Apr. 202009
 

Leider mal wieder völlig abwesend: Hauptschüler, türkische und arabische Schüler – die sollten mal auspacken!

André Schindler, Vorsitzender des Landeselternausschusses Berlin; Cordula Heckmann, Schulleiterin der Heinrich-Heine-Realschule und Leiterin des Jahrgangs 7 an der Gemeinschaftsschule des neues „Rütli-Campus“ in Berlin; Hamburgs Bildungssenatorin Christa Goetsch; Günter Offermann, der Rektor des Schiller-Gymnasiums in Marbach: das waren die Teilnehmer des Forums auf dem taz-Kongress, zielstrebig und klug geleitet von Tazzlerin Anna Lehmann. Ich setzte mich ins Publikum, lauschte. Christa Goetsch stellte das neue Hamburger Modell vor: Das Gymnasium bleibt erhalten, wird nach 12 Jahren zum Abitur führen. Daneben tritt die Stadtteilschule, auf der es 13 Jahre bis zum Abitur dauert. Neue Schulstruktur – neue Lernkultur: das waren auch die Zauberwörter, um die die insgesamt hochanregenden Beiträge kreisten. Lehrer, Schüler und Fachleute diskutierten, tauschten Erfahrungen aus – sehr gut!

Das Gymnasium – ein Auslaufmodell at 30 Jahre taz – tazkongress vom 17. bis 19. April 2009

Die insgesamt sehr gute Diskussion kreiste wie üblich um zwei Pole. Zum einen die Strukturdebatte: „Welche Schulformen werden benötigt?“ und Unterrichtsqualität: „Wie soll gelehrt und gelernt werden?“

In der Debatte meldete ich mich zu Wort. Ich beklagte die ethnisch-religiöse Segregation der Schülerschaft in Kreuzberg, Neukölln und Wedding. Die deutschen Eltern wollen nichts mit den mehrheitlich muslimischen Klassen zu tun haben. Diese Abschottung ist eingetreten, unabhängig von allen Diskussionen um Schulstrukturen und Unterrichtsformen.

Völlig ausgespart blieb das gesamte Leben der Schüler außerhalb der Schule, also die Familien und die Freizeit. Dabei wissen wir in Neukölln und Kreuzberg längst: An die Eltern müssen wir heran. Denn in den Familien, nicht in den Schulen werden offenbar die Weichen für Bildungskarrieren gestellt. Medienberieselung mit türkischem oder arabischem Satellitenfernsehen, Abkapselung nach außen, ein Versagen der Väter, Verhätschelung einerseits, Prügelei andererseits, kein lebbares Männlichkeitsbild, kein Kontakt zur deutschsprachigen Umgebung, eine Unfähigkeit zur sinnvollen Freizeitgestaltung: das scheinen die echten Probleme zu sein. Diese traut man sich aber nur hinter vorgehaltener Hand zu benennen. Stattdessen schüttet man weiterhin Geld in das System und in Strukturreformen, die aber an den Ursachen der Probleme vorbeigehen. Die weitgehende Segregation (Apartheid) der türkischen/arabischen Schüler einerseits, der deutschen Schüler andererseits, ist traurige Realität – unabhängig von der Schulform und der Unterrichtsqualität. Not tun die drei L des Tariq Ramadan: LANGUAGE, das heißt Aufforderung zur Erstsprache Deutsch von frühester Kindheit an auch in den Familien (nach Möglichkeit mit einer Zusatzsprache, etwa Türkisch oder Arabisch), LAW, das heißt Respektierung der freien Persönlichkeit, Einhaltung des Prügelverbotes, Durchsetzung des Verbotes der Körperverletzung, LOYALTY, das heißt: wer in Deutschland geboren wird und aufwächst, ist Deutscher; diese Kinder sollen von Anfang an wissen, dass sie sich zuallererst in diesem Land eine Zukunft erarbeiten müssen. Sie müssen hier Pflichten und Verantwortung übernehmen.

Keines der Ls ist bis jetzt auch nur annähernd erreicht. Im Gegenteil: Man erweckt durch die angestrebten Reformen noch stärker den Eindruck, der Staat werde sich schon um alles kümmern. Das unselige Etikett „Kind mit Migrationshintergrund“ verstetigt die Probleme, statt sie zu lösen, schafft die Zwei-Klassen-Schülerschaft, an der auch die geplanten Reformen nichts ändern werden. Der Staat wird es so nicht schaffen. Die Familien müssen zur Erziehung der Kinder für dieses Land, auf diese Gesellschaft hin ermuntert und genötigt werden.

Nachher sprechen mich verschiedene Teilnehmer an: „Sie haben natürlich recht“, wird mir bedeutet. Nur sagen darf man es nicht so laut. Das stört die einträchtige Harmonie.  Es muss ja noch Stoff zum Diskutieren geben.

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Apr. 202009
 

Gestern erlaubte ich mir die Bemerkung, die CDU sei die Partei der „bildungsfernen Schichten“. Das war natürlich überspitzt, zumal es gerade unter den Spitzenleuten der Union viele Menschen mit Doktortitel gibt. Aber der Besuch des taz-Kongresses in den vergangenen zwei Tagen zeigte doch, dass die Musik der Akademiker heutzutage weitgehend außerhalb der Unionsparteien spielt. Immerhin war mit Wolfgang Schäuble ein namhafter Vertreter der Unionsparteien geladen, und die Reaktion im Saal habe ich so erfühlt: „Der Mann hat völlig recht, auch wenn er von der CDU ist.“ Aber die eigentlichen Debattenthemen kann die Union nicht setzen. Der Zentralbegriff der ganzen Veranstaltung war Verantwortung – eigentlich ein Kernbegriff der CDU/CSU. Auch hier hat sich die Union offenbar die Diskurshoheit abnehmen lassen. Die taz ist nunmehr – unter diesem Leitbild der Verantwortung – weder eine linke noch revolutionäre Zeitung mehr, das wissen sie auch längst. Der herausragend gut besetzte taz-Kongress spiegelte vielmehr den Hauptstrom des bürgerlich-gesitteten Tischgesprächs wider. Sie, die taz, ist eine Zeitung der Töchter und Söhne der bürgerlichen Mitte. Während die Väter und Mütter des bürgerlich-gesitteten Tischgeprächs die Nase weiterhin in Zeitungen wie etwa FAZ, Süddeutsche oder Berliner Zeitung  stecken.

Ganz wichtig: Die lokale Berliner CDU muss sich wegbewegen von einer Politik der heruntergezogenen Mundwinkel, von einer Politik des Ressentiments. Unter Ressentiment meine ich hier den Appell an negative Grundhaltungen, Haltungen der Mißgunst, des Neides, des Schlechtredens, der Verteufelung. Re-Sentiment – das heißt ja: Eine Re-Aktion in den Gefühlen auslösen, und zwar eine vorwiegend negativ besetzte Reaktion. Das Grau der Antipathie herrscht dann vor. In einem Ruf lässt sich diese Haltung zusammenfassen: „Tu nix – es bringt nix!“

Erfolgreiche Politik arbeitet mit Zuversicht, mit den bunten Farben der Sympathie und Ermutigung. Sie äußert sich in Aktionen, nicht in Reaktionen, also in positiven, nach vorne gerichteten Botschaften. In einem Grundwort: „Tu was – du kannst was!“

Hier noch ein empirischer Beleg aus der Morgenpost vom 17.04.2009 für meine gestrige Behauptung:

Berlin-Trend – SPD baut Vorsprung vor der CDU wieder aus – Berlin – Printarchiv – Berliner Morgenpost
Die Daten verdeutlichen einige gravierende Probleme der CDU. Die Partei kommt nicht nur im Ostteil schlecht an, sondern bei jüngeren Leuten generell. Erst in der Altersgruppe 45 bis 60 überspringt die CDU die 20-Prozent-Marke, bei der Generation 60 plus liegt sie dann mit 33 Prozent vorn. Entsprechend der Altersstruktur ihrer Wählerschaft liegt die CDU auch unter den Eltern schulpflichtiger Kinder mit 19 Prozent deutlich hinter SPD (25) und Grünen (22) zurück. Unschön für die CDU ist ein weiterer Befund. Unter den besser gebildeten Berlinern fällt die Union durch. Bei Menschen mit Abitur oder Fachhochschulreife, die die Mehrheit der vielen Zuzügler in die Stadt stellen, kommt die CDU gleichauf mit der Linken nur auf 18 Prozent. Bei den Hochgebildeten rangiert abermals die SPD mit 25 vor den Grünen mit 24 Prozent.

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Apr. 192009
 

Der Kongress 30 Jahre taz hat meine Erwartungen weit übertroffen. Ich habe gestern 5 Stunden lang des Programm verfolgt, heute noch einmal 4 Stunden. Wo auch immer ich hineinschneite: Es tat sich was. Alle Lesungen, Gespräche und Plaudereien haben mich bereichert. Dies galt auch für das Gespäch zwischen Wolfgang Schäuble und Jürgen Trittin: „Wer hat Angst vor Schwarz-Grün?“ Weit entfernt von billiger Effekthascherei, gelang es vor allem Wolfgang Schäuble, die grundlegenden Funktionsmechansimen von Koalitionsregierungen zu erklären. Trittin musste ihm in allen wesentlichen Punkten zustimmen. Koalitionen sind keine Liebesheiraten, sondern „Zweckbündnisse zwischen Gegnern, die sich davon Vorteile versprechen“ (Trittin). „Große Koalitionen sind gewissermaßen Kartelle zwischen den Hauptteilnehmern des Wettbewerbs. Sie laufen der Wettbewerbsdemokratie zuwider, da sie das Wesen der Demokratie, nämlich das streitige Aushandeln der besten möglichen Lösungen, unterlaufen“ (so sinngemäß Schäuble). Eingeleitet durch einen kabarettistisch gewürzten, aber im Sachlichen brillanten Analyseversuch des Parteienforschers Franz Walter, entspann sich eine dialogdemokratische Sternstunde. Kernaussagen: Die Grünen sind heute die Partei der Akademiker, der Besserverdienenden, der Jüngeren. Die Union ist um so stärker, je niedriger der Bildungsabschluss und je höher das Alter liegen. (Dies hat übrigens auch die letzte Umfrage gerade für das Bundesland Berlin ergeben.) Die Unionsparteien sind heute gewissermaßen die Partei der bildungsfernen Schichten geworden. Insofern passen die beiden Parteien komplementär zusammen, zumal bei den Anhängern sich in Einzelfragen erstaunliche Übereinstimmungen ergeben.

Keine Ellenbogenschläge, kein Gezänk, sondern respektvolle, mitunter humorvolle Anerkennung des Anderen – das zeichnete sowohl Schäuble als auch Trittin aus. Ich habe selten einen aktiven Politiker so unverstellt über Funktionsmechanismen der Macht und über die Wirkweisen der öffentlichen Kommunikation reden hören wie Wolfgang Schäuble heute im Haus der Kulturen der Welt.

In der Aussprache meldete ich mich zu Wort: „Wäre es nicht an der Zeit, dass die Partei der Töchter und Söhne, also die Grünen, sich mit der Partei der alten Väter, also der CDU, aussöhnte?“ Ich glaubte damit zu provozieren, denn wenn man meine Behauptung so hinnähme, hätte man zugegeben, dass ein im Grunde psychologisches Motiv wie der Generationenkonflikt letztlich die Auseinandersetzung zwischen den „Altparteien“ und den Grünen wesentlich bestimmte. Ich bin übrigens tatsächlich dieser Auffassung: Die Grünen sind eine Partei, die sich im wesentlichen als Partei der Töchter und Söhne sieht. Und deshalb erwartete ich Widerspruch. Doch weit gefehlt! Jürgen Trittin stimmte mir ausdrücklich zu und führte aus: „Wir haben dieses Muster geradezu klassisch bei der bayerischen Sozialministerin Stamm und ihrer Tochter, die für die Grünen im Landtag sitzt. – Politisch bleibt es dabei:  Wir Grünen bleiben widerborstig – ich wäre vorsichtig mit der Versöhnung“ (Zitat sinngemäß).

Der Trialog zwischen Franz Walter, Wolfgang Schäuble und Jürgen Trittin ist das beste, was ich seit sehr langer Zeit an politischer Rede und Gegenrede erlebt habe! Sensationell gut!  Sollte die Veranstaltung  als Mitschnitt im Netz verfügbar sein, so empfehle ich mit Nachdruck das genaue Studium.

Übrigens habe ich selbst eine Art persönliches Fazit des taz-Kongresses öffentlich gemacht und in die Form der oben wiedergegebenen Frage gekleidet.

Die taz ist 30 Jahre alt geworden, also erwachsen. Ich hörte keinen anderen Leitbegriff so oft, wie diesen: Verantwortung. Es ging nie um Protest, nie um mehr Freiheit, sondern um Verantwortung, um neue Gemeinsamkeiten, Chancengerechtigkeit und ähnliche Grundworte der klassischen Ethik. „We must hold everybody accountable for what they do.“ So Richard Sennett gestern vor einem hingerissen lauschenden Publikum.

Ich dachte oft und oft:

„Mann, taz, wie haste dir verändert!“

Die Auswertung und Nachbereitung dieses taz-Kongresses wird sich in diesem Blog noch einige Tage hinziehen – zu viel Grundlegendes konnte ich an Einsichten gewinnen.

 Posted by at 22:16