„Se cade l’euro cade anche l’Europa e questo non deve accadere.“ „Scheitert der Euro, dann scheitert Europa.“ So zitiert der Italiener Angelo Bolaffi die maßgebliche deutsche Politik, und er stimmt ihr ausdrücklich zu.
Das Geld, „lo sterco del Diavolo“, wie man in der Stadt Rom dazu auch sagt, soll das Unterpfand Europas sein. Der Euro, das Geld wird ausdrücklich zu etwas Unantastbarem erklärt. Der Euro ist für die maßgebliche, erst neulich wieder bestätigte deutsche Politik und für die Mehrheit der Wähler gewisssermaßen geheiligt.
Wer am Euro zweifelt, ist ein Feind Europas. Die EZB wird im Verbund mit der Dreifaltigkeit aus EZB, IWF und EU-Kommission, der berüchtigten Troika, zum Hohenpriester der Europäischen Union erklärt. Im Umkehrschluss gilt: Wo der Euro nicht als Währung gilt – also etwa in Kiew, Luhansk, London, Warschau, Prag, da ist auch kein Europa, oder doch nur ein Europa der zweiten Klasse. Prag, Warschau, London, Luhansk, Moskau sind also weniger europäisch als Berlin, Rom, Athen oder Lissabon.
Wir dürfen übersetzen: Im Anfang war der Euro. Ohne europäisches Geld kein Europa.
So weit also das Glaubensbekenntnis, das Evangelium der heute maßgeblichen EU-Politik. Geld regiert die Welt oder mindestens doch die Europäische Union. Die Bücher der EZB und der Fed werden überall eifrig gelesen und studiert. Die Leitzinsentscheidungen der Zentralbanken werden wie Gottesurteile eifrig und gläubig gelesen, kommentiert, zitiert. Sie sind wichtiger selbst noch als Wachstumszahlen, Arbeitslosenzahlen, Zahlungsbilanzen, Wanderungssalden, Jugendarbeitslosigkeit.
Ist das alles, woran Europa glaubt, je geglaubt hat?
Die vier Evangelien, überhaupt die christliche Bibel, das sind die Bücher, die wirklich in ganz Europa, von Murmansk im Norden Europas über Samara (das frühere Tscheljabinsk) und Moskau im Osten Europas, über Kiew, Luhansk und Donezk ganz in der Mitte Europas, bis hin zu Lissabon ganz im Westen Europas oder Lampedusa ganz im Süden Europas übersetzt, gelesen und verkündet worden sind. Der Osten Europas hat die Bibel im ersten Jahrtausend der Zeitrechnung überwiegend aus dem Griechischen übersetzt, der Westen Europas hat im ersten Jahrtausend der Zeitrechnung die Bibel überwiegend aus dem Lateinischen übersetzt. Der Osten Europas ist durch die byzantinisch-orthodoxe Spielart des Christentums geprägt worden. Der Westen Europas ist durch die römisch-katholische Spielart des Christentums geprägt worden.
Typisch für den Westen, das „Abendland“ ist das jahrhundertelange streitige, oftmals blutige Gegeneinander von „Kaiser“ und „Papst“, von weltlicher und geistlicher Gewalt.
Typisch für den europäischen und asiatischen Osten, für das Morgenland, ist das jahrhundertelange wechselseitige Unterstützen von weltlicher und geistlicher Autorität. Der Kaiser, der Zar, der Kalif oder Sultan ist im Osten stets auch weltliches Oberhaupt der Kirche bzw. der Umma. Was man gern Zäsaropapismus nennt, ist genau dieses unerschütterliche Vertrauen in die Person des Machthabers. Es ist der Kult des starken Mannes an der Spitze.
Auch im Bereiche der Übersetzung gilt: Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος, im Anfang war das Wort.
So schreibt es der Berliner Übersetzer Walter Benjamin. Er stellt sich damit ausdrücklich in den breiten Strom der jüdisch-christlich-muslimischen Überlieferung, welche erst Europa zu dem gemacht hat, was es heute ist. Er zitiert den Anfang des Johannes-Evangeliums, dessen Kenntnis der große Deutsche Walter Benjamin damals, vor einigen Jahrzehnten, noch so sehr voraussetzen durfte, dass er auf eine Quellenangabe verzichtete.
Auf arabisch heißt dieser Logos Kalimat Allah – das Wort Gottes, synonym für Jesus gebraucht.
Für die Jesus-Nachfolger ist die Person Jesu Christi das lebendige Wort Gottes, Dreh- und Angelpunkt der eigenen Geschichte und auch der Heilsgeschichte.
Wir dürfen aus christlicher Sicht sagen: „Se cade il verbo, cade l’Europa. E questo non deve accadere.“
Wenn das Vertrauen in das Wort, in die Sprechfähigkeit des Menschen scheitert, dann scheitert Europa. Wenn das Vertrauen in das lebendige, zusammenführende, versöhnende Wort scheitert, dann scheitert der Friede. Ob nun in Luhansk, Lissabon, Donezk, Berlin, Lampedusa, Lissabon, London, Rom oder Warschau.
Quellennachweise:
Angelo Bolaffi: Cuore tedesco. Il modello tedesco, l’Italia e la crisi europea. Donzelli editore, Roma 2013, S. 253
Walter Benjamin: Illuminationen. Ausgewählte Schriften. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 1980 [=suhrkamp taschenbuch 345], S. 59