Mai 252012
 

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Gestern sprachen wir von der Selbstbindung des Menschen an einen sittlichen Wert, an ein Ideal. Ein typischer Satz dieser Selbstbindung lautet: „Ich möchte ein Vorbild für andere sein.“ Gesagt hat ihn meines Wissens zu ihrem Amtsbeginn die Berliner Sozialsenatorin Dilek Kolat. Eine tiefe Einsicht in die Berliner Sozialverhältnisse spricht aus diesem Satz. Offenkundig kennt die Senatorin ihre Pappenheimer. Denn was der Berliner Sozialklientel fehlt, sind nicht selbsternannte Interessenvertreter, sondern glaubwürdige persönliche Vorbilder. Alle wollen immer das beste für die Mündel des Berliner Vulgärsozialismus herausholen, gigantische Summen werden Jahrzehnt um Jahrzehnt von der Berliner Sozialpolitik in den Märkischen Sand gesetzt, sie versickern im schwarzlochischen System des Berliner Syndroms aus Bedürftigkeitsleistungen, Jammerarien der Dauerbenachteiligten, Verfettung, Immobilismus, Frechheit, Faulheit, blankem Sozialbetrug, systematischer Staatsausplünderung, Kriminalität und Dreistigkeit. Jeder, der in Neukölln oder Kreuzberg wohnt oder länger gewohnt hat, wird aus eigener Anschauung beliebige Beispiele beisteuern können.

„Ich möchte ein Vorbild sein.“ Ein großartiger Satz, durch den sie sich mir nachhaltig und sehr positiv leuchtend eingeprägt hat.

Nur aus dieser sittlichen Selbstverpflichtung kann auch die Berechtigung erwachsen, von anderen etwas abzuverlangen.

Pflichten der Eltern!“ Na endlich, endlich traut sich eine führende Berliner Sozialpolitikerin mal etwas zu den Pflichten der Bürger zu sagen. Das gab’s zu meinen Lebzeiten noch nie. Steht jetzt eine Zeitenwende in der Politik bevor, nachdem jahrzehntelang die Berliner Landes- und Bezirkspolitik die Wähler nur verhätschelt und verwöhnt hat?

Über einen der Vereine, denen ich angehöre, erreicht mich folgende Einladung:
‚“Freitag 01.06.2012 um 14.30 Uhr wird Frau Senatorin Dilek Kolat in einem
kurzen Vortrag ihre Sicht von den Pflichten der Eltern in Verbindung mit der
Integration an Schulen darlegen, mit anschließender Diskussion.
Die Veranstaltung findet in der Aula der Rudolf-Wissell-Grundschule in der
Ellebeker Straße 7-8 in 13357 Berlin-Wedding (Gesundbrunnen) statt.“

Ich wünsche die Wende, die sich in einem solchen Vortrag anzukündigen scheint. Der Sozialstaat leistet zu viel, was wir uns nicht leisten können. Jetzt sind die Bürger am Zug.

Eltern brauchen Vorbilder.

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Sep. 162011
 

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Grün ist die Farbe der Hoffnung, des Islam, der Wiesen und auch einer innovativen Partei für Gerechtigkeit. Dass die Grünen in Kreuzberg zu wenig für die Türken täten, wird ihnen niemand ernsthaft vorwerfen können. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird es auch mein Mit-Kreuzberger Öczan Mutlu wieder ins Abgeordnetenhaus schaffen. Beachtlich ist, dass er nicht nur entgegen den Vorbehalten der SPD eine türkische Privatuniversität nach Berlin holen will, sondern auch mit deutlichen Worten von der Bundesregierung einen nicht privaten, sondern hochoffiziellen Iftar-Empfang anmahnt.

Dies bringt uns zwanglos zur nächsten Frage: Sind private Schulen schlecht? Die private türkische Musikschule, die in die ehemalige Peter-Rosegger-Schule eingezogen ist, ist doch ein wichtiger Teil des bezirklichen Lebens! Statt des allzu volkstümlichen Autors Peter Rosegger werden dort nun volkstümliche türkische Volkstänze und Volksmusik gepflegt. Merke: Privat ist nicht automatisch Katastrophe, wie die Linken sagen, volkstümlich ist nicht automatisch böse, wie unsere antideutsche Guerilla hier sagt.

Zur Erinnerung: Iftar ist die türkische Übersetzung für die originale arabische Bezeichnung id al-fitr.

Ich meine, wenn schon denn schon: Um dem Vorwurf des Nationalismus zu entgehen, müsste Mutlu eigentlich den Id-al-fitr-Empfang von der Bundesregierung fordern. Denn die wichtigste Sprache des Islam ist nun mal nicht Türkisch, sondern Arabisch. Wann werden es die Deutschen endlich lernen, dass der Islam keine rein türkische Staatsaffäre ist?

Berichtspflichten gebieten es, auch das Thema Currywurststreit weiterzuführen. Ich stelle mit Befriedigung fest: Die sunnitischen Glaubensbrüder haben sich wieder versöhnt, Mutlu ist nun einer der ersten, eine stärkere Beachtung islamischer Werte von der Bundesregierung einzufordern.

So berichtet es SPD-Kandidat Özkaraca:

Abendveranstaltung bei MÜSIAD | Erol Özkaraca
Überraschend war die Rede des grünen Abgeordneten und Kandidaten Özcan Mutlu. Er begrüsste “seine”, wie er sagte, sunnitischen Glaubensbrüder und forderte größere Beachtung der islamischen Werte. Wie kann es sein, fragte er, dass angesichts der hohen Anzahl von Muslimen in Deutschland, die Bundesregierung im Ramadan nicht zu einem Iftar-Essen (Fastenbrechen) einlädt. Selbst die doch so gescholtenen Amerikaner laden zum Fastenbrechen ins Weiße Haus ein. Er setzt sich dafür ein, dass auf den jeweiligen Verwaltungsebenen derartige Anlässe nicht nur Beachtung finden, sondern auch praktiziert werden.

Ich denke, dass sich Özcan Mutlu “seinen” sunnitischen Glaubensbrüdern und deren Selbstständigen deswegen nähert, weil er was gut zu machen hat. Denn im Ramadan eine Currywurst zu essen, ist für sich alleine für religiöse Menschen kaum zu ertragen. Aber ein Unternehmerverband kann es erst recht nicht verstehen, wenn man dann den Kaufpreis der muslimischen Verkäufer nicht bezahlen will und diese dann womöglich auch noch beschimpft. Lieber Özcan, jetzt weiß ich endlich, warum du ein Grüner bist (für alle die es nicht wissen, Grün ist die Farbe des Islam).

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„Schuld kann vergeben werden“ (2)

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Aug. 112011
 

„Sprecht euch aus, reicht euch die Hand, verzeiht einander, arkadaşlar!“, riet vorgestern das arme Kreuzberger Blog den beiden Mitbürgern Oguzhan und Özcan. Genau das haben sie jetzt gemacht. Lest im Leitmedium des Versöhnungsdialogs, in Springers BZ:

Curry-Zoff: Frieden im Berliner Currywurst-Streit – B.Z. Berlin – Özcan Mutlu,Imbiss,Currywurst,Beleidung,Körperverletzung
Nach dem Streit am Imbiss reichten sich Verkäufer Oguzhan K. und Grünen-Politiker Özcan Mutlu die Hand.

Vorbildlich ist zweifellos Oguzhans Erklärung: „Genau wie Herr Mutlu meine religiöse Überzeugung und mein Fasten akzeptiert, akzeptiere auch ich seine Einstellung, im Ramadan Currywurst zu essen. Ich bin auch nicht der Vorzeige-Moslem.“

Was bleibt vom Currywurststreit? Nun, der Streit zwischen Oguzhan und Özcan ist höchst symptomatisch. In manchen arabischen und türkischen Gemeinden Berlins hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten ein starker Assimilationsdruck aufgebaut: „Verhalte dich wie ein richtiger Türke! Kleide dich wie eine anständige Muslima! Zieh dich anständig an! So wie du angezogen bist, läuft nur eine SCHLAMPE herum! Werdet endlich ehrbare  Türken, anständige Muslime! Haltet euch an unsere Vorschriften!“

Für die vielen Berliner Schulen mit muslimischer Schülermehrheit stellt sich weiterhin das Thema „Umgang mit den nichtmuslimischen Minderheiten“. Die deutschen Nichtmuslime haben sich daran gewöhnt, an vielen Berliner Schulen hoffnungslos in der Minderzahl zu sein. Ich meine: Die nichtmuslimischen Minderheiten an den Berliner muslimisch dominierten Schulen müssen die Möglichkeit bekommen, das zu essen, was sie wollen, und zwar ohne ständig angemacht, verspottet und ausgegrenzt zu werden. Der Schulbetrieb im Ramadan leidet an vielen Berliner Schulen häufig an den zu streng ausgelegten Ramadan-Vorschriften: Viele muslimische Kinder essen und trinken tagsüber nichts, sind übermüdet und können auch deswegen dem Unterricht nicht folgen. Darüber sollte man mal öffentlich reden. Das tut aber öffentlich fast niemand. Der Abgeordnete Mutlu sollte damit anfangen. Wenn dieses Thema – nämlich das Thema muslimische Intoleranz gegenüber Currywurstessern, Juden, Deutschen, Homosexuellen, emanzipierten Frauen  – weiterhin so peinlichst wie bisher vermieden wird, wird der ganze hochtrabende Diskurs über Integration nicht weiterkommen.

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Mutlu heißt glücklich

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Aug. 102011
 

„Die Grünen/Bündnis 90 sind aber sehr türkenfreundlich. Für die Türken tun sie alles“, höre ich manchmal die anderen Zuwanderer – vor allem die aus europäischen Ländern – seufzen. Die geplante türkische Privatuniversität in Berlin sucht eine Immobilie. Als Türöffner dabei: der bildungspolitische Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, dessen Familienname Mutlu – „Glücklich“  lautet und der in diesen Tagen wieder einmal die Presse erobert hat. Geschickt gemacht.

Nachholende Türkisierung der Türken, Zaza, Jesiden und Kurden in Deutschland, nachholende rechtgläubige Islamisierung der Türken in Deutschland, Anerkennung der Türkei als der unbestrittenen Führungsmacht der islamischen Welt auch in Deutschland, darum scheint es mir im Kern beim Currywurststreit zwischen Özcan Mutlu (43 Jahre) und Oguzhan K. (20 Jahre) zu gehen.

Denn der unausgesprochene Vorwurf der jungen, national und religiös neueingestellten Türken-Generation an die stärker in Deutschland integrierte Elterngeneration lautet: „Du bist ja kein richtiger Moslem mehr! Du bist also auch kein richtiger Türke mehr!“ Das steckte auch hinter den Pfiffen gegen den im deutschen Dress auflaufenden Mesut Özil.

Dieses starke Nationalbewusstsein, gepaart mit einem kraftvollen, nationalkonservativen Islam, scheint mir ein wesentliches Merkmal der erstarkenden türkischen Gemeinde in Deutschland zu sein.

Ne mutlu Türküm diyene – Wikipedia

 Posted by at 11:24

„„Schuld kann vergeben werden“

 Currywurst, Joseph und seine Brüder, Koran, Religionen, Versöhnung  Kommentare deaktiviert für „„Schuld kann vergeben werden“
Aug. 092011
 

„Reicht euch doch die Hand, sprecht euch aus, arkadaşlar“, – denn Versöhnung ist möglich, auch zwischen einem deutschen Aleviten und einem strenggläubigen Currywurstverkäufer. So dachte ich gestern.

Schuld kann vergeben werden, das ist eine wichtige Erfahrung für Männer. Versöhnung – ein großes Thema! Der biblische Joseph und auch der Yussuf des Koran stehen für diesen großen, das ganze Leben umfassenden Versöhnungszusammenhang. Darauf wies gestern auch Margot Käßmann in der BZ auf S. 16 hin – in genau jener Ausgabe, die den argen Zwist zwischen Oguzhan und Özcan, den Brüdern aus türkischem Stamm, berichtet hat.

 B.Z. Gesprach: „Schuld kann vergeben werden“ – B.Z. Berlin – Kultur, Margot Käßmann, Josefsgeschichte
Das ist „Gnade“: zurückblicken, etwas sehr ungerecht finden und am Ende ist es doch gut, Teil deiner Lebensgeschichte. Und Schuld kann vergeben werden, das ist eine wichtige Erfahrung für ein Kind.

 Posted by at 16:00

„Ich bin das Opfer“, oder: Wettbewerb der Erniedrigten und Beleidigten

 Currywurst, Islam, Opfer  Kommentare deaktiviert für „Ich bin das Opfer“, oder: Wettbewerb der Erniedrigten und Beleidigten
Aug. 082011
 

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Kaum zurück aus den ganz normalen Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, umfängt mich hier im unnormalen Bundesland Berlin sofort wieder das unvergleichliche Fluidum der Berliner treibhausartig erhitzten Symbol- und Ersatzpolitik – um so mehr, als jetzt erkennbar Wahlkampf herrscht.

Die Linke belehrt mich pfeilgrad vor meiner Haustür, dass „Privat ist Katastrophe„, also ist Staat gut. Der Staat muss alles machen, da Privat Katastrophe ist. Aber ist dies gutes Deutsch?

Der Deutsche Özcan M. musste sich offenbar beschimpfen lassen, weil er im Ramadan Schweinefleisch aß. Das berichtet die BZ heute auf S. 6. Aber wer hatte zuerst geschimpft? Der Deutsche hatte den Laden des Türken (?) Oguzhan M. als Sch…laden (Schweinefleischladen??) beschimpft. Hola, que tal? Ein Deutscher beschimpft einen Türken und seinen Laden als Sch… laden! Nee, nee, ist das aber ein Rassismus.

Zoff am Imbiss: Scharfer Streit am Curry-Stand – B.Z. Berlin – Özcan Mutlu,Imbiss,Currywurst,Beleidung,Körperverletzung

Die beiden Streithähne gerieten wohl aneinander über die unterschiedliche Auslegung des Fastengebotes. ABER: Schweinefleisch ist in Berlin noch nicht verboten, also hatte der Deutsche das Recht, eine Currywurst zu essen! UND: Ist jeder Deutsche, der auch Türkisch spricht, deswegen automaticamente Moslem? War Kleinasien nicht vor der Eroberung durch die Araber und dann die Türken ein christliches Land? Lebten nicht im Jahr 1921 etwa 30% Christen auf dem Gebiet der heutigen Türkei? Wo sind sie alle hin?

Fragen, Fragen! Noch eine Frage: Wer hat wen mehr beleidigt? Den PRIVATEN Wettbewerb darum, ob der Deutsche den sittenstrengen  Currywurstverkäufer beleidigt hat oder umgekehrt der sittenstrenge Verkäufer den deutschen Politiker körperlich bedroht hat, werden jetzt wieder einmal die STAATLICHEN deutschen Gerichte klären.

Die Linke hat recht: Die Privaten können es nicht. Privat ist Katastrophe.

Beide  machen sich gegenseitig den Opferstatus streitig. Unübertroffen eindeutig die Feststellung des Deutschen: „Ich bin das Opfer!“

Ich bin das Opfer. Ein typischer Satz, den gerade Zuwanderer gegenüber den Deutschen immer wieder äußern. Dadurch, dass der Deutsche Özcan M. sich selbst als Opfer bezeichnet, unterläuft er den typischen Beleidigungs- und Opferdiskurs der linken Integrationspolitiker. Er führt ihn ad absurdum. Genial. Gut gemacht!

Ich meine: Jeder hat das Recht in Kreuzberg zu sein. Jeder hat auch in Kreuzberg das Recht jederzeit Schweinefleisch zu essen.

ABER: Jeder Deutsche, der sein Kind in Kreuzberg in eine staatliche Grundschule schickt, weiß, dass er schon im eigenen Interesse die muslimischen Mehrheiten nicht durch das aufreizende Essen eines Salamibrotes oder das öffentliche Bestellen einer Currywurst mitten im Ramadan provozieren darf. Das müsste ein erfahrener Integrationspolitiker wie der Grüne Özcan Mutlu wissen. Ich meine also: Er hat es auf die Provokation angelegt.

Mein Rat: Tiefer hängen! Der Prozess um die Currywurst gleicht dem Prozess um des Esels Schatten. Jetzt seid doch nicht so prozesshanselhaft, arkadaşlar! Vertragt euch wieder! Reicht euch die Hand. Privat.

 Posted by at 14:19

Hier baut die Demokratie

 Bundestagswahlen, Currywurst, Frau und Mann, Habeck  Kommentare deaktiviert für Hier baut die Demokratie
Nov. 162008
 

15112008021.jpg Unser Bild zeigt einen Eindruck von unserem heutigen Besuch bei LOXX am Alex. Alles wird dort winzig klein nachgebaut – sogar der Bundestag. Natürlich waren wir Männer unter uns. Frauen erdulden meist nur Modelleisenbahnen, wir genießen sie. Ebenso wie die Currywurst samt Pom-Mes, wie man hierzulande zweisilbig sagt. Das gönnen wir uns, Mütter!

Noch bleibt ein Rest von gestern zu klären.

Oft, so auch gestern, wird von Lagerwahlkampf gesprochen. Was ist das? Nun, in der Demokratie kann man von einem Lagermodell oder von einem Wettbewerbsmodell ausgehen. Meist ordnen sich die Lager nach klaren Zugehörigkeiten. Das eine Lager versucht dem anderen etwas wegzuschnappen, versucht, das andere Lager kleinzureden und wegzudrängen.  Oben gegen unten, links gegen rechts, konservativ gegen progressiv, bürgerlich gegen proletarisch oder gegen adlig usw. Die Lager stehen einander gegenüber, jeder weiß, wo er steht, im Wahlkampf gräbt man sich in Positionen ein, die man gegenüber dem Gegner zu behaupten versucht. Ein klarer Lagerwahlkampf war es, was Roland Koch letztes Mal in Hessen versuchte: „Linksblock stoppen!“

Ganz anders dagegen das, was ich gerne Wettbewerbswahlkampf nenen möchte. Hier ist alles nicht so eindeutig. Zu gewinnen gilt es die Zustimmung einer vielfältigen, in sich mannigfach gegliederten, schwer überschaubaren Bevölkerung. Programmatische Aussagen sind schwierig, da die Wettbewerber selbst in ständiger Weiterentwicklung sind. Wandel herrscht vor. Lagergrenzen zerfasern, es gibt Überläufer zuhauf, Marketender und Marktschreier eilen hin und her, bieten Versatzstücke feil, die sie aus früheren Lagern aufgelesen haben: Eine eher wirtschaftsliberale Kanzlerin plädiert für strenge Marktaufsicht, ein Linker kämpft für ein unternehmerfreundliches Umfeld, eine Grüne möchte mehr Elektro-Autos, ein CDU-Mann setzt sich aufs Fahrrad. Man versucht den Gegner nicht zu schlagen, sondern man versucht die Wähler zu überzeugen, indem man besser dasteht als der Gegner.

Das Wichtigste: In so einem Wettbewerbswahlkampf verändern sich die Parteien selbst. Sie trainieren sozusagen für die Regierungsarbeit. Sie laufen sich warm, denn sie kennen das Volk, dieses unbekannte Wesen, nur unzureichend. Die Wähler schreiben sozusagen ihre Forderungen in das Wahlprogramm hinein. Und dieses Wahlprogramm liegt zu Beginn des Wahlkampfes noch nicht fertig vor. Es ist ein fortlaufendes Beschäftigungsprogramm. Arbeitstherapie für kranke Parteien gewissermaßen.

„Klingt gut, aber gibt es so etwas“, fragt ihr mich?  Ich meine: ja. Obama hat dies im wesentlichen so gemacht. Aber auch Brandt schaffte dies 1972 einigermaßen. Es war der erste Wahlkampf, an den ich noch persönliche Erinnerungen habe.

Welche Form ist besser? Es gibt keine allgemeine Regel! Wenn alles von vorneherein eindeutig ist, wenn gut und böse feststeht, sollte man auf den Lagerwahlkampf setzen.

In Zeiten beschleunigten Wandels, in denen sich das Neue erst abzeichnet, rate ich in jedem Fall zum Wettbewerbswahlkampf. In einem solchen spielen Persönlichkeiten und kommunikative Darstellung eine wichtigere Rolle als die festen Inhalte. Gefragt ist eine gute Beziehung zwischen Wählern und Kandidaten, die Kandidaten müssen es schaffen, als Ansprechpartner und Projektionsfläche für unbestimmte Erwartungen angenommen zu werden.

Der Wähler muss beim Wettbewerbswahlkampf das Gefühl haben: „Na endlich, dieser Kandidatin möchte ich etwas von mir erzählen! Die wird meine Anliegen weitertragen. Klasse, das gefällt mir, der geb ich meine Stimme!“

Im Lagerwahlkampf sollte sich hingegen das Gefühl einstellen: „Na endlich, da ist jemand, der uns endlich erzählt, wo es langgehen soll! Klasse, das gefällt mir, der geb ich meine Stimme.“

Habt ihr noch Zeit? Dann empfehle ich euch Thukydides, Der peloponnesische Krieg. Das unerreichbare Muster und Vorbild zum Studium des Lager- und Blockdenkens. Innerhalb weniger Jahrzehnte schafften es eigentlich verwandte Stadtstaaten, sich durch ein Lagerdenken reinsten Wassers gegenseitig  in den Abgrund zu stürzen, so dass Hellas leichte Beute eines auswärtigen Aggressors werden konnte.

Thukydides schreibt: „Wer immer schimpfte und mit nichts zufrieden war, galt für glaubwürdig, wer aber widersprach, für verdächtig. Wenn einer mit einem hinterhältigen Schachzug Erfolg hatte, wurde er als klug angesehen, und es war ein Zeichen noch größerer Klugheit, einen Angriff rechtzeitig zu durchschauen.“

Lagerwahlkämpfer aller Parteien, lest Thukydides! Das Zitat heute übrigens abgedruckt auf S. 2 der Süddeutschen Zeitung in einem höchst lesenwswerten Artikel von Stefan Rebenich.

 Posted by at 00:19