Und durch’s Auge schleicht die Kühle sänftigend in’s Herz hinein

 Fanny Hensel, Goethe, Musik, Südtirol  Kommentare deaktiviert für Und durch’s Auge schleicht die Kühle sänftigend in’s Herz hinein
Aug 152018
 

Heiß ist es dieser Tage in ganz Europa gewesen, heiß war es auch in Villnöß, in Ridnaun, in Gröden, in all diesen Tälern  im lieblichen Südtirol, wo wir zwei Wochen mit Wandern, Schauen, Plaudern, Staunen, Singen und Geigen verbrachten! Wenn  wir dann ermüdet von langen Touren über hale Gupfe wieder in unserem Bauernhof voller strotzend vollhängender Apfelbäume eintrafen, dann war es da immer heiß, so heiß, dass fast nur noch aus Fanny Hensels Lied „Dämmrung senkte sich von oben“ Kühlung zu erreichen war! Summend die Klänge dieses Liedes erwartete ich dann den Abend. Es half mir oft, wenn auch nicht immer!

Hier zunächst der Text aus den Chinesisch-deutschen Jahres- und Tageszeiten, wie ihn Karl Eibl 1998 in seiner Gesamtausgabe der Gedichte bietet:

 

Dämmrung senkte sich von oben,
Schon ist alle Nähe fern;
Doch zuerst emporgehoben
Holden Lichts der Abendstern!
Alles schwankt in’s Ungewisse
Nebel schleichen in die Höh;
Schwarzvertiefte Finsternisse
Wiederspiegelnd ruht der See.

Nun im östlichen Bereiche
Ahnd‘ ich Mondenglanz und Glut,
Schlanker Weiden Haargezweige
Scherzen auf der nächsten Flut.
Durch bewegter Schatten Spiele
Zittert Luna’s Zauberschein,
Und durch’s Auge schleicht die Kühle
Sänftigend in’s Herz hinein.

Was macht die Komponistin Fanny Hensel mit diesen rätselhaft schillernden Versen? Mein Ohr sagt mir: Sie macht nichts damit, sie hört in sie hinein, sie scheint sie nur auf sich wirken zu lassen. Das Lied – nur scheinbar einfach hingesetzt mit seiner chromatisch abwärts schreitenden, seiner abgeschatteten Melodie, seinen gebrochenen Akkorden in der Begleitung, in Wahrheit  ein kunstvoll gespiegeltes Halbes, in dem Goethes Verse sich als Ganzes zitternd widerspiegeln – wirkt selber wie das, was es darstellt: eine glatte, spiegelnde Fläche, in der fast unmerkliche Schiebungen, Regungen verzittern, hinstreichen, schleichen, vibrierende Erregungen, ein liebliches dunkles Tal, eine farbenprächtige Düsternis… das ist unvergleichlich, das ist einzigartig, das hat verwandelnde Kraft!

Zitiert nach:
Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten.  In: Johann Wolfgang Goethe. Gedichte 1800-1832. Hgg. von Karl Eibl, Deutscher Klassiker Verlag. Sonderausgabe zu Johann Wolfgang Goethes 250. Geburtstag. Frankfurt am Main 1998, S. 695-699, hier S. 698 [Nr. VIII]

Bild:

Fernes Wetterleuchten am Abend im Eisacktal, hinter Brixen, August 2018

 

 Posted by at 16:04

Leuchtet, ihr strahlenden Nachtkerzen des Gesanges!

 Einladungen, Fanny Hensel, Hebraica, Singen  Kommentare deaktiviert für Leuchtet, ihr strahlenden Nachtkerzen des Gesanges!
Sep 302017
 

Höre! Hannah Arendt, die 1906 im niedersächsischen Linden geborene große deutsche Philosophin sagt:

Im Deutschen gerade liegt das Volkslied aller Dichtung zugrunde, wenn auch in der eigentlich großen Dichtung so transformiert, daß es kaum noch kenntlich ist. So klingt die Stimme der Dienstbotengesänge durch viele der schönsten deutschen Gedichte.“

Höre! Unwillkürlich kommen dir diese Worte dieser großen jüdischen Philosophin in den Sinn! Denn soeben erreicht dich eine Einladung zu einem verheißungsvollen Konzert, das die 1975 in New York verstorbene große US-amerikanische Philosophin Arendt sicherlich besucht hätte, wenn sie denn noch lebte und zufällig gerade in Berlin weilte:

 

Samstag,  30. September 2017 – 19 Uhr
Gemeindesaal der Jesus-Christus-Kirche Berlin-Dahlem, Thielallee 1-3
Freier Eintritt

Deutsche Volkslieder in Melodie und Geschichte

Projekt-Chor Roland Bader
Mitglieder des früheren Chors der St. Hedwigs-Kathedrale, des Karl-Forster-Chores und Gäste
Leitung und Moderation: Roland Bader
Am Flügel Michael Cohen-Weißert

Die Texte der Lieder liegen offen vor mir. Ich nippe kurz an den Worten wie an einem schäumenden Kelche:

Brüder reicht die Hand zum Bunde Ännchen von Tharau ist’s die mir gefällt rede Mädchen allzu liebes das mir in die Brust die kühle hat geschleudert mit dem Blicke diese wilden Glutgefühle wie sanft sich die Quelle durch die Wiese windet nicht wandle mein Licht dort außen im Flurbereich ich wollt meine Lieb ergösse sich all in ein einzig Wort abends wenn ich schlafen geh in einem kühlen Grunde da steht ein Mühlenrad

Das ist ja jene bunte, abendlich strahlende, wilde und betörende Klanglandschaft, welche einst in deutscher Sprache erklang und erscholl, welche einst Hannah Arendt, Heinrich Heine, der Sänger und Schubert-Herausgeber Max Friedlaender, der Zeichner und Komponist Felix Mendelssohn, der Philosoph Walter Benjamin so beredt priesen und rühmten.  Kehrt doch wieder alle alle! Ihr sollt auferstehen und leben!

Wer kennt die Namen dieser Dichterinnen und Dichter heute noch? Kennst du sie wohl? Adelheid Wette, Wilhelm Ganzhorn, Heinrich Heine, Georg Friedrich Daumer, Adalbert von Chamisso, Fanny Hensel, Johann Gottfried Hientzsch, Joseph von Eichendorff?

Nun, nach dem einen ist immerhin noch (noch!) eine Universität in Düsseldorf benannt, nach einem anderen immerhin noch (noch!) eine Gasse am voll durchkommerzialisierten Potsdamer Platz in Berlin, noch nach einer anderen eine Grundschule in Kreuzberg, und nach einem anderen ein voll im Gentrifizierungswahn lebender Kiez in Kreuzberg.

Aber wer kennt diese Lieder noch? Wer singt sie noch? Seid ihr alle verweht, vergessen, verschollen? Nein! Kehrt doch wieder!

 

Bild: Romantisches Abendlicht im Natur-Park Schöneberger Südgelände, 29.09.2017, 18.30 Uhr

Zitat Hannah Arendts hier wiedergegeben nach:
Beatrix Brockman: Scherben im Bachsand. Der Nachlass der Lyrikerin Eva Strittmatter kommt in die Akademie der Künste nach Berlin. In: Ars pro toto. Das Magazin der Kulturstiftung der Länder, 3-2015, S. 25-29, hier S. 26

 

 

 Posted by at 10:17

„Hüter, ist die Nacht bald hin?“

 Fanny Hensel, Schöneberg  Kommentare deaktiviert für „Hüter, ist die Nacht bald hin?“
Feb 112014
 

Brocken_2014-02-04 11.24.36

„Wo wohnst du? Wo kommst du her? Wie lange spielst du schon Bratsche?“ So fragen mich meine neuen Mitspieler im Kirchenkreisorchester Alt-Schöneberg.

„Ich wohne ein gemächliches 5-Minuten-Moderato vom Dreifaltigkeitsfriedhof entfernt,“, antworte ich,  „wo Felix  neben seiner Schwester Fanny begraben liegt. 7 Minuten sind es von unserer Wohnung an der Fanny-Hensel-Grundschule vorbei bis zum Mendelssohn-Bartholdy-Park mit seinem Ginko Biloba, an dem ich gern das Gedicht Goethes aus dem West-Östlichen Divan rezitiere. Besucht  uns – 10 Minuten lauft ihr  bis zur Leipziger Straße 3, dem heutigen Bundesratsgebäude, wo die Mendelssohns ab 1825 ihr offenes, gastfreudliches Haus führten. Jetzt wisst ihr, wo ich wohne.“

Nach solchen munteren Gesprächen und Rätseln kehrte ich gestern wohlbehalten von einer Orchesterprobe aus Schöneberg nach Kreuzberg radelnd zurück.

Die Aufführung von Mendelssohns Lobgesang am 15. Juni 2014 wird die Wiedereröffnung der alten Dorfkirche Schöneberg preisen. Fast flossen uns Streichern gestern schon die Tränen.

Mendelssohn Bartholdy trifft in seinem „Lobgesang“ op. 52 einen innigen Ton, neu, unverwandt vertrauend wie die sich öffnenden Augen eines erwachenden, staunenden Kindes! Mendelssohn Bartholdy und auch seine Schwester Fanny Hensel sind sozusagen „Christen der ersten Morgenröte“, also Getaufte, deren jüdische Vorfahren noch keine Christen waren. In den Kompositionen der Geschwister, in den Zeichnungen, den Gedichten und Briefen tritt etwas Tastendes, Vorsichtig-Bittendes hervor, also das genaue Gegenteil von dogmatischer Gewissheit!

Dies wurde mir gestern am Beispiel  des mir aus dem Kreuzberger Osten anvertrauten hervorragend klingenden Instrumentes des Mittenwalder Meisters Michael Bitterer wieder klar. Ich finde mich – von der Geige herkommend – tastend, hinhörend in die deutlich größere Mensur der Bratsche hinein. Seit wenigen Wochen erst erschließe ich mir diese gegenüber der Geige doch soviel wärmere, abgründigere Schwester. Bratsche und Geige sind wie Judentum und Christentum, sind eines Stammes, verwandt und doch ganz anders. Die Dimensionen sind andere. Das Wesen ist dasselbe, verschwistert, mindestens ähnlich.

Mendelssohn selbst hat die jüdischen Psalmen und christlichen Schriftworte ausgewählt, kunstvoll ineinandergefügt und durch Musik verflochten.

Hört hier eine besonders herrlich aufstrahlende Stelle:

Wir riefen in der Finsternis:
Hüter, ist die Nacht bald hin?

Tempo I, moderato
Der Hüter aber sprach:
Wenn der Morgen schon kommt,
So wird es doch Nacht sein;
Wenn ihr schon fraget,
So werdet ihr doch wiederkommen
Und wieder fragen:
Hüter, ist die Nacht bald hin?

Hüter, ist die Nacht bald hin? Eine offene Frage!

Aufführung:
Sinfonie Nr.2 „Lobgesang“, F. Mendelssohn-Bartholdy, Sonntag, 15.06.2014, 19:00 Uhr, Dorfkirche Schöneberg

Ausführende:
Neuer Chor Alt-Schöneberg
Kirchenkreisorchester
Solisten
Leitung: Sebastian Brendel

Ort:
Paul-Gerhardt-Kirche

Musik anlässlich der Wiedereinweihung der Dorfkirche.

 Posted by at 23:26

Überversorgung erkennen – Überversorgung benennen!

 Fanny Hensel, Faulheit, Sozialstaat, Verwöhnt  Kommentare deaktiviert für Überversorgung erkennen – Überversorgung benennen!
Nov 122010
 

Ein Hauptproblem Berlins ist staatliche Überversorgung. Die Überversorgung mit staatlichen Leistungen behindert oder verhindert Integration, behindert den wirtschaftlichen Aufschwung, behindert räumliche und soziale Mobilität.

Beispiel: Fanny-Hensel-Kiez. Wenn der Staat nicht par ordre du Mufti Billigmieten erzwänge, wenn der Staat einige Wohnblöcke freigäbe, entstünde ein freies Spiel aus Angebot und Nachfrage. Die überall sehnlichst erwarteten selbstverdienenden Menschen mit Familien zögen in den Kiez, Kinder würden Väter erleben, die einer geregelten Arbeit nachgehen, das würde eine Vorbildwirkung entfachen, es käme zu einem Nachhol-Effekt, die Schule verlöre ihren unverdient schlechten Ruf.

Und was geschieht: Statt selbst etwas für ihr Glück zu tun, schreien die Menschen stets nach mehr Förderung, mehr Geld, mehr Fürsorge des Staates. Eine unfassbare, alle Grenzen sprengende soziale Immobilität hat sich – durch den Staat befördert – in Teilen Friedrichshain-Kreuzbergs breitgemacht und verhindert den Wandel.

Das gleiche gilt auch für den Strommarkt. Wir haben tendenziell mit sinkenden Strompreisen zu rechnen. Dank der AKW-Laufzeitenverlängerung wird der Großhandelspreis wohl eher zurückgehen. Der Strompreis wird künstlich hochgerechnet. Lest selbst:

AKW-Laufzeitverlängerung: Solar-Lobby trickst bei Verbraucherkosten – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Wirtschaft
Tatsache ist: Die AKW-Laufzeitverlängerung wurde vom Bundestag beschlossen und kann höchstens noch per Gerichtsurteil gestoppt werden. Bleibt aber die Produktion des billigen Atomstroms erhalten, dürfte der Großhandelspreis für Strom eher nicht steigen. Er könnte sogar sinken, da auch die Stromerzeugung aus Wind- und Solarenergie kräftig ausgebaut wird. Aktuell wächst das Stromangebot eher schneller als die Nachfrage. Das größte Problem ist keine Energieunterversorgung, sondern dass zeitweise zu viel Strom in die Netze gespeist wird.

 Posted by at 16:31

Bäume der Nachhaltigkeit pflanzen!

 Einladungen, Fanny Hensel, Gute Grundschulen, Musik, Nahe Räume, Natur  Kommentare deaktiviert für Bäume der Nachhaltigkeit pflanzen!
Jun 242010
 

Wir Deutschen lieben den Wald und die Bäume – mehr als viele andere Völker. Noch der heutige Kult um Naturschutz, Umweltschutz, der rasante Erfolg der grünen Partei, die Idee der Umwelt-Detektive usw. ist kaum vorstellbar ohne die ganze Vorgeschichte von Eichendorff, von Waldesrauschen, Jägerlust und Auenseligkeit.

Ich selbst teile diese ganze romantische Natursehnsucht, die Vorstellung, dass die Natur, die Umwelt etwas Schützenswertes, etwa nahezu Verehrungswürdiges ist. Letztlich freilich soll der Mensch die Natur sich dienstbar machen. Er soll die Natur pflegen und hegen, soll sich ihrer freuen. Aber er soll sie nicht anbeten. Die Vorstellung, dass Nachhaltigkeit eine Beibehaltung des Status quo bedeute, ist irrig. Den starren Status quo gibt es in der Natur nicht.

Es geht darum, sich so achtsam und schonend zur Natur zu verhalten, dass sie auch in 50 oder 100 Jahren den Menschen noch Freude bereiten und ihnen als Lebensgrundlage dienen kann.

Unser Bild zeigt einen vor einem Jahr gepflanzten Baum in der Fanny-Hensel-Grundschule, der den „Umwelt-Detektiven“ gewidmet ist.

Der Sommer ist endlich da! Um dies zu feiern, laden wir die Fanny-Hensel-Grundschule zu einem Konzert ein. Lieder von Robert Schumann stehen im Mittelpunkt. Der Eintritt ist frei.

Wann? Am Mittwoch, dem 30.06.2010, um 10.00 Uhr vormittags

Wo? In der St.-Lukas-Kirche, Bernburger Straße 3-5, 10963 Berlin-Kreuzberg

Wer singt und spielt?
Irina Potapenko, Sängerin
Mark Lewin, Ivan Hampel, Johannes Hampel, Geige
Lala Isakowa, Klavier

Lest doch die nachfolgenden deutschen Naturgedichte – sie werden im Konzert am kommenden Mittwoch erschallen und erklingen!

Joseph von Eichendorff: Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt.

Die Luft ging durch die Felder,
Die Ähren wogten sacht,
Es rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Continue reading »

 Posted by at 14:30

Wir sind das Problem – und wir können Teil der Lösung sein

 Fanny Hensel, Solidarität  Kommentare deaktiviert für Wir sind das Problem – und wir können Teil der Lösung sein
Jun 192010
 

Das Bild zeigt: So schön malen unsere Kinder von der Fanny-Hensel-Grundschule. So phantasievoll, so farbenprächtig, so selbstbewusst, so charaktervoll. Ich sehe immer wieder: Diese Kinder bergen so viele Schätze! Man muss sie fördern auf Schritt und Tritt.

Die Kinder sind nicht das Problem, sie sind ein Schatz, ein riesiges Potenzial.  – Das Problem ist die Lage.

Gestern und früher stellten wir in diesem Blog uns, also die versagenden, die überforderten, die sich selbst segregierenden, die auseinanderfallenden, die immer anspruchsvolleren, immer bequemeren Familien als mitentscheidende Auslöser der unbestreitbar schwierigen Lage im Bildungsbereich dar.

Endlich wagt mir jemand in dieser Diagnose beizustimmen. Wer? Eine Lehrerin. Wie heißt sie? Niemand weiß es. Die verbeamteten Lehrer sind alle durch ihren Treueeid gebunden. Sie werden nie etwas offen unter eigenem Namen zur Presse sagen.

Man lese heute hierzu bitte: Berliner Morgenpost, heute, Beilage FAMILIE auf S. 1. Unbedingt lesenswert! Die Grundschullehrerin im sozialen Brennpunkt hat recht. Kann ich alles bestätigen. Kenne meinen sozialen Brennpunkt sehr gut. Die Lehrerin sagt über uns:

Die meisten von ihnen haben sehr große Erwartungen an die Lehrer und den Unterricht, sie sind genauestens über das Bildungswesen informiert und fordern ein, was möglich ist. Da wir eine gebundene Ganztagsschule sind, gehen sie zum Beispiel davon aus, dass Lehrer und Erzieher alles übernehmen, was mit Schule zusammenhängt. Sogar um die Ordnung im Ranzen sollen wir uns kümmern.

Geradezu hysterisch verhalten sich diese Eltern, wenn es um die Vorbereitung ihrer Kinder auf das Gymnasium geht. Alle meinen, dass ihre Kinder von uns so weit gebracht werden müssen, dass sie den Übergang auf das Gymnasium schaffen. Verschiedene Eltern sind vor einiger Zeit sogar mit der Bitte an mich herangetreten, einen Elternabend zum Thema „ordentliche Heftführung“ zu machen. Sie wollten das ganz genau wissen, um ihre Kinder kontrollieren zu können. Das geht zu weit, habe ich den Eltern gesagt. Die Kinder müssen lernen, dafür allein verantwortlich zu sein.

Der Druck, der von den Eltern an mich, aber auch an die Kinder weitergegeben wird, ist riesig und wächst ständig.

In Klassen, die sich vor allem aus Kindern nicht deutscher Herkunft zusammensetzen, sieht die Elternarbeit ganz anders aus, weniger anstrengend ist sie aber nicht. Diese Eltern sind nicht so sehr an Schule interessiert, sie müssen deshalb überhaupt erst einmal von der Wichtigkeit der Bildung überzeugt werden. Als Lehrerin muss ich versuchen, sie in die schulischen Zusammenhänge einzubinden und ihnen die Lerninhalte ihrer Kinder nahezubringen. Nur wenige dieser Eltern unterstützen ihre Kinder so, wie es nötig wäre. Deshalb muss Schule viel mehr leisten. Wir müssen zum Beispiel dafür sorgen, dass die Kinder ihre Umwelt kennen lernen. Viele sind kaum vor die Tür gekommen, haben zum Beispiel noch nie auf einem Berg gestanden oder das Meer gesehen und wissen nur sehr wenig über ihre Stadt. Ihre Freizeit verbringen sie stattdessen fast komplett vor dem Fernsehapparat. Auch Bücher kennen nur die wenigsten.

Wir Eltern, wir Familien sind der größte Teil des Problems. Der kleinere Teil des Problems ist die Schulpolitik. Und der kleinste Teil sind die Lehrer. Tja, Freunde, tut mir leid, das muss ich so hart sagen. Ich seh das so. Mach ich mich unbeliebt? Bitte sehr! Es wäre nicht das erste Mal.

Und Vorschläge zur Besserung habe ich auch schon:

Verantwortung in der Familie übernehmen! Väter: Kümmert euch um eure Kinder. „Starke“ Familien sollen Verantwortung für „schwache“ Familien übernehmen. Und umgekehrt. Bitte nicht immer nur die Hand aufhalten und nach mehr Geld schreien! Geben ist seliger als Nehmen. Der Staat allein wird es nicht schaffen.

Arbeitsalltag einer Grundschullehrerin – Alles auf meinem Rücken – Familie – Printarchiv – Berliner Morgenpost

 Posted by at 19:03
Apr 302010
 

30042010001.jpg Erneut einen Riesenbonus in meinem Herzen hat soeben die Kreuzberger Fanny-Hensel-Grundschule errungen. Jeder aus der älteren Generation kennt wohl noch das Auswendiglernen von Gedichten als unangenehme Fleißaufgabe. Ganz anders, frischer, überzeugender macht es die Fanny Hensel! Heute waren 7 Balladen und lyrische Gedichte von Goethe angesagt. Die Kinder zauberten daraus eine Art 5-Akt-Theater-Aufführung. Mit Kostümen, mit bunten, selbstgemalten Bühnenbildern.

30042010007.jpg

Der Zauberlehrling, das Hexenlied aus dem Faust, der Erlkönig, das Heidenröslein, Gefunden, Glückliche Fahrt, der Fischer wurden angesagt. Es gab einen Moderator, der mit vorbereiteten Reden durch das Programm führte. Abgeschlossen wurde das Ganze durch einen aktuellen Rap in deutscher Sprache: „Wenn ich reim‘ …“

Die stolzen Eltern saßen mit hohen Augenbraunen gelassen da und freuten sich über ihre Kinder.

Der Rezensent bekennt, dass ihm an manchen Stellen ein Schauer über den Rücken rieselte, insbesondere zum Schluss, als es hieß:

halb zog sie ihn,
halb sank er hin,
und war nicht mehr gesehn.

Die Gedichte erklangen in guter, geschulter, hochdeutscher Aussprache, so dass ich jedes einzelne Wort verstehen konnte. Vorbildlich! Wenn jedes Kind in Berliner Grundschulen an solchen Aufführungen beteiligt wäre, brauchten wir uns über mangelnde Deutschkenntnisse wahrlich keine Gedanken zu machen. Die Fanny Hensel macht es vor!

Besonders spannend fand ich den letzten Beitrag – einen selbstverfertigten Rap:

„Denn immer wenn ich reim, fällt die Last von mir, und ich fühle mich auf einmal frei …“

Das war eigentlich ein Hymnus auf die weltbewegende, auf die befreiende, auf die integrierende Kraft der Dichtung. Ich meine das ernst: Alle Völker, alle Jahrtausende seit Homer, seit den Barden, seit dem Gilgamesch-Epos haben Poesie, haben die metrisch gebundene Sprache als herausragendes Merk-, Bildungs- und Wissenreservoir genutzt. Erst seit einigen Jahrzehnten geht dieses Wissen (vielleicht etwa dank der akademisch-wissenschaftlichen Didaktik und Methodik?) zunehmend verloren.

Aber die Didaktiker werden dieses uralte Wissen der Völker wiederentdecken! Sie, all die Methodiker, Kritiker, Politiker, Migrationsexperten und Kritikaster sollten zur Fanny-Hensel-Grundschule kommen und diese Aufführung betrachten, bewundern und sich verzaubern lassen.

30042010010.jpg

Zum Schluss ging ich artig und dankbar auf die Leiterin der Produktion, Frau Neubert zu. „Ich bin begeistert, damit haben die Kinder und Sie einen Traum von mir wahr gemacht! Danke!“, sage ich. „Dabei haben wir alles selbst gemacht,“ bekomme ich zur Antwort. Vortrefflich gesagt!

Aus Meeresstille zur glücklichen Fahrt!

 Posted by at 12:37

Goethe kommt morgen in die Fanny-Hensel-Siedlung!

 Fanny Hensel  Kommentare deaktiviert für Goethe kommt morgen in die Fanny-Hensel-Siedlung!
Apr 292010
 

29042010.jpg Immer wieder haben wir in diesem Blog geklagt, dass unsere Berliner Kinder ganz offenkundig in ein kulturelles Vakuum hineinwachsen. Dass sie kaum mehr etwas zu lesen bekommen, was älter als zehn Jahre ist: keinen Friedrich Schiller, keinen Koran, keinen Karl Marx oder Nietzsche, keinen G.W.F. Hegel, keinen Heinrich von Kleist, keinen Nasreddin Hodscha, keinen Hafis. Es herrscht ein Präsentismus des Leeren. Doch das beginnt sich zu ändern! Zu meiner großen Freude werden unsere Kinder morgen in der Fanny-Hensel-Schule einen Goethe-Vortrag anbieten. Gedichte! Ausgerechnet Goethe, der deutsche Dichter, der meines Erachtens der am besten Geeignete ist, um eine Brücke in die Kultur islamischer Länder zu schlagen! Freude! Super! Da geh ich hin!

Goethe.
Im Musikraum der Fanny-Hensel-Grundschule
30.04.2010
Schöneberger Straße, Kreuzberg-West
Beginn 10.00 Uhr

 Posted by at 10:57
Mrz 252010
 

Interessanter Bericht heute in der Berliner Zeitung  unter dem Titel „Geschlossene Gesellschaft“. Die dort gesammelten Beobachtungen halte ich für zutreffend. Es ist tatsächlich eine selbstgezogene unsichtbare Mauer um diese arabischen Familien. Sie wollen offenkundig nicht behelligt werden. Ich habe dies selbst erlebt, als ich intensiv an der Fanny-Hensel-Schule für den gestrigen Abend zum Thema „Die neuen Deutschen“ warb. Mehr als die Hälfte unserer Kinder dort kommen aus genau diesen geschlossenen kinderreichen arabischen Familien. Deutsche, polnische und türkische Eltern aus meinem Bekanntenkreis haben ihre Kinder schon abgemeldet. Referent: Badr Mohammed, ein CDU-Politiker kurdisch-libanesischer Abstammung. Einer der ihren! Wer hätte besser über die Lage der libanesischen Einwanderer reden können als er!

Der Abend war ein großer Erfolg! Es kamen viele Deutsche, Deutsch-Türken, Muslime deutscher und türkischer Abstammung, Christen und Konfessionslose, Schulhelferinnen, Sozialarbeiterinnen, 2 Journalistinnen namhafter Berliner Tageszeitungen, sogar einige wenige Mitglieder von der CDU Friedrichshain-Kreuzberg! Toller Referent, gute Beiträge und Fragen, tolle, offene, ehrliche Diskussion um die Überlebensfragen unserer Berliner Gesellschaft.

Wer nicht kam, das waren die Menschen, die Eltern von der Fanny-Hensel-Schule. Ich hatte Dutzende von Einladungen verteilt, die Eltern direkt angequatscht, sogar den unverzeihlichen Fauxpas begangen, arabische Frauen im Schulgebäude direkt anzusprechen und sie zu einem Diskussionsabend über ihre Lage, über die Lage unserer Kinder einzuladen. Nichts zu machen. So leicht kriegt man sie nicht. Eine Mutter hat die Einladung direkt vor meinen Augen in lauter kleine Stückchen zerrisssen. Auch sonst ist kein Vater und keine Mutter von der Fanny-Hensel-Schule gekommen. Wir haben es auch bisher nicht geschafft, dass eins der Kinder unserer wiederholten Einladung zu einem Besuch gefolgt wäre. Aber einen Bogen mache ich nicht um diese Menschen. Im Gegenteil! Ich gehe direkt auf sie zu.

Wir sind ja nicht deutsche Mittelschicht, sondern Kreuzberger Unterschicht. Wir haben ja nicht mal ein Auto.

Geschlossene Gesellschaft – Berliner Zeitung
Nicht nur die deutsche Mittelschicht macht einen großen Bogen um diese Familien. „Sobald mehrere arabische Familien an einer Schule sind, melden die türkischen Familien ihre Kinder dort nicht mehr an“, sagt die Jugendstadträtin von Kreuzberg, Monika Herrmann von den Grünen. Mit all den Sozialhelfern könne man im Grunde nur die Frauen und die Kinder unterstützen. „Wir haben große Schwierigkeiten, in so einen Clan reinzukommen“, sagt sie. Die Familien würden ihre Probleme lieber allein lösen, nicht mit Hilfe des Staates. Das wiederum hänge vor allem mit ihrem Eindruck zusammen, hier nicht gewollt zu werden.

 Posted by at 21:47

Fanny und Felix bei Lukas aus Syrien

 Fanny Hensel  Kommentare deaktiviert für Fanny und Felix bei Lukas aus Syrien
Nov 172009
 

Unser nächstes Konzert findet in der St.-Lukas-Kirche statt. Der heilige Lukas stammt der Überlieferung nach aus Antiochia im damaligen Syrien – also aus dem heutigen Antakya in der heutigen Türkei. Wie gut trifft es sich, dass die meisten Kinder unserer Schule aus der Türkei und aus Libanon stammen – dem antiken Syrien! Wenn sie die Lukaskirche besuchen, ist es also eine Art Heimkehr zu den Wurzeln ihrer kulturellen Überlieferung, die weit hinter den Islam zurückreichen.

Folgende Einladung habe ich soeben gebosselt:

Eltern der Fanny-Hensel-Grundschule laden ein:

 

 

Das geheimnisvolle Band

 

Fanny Hensel und ihr Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy

 

Konzert mit Werken von Fanny Hensel, Felix Mendelssohn Bartholdy, Mozart und anderen

 

St. Lukas-Kirche

Bernburger Str. 3-5

Berlin-Kreuzberg

 

Dienstag, 24. November 2009, 10.00 Uhr vormittags

 

Es spielen Kinder im Alter ab 4 Jahren

 

sowie:

Irina Potapenko, Alt

Johannes Hampel, Violine

Natalia Christoph, Klavier

Lala Isakowa, Klavier

 

 

Eintritt frei

 Posted by at 00:45

Mauerfall im Kleinen anpacken!

 Das Gute, Fanny Hensel  Kommentare deaktiviert für Mauerfall im Kleinen anpacken!
Nov 092009
 

mauerfall.jpg Diesen großartigen Tag begann ich mit einer Feier in der Fanny-Hensel-Grundschule. Eine Baumpflanzung war genau für den heutigen Tag angesetzt. Die Bürgerstiftung Berlin und der Sponsor Boeing hatten Hand in Hand mit der Schule gearbeitet. Ein Feldahorn wurde eingesetzt. Ein Modell der Berliner Mauer war aus Kartons nachgebaut.

Zuvor gab es Musik und Ansprachen. Mein Sohn spielte das Hirtenlied von Mozart. Ich sprach mit Lehrern, Sponsoren und Schülern. Ich war stolz auf die Schule. An dieser Schule wirken alle zusammen, um die neue Gesellschaft Deutschlands wachsen zu lassen.

In wenigen Augenblicken werden die Dominosteine am Brandenburger Tor stürzen. Mit dabei: Ein Stein, den die Kinder der Fanny-Hensel-Grundschule bemalt haben!

Ich freue mich sehr!

 Posted by at 19:35

Ein leuchtendes Leitbild für Kreuzbergs Grundschulen

 Fanny Hensel, Gute Grundschulen  Kommentare deaktiviert für Ein leuchtendes Leitbild für Kreuzbergs Grundschulen
Okt 072009
 

Vor der Sitzung der Gesamtelternvertretung an der Kreuzberger Fanny-Hensel-Schule nehme ich  mir eine volle Stunde Zeit, um all meine über Jahrzehnte hinweg gesammelten Erfahrungen an Kreuzberger Grundschulen in wenigen Worten darzulegen. Wer weiß, vielleicht würde es ja um ein zu vergebendes Amt zu kämpfen gelten? Ich kenne das aus den USA! Jedes öffentliche Ehrenamt ist dort ein Amt, das Ehre bringt. Man bewirbt sich darum, gerne auch mit einem Flyer oder einem Bild.

 

Ich  werde mich so bewerben:

 

 dsci0041.JPG

 

 

Johannes Hampel

Elternvertreter der Klasse 1/2/3 D

in der Fanny-Hensel-Grundschule

 

 

Bewerbung als Elternsprecher der Fanny-Hensel-Grundschule

 

Meine Leitsätze: Wir haben wunderbare Kinder! Wir haben eine sehr gute Schule! Wir gehören alle dazu!

Meine Ziele: Die Fanny-Hensel-Grundschule soll stolz auf alle Menschen sein, die in ihr arbeiten und lernen. Jedes Kind soll sich in ihr stark fühlen.

Unser Weg: Sprache, Kunst, Tanz, Musik, Theater. Gutes Deutsch für alle! Deshalb: Unsere Kinder brauchen ein gutes Lesebuch, das sie mit vielen Gedichten und Geschichten begleitet und zusammen mit den Lehrern zu gutem, akzentfreiem Deutsch führt.

Die Zugehörigkeit zur Schule soll sich in äußeren Zeichen ausdrücken, etwa in Losungen für den Tag oder die Woche, in einer gesungenen Schul-Hymne, in gemeinsamen Festen oder auch in einem Schulpullover.

Zur Person:  Aufgewachsen bin ich in Augsburg/Bayern. Ich lebte und arbeitete nach dem Studium 3 Jahre in Italien. Derzeitiger Beruf: Dolmetscher für Englisch und Italienisch. 2 Söhne, 25 und 7 Jahre alt. Beide in Kreuzberg zur Grundschule gegangen und gehend. Eine Leidenschaft: die Geige.

2000-2002: Gesamtelternsprecher an der Berliner Walther-Rathenau-Oberschule, zugleich Mitarbeit im Bezirkselternausschuss (BEA) Charlottenburg-Wilmersdorf. 2004-2005: Anregungen und musikalische Späße für die Schöneberger Kita am Kleistpark, die mittlerweile eine sehr erfolgreiche „musikbetonte Kita“ geworden ist.

Derzeit zusammen mit meiner russischen Frau Irina Potapenko ehrenamtlich Theateraufführungen und Konzerte in Kindergärten, Schulen und in Kirchen, vorzugsweise Mozarts Zauberflöte. Beim ADFC (Fahrradclub) Berlin Sprecher der Stadtteilgruppe Friedrichshain-Kreuzberg.  

Das Bild zeigt mich bei der Aufführung der Mozartschen Zauberflöte in der Fanny-Hensel-Grundschule.  In meinem persönlichen Blog schreibe ich immer wieder Wichtiges und Unwichtiges über die Frage, „wie wir unsere Kinder erziehen wollen“. Besucher sind willkommen!

 

http://johanneshampel.online.de

 Posted by at 10:31
Sep 162009
 

Meine tiefe Bewunderung haben die Lehrerinnen und Lehrer in unserer Grundschule.  Sie betreuen und erziehen unsere Kinder mit liebevoller Zuwendung und Strenge. Das merke ich auf Schritt und Tritt. Ihre Geduld scheint unerschöpflich. Ich glaube, es sind die besten Lehrer an Berlins Grundschulen, die ausgerechnet in diese Kreuzberger Schule „an einem sozialen Brennpunkt“ zusammengerufen wurden.

Gestern fand die erste Elternversammlung des neuen Schuljahres an unserer Grundschule statt. Ich gehe hin. Der Saal füllt sich nach und nach. Ich sehe viele Frauen mit Kopftuch, aber nicht locker gebunden, wie ich es von den Türkinnen kenne, sondern den ganzen Kopf bis zu den Schultern bedeckend. Ich höre wenig Türkisch, aber viel Arabisch sprechen.

Die gesamte Elternschaft der Stufen 1-3 ist zusammengerufen worden. Der Religionslehrer stellt sein Konzept des „bewegten Unterrichts“ vor. In seinem christlichen Religionsunterricht geht es darum, wie Menschen ihr Leben leben. Um Angst, um Freude. Alle sind eingeladen, die Kinder dort anzumelden. Es fällt mir auf, dass von einem muslimischen Religionsunterricht nicht die Rede ist.

In meiner Schule gibt es fast nur muslimische Kinder. Nicht gemäßigt muslimisch, wie bei den Türken, deren Ditib vom Staat gesteuert wird. Sondern stärker wahabitisch, mit klar erkennbarer Abgrenzung zum Rest der Bevölkerung. Die meisten Frauen tragen Kopftuch. Sie würden mich nie von sich aus ansehen, und ich traue mich nicht ohne weiteres, sie anzusprechen. Das wird noch spannend! Mitunter sieht man den Tschador, die Burka. Die Jungs tragen den ganz kurzen Haarschnitt, wie er jetzt zur Unterstreichung der Männlichkeit gezeigt wird.

Die Türken haben diesen Teil des Bezirks schon weitgehend verlassen. Verdrängt. Zugezogen sind zahlreiche arabische Familien mit oft 8 bis 10 Kindern. Der Islam ist jetzt viel stärker spürbar. Man könnte sagen: Die Nachbarschaft der Schule, die Schule selbst ist durchislamisiert. Und das wird weitergehen. Das ergibt schon eine mathematische Berechnung. Die Elternversammlung wurde gestern eigens so gelegt, dass das Fastenbrechen des Ramadan um 19.30 Uhr eingehalten werden kann. Das Wort „Schweinegrippe“ wird nicht in den Mund genommen, da es die Gefühle der religiösen Mehrheit verletzen könnte.

Etwa ein Drittel der Kinder in meiner Klasse sind durch ihre Eltern vertreten. Die anderen Eltern fehlen unentschuldigt.  Wo sind sie? Wir erfahren viel Nützliches über das jahrgangsübergreifende Lernen, über die Art, wie die Kinder füreinander sorgen.

Mein Eindruck: Es läuft alles sehr gut. Die Lehrerinnen hängen sich enorm rein.

Ich bewerbe mich mit einer schlichten Rede in einfachem Deutsch als Sprecher der Eltern in meiner Klasse:

„Das ist ein sehr gute Schule. Wir haben sehr gute Lehrer.  Ich bin stolz, zu dieser Schule zu gehören. Ich möchte, dass wir als Klasse 1-3 d stolz nach außen treten und sagen: Seht her, das sind unsere Kinder. Das ist unsere Klasse.“ Ich werde mit großer Mehrheit zusammen mit einer Mutter aus Syrien gewählt. Ich freue mich auf dieses Amt.

Anschließend spricht mich die Lehrerin an: „Sie sind aber kein Deutscher, oder?“ In der Tat: Wenn man in der verschwindenden Minderheit ist, wie ich als Deutscher unter all den arabischen und türkischen Eltern, dann wird man seiner selbst unsicher. Wie soll man sich verhalten? Was darf man sagen? Darf ich einfach eine verschleierte Mutter ansprechen? Eine VERHEIRATETE Frau? Oder wird mich dann gleich der Ehemann mit einem Messer bedrohen? Ein  Vater? Ich spüre meist eine große Unsicherheit, wenn ich die Schule betrete. Es ist doch eine deutsche Schule, das steht doch draußen auf dem Schild! Die Lehrer sind doch Deutsche! Wir sind doch in Deutschland, nur 1 km vom Reichstag, nur 300 m vom Potsdamer Platz entfernt. Das ist doch die Schule, der wir laut Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg nach dem Wohnortprinzip zugewiesen sind!

„Deutschland muss auch noch in Kreuzberg erkennbar bleiben.“ Für diesen Satz wurde damals der Parteiausschluss von Kurt Wansner verlangt, die halbe Republik fiel über ihn her. Ich meine dennoch, er hatte recht. Wo sind denn all die Eltern, die damals so schimpften, all die Gutmenschen und Allesversteher? Sie besuchen jetzt die Spezialschulen nach Montessori, oder sie sind weggezogen.  Ich bin sicher: Genau die, die damals so schimpften, die würden ihr Kind niemals zu uns geben. Zu uns, den Arabern.

Am Abend traf ich am Rande einer Veranstaltung die italienische Europa-Abgeordnete Laura Garavini. Ich gratuliere ihr artig zur gewonnenen Wahl ins Europäische Parlament. Ich berichte ihr. Und dann setze ich hinzu: „Auch ich habe soeben eine sehr wichtige Wahl gewonnen.“ Sie versteht sofort, dass in der Tat meine Wahl genauso wichtig ist wie ihre. Und sie gratuliert mir.

 Posted by at 20:32