da zu singen und zu spielen hatte! Dieser Uberto! Verlangt alles von anderen, nichts von sich selbst!

Mit List, Tücke, Hingabe, Zärtlichkeit erreicht es seine Ziehtochter Serpina, ihn für sich zu gewinnen. Sein Herz öffnet sich, sein Geldbeutel auch. Hä? Was lernen wir daraus? Nichts!

Von r.n.l.: George Stark (Capitan Tempesta/Vespone), Heike Borchardt (Serpina), Johannes Hampel (Uberto)

Und damit kommen wir auch schon zu den Grenzen dieses Stückes. Es belehrt uns nicht. Es führt uns in eine Offenheit der Deutung. Wir in der Truppe waren uns selbst nicht einig, ob es hier um echte Gefühle gehe oder doch nur um List, Täuschung und Eigennutz. Vielleicht ist es eine Mischung aus allem. Vielleicht sollte man das Ganze nicht tierisch ernst nehmen. Jedenfalls war es schön, hinreißend, ich fühlte mich vollkommen hineingetragen, hineingezogen in ein Spiel, das über die Begrenztheit des Ichs hinausgeht.

Wenn Schiller sagt, der Mensch sei nur da Mensch wo er spiele, so wage ich zu sagen: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er singt und spielt, wo er lacht und weint, wo er scherzt und trauert, wo er sich der Unabgeschlossenheit seines Schicksals stellt, wo er die Unplanbarkeit des Lebens als den Freiraum nutzt und genießt, in dem er zu Entscheidungen hingezogen oder vielmehr hingesogen wird, die er schließlich als seine eigenen empfindet.

Und noch etwas füge ich hinzu: Wir spielten die Dienerin als Magd in einer zweisprachigen Fassung, die wir selbst erstellt hatten, wobei wir Arien und Duette im italienischen Original sangen, die Dialoge der Rezitative hingegen in unserer eigenen Übersetzung, angereichert mit Improvisationen, mit komödiantischen Elementen darboten. Das ganze Stück funktionierte also nur im Zusammenspiel zwischen zwei unterschiedlichen europäischen Sprachen: Italienisch und Deutsch. Im Kleinen gelang es uns also, ein perfektes Zusammenspiel zweier Kulturen zu inszenieren; denn nur im Verständnis des Italienischen konnte sich das Deutsche weiter entfalten. Umgekehrt bedurfte das Italienische vor einem des Italienischen unkundigen Publikum unbedingt der Übersetzung, Verdolmetschung, Verdeutlichung durch Geste, Handlung, Mimik und schließlich auch durch die eingefügten deutschen Dialoge. Man könnte es so sagen:

Viele versuchten umsonst, Europa im Großen zu gründen,
hier gelang es im Kleinen, die Länder Europens zu einen.

Applaus, Applaus, Applaus! Für die Musik, das Theater, den Gesang, die Menschen, Mann und Weib, Witz, Gelächter, Körper, Geld und Geist!

Zitatnachweise (Plagiatejäger – hier wird euch geholfen!):

Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen. [2. Teil; 10. bis 16. Brief.] In: Friedrich Schiller (Hrsg.): Die Horen, Band 1, 2. Stück. Tübingen, 1795, S. 88

Hölderlin, Friedrich: „Sophokles.“ In: ders., Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 122
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Beim Glockenschlag der Verirrten

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Aug 182021
 

Rom, 11. Juli 2021

Genau um 9 Uhr abends treffen wir an der Herberge ein. Eben ertönt die Glocke La Sperduta („die Verirrte“) vom Campanile der Basilika Santa Maria Maggiore, als wir die Schwelle des Hotels überschreiten, das uns zwei Tage lang Gastlichkeit bereiten wird. In London wird genau zur selben Zeit das Endspiel zur Fußball-Europameisterschaft angepfiffen. Eine deutlich merkbare Anspannung hat die Straßen und Plätze der Stadt ergriffen. Es wird so leise! Das Lärmen, das Anfeuern, das uns bei unserer Anfahrt von Trastevere her umtost hatte, ist erstorben. Was mögen die nächsten zwei Stunden für das Schicksal Europas – oder Fußball-Europas – bereithalten? Bange Frage! Wir nehmen Platz in einer Trattoria vor der Basilika und bestellen einhellig Pizza mit prosciutto cotto und Bier. Das Foto zeigt unseren Blick von den Rändern der Pizza über das Bierglas auf die Hauptfassade der Kirche, von Osten her gesehen, wie sie sich während der ersten Halbzeit bot.

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Sahen sich die Dichter Homer und Dante als Schriftsteller?

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Sep 102020
 

Così vidi adunar la bella scola
di quel signor signor dell’altissimo canto
che sovra li altri com’aquila vola.

So Dante Alighieri, Commedia, Inferno, Canto IV, 94-96

„Mit Homer beginnt die europäische Literaturgeschichte.“ In jeder Literaturgeschichte wird man etwas in diesem Sinne finden können. „Dante ist der größte Schriftsteller italienischer Sprache.“ Wer wollte gegen diese Feststellungen etwas einwenden?

Nun, zunächst einmal Dante selbst. Bekanntlich bezeichnet er die 100 einzelnen Abschnitte seiner Commedia nicht als „Kapitel“, „Bücher“, „Texte“, „Schriften“, „Akte“, „Briefe“ oder ähnliches, sondern ausschließlich als Lieder, Gesänge, als „canti“. Die drei Großbauteile der gesamten Commedia wiederum nennt er „cantiche“, in etwa wiederzugeben als „Sangeswerke“, „Gesangsgruppen“. Gesang singt und klingt bei Dante allüberall, nicht stummer, zum Lesen geschriebener Text!

Im vierten Gesang des Inferno wiederum bezeichnet Dante Homer als den „signor dell’altissimo canto“, also als den Herrn, den Herrscher des höchsten Gesanges, den Fürsten des Singens.

Und von Homer – so es ihn denn als Person gegeben hat – wissen wir, dass er seine Gesänge nicht aufschrieb, sondern sie mündlich aus dem Gedächtnis vortrug, gesanglich darbot. Homer soll blind und des Schreibens unkundig gewesen sein. Wolfgang Schadewaldt schrieb mit guten Gründen sein Büchlein über „Die Legende von Homer, dem fahrenden Sänger“. Homer war nicht Literat, er war Sänger.

Kurzum: Wir verfehlen das von Homer und von Dante Gemeinte fundamental, wenn wir ihre aufgeschriebenen Texte, die uns ja unter ihrem Namen in der Tat vorliegen, als Endzweck sehen, als Literatur, die der Literaturwissenschaft als Gegenstand dienen sollte.

Nein, es waren – und sind! – zum singenden klingenden Vortrag gedachte, rhythmisch durchgebildete, sich nicht im geschriebenen oder gedruckten Wort erschöpfende Kunstgebilde. Es sind Gesänge.

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„Convivere con il virus“, oder: Wie wir lernen, mit dem Virus zu leben. Die besonnene Lagebeurteilung des Fabrizio Pregliasco

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Apr 022020
 

Gute, kluge, besonnene Hinweise, Fakten und Vorschläge des in Mailand wirkenden Virologen Fabrizio Pregliasco, gerade erst im STUDIO24 des italienischen Sender RAINEWS24 geäußert! Es war eine Freude zuzuhören. Hier das Wichtigste zum Nachlesen:

1) Das Virus wird nicht verschwinden. Wir werden auch in Zukunft mit dem Virus leben. Virale Infektionen mit neuartigen Erregern sind und bleiben Teil der menschlichen Entwicklung. „Non ci potremo liberare dal virus.“

2) Der Anstieg der gemeldeten Fälle hat sich abgeflacht, die Spitze der Kurve zeigt einen plateauartigen Verlauf. Das Abklingen der Seuche wird ebenfalls nur allmählich erfolgen.

3) Die seuchenpolitischen Maßnahmen sollten auch in Zukunft auf folgende drei Ziele ausgerichtet bleiben: Eindämmung der Ansteckungsgefahr („restringimento“), möglichst punktgenaue Erfassung der tatsächlichen aktuellen Infektionen („individuazione“), Abmilderung der Folgen solcher Ansteckungen („mitigazione“).

4) Die Lockerung der angeordneten Maßnahmen zur Seuchenbekämpfung sollte nach Lage schrittweise, gestaffelt, wahrscheinlich auch unterschieden nach einzelnen Regionen Italiens entschieden werden. Die öffentlich zugänglichen Orte werden je nach Dringlichkeit und Risikopotential nach und nach wieder geöffnet. „Le discoteche saranno le ultime – die Diskos kommen als letzte dran“. Die Lombardei wird möglicherweise die letzte Region sein, die zur Normalität zurückkehrt.

5) Als neu entdeckte Ansteckungsherde mit sehr hohem Risiko haben Alten- und Pflegeheime zu gelten.

6) Überraschend aus der Sicht des jahrzehntelang forschenden Virologen Pregliasco an diesem neuartigen Corona-Virus ist die sehr hohe Zahl an asymptomatischen Infektionen (es treten keinerlei Krankheitszeichen auf) und das im Vergleich zu ähnlichen Viren hohe Übertragungsrisiko.

7) Derzeit werden 12 theoretisch mögliche Impfstoffe auf Wirksamkeit und Verträglichkeit systematisch untersucht. Wahrscheinlich sind in etwa einem (1) Jahr Impfstoffe in ausreichender Menge verfügbar.

8) Dennoch wird das Virus wellenartig wiederkehren („onde di rientro“).

9) Das Tragen von Schutzmasken kann mittlerweile als empfehlenswerte Maßnahme gelten.

10) „Dobbiamo abituarci a riavvicinarci.“ Wir müssen uns daran gewöhnen, im sozialen Raum allmählich wieder mehr Nähe zuzulassen.

Quelle:
La diretta di RAINEWS24, Sendung STUDIO24, 02. April 2020, 10.05-10.45 Uhr

www.rainews.it/dl/rainews/live/ContentItem-3156f2f2-dc70-4953-8e2f-70d7489d4ce9.html

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Vivere moderatamente, guardarsi da ogni superfluità…

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Mrz 152020
 
Marcantonio Raimondi: Die Pest in Phrygien. Ausstellung Raffael in Berlin. Meisterwerke aus dem Kupferstichkabinett. Gesehen in Berlin, 13.03.2020, 17.39 Uhr

Ed erano alcuni, li quali avvisavano che il vivere moderatamente e il guardarsi da ogni superfluità dovesse molto a cosí fatto accidente resistere: […] Unter strahlendem Aufgang einer neuen, lebenschenkenden Sonne bekennt der hier Schreibende an einem besonderen Geburtstag seine Mitfreude und Zustimmung zu jener Gruppe Florentiner Bürgerinnen und Bürger, die, nach dem glaubwürdigen Zeugnis Giovanni Boccaccios, im Jahr 1348 angesichts der verheerenden Pestpandemie die Meinung vertraten, dass die gemäßigte Lebensweise, die Vermeidung alles Überflüssigen sehr dabei helfe, einem derartigen Geschick zu widerstehen:[…].

Wohl gemerkt, jener Teil der Bevölkerung empfahl weder die Selbstkasteiung wegen der giusta ira di Dio, des gerechten Zornes Gottes, als welchen andere diese Geißel empfanden, noch auch die hemmungslosen Hamsterkäufe und die üppige besinnungslose Taumelei der Clubgänger und des Partyvölkchens – ora a quella taverna ora a quell’altra andando -, mit der man sich in das nahende Weltenende hineinzuretten hoffte, sondern nein: im Verzicht auf Überflüssiges und auf absolute Gewissheiten, in der Hinwendung zum Menschendienlichen und Menschenmöglichen, in der Zuwendung zum Schönen, Freudigen, zum Erzählerischen, in der Öffnung vom Ich zum Wir erahnten jene fernen Florentiner Zeitgenossen den Keim der Heilung, ja des Heils! Es bringt nicht alles, aber doch viel.

Zitate: Giovanni Boccaccio: Decameron. A cura di Cesare Segre. Commento di Maria Segre Consigli. V edizione GUM. Milano 1977, S. 29-32. Übersetzungen ins Deutsche durch den hier Schreibenden.

Nachträgliche Anmerkung des hier Schreibenden vom 16.03.2020:
Schreibt man das italienische Wort für so così oder cosí? – Antwort: Der heutige italienische Schreibgebrauch verlangt zwar così, Giovanni Boccaccio selbst scheint aber, gemäß dem hier zu Rate gezogenen Textzeugen (ed. Segre, Mailand 1977), stets cosí geschrieben zu haben.

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„Voleva la riconciliazione“ – una parola da salvare

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Jan 122020
 

Atene, sabato 28 dicembre 2019.- Provo stupore, ammirazione, brividi sulle pendici meridionali dell’Acropoli. Tappa obbligatoria: visita al teatro di Dioniso. Sì, è stato qui che furono rappresentate per la prima volta le tragedie di Eschilo, Sofocle ed Euripide. Cito, o canto piuttosto, alcuni versi del primo stasimo dell‘Antigone di Sofocle:
πολλὰ τὰ δεινὰ κοὐδὲν ἀνθρώπου δεινότερον πέλει.
τοῦτο καὶ πολιοῦ πέραν πόντου χειμερίῳ νότῳ
χωρεῖ, περιβρυχίοισιν
περῶν ὑπ᾽ οἴδμασιν.

Ascolto per un po‘ l’eco della propria voce, i riverberi di quasi tre milleni di storia umana… Poi cade il silenzio. Si respira un’aria falsamente fiduciosa in quello stasimo, mi pare. Dietro questo rigore, quest’iperbolico slancio dell’uomo che vuole vedersi padrone assoluto della terra si nasconde il dissidio totale tra gli esseri umani, l’assenza di riconciliazione tra le figure della tragedia, essendo Creonte ed Antigone in primis irrimediabilmente intrecciati in un contrasto aspro, crudele, senza la minima possibilità di una risoluzione vivibile. Nessuna pace dopo tanta guerra!

Rientriamo in albergo sul tardi. Sul cellulare ricevo un messaggio dal Piemonte. Raffaella Romagnolo ha lasciato proprio oggi un post bellissimo sul suo blog che tratta il tema della riconciliazione, quella cosa che sembra impossibile in contesti come quello dell‘Antigone di Sofocle. Lo leggo subito:

RICONCILIAZIONE
Una cosa da tenere.
Berlino, giovedì 25 aprile, presentazione di Bella ciao, che è la versione tedesca del mio Destino. Ripeto: 25 aprile, Berlino, Bella ciao. Coincidenze che, in un romanzo, sarebbero effettacci da quattro soldi, roba che un editor segnerebbe con la matita rossoblù, ma la vita se ne infischia della Letteratura.

La sala è piena. Traduzione simultanea, calici di vino rosso, pile di libri. Per loro è un giovedì sera qualunque, la settimana lavorativa quasi finita, un po’ di svago intelligente. Per me è il 25 aprile. Così racconto della Benedicta. Ha il suo bello spazio, nel romanzo. «Il più grande eccidio di partigiani della storia italiana» dico. Entro nei dettagli. Immagino che la traduzione simultanea spari nelle orecchie dei presenti parole come rastrellamento e fossa comune. Intanto io penso Berlino e 25 aprile. Mi trema la voce, ma vado avanti.

Alla fine della serata si avvicina un uomo. Intorno ai cinquanta, suppergiù la mia età. «A mio padre sarebbe piaciuto questo incontro» dice. Capisco che il padre è morto. «Era un soldato della Wehrmacht» aggiunge, e io sento tutto il coraggio che gli ci vuole, in un giovedì sera di fine aprile, profumo di fiori e l’aria tiepida di un’estate che arriva anzitempo, per prendere la vita di suo padre e depositarla nelle mani di un’estranea. «Voleva la riconciliazione» conclude. Ha un bell’italiano, dice proprio così: riconciliazione. Pace, dopo tanta guerra. Quella parola me la porto dietro, me la tengo stretta.
https://raffaellaromagnolo.wordpress.com/2019/12/28/riconciliazione/

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Du warst nicht nur von dieser Welt, Andrea! (Ihm nachgerufen)

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Jul 202019
 

Wegwarte und Rispen-Flockenblume auf der Wiese, am 15.07.2019, Hans-Baluschek-Park

Andrea Camilleri war soeben im italienischen Fernsehen zu hören, bei einem seiner letzten Interviews. Ich zitiere:

«Io sono stato felice per pochi attimi e per cose inspiegabili. Una volta quando in campagna mi entrò la citronella nelle narici, nei polmoni e mi venne voglia di cantare ad alta voce e sentii il mio essere in armonia con l’universo, non con il mondo, ma con il grandissimo nulla dentro cui fui felice di perdermi».

[Ich bin wenige Momente glücklich gewesen, und wegen unerklärlicher Dinge. Einmal, als in Feld und Wiese Zitronengras in meine Nasenlöcher und Lungen drang, und ich Lust bekam, mit lauter Stimme zu singen, und ich fühlte, dass ich in Harmonie mit dem Universum war, nicht mit der Welt, sondern mit dem riesengroßen Nichts, in dem ich glücklich war verloren zu gehen.]

… also im Augenblick von diesem höchsten Glück verspürtest du Lust, mit lauter Stimme zu singen? Darauf rufe ich dir als Überlebender deines Todes zu: Bereits das Singen mit lauter Stimme kann uns Lebenden, uns noch Lebenden im rechten Moment, in nicht wenigen Momenten Glück bedeuten. Du erinnerst dich?

ed era il cielo a l’armonia sì ’ntento
che non se vedea ’n ramo mover foglia!

C’è tanta dolcezza che ti aprirà le narici, Andrea, che farà entrare l’odore della citronella nei tuoi polmoni …

In memoriam Andrea Camilleri (Porto Empedocle, 6 settembre 1925 – Roma, 17 luglio 2019)

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Glückes genug

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Jun 232019
 
„Sarà lieta la mia sorte, al tuo fianco io vuò spirar“. Donizettis „Il Barcaiolo“, gesungen im Hochmeistersaal am 22.06.2019. Am Klavier: Kathrin Freyburg

Gelöstes, leichtes Dahingleiten über die flimmernden Wogen des Augenblicks, Dahinsegeln über die lächelnden grünen Meeres-Abgründe, ein triumphierendes, pulcinella-artiges Wiederauftauchen nach den Schrecknissen der Seefahrt, ein Zuzwinkern an die Geliebte nach dem Scheintod des Schiffsuntergangs – überhaupt etwas Starkes, Frohes, etwas … Italienisches!

Hinter mir ließ ich gestern, da ich Donizettis raffiniertes Ding, diese Barcarola, vortragen durfte, das allzu Schwere, das Dampfige, das unerträglich Wabernde, Schicksalhaft-Jähe des deutschen Wesens und Unwesens, all die ständige Nahzeiterwartung des Weltenendes, ob nun damals beim Bergmannssohn Martin Luther oder auch heute im Braunkohletagebau Garzweiler, diese Unfähigkeit der Deutschen, sich auch nur einen Augenblick an dem Erreichten, dem Gelungenen zu erfreuen, diese Form-Unlust der Deutschen, diese Unerbittlichkeit, diese Humorlosigkeit der Deutschen, wie sie immer wieder aufflackert in eingebildeten – deshalb höchst realen – Ängsten vor dem nahenden Weltenbrand und Weltenende!

Nein, da lob ich mir doch meine Italiener! „Könnt ich einen Augenblick sein wie sie!“ Also wünschte ich mir.

Und siehe, da ward ich es schon, mindestens im Singen. Nichts hinderte mich! Die Barke glitt federleicht dahin! Glückes genug!

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Bald sind wir aber Gesang

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Mai 112019
 

Com’è immediatamente evidente quando si fa o si ascolta musica, il canto celebra o lamenta innanzitutto una impossibilità di dire, l’impossibilità – dolorosa o gioiosa, innica o elegiaca – di accedere all’evento di parola che costituisce gli uomini come umani.

Als besten Einstieg in das vielfach verzweigte Denken Giorgio Agambens möchte ich heute, an diesem strahlend reinen, erfrischend kühlen Maimorgen, seine tastend-lauschenden, versuchend-anfänglichen Suchbewegungen in dem schmalen Bändchen „Was ist Philosophie?“ empfehlen. Hier tritt, so meine ich, eine jugendliche Neugier hervor, ein mühselig errungener Verzicht auf das bewältigende Denken, das mithilfe eines begrifflichen Gerüstes versuchte, „der Dinge ein für allemal Herr zu werden“.

Die 13 Seiten des hier angezeigten, 2016 in den Marken (und „die Marken“, das sind bekanntlich, wörtlich genommen, „die Grenzgebiete“) erschienenen Versuches über die „Geburt des eigentlich Menschlichen aus dem Geist des Gesanges“ sind kurz, mehr noch: sie sind kurzweilig. Sie dauern nicht länger als die 13 Strophen eines elegischen Liedes.

Zitatnachweis: Giorgio Agamben: Appendice. La musica suprema. Musica e politica. In: ders., Che cos’è la filosofia? Quodlibet, Macerata 2016, S. 133-146, hier S. 135

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