Einen Weck – mehr brauchst du nicht am heutgen Tag

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Mai 272017
 
In Goethes Leiden des jungen Werthers heißt es unter dem Datum vom 10. Mai 1771: Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, gleich denen süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen geniesse. Und unter dem heutigen 27. Mai erzählt er, wie er jedem der ihm begegnenden Kinder einen Kreuzer und wohl auch „einen Weck zur Suppe“ gibt.
Der Weck, das ist natürlich a Weggla, wie der Franke sagt, ist natürlich ne Schrippe, wie der Berliner sagt, a Sömmi, wie der Bayer sagt!
Jeden Tag einen Weck zur Suppe, jeden Tag einen Kreuzer in die Hand, so leben wir in den Frühling hinein, als wenn es nie einen Winter gegeben hätte.
Obendrein hast du uns auch die Guteschafe in den Schöneberger Südpark zurück geschickt, lieber Mai, in dieses kleine arkadische Wahlheim, in dem wir immer wieder in Verzückungen, Gleichnisse und Deklamation verfallen.
Zitat:
Die Leiden des jungen Werthers. Erster Theil. Leipzig. In der Weygandschen Buchhandlung, 1774, Seite 8
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Was ist dein Vaterland?

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Mai 252017
 

Im sechsten Buch seiner griechisch verfassten Selberlebensbetrachtungen schreibt der römische Kaiser Mark Aurel:

Πόλις καὶ πατρὶς ὡς μὲν Ἀντωνίνῳ μοι ἡ Ῥώμη, ὡς δὲ ἀνθρώπῳ ὁ κόσμος.

Der Triestiner Schriftsteller Claudio Magris übersetzt dies so ins Italienische: „La mia città e la mia patria è Roma, in quanto sono Antonino. In quanto uomo, è l’universo.“

Dies lässt sich wiederum in meiner Muttersprache so verdolmetschen: „Meine Heimatstadt und mein Vaterland ist, insoweit ich Antoninus bin [d.h. Sohn meines Adoptivvaters Antoninus] Rom. Insoweit ich Mensch bin, ist es der Kosmos [d.h. die Welt als wohlgeordnetes, schmückendes Ganzes].“

Ein großartiger Satz, wie ich finde! Marcus Aurelius Antoninus Augustus – so sein voller Name in Selbstbezeichnung – erkennt das notwendigerweise Zufällige der Herkunft an. Der eine ist eben Römer, der andere ist nun mal Grieche, der dritte ist Bataver oder Pannonier, Triestiner, Ulmer oder Königsberger; niemand kann etwas für die Umstände seiner Geburt!

Diese Signatur der Herkunft haftet einem ein Leben lang an. Sinnlos, ja gefährlich wäre es, diese Prägung der Herkunft aus anderen und mit anderen Menschen auslöschen zu wollen. Herkunftsgemeinschaft kann man dies nennen. Man bleibt ein Leben lang Römer, auch wenn man wie der römische Kaiser auf Griechisch schreibt. So hat sich ja auch etwa Albert Einstein, der alle seine bahnbrechenden Werke in deutscher Sprache weit außerhalb seiner Geburtsstadt verfasst hat, ein Leben lang zu seiner württembergischen Geburtsstadt Ulm und zu seiner Herkunft aus dem deutschsprachigen Kulturraum bekannt.

Aber das Zufällige der Herkunft – Rom, Triest, Ulm, Königsberg usw. – wird überwölbt vom Hinauslangen, vom Sich-Emporstrecken zum gestirnten Himmel des Kosmos-Gedankens. „Der gestirnte Himmel über mir“, so nannte dies später der Königsberger Immanuel Kant, erfüllt uns mit immerwährendem Staunen ebenso wie „das Sittengesetz in mir“.

Beleg:
Claudio Magris: Danubio. Verlag Garzanti, Mailand 1986, darin besonders: 30. CARNUNTUM, S. 223-225, Zitat: S. 223

Foto: Die Welt ist wirklich ein wohlgeordnetes schmückendes Ganzes – oder kann dies zumindest sein! Blick vom Hirschberg auf den Tegernsee. Aufnahme vom Verwandtentreffen in Kreuth am 20.05.2017

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Und heute …?

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Mai 252017
 

And today, I’m particularly blessed to welcome you, my brothers and sisters in Christ, for this Easter breakfast… The young man from Nazareth marched through Jerusalem; object of scorn and derision and abuse and torture by an empire. The agony of crucifixion amid the cries of thieves. The discovery, just three days later, that would forever alter our world – that the Son of Man was not to be found in His tomb and that Jesus Christ had risen.

Soweit ein kurzer Ausschnitt aus einer Oster-Predigt des Familienvaters, Schriftstellers, Staatsrechtlers, Sozialarbeiters und Politikers Barack Obama. In diesem Bekenntnis scheint etwas auf, was in der Tat am Ursprung des heutigen „Herrentages“ steht und ihn zweifellos überragt: die Überwindung der Macht des Todes, das Geheimnis der Auferstehung, ohne das zweifellos das gesamte Gerede von der „christlichen Kultur“ bloßes Gerede bleiben muss.

Dieses höchstpersönliche Glaubenskenntnis, abgelegt 2010 vom damals schon amtierenden US-Präsidenten, glaubwürdig überliefert in einem mir vor Monaten schon aus Washington zugespielten Buch, halte ich für vorbildlich – ebenso wie auch das Bekenntnis desselben Mannes, abgelegt am Brandenburger Tor, das Bekenntnis dieses Menschen zu der Wahrheit Immanuel Kants, dass jeder Mensch kraft seiner Menschheit frei sei.

Freiheit jedes Menschen kraft seiner Menschheit – allgemeine Geschwisterschaft aller Menschen im Zeichen des Kreuzes, die beiden gehören zusammen.

Immanuel Kants Metaphysik der Sitten, seine Lehre von der Freiheit des Menschen einerseits, das Bekenntnis zur Wahrheit des Osterfestes andererseits, das sind Grundstreben der Leitkultur. Leitkultur, das bedeutet das freiwillige Sich-selbst-Ausrichten auf eine Wahrheit, die der einzelne höchstpersönlich erwählt, wie sie ihn als einzelnen höchstpersönlich erwählt hat.

Beleg:

Darrin Grinder, Steve Shaw: The Presidents and their Faith. From George Washington to Barack Obama. Updated edition. Verlag Elevate Faith, 2016, Boise, Idaho, hier besonders: Barack Hussein Obama, Seite 225-231, Zitat: S. 229

Bild:
Kreuzigungsszene am Gipfel des Hirschberges bei Kreuth am Tegernsee, entstanden auf einer Bergwanderung mit lauter Verwandten am 20.05.2017

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„Was bedeutet das eigentlich – der Herrentag?“

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Mai 252017
 

Wie ich dich nenn, ist einerlei?
Dann brech ich dich, o Akelei!
Ich wollt sie brechen die Akelei,
Doch sprach sie fein:
Soll ich zum Welken gebrochen sein?

Stop! Was gibt’s du mir, wenn ich dich nicht breche? fragte ich zurück.
Ich löse dir die Rätsel des Alltags, versprach sie.

Das lässt sich hören, erwiderte ich, und legte ihr meine Frage vor: Warum heißt dieser Donnerstag im Mai eigentlich „Herrentag“? Das ist doch ein merkwürdiger Name.

Und die Akelei, Aquilegia, wie sie sich auf Lateinisch nannte, erzählte eine Geschichte, die sie von einem apulischen Gräzisten erfahren haben wollte:

Eines Morgens war der apulische Gräzist sehr früh aufgewacht und fing gleich seine griechischen Texte zu lesen an:

Ὁ μὲν οὖν κύριος Ἰησοῦς μετὰ τὸ λαλῆσαι αὐτοῖς ἀνελήμφθη εἰς τὸν οὐρανὸν καὶ ἐκάθισεν ἐκ δεξιῶν τοῦ θεοῦ. Wir übersetzen das griechische Bruchstück – wir fanden es zufällig durch das Aufschlagen eines auf dem Nachttischchen aufgelegten Buches – ins Französische: Or le seigneur Jésus, après leur avoir parlé, fut enlevé au ciel et il s’assit à la droite de Dieu.

Ganz nüchtern beginnen wir also diesen Herrentag mit unseren gewohnten griechisch-europäischen Dolmetschübungen! Wie mag es heute weitergehen? Wie? Wir dürfen es vermuten, wir dürfen es vorhersagen als Propheten des Alltags, denn das zufällig aufgeschlagene griechische Fragment geht so weiter: ἐκεῖνοι δὲ ἐξελθόντες ἐκήρυξαν πανταχοῦ, das ist auf gut europäisch: Pour eux, ils s’en allèrent prêcher [bruyamment] en tout lieu, also recht deutsch und deutlich gesagt: Sie aber zogen aus und trompeteten es überall [cum clamore, mit Tröten, mit Geschepper, Getöse, beschickert  und mit Fahrradklingeln]. Wir haben zur Verdeutschung des mit dem lautmalerischen ἐκήρυξαν Gemeinten in eckigen Klammern Zusätze hinzugeschrieben, sit venia verbo!

Und so entstand aus dem heutigen Tag des Herrn – der Herrentag, schloss die Akelei ihr Märchen ab.

Danke, rief ich, nimmermehr brech ich dich ab, o du schöne Akelei!

Bild: der Kamtschatka-Riesenaronstab (Lysichiton camtschatcensis). Man findet ihn bei Wanderungen auf der Kamtschatka  – oder auch im Botanischen Garten zu Berlin.

Text: Markus 16,19-20

 

 

 

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Und wer bist du?

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Mai 232017
 

Frage: Ja, wie heißt du denn?  Du mit deinen nickenden blauvioletten Blüten, mit deinen fünf Blütenblättern, deinem zierlichen Sporn? Jetzt bist du seit einigen Tagen aufgeblüht im Schöneberger Südpark! Und wartest du schon auf die Bestäuber, die Hummeln und emsigen Bienen? Fürchtest du dich vor den Guteschafen, deren Ankunft wir seit Tagen herbeiwünschen?

Ja, du! Heißest du etwa Narrenkappe, Stanitzelblume, Tauberln, Hüetli, Schlotterhose, Tintenglocke, Truerblüemli?

Antwort: Ich bin all das und vieles mehr, doch kümmert es mich nicht, wie du mich nennst, denn ich bin …

… die Akelei.

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Der demokratische Verfassungsstaat als vorläufig letzte Vollendungsform des europäischen Freiheitsdenkens

 Europäische Union, Homer, Leitkulturen, Platon, Staatlichkeit, Verfassungsrecht, Was ist europäisch?  Kommentare deaktiviert für Der demokratische Verfassungsstaat als vorläufig letzte Vollendungsform des europäischen Freiheitsdenkens
Mai 172017
 

Athen, Jerusalem, Rom – das sind die drei symbolisch hochaufgeladenen Städte  und hochaufladenden Stätten, ohne die Europa, so wie wir es heute verstehen, nicht denkbar wäre. Athen verstanden hier – ganz im Gegensatz zu den östlichen, den asiatischen Herrschaftskulturen – als Brennpunkt griechischer Selbstbestimmung in einer Gemeinschaft ohne König, in einer enthusiastisch erregten Freiheitskultur, ohne theologische Letztbegründung irdischer Herrschaft; Geburtsstätte des herrschaftsfreien Redens über Letztes und Vorletztes, Wirkungsort des Areopags, des Sokrates, des Platon, des Aristoteles. In Griechenland sehen wir den Ursprung der Demokratie.

Jerusalem tritt hinzu als wichtigste Pflanzstätte des Eingottglaubens, Zielort und Quellort der drei großen Ein-Gott-Religionen, die als einzige Religionen der Antike bis in unsere Tage hinein wirkmächtig geblieben sind, die das gesamte Antlitz aller europäischen Länder nachhaltig in die Tiefe hinein umgeprägt haben. Ausnahmslos alle europäischen Länder sind mindestens seit 1000 Jahren und über mindestens 10 Jahrhunderte hinweg grundlegend durch das Judentum, das Christentum, den Islam umgewälzt und umgestaltet worden.

Erst in Rom schließlich fand der Gedanke der Staatlichkeit, der in dauerhaft ausgestalteten Institutionen ausgeübten, territorial verankerten Herrschaft eine weithin ausstrahlende Kraft. Den griechischen Stadtstaaten war dieser Gedanke einer personenunabhängigen, durch dauerhafte, kodifizierte Rechtsnormen eingehegten Staatsmacht noch fremd.

Alle staatlichen Gebilde, alle europäischen Kulturen beziehen sich seither mehr oder minder ausgesprochen auf Athen, Jerusalem, Rom.

Athen, Jerusalem, Rom! Alle unsere heutigen europäischen Nationalkulturen, alle unsere modernen Verfassungsstaaaten sind Übersetzungs- und Nachfolgekulturen dieser antiken Grundprägungen, dieser wenigen, klar benennbaren Grundmerkmale der europäischen, tief in der europäischen Geschichte verankerten Leitgestalten. Das eint sehr unterschiedliche Länder, alle 49 Staaten Europas wie etwa Ukraine und Belgien, Portugal, Russland und Dänemark, Bulgarien und Schottland, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Frankreich.

Die Länder des riesigen Länderbogens vom Maghreb bis nach Indonesien und Pakistan begreifen sich hingegen nicht als durch Athen, Jerusalem und Rom geprägt. Länder wie Marokko, Irak, Iran, Pakistan, Usbekistan, Pakistan sind in diesem kulturellen Sinne keine europäischen Länder; jedoch die Staaten Nordamerikas etwa, also Mexiko, die USA, Kanada  sind typologisch gesehen durchaus „europäische“ Länder.

Vgl. zu diesen Themen auch den lesenswerten, weiterführenden Aufsatz von Jens Halfwassen in der FAZ vom heutigen 17. Mai 2017! Er schreibt unter der Fragestellung „Was ist Nationalkultur?“

„Unter der europäischen Kultur verstehe ich nicht das sogenannte christliche Abendland, sondern den Gesamtzusammenhang der europäischen Kulturentwicklung seit den homerischen Epen, also die dreitausend Jahre europäischer Kultur, die wir aufgrund der erhaltenen Texte dieser Kultur überblicken können.“

Nationalkulturen oder gar die berühmten oder rätselhaften „Leitkulturen“ begreift er als unterschiedliche Ausprägungen desselben Grundtyps von kulturell getragener Staatlichkeit, der nach allem, was wir heute wissen, seit dem Scheitern der athenischen Demokratie vor 22 Jahrhunderten im demokratischen Verfassungsstaat seine vorerst letzte Ausgestaltung gefunden habe.

Er, der demokratische Verfassungsstaat, existiere in der europäischen Geschichte nur als Nationalstaat, nicht als kontinentales Reich oder gar globales Imperium.

Die Frage, ob die 49 europäischen Nationalstaaten, die sich als moderne Verfassungsstaaten begreifen, auf ein Jenseits des Verfassungsstaates zugehen sollen, also etwa Teile ihrer Souveränität an Staatenverbünde, etwa die EU, oder Verbände wie etwa Vertragsgemeinschaften abtreten sollten, wirft Halfwassen nicht auf.

Mit guten Gründen erklärt er die demokratischen Verfassungsstaaten zu der derzeit erkennbaren stabilen politischen Gestalt der Freiheit schlechthin.

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Schwarzer Schimmel

 Rassismus, Unverhoffte Begegnung  Kommentare deaktiviert für Schwarzer Schimmel
Mai 152017
 

Rätselhaftes, tiefsinniges Gespräch und Nachdenken über den hinreißenden Film Get out des Regisseurs  Jordan Peele!

Chris, sehr bezwingend von dem jungen Daniel Kaluuya gespielt, ist ein schwarzer, kluger, charmanter junger Amerikaner; er wird von seiner weißen Freundin Rose zu einem fabelhaften Wochenende eingeladen.

Herzlich heißen die weißen Akademiker den neuen Begleiter ihrer Tochter auf dem herrschaftlichen Landgut am Rande eines träumerisch daliegenden Sees willkommen. So ist alles bereitet für ein ungetrübtes Wochenende voll inklusiven geselligen Beisammenseins.

Es kommt ein bisschen anders, wie man sich denken kann und ahnen muss – spätestens zu dem Zeitpunkt, als der Vater Roses, ein angesehener Chirurg, bei dem Rundgang durch das stattliche Anwesen dem jungen hochwillkommenen schwarzen Gast gegenüber nonchalant erwähnt, man habe die Tür zum Keller verschließen müssen, da sich dort zu viel schwarzer Schimmel – black mould – angesammelt habe.

Was sich dann entfaltet, ist eine grandiose Irrfahrt in die Unterwelt, eine bannende Rückführung in  die tiefsten Schichten, wo das Selbst noch nicht es selbst ist, sondern hilflos einem übermächtigen Schicksal ausgeliefert wird, aus dem nur das Einwirken einer Gnade von außen Rettung bringen kann.

Wer unter euch ohne Rassismus ist, der werfe den ersten Stein auf all die anderen Rassisten! Ein tiefschwarzer Spiegel wird da den liberalen, ach so aufgeklärten Ostküsten-Akademikern vorgehalten!

Der aufwühlende, verstörende Film – eine schreckliche Tragödie, bei der wie in der Antike zum Schluss sehr viel Blut fließt – wirkte noch lange in mir nach! Wir sahen ihn am vergangenen Dienstag im Kino Odeon in Schöneberg.

Erst später erfuhr ich von Kennern, es handle sich nur um eine Horror-Komödie, und deswegen brauche ich mir den Film nicht so zu Herzen gehen zu lassen. Dies sei eine Gattung, die derzeit großen Erfolg in den USA und weltweit einfahre.

Ist es eine Tragödie? Ist es eine Komödie? Sei dem wie ihm sei, mir ist der Film noch lange nachgegangen.

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Mai 112017
 

Augustinus schreibt in seinen Confessiones, Buch VIII: […] quanto ardentius amabam illos de quibus audiebam  salubres affectus, quod se totos tibi sanandos dederunt, tanto  exsecrabilius me comparatum eis oderam, also zu deutsch: Je glühender ich jene [beiden Männer] liebte, über deren heilsame Gefühle ich erfuhrweil sie sich dir völlig zu ihrer eigenen Gesundung geschenkt hatten, desto verfluchter haßte ich mich, wenn ich mich mit ihnen verglich Odium sui, Selbsthaß! Lyndal Roper schreibt über den jungen Erfurter Augustinermönch Martin Luther: „Luther scheint geradezu in Schuldgefühlen geschwelgt zu haben, als könnte er, wenn er es zum Äußersten trieb, eine höhere Stufe des frommen Selbsthasses erleben, der ihn Gott so nahe wie möglich bringen würde.“ Martin Luther schreibt noch in seinen letzten Lebensjahren immer wieder in aller Offenheit von seinem Haß auf sich selbst, von dieser Selbstverwerfung, die ihn ins Äußerste, in den hellen Zorn hineintreibt, in die Verwerfung Gottes, ja in den Haß auf Gott führt: Hierfür ein besonders machtvolles Beispiel, entnommen der Vorrede zum ersten Bande der Gesamtausgaben seiner lateinischen Schriften, in Luthers hell loderndem, an den Afrikaner Augustinus erinnerndem Latein originalgetreu wiedergegeben (Hervorhebung durch uns): [21] Ego autem, qui me, utcunque irreprehensibilis monachus vivebam, sentirem [22] coram Deo esse peccatorem inquietissimae conscientiae, nec mea satisfactione [23] placatum confidere possem, non amabam, imo odiebam iustum et [24] punientem peccatores Deum, tacitaque si non blasphemia, certe ingenti murmuratione [25] indignabar Deo, dicens: quasi vero non satis sit, miseros peccatores [26] et aeternaliter perditos peccato originali omni genere calamitatis oppressos [27] esse per legem decalogi, nisi Deus per euangelium dolorem dolori adderet, [28] et etiam per euangelium nobis iustitiam et iram suam intentaret. Ein erschütterndes Dokument für den Selbst- und Gotteshaß Martin Luthers, auf das ich vorderhand in Erinnerung an Goethe nur mit einigen kunstlos hingeworfenen Knittelversen antworten kann:
Ich höre, Martin, wie’s dich umtreibt:
S’ist Lieb, s’ist Haß, die glühend dich umwinden:
Aus jenen fernsten Gründen,
Wo ganz zuletzt der Mensch nur noch sich selbst erkennt;
Und sich nicht mehr bei seinem eignen Namen nennt,
Bricht über dich ein ungeheures Flammenübermaß!
So viel an dir ist Selbsthaß, Menschenleid,
So viel in dir ist Gotteshaß! O Martin, Martin, hör die Frage:
Wie findet Gott zu dir, Wie findet Gott ein gnädig Ich,
Das ihm verzeiht, ihn aufnimmt, nährt und stärkt,
Und nicht in hellem Zorn auf seine Fehler merkt?
Lass dir verzeihen, lösche aus die Fackel, die in dein Herz gesenkt,
Des Vorwurfs grimme Pfeile zieh aus deiner Brust,
Blick um Dich – das Leben fließt mit Lust
Und wird dir weiter Tag um Tag geschenkt.
Laß Tag es werden. Nimm das Leben heiter, wie es ist.
Laß es gut sein, Martin. Steh auf und geh. …

Und siehe – es war gut, sehr gut war es.

Foto: So schön, so südlich, so heiter ist es heute im Natur-Park Schöneberger Südgelände. Belegstellen: Lyndal Roper: Der Mensch Martin Luther. Die Biographie. Aus dem Englischen von Holger Fock und Sabine Müller. S. Fischer Verlag, Frankfurt 2016, S. 81 WA = D. Martin Luthers Werke: Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1903 ff., hier WA Band 54, S. 185, zitiert nach: http://www.lutherdansk.dk/WA%2054/WA%2054%20-%20web.htm

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Mai 082017
 

Neben den Märchen der Gebrüder Grimm, den Gedichten und Dramen Goethes, den Chorälen und Passionen Bachs und den drei Kritiken Kants zählten die Grafiken und Gemälde Dürers früher zum Kernbestand der kulturellen Leitwerke, die in Deutschland und weltweit in anderen Ländern von Generation zu Generation weitergegeben wurden.  Sie waren lebendiger Teil der europäischen Leitkulturen und folglich auch Teil der wie immer wandelbaren, aber doch weithin bekannten und geschätzten deutschen Leitkultur.

Jeder, der länger als 4 Jahre die Schule besucht hatte, war mit ihnen irgendwie in Berührung gekommen, hatte einige Gedichte Goethes oder Schillers gelernt, einige Märchen der Grimms gehört, einige Grafiken Dürers erklärt bekommen, und, soweit er das Gymnasium besucht hatte, ein paar Sätze aus den Kritiken Kants gelesen.

Wie schaut es heute aus? Außer den Märchen der Gebrüder Grimm kann heute nichts mehr davon zum Allgemeinwissen eines deutschen Schülers gerechnet werden. Es gibt in Kunst und Kultur gar keinen Kanon mehr, an dem man sich abarbeitet, stößt, den man bezweifelt, befragt, abklopft – und endlich wohl auch gar liebt.

Unsere Schüler verlassen heute in Deutschland in aller Regel die Schule, ohne eine lebendige Beziehung zu den Gedichten und Dramen Goethes, den Grafiken Dürers oder zu den Chorälen und Passionen Bachs aufgebaut zu haben. Bezeichnend etwa, dass bei einer Befragung für Plasbergs Fernsehsendung „Hart aber fair“ die älteren Schüler des Berliner Goethe-Gymnasiums mit einigen  der berühmtesten Zeilen Goethes nichts verbinden konnten, ja sie nicht einmal erkannten.

Von einem Stillstand des kulturellen Gedächtnisses spricht zu Recht Ellen Euler heute in der FAZ auf S. 11. Ich würde noch weitergehen: Wir erleben eine echte Entkernung des deutschen, ja des europäischen kulturellen Gedächtnisses. Es gibt schlechterdings keine Leitwerke oder Leitvorbilder mehr, auf deren Kenntnis man sich bei der Mehrheit der in Deutschland Aufwachsenden verlassen kann.

Sowohl die Fibel als auch die Bibel haben in Deutschland ausgedient. Man macht heute alles neu, alles besser, das Alte ist oder war so schlecht. Man dient sich in der pädagogischen Arena den neuen Medien an, statt sie sich weise zunutze zu machen.

Was ich bei den Schülern heute noch in Berlin und anderen deutschen Städten wahrnehme, was ich etwa den in den Schulen verwendeten Lesebüchern entnehme, das  sind kümmerliche Restbestände einer deutschen Leitkultur, aber keine echte Befassung, keine tiefe Auseinandersetzung mehr mit den jahrhundertelang gepflegten, jahrhundertelang gesammelten und errungenen Vorbildern der europäischen Leitkulturen. Und die Schuld daran tragen nicht die Schüler, sondern wir!

Dabei wäre es so wichtig, auf kulturelle Leitbilder zu setzen! „Grimms Märchen waren meine Integration!“, derartiges konnte man immer wieder hören von Menschen, die in Deutschland angekommen sind.

Das gemeinsame Erzählen, das gemeinsame Hören, das gemeinsame Nachspielen und Inszenieren von Grimms Märchen etwa wäre ein richtiger Ansatz zur „Integration durch Kultur“. Man kann sogar sagen: Kitakinder und Grundschüler, die ein paar Monate lang in Grimms Märchen gelebt haben, sie wieder und wieder gehört haben, sie nachgespielt haben, die sind angekommen in der deutschen Sprache, die brauchen keine Integrationslotsen mehr. Die sind hier zuhause. Und viele Dutzende Integrationskonferenzen –  (die der hier Schreibende besucht hat) – wären mit einem Schlag überflüssig, wenn man sich auf einen gewissen Grundbestand an zeitüberdauernden  kulturellen Leitbildern und Leitwerken geeinigt hätte, an die die Kleinen rechtzeitig herangeführt werden sollen.

Ellen Euler schlägt heute vor, die Jüngsten spielerisch an die Leitwerke der Kultur heranzuführen. So können etwa Kinder Grafiken Dürers als Ausmalbildchen bekommen. Und das ist, so meine ich, goldrichtig! Sie sagt: „Je früher man ein solches Angebot machen kann, umso besser, denn dann bleiben die Sachen auch im gelebten Gedächtnis und sind nicht nur unabgerufene Fragmente im Speicher.“

Frühe Heranführung, frühe Befassung, spielerisches Hineinwachsen in die Werke und Bilder der europäischen Leitkulturen, das brauchen die Kinder, davon lebt der kulturelle Zusammenhang, das ist der Kitt der Integration.

 

 

 

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/republica-ellen-euler-sieht-kulturellen-stillstand-in-europa-15004621.html

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„Je les respecte… Ne les sifflez pas!“

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Mai 082017
 

„Ich respektiere sie … Pfeifen Sie sie nicht aus!“ Das ist der Unterschied zwischen einem nur großartigen und einem wahrhaft großen Redner. Die Ansprache des neugewählten französischen Präsidenten ist ein weiterer Beleg für die Tugenden des persönlichen Mutes, der Wahrheitsliebe, des Anstandes, der Zuversicht. Dies zeigt sich in jedem seiner Worte, von denen einige sicherlich zu erwarten waren, es zeigt sich aber vor allem in seiner vermutlich ungeplanten, nicht vorgefertigten Verteidigung derjenigen, die gegen ihn gestimmt und gegen ihn gekämpft haben.

„Ne les sifflez pas!“, sagt er, als seine Anhänger die Gegenkandidatin und deren Wähler ausbuhen.

Er verbittet sich die Beschimpfung und Verhöhnung seiner unterlegenen Gegnerin. Das ist vorbildlich, was Emmanuel Macron hier zeigt, sich gegen die Verteufelung, Kriminalisierung, Beschimpfung der Populisten zu verwahren. So etwas bräuchten wir in Deutschland auch. Es täte uns dringend not.

Ansonsten hervorzuheben – ungewohnt für deutsche Ohren und Augen, so in Deutschland ebenfalls undenkbar:  Erstens, das Fahnenmeer der Trikolore mit den Nationalfarben. Zweitens, der stete Bezug auf die Nation, auf den Nationalstaat Frankreich; der Nationalstaat ist und bleibt weiterhin jenseits des Rheins der entscheidende Bezugsrahmen; nur wer ja sagt zu Frankreich, ja zur Republik, der kann auch ja zu Europa, ja zur Welt sagen. Der Einsatz für die eigene Nation wird eingebettet und überwölbt vom Einsatz für Europa, für die Welt.

https://www.tf1.fr/tf1/elections/videos/discours-d-emmanuel-macron-louvre.html

 

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15 Minuten Überzeugungsarbeit für jede Kandidatin und jeden Kandidaten … auch in Deutschland möglich?

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Mai 012017
 

Eine großartige Sendung war in meinen Ohren die zweite lange, abschließende, am 20. April ausgestrahlte Fernsehdebatte von France 2 für die 2 Kandidatinnen und die 9 Kandidaten „15 minutes pour convaincre – 15 Minuten Überzeugungsarbeit.“ Noch heute bequem nachzuhören auf Youtube! Zwar dürfte vor der ersten Runde der französischen Präsidentenwahlen  festgestanden haben, dass nur 4 Kandidaten (Fillon, Le Pen, Macron, Mélenchon) echte Aussichten auf den Einzug in die Stichwahl  hatten, doch wurde auch den anderen 7 zugelassenen Kandidaten dieselbe Zeit eingeräumt, in der sie möglichst viele Menschen für sich und ihre Sache gewinnen konnten. Vorbildlich!

Was fiel einem hier als deutschem Zuhörer auf? Nun, zunächst einmal die gute Leistung der beiden fragenstellenden Journalisten, Léa Salamé und David Pujadas! Es wurde einem nicht klar, welchen der 11 Kandidaten die Journalisten persönlich bevorzugten. Und so muss das ja auch sein.  Die Zuhörer sollen entscheiden, nicht die Journalisten! Bei jedem der 11 Kandidaten ließen die beiden die wählbare Saite erklingen. Keine der Kandidatinnen hauten sie von vornherein in die Pfanne, jede Kandidatin konnte sich von der besten Seite her zeigen. Die kritischen Rückfragen der Moderatoren setzten behutsam nach, ohne je der Gefahr des Draufhauens oder des Aushebelns zu erliegen. So sollte das eigentlich immer sein.  Vorbildlich!

So kamen die entscheidenden Fragen des Wahlkampfes zur Sprache – Fragen der Identität Frankreichs vor allem. Alle 11 französischen Kandidaten von ganz links bis ganz rechts stellten sich ausdrücklich den folgenden Fragen nach der Identität Frankreichs, die derzeit zentral für die französische Politik sind:

Wie sehen wir Franzosen uns? Wie wollen wir sein? Was ist unsere Leitkultur? Was macht uns als französische Nation aus? Was ist es doch, das unsere französische Welt im Innersten zusammenhält? Wie verteidigen wir das französische Erbe angesichts der Globalisierung durch Coca Cola, Facebook, Microsoft und Hollywood? Wie führen wir uns als stolze Franzosen, die wir alle sind und bleiben wollen,  in das 21. Jahrhundert? Welche Form soll der französische Nationalstolz annehmen? Wie geht es eigentlich mit der Europäischen Union weiter? Wo drückt da der Schuh? Wie schaffen wir es, die unleugbaren Mißstände in unserem Vaterland Frankreich zusammen mit den europäischen Partnern zu beheben? Wie vermitteln wir das reiche französische und danach auch das europäische kulturelle Erbe unseren Kindern weiter? Brauchen wir in Frankreich mehr zentrale Steuerung durch Paris – oder mehr Rückgabe der Verantwortung an die unteren Ebenen? Mehr Zentralismus oder mehr Subsidiarität? Mehr Durchgriffsrechte von oben – also von Brüssel und von Paris?  Oder mehr Zusammenhalt von unten und von innen heraus (also aus Aix, aus Donzy, aus Bourges, aus Marseille)?

Unbedingt sehenswert, diese Sendung!  Wäre so etwas auch in anderen Ländern möglich?

Denn ähnliche Fragen – Was ist unsere Leitkultur, welches Leitbild schwebt uns vor, wer sind unsere Vorbilder? – stellen die Menschen auch in den anderen Ländern Europas, also z.B. in Österreich, in der Schweiz, in Russland, in der Ukraine, in Dänemark, in Griechenland und in Großbritannien!

 

 

 Posted by at 11:30