BIO COMPANY. Gesang im Wald der Lebenden!

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Jan 302018
 

Trübe Gedanken werden weggewischt durch die strahlende Schönheit des Gesanges. Der Gesang im Hochmeistersaal beseligt mich. Das Schubert-Album für eine Singstimme mit Pianofortebegleitung, kritisch revidirt von Max Friedlaender, das brauch ich nur aufzuschlagen und daraus zu singen und ich merke: Ja. Das ist meine Welt. Das ist unsere Welt. Da bin ich in Gesellschaft des Lebens. Und: Immanuel Kant, Werkausgabe Band VI, herausgegeben von Wilhelm Weischedel in der Akademie-Ausgabe. Meine Nachtlektüre. Jede Zeile Kants unterhält mich, erhellt mich, verleiht mir die Zuversicht: Überall sind Leute, mit denen man vernünftig reden kann.

Seitwärts des Überdachs Schatten vor der Rentenversicherung am Fehrbelliner Platz zieht dich an. Ich kehre ein bei der BIO COMPANY: in der Gesellschaft des Lebens.
In den Regalen an den Tischen in der BIO COMPANY liegen Bücher. Ich greife mir einen Band von Ernst Wiechert heraus: Der Totenwald, in einer sorgfältig verarbeiteten Ausgabe des Aufbau-Verlages, erschienen noch zu DDR-Zeiten. Mich berühren die klaren, schmerzhaften Beobachtungen, die er als Häftling im KZ Buchenwald angefertigt hat. Wichtigkeit des Körpers, Unhintergehbarkeit des leiblichen Daseins!

Essen, Trinken, Plaudern, Lauschen. Das ist es! Den Toten schulde ich nichts. Sie sind hinübergegangen. Dem Leben sind wir verpflichtet. Den Lebenden bin ich verpflichtet. „I vivi sono più esigenti“, die Lebenden verlangen mehr von uns. Also bitte. Primo Levi hat recht. Wählt das Leben!

Ich bitte um Leben.

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Jul 242017
 

Das Samaritergleichnis erschließt einen Nahbereich. Im Grunde, so Jesus, spielt sich das Leben des Menschen wesentlich im Umfeld der Nahen und der Nächsten ab.

Die moderne Welt der Medien, gerade die elektronischen Medien erschließen hingegen das Fernste. Der typische Vertreter dieser fernsten Dimension sind die Nachrichten.

„Wie kannst du noch ruhig schlafen angesichts des Übels in der Welt! Hast du denn nicht die Nachrichten gesehen? Und hast du denn schon vergessen, was in der Weltgeschichte alles an Schlimmem passiert ist? Kannst du denn die Millionen und Millionen von Toten vergessen, die wir Deutschen alle für alle Zeiten auf dem Gewissen haben, direkt oder indirekt? Grad DU ALS DEUTSCHER!“

Was hat Jesus auf derartiges Starren auf die Schrecken der Vergangenheit geantwortet, in dem ja wir Deutschen die unübertroffenen Weltmeister sind?

Er antwortet schroff und barsch: ἄφες τοὺς νεκροὺς θάψαι τοὺς ἑαυτῶν νεκρούς „Lass die Leichen doch ihre Leichen begraben“(Mt. 8,22). Tot ist tot. Widme dich den Lebenden. Die Lebenden sind wichtiger als die Toten, sie verlangen unsere ganze Aufmerksamkeit.

In ähnlichem Geist schrieb es Primo Levi am 27. Januar 1945 in sein Tagebuch, als er vor der Frage stand, ob er einen Toten bestatten oder eine Latrine leeren sollte:

Ci sono lavori più urgenti: non ci si può lavare. Bisogna vuotare la latrina. I vivi sono più esigenti. I morti possono attendere. 

Es gibt dringendere Arbeiten als die Totenbestattung. Man kann sich nicht waschen. Man muss die Latrine leeren. Die Lebenden sind anspruchsvoller. Die Toten können warten.

Saubere Abwasserentsorgung, eine Grundbedingung sicheren Trinkwassers, sicheren Lebens für alle Menschen, das war damals so und ist auch heute noch so. Über die Toten haben wir keine Gewalt.

Die sittlichen Lehren Jesu Christi richten sich stets an den einzelnen, nie an Staaten. Seine Trinitätslehre ruhte auf der Gottesbeziehung, der Beziehung des Menschen zum Menschen, der Beziehung des Menschen zum Selbst. Gottesliebe, Selbstliebe, Nächstenliebe, das ist seine Dreieinigkeit. Wenn Selbstliebe, Nächstenliebe und Gottesliebe im Lot sind – so Jesu Lehre – dann ist auch das Wohlergehen der Seele und des Leibes besorgt. Diese drei können auch Quelle von politischem Engagement werden, aber doch nur im übergreifenden Horizont dieser intimen Beziehung der Person zum eigenen Selbst, zum Nächsten und zu Gott. Der primäre Kampf richtet sich auf die Wahrheit der Person, nie auf die Wahrheit der Macht.

Politisches Handeln ist allenfalls ein Sekundärphänomen, niemals setzt der Kampf für eine bessere Welt bei der Welt an, sondern stets bei dem Kampf für eine liebevollere Beziehung zum eignen Selbst, zu Gott, zum Nächsten. Make yourself a better place for God, könnte das Motto lauten. Jesus war kein Weltverbesserer!

Christus hat es ausdrücklich abgelehnt, in den gewaltigen politischen Konflikten, die damals Palästina erschütterten, Stellung zu beziehen. „Gebt dem Caesar, was des Caesars ist, und Gott, was Gottes ist“, „mein Reich ist nicht von dieser Welt“, damit hat er im Grunde der Sphäre der Politik die höheren Weihen entzogen. Er tritt im Prozess vor Pilatus seinem Richter mit einem ungeheuren Selbst- und Gottesvertrauen entgegen. Er duzt ihn ohne Titelangabe, er wirft sich nicht in den Staub vor der Autorität des Kaisers, er führt ein Gespräch auf Augenhöhe. Er respektiert ihn wie jeden anderen Menschen auch, aber er dient sich ihm nicht an, er unterwirft sich ihm nicht.

Und er nimmt aus der aufgeheizten politisch-religiösen Diskussion seiner Zeit den Dampf raus.

Und so meine ich, man sollte den erstickenden moralisch-metaphysischen Dampf aus den politischen Debatten nehmen. Politische Fragen sind, so meine ich, zunächst einmal praktische, nicht ideologische Fragen. Jede politische Betrachtung ist eine Betrachtung dessen, was in einem Staat, also im politischen Nahbereich der Fall ist.

Danach sollten wir fragen: Und? Sind wir damit zufrieden, wie es bei uns ausschaut? Können wir es dabei belassen? Oder wollen wir es ändern?  Falls ja: Können wir es überhaupt ändern? Oder muss der Anstoß zur Änderung in anderen Staaten von diesen anderen Staaten, von diesen anderen Menschen erfolgen? Sollen wir Europäer das Leben der Amerikaner und der Asiaten verbessern? Sie lehren, sie bekehren? Sollen wir Europäer das Leben der Afrikaner verbessern? Sie lehren, sie bekehren? Haben wir Europäer von heute für die Amerikaner eine fundamentale Verantwortung? Für die Afrikaner von heute?

Quellen:

Mt 8,22; Mk 12,17; Joh 18-20 passim
Primo Levi: Se questo è un uomo. La tregua. Einaudi tascabili, Turin 1989, Seite 153

 

 

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Was oder wer ist Sómogyi?

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Jan 272017
 

26 gennaio. […] Parte del nostro essere ha sede nelle anime di chi ci accosta: ecco perché è non-umana l’esperienza di chi ha vissuto giorni in cui l’uomo è stato una cosa agli occhi dell’uomo. Noi tre ne fummo in gran parte immuni, e ce ne dobbiamo mutua gratitudine; perciò la mia amicizia con Charles resterà a lungo.

[…]

27 gennaio. L’alba. Sul pavimento, l’infame tumulto di membra stecchite, la cosa Sómogyi.
Ci sono lavori più urgenti: non ci si può lavare, non possiamo toccarlo che dopo di aver cucinato e mangiato. E inoltre, <<…rien de si dégoûtant que les débordements>>, dice giustamente Charles; bisogna vuotare la latrina.  I vivi sono più esigenti; i morti possono attendere. Ci mettemmo al lavoro come ogni giorno.

I russi arrivarono mentre Charles ed io portavamo Sómogyi poco lontano. Era molto leggero. Rovesciammo la barella sulla neve grigia.

Charles si tolse il berretto. A me dispiacque di non avere berretto.

Primo Levi: Se questo è un uomo. La tregua. Einaudi tascabili, Turin 1989, Seite 153

Kurzes einsames Innehalten am heutigen Tag vor dem Denkmal der Erinnerung am Kaiser-Wilhelm-Platz: Flossenbürg, Trostenez, Monowitz und all die anderen Orte. Ich gehe nie daran vorbei, ohne nicht mindestens einen der genannten Orte auf der inneren Landkarte zu verankern und kurz an Menschen wie etwa Primo, Charles und Sómogyi zu denken. Und manchmal stelle ich mein Fahrrad hier am Kaiser-Wilhelm-Platz ab und nehme den Helm ab.  So auch am heutigen Tag. Ich glaube: Sómogyi war auch ein Mensch wie wir anderen es heute sind und morgen sein werden. Die Tagebuchaufzeichnungen Primo Levis vom 26. und 27. Januar 1945 aus dem Buch „Ob das ein Mensch ist“  sind der Beweis.

 

 

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Jan 032010
 

02012010013.jpg Ein Volkssport, bei dem ich abseits stehe, ist das Schimpfen auf die Bundesbahn. Vielleicht habe ich Pech, dass ich nicht zu den Schimpfsportlern dazugehöre: Aber ich bin mit der Deutschen Bahn sehr zufrieden. Heute z.B. fuhr der ICE von Augsburg nach Berlin nur mit einer Hälfte – die andere Häfte blieb wegen technischer Probleme abgehängt. In dieser waren auch unsere reservierten Plätze. Wir mussten stehen – oder auf dem Boden sitzen.

„Das wird Ärger geben!“, schoss es mir durch den Kopf. Und in der Tat: „Stellt euch vor, der ICE fährt nur zur Hälfte – das ist eine Ka-ta-strophe …!“ jammerte ein etwa 40-jähriger Mann ins Handy.  „Den Grube sollte man mal auf die Gleise festbinden!“, echote ein anderer. Kurz: Die Welt war sauer, die Welt war böse auf die Deutsche Bundesbahn.

Ich knüpfte harmlose Gespräche mit Mitreisenden an: „Können Sie mir den Unterschied erklären: Hier auf dem TIME-Titelbild steht Frau Europa, Angela Merkel has more power than any leader on the continent. Und schauen Sie hier: A trailblazer and the unchallenged leader of Europe’s largest economy, steht hier auf S. 20. Und die Süddeutsche titelt an eben diesem Tage: Vor Wildbad Kreuth: Christsoziale attackieren Merkel. Wer hat recht? TIME oder die Süddeutsche?“, frug ich unschuldig.

„Beide haben recht“, erwiderte mir ein bayerischer Mitreisender. Und dann löste er mir in gut bayerischer Art den Widerspruch auf. Er meinte: Wir Bayern haben schlechtere Karten, wenn es ums Reden und „Dischkerieren“ geht. Und dafür rächen wir uns an den Norddeutschen.

Wieder waren 50 km verstrichen. „NICHT auf die Bahn schimpfen!“ schärfte ich mir ein. „Na, Sie kriegen heute sicher vieles zu hören …“ fragte ich den Schaffner. „Ich schalte auf Automatik-Modus“, erklärte er mir. Wir hatten gerade bequeme Plätzchen vor der Behindertentoilette ergattert, ein türkisches Mädchen unterhielt uns mit Fragen und Davonlaufen. Wir vertrieben uns die Zeit mit einem Dinosaurier-Quiz.

Ich dachte an die winterlichen Zugfahrten der Deportierten, die Herta Müller beschreibt: Dutzende Leute tagelang zusammengepfercht in einem Viehwaggon, statt Toilette ein Loch, 1 bullernder überforderter Ofen irgendwo am Raum.

Ich dachte an die winterlichen Zugfahrten der Deportierten, die Primo Levi beschreibt. Dutzende Leute tagelang zusammengepfercht in einem Viehwaggon, statt Toilette ein Loch im Boden, kein Ofen. Kalt. Sehr kalt.

Hier war es warm, hier traf man Leute. Und ich war sehr froh und glücklich.

Und doch – nach weiteren 50 km kam der Schaffner zurück: „Ich habe drei Plätze für Sie. Kommen Sie mit.“ So war es! Durch den vollgestopften Zug hindurch geleitete er uns an drei Plätze, die eben freigemacht wurden. Durfte ich sittlicherweise den Platz annehmen, wo doch soviele andere Reisende stehen bleiben mussten? Waren wir irgendwie bevorrechtigt? Ich weiß es nicht. Wir haben die Plätze angenommen.  Bis Göttingen reisten wir sitzend auf bequemen Plätzen. Ein klein bisschen schlechtes Gewissen hatte ich doch. Aber dann räumte meine Frau auch schon ein bisschen Platz für eine Russin, so dass auf zwei Plätzen nunmehr drei Menschen saßen, die sich russisch miteinander unterhielten.

Dann stiegen wir um, nahmen die reservierten Plätze im Anschluss-ICE ein und erreichten Berlin mit 13 Minuten Verspätung. Unterwegs spielten wir Mikado und plauderten zwei drei Worte mit Mitreisenden.

Und ich bin sehr froh.  Ich brauche den Volkssport „Auf-die-Bahn-Schimpfen“ nicht. Ich bin ein begeisterter Bahnfahrer. Man kommt ins Nachdenken …

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War das ein Mensch? Stimme aus dem Abgrund: Primo Levi

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Apr 102008
 

Ist das ein Mensch – Se questo è un uomo … Tag um Tag lasse ich mir ein Stück aus dem Bericht des italienischen Chemikers Primo Levi vorlesen, werde fast ungeduldig, wenn andere Verpflichtungen mich abhalten, die Geschichte des Mannes zu hören, der nach Auschwitz transportiert wird und dort im Lager unter schrecklichsten Bedingungen überlebt. Ich wähle diesmal den bequemen Weg des Lauschens am Internet-Radio, denn die RAI bietet die aus italienischer Sicht etwa 50 wichtigsten Romane der Weltliteratur jederzeit abrufbar in ihrer Audiothek „Ad alta voce“ an. Schon beim zweiten Kapitel wird klar, wie leicht Menschen ihrer Würde und ihrer Selbstachtung beraubt werden können: Levi beschreibt es in eindringlichen Bildern, wie die zusammengepferchte Menge europäischer Juden im stockdunklen Viehwaggon zu einer ununterscheidbaren Masse verklumpt, einem bloßen organischen Haufen gleichend. Unbedingt lesenswert ist dieses Buch, ich ziehe es den „Bienveillantes“ des Jonathan Littell, die ich ebenfalls in diesen Tagen Stück um Stück lese, bei weitem vor.

Ich habe in meinem Leben mit einigen Überlebenden deutscher Konzentrationslager in Polen, Russland und Deutschland (auch Überlebenden aus Auschwitz) gesprochen, darunter auch Opfern von medizinischen Experimenten: ich fasse ihre Erzählungen so auf, dass die Art der Behandlung, der sie ausgesetzt waren, vor allem eine Wirkung hatte: sie sollten nicht mehr als Menschen gelten, sondern als Material, organische Masse, Untermenschen, Tiere … und die Methode funktionierte. Sie waren die Nicht-mehr-Menschen, die Unter-Menschen! Auch aus den schriftlichen Zeugnissen der Täter entnehme ich, dass die Ent-Menschlichung der Häftlinge, die Ent-Würdigung zur klumpigen Masse eine ganz wesentliche Voraussetzung für den Massenmord war. Schwierig wurde der Massenmord, wenn das Opfer noch als „meinesgleichen“ erkennbar war … wenn es nach Kleidung, Aussehen und Sprache dem Täter noch allzusehr glich. Irgendwann jedoch waren – dank des Systems der „Vernichtung durch Arbeit“ – diese ausgemergelten, jammervollen Gestalten in den Augen der Vollstrecker nur noch ein Haufen Knochen und Haut, dem nach dem damaligen allgemeinen kulturellen Diskurs in Deutschland keine Menschenwürde zuzuerkennen war.

Einen ganz entscheidenden Beitrag zum System des Massenmordes leisteten damals akademisch bestens ausgebildete deutsche Ärzte, Mediziner, Rasseforscher und Eugeniker.

 Posted by at 00:22