Doch fürcht ich, dass es sich ergetzt, …

 Sexismus  Kommentare deaktiviert für Doch fürcht ich, dass es sich ergetzt, …
Mai 232014
 

„Ach herrje … jetzt sind auf einmal alle unanständigen Wörter in der Öffentlichkeit verboten … Was mach ich bloß mit meiner neuen Oper … muss ich die jetzt umschreiben … oder kürzen … oder ganz wegwerfen …?“ seufzte eine russische Komponistin auf einem der zahlreichen Internetforen, auf denen wir uns tummeln.

„Füg doch einfach immer einen PIEPTON ein, wie in den USA, so weiß dein Publikum, dass es sich hier ein unanständiges Wort hinzudenken muss!“, riet ein Forumsfreund.

„Danke, danke! Ich glaube, meine Oper wird ein Renner – die Leute werden strömen!“, bedankte sich artig und überglücklich die Komponistin.

Kommentar aus deutscher Sicht:

Ja ja, das Publikum!

In der Walpurgisnacht Goethes heißt es ja so treffend über das Publikum:

„Doch fürcht ich, daß es sich ergetzt,

Wenn es die Sittlichkeit verletzt.“

 Posted by at 20:49

Julia K., Bascha M. …. e tutte quante … darf frau heute auch ein paar Pfunde zuviel haben?

 Donna moderna, Familie, Mutterschaft, Rassismus, Sexismus  Kommentare deaktiviert für Julia K., Bascha M. …. e tutte quante … darf frau heute auch ein paar Pfunde zuviel haben?
Feb. 242014
 

„Jedes Lebensjahr mehr bringt für die Frau einen Punkteabzug!“ So beredt klagte einmal Bascha Mika, die bekannte taz-Chefin, die jetzt zur FR wechselt, wozu wir armen Kreuzbergerinnen ihr von Herzen alles Gute wünschen.

In der Tat, die alte oder auch alternde Frau hat es schwerer, sich auf dem Markt zu behaupten, als der alte oder alternde Mann. Dies zu leugnen wäre sexistisch verblendet.

Freundinnen, dennoch gibt es ein Kriterium, das bei Frauen noch verheerender auf die Karrierechancen wirkt als das Lebensalter: starkes Übergewicht. Eine Frau mit starkem Übergewicht schafft es heute nicht mehr in die Öffentlichkeit; sie kann notfalls Rüschenblusen tragen, sie darf ruhig mehrfache Mutter oder (schlimmer noch) eine jener übel beleumundeten  Nur-Hausfrauen-und-Mütter sein, aber sie wird sich mit 10 oder 20 kg sogenanntem „Übergewicht“ gegen die Phalanx der ewig knabenhaften, nahezu alterslosen, kein Gramm zuviel aufweisenden Top-und-Gala-Frauen nie durchsetzen. Das herrliche Gala-Interview mit Julia K. (41), die sich erfolgreich vom weiblich-mütterlichen Erscheinungsbild zum mädchenhaft-knabenhaften Erscheinungsbild herunterfastete, spricht Bände.

Leserinnen, Freundinnen, ich kenne keine übergewichtige Frau in Deutschland, die nicht an diesem Stigma litte. Ich kenne sogar einige Mädchen oder Frauen, die durch diesen öffentlichen Gleichschaltungsdruck schwer krank, ja lebensbedrohlich krank geworden sind.

Beliebiger Tatsachenbeweis dieses, wie ich meine, pathologischen Befundes: SCHROT&KORN, unsere bei Weib&Mann beliebte Öko-Zeitschrift, Ausgabe März 2014! Ich nahm sie vorgestern  beim Einkauf für WEIB&KIND beim Kreuzberger Bio-Markt in der Obentrautstraße mit. Man sollte annehmen, dass im Öko- und Naturkost-Bereich doch auch einmal eine normalgewichtige Frau abgedruckt würde …? Oder ein dicker backender Vati oder eine dicke backende Mutti mit mehreren Kindern? Pustekuchen! Im gesamten Heft gibt es nur schlanke und ranke, nur – nach barocken Kriterien – leicht untergewichtige Frauen. Sicher, es gibt auch mal alternde oder alte Frauen mit Fältchen. Das wäre ja noch schöner, wenn sogar bei uns Ökotussis nur glattgesichtige faltenlose Hungerharken abgebildet würden.

Aber es gibt keine einzige Frau mit Übergewicht, keine dicke, keine nach barocken Kriterien „normalgewichtige“ Frau mit weiblichen Rundungen im redaktionellen und auch nicht im werblichen Teil des Heftes.

Wirklich keine einzige? Haben alle Frauen in den Zeitschriften das Idealgewicht? NEIN! Es gibt eine dicke, mütterliche Frau in diesem Heft: Eine namenlose, nach quasi-amtlichen Kriterien stark übergewichtige, glücklich am Herd kochende Schwarzafrikanerin lächelt uns auf S. 111 von SCHROT&KORN mütterlich&fürsorglich zu. Sie wirbt für „Faires Bio-Palmöl“ von RAPUNZEL.  „Wir machen Bio aus Liebe“. Und SIE kocht offensichtlich mit Wonne aus Liebe zu ihren Kindern und Enkelkindern! Was wohl die BVV-Friedrichshain-Kreuzberg zu so einer sexistischen Werbung sagen würde, wenn jemand sich erdreistete, sie auf einer der vier bezirklichen Werbeflächen anzubringen? Eine Werbung für Bio-Palmöl, die sich dem rassistischen und sexistischen Gleichschaltungsdruck, der heute auf den dicken Frauen in der Öffentlichkeit lastet, widersetzt?

HERRLICH! Die schwarze Afrikanerin oder die Afro-Europäerin oder die Negerin oder die Afro-Deutsche oder die Mohrin (sind doch eh alles rassistische Ausdrücke)  darf das alles noch. Sie darf noch lächelnd kochen, sie darf noch ein paar Pfunde zuviel haben.

Nicht eine Bascha Mika, nicht eine Julia Klöckner und … und … und … alle … tutte quante!

Es gilt für Frauen im Lichte der Öffentlichkeit (nicht für Männer) das eherne Gesetz der medialen Gleichschaltung: DU DARFST NICHT ZUVIEL WIEGEN! Du darfst nicht mütterlich sein. Du darfst nicht einmal mütterlich erscheinen! Sonst wirst du nicht gewählt. Du schaffst es nicht in die GALA, nicht in die BUNTE, nicht in die SCHROT&KORN.

Ist doch eh alles eine Soße – oder eine mediale Pampe, was heute den armen europäischen Frauen abverlangt wird. O Afrikanerinnen, ihr habt es da besser!

 

 Posted by at 12:13

„Zwei Streifen. Schwanger. Panik.“

 Apokalypse, Frau und Mann, Kinder, Mutterschaft, Sexismus  Kommentare deaktiviert für „Zwei Streifen. Schwanger. Panik.“
Feb. 082014
 

„Mach’s. Aber mach’s mit.“ „Gib AIDS keine Chance.“

So der aufmunternde, zupackende Slogan einer großen Präservativwerbungs-Plakataktion der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

AIDS.
Schwangerschaft.
STD  [=Sexually Transmitted Diseases, d.h. Geschlechtskrankheiten].

Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaft, HIV – das sind die drei apokalyptischen Reiter der modernen  Sexualität, vor denen auf unseren Straßen klein und groß von Kindesbeinen an gewarnt werden. Die Botschaft, die die staatlichen Stellen verbreiten,  ist klar: Sex ist selbstverständlich und sollte in allen Variationen bedenkenlos zupackend ausgeübt werden, solange und soweit die drei großen Gefahren für das Glück und die Gesundheit der den Sex Ausübenden zuverlässig vermieden werden: Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaft und AIDS.

Sex ist gut, soweit und sofern die drei großen Gefahren Schwangerschaft, AIDS und sexuell übertragene Krankheiten zuverlässig vermieden werden. Diese Lehre ist heute zentral verankert  im schulischen Sexualkundeunterricht, auf den Plakaten,  in den Ratgebern und den Broschüren, die reichlich an Kinder und Jugendliche ausgereicht werden.

Neuerdings rückt neben HIV, dem Kindesmissbrauch und den sexuell übertragbaren Krankheiten  die Schwangerschaft wieder als besondere gesundheitliche und soziale Gefährdung der Frau in den Blickpunkt. Lara Fritzsche hat dazu vor wenigen Tagen einen sehr profunden Artikel veröffentlicht. Er fängt so an:

An ihren ersten Gedanken erinnert sich Louisa Bartel noch genau. Sie schämt sich dafür, und doch – das weiß sie – wäre es heute wieder das Erste, was ihr in dem Moment einfiele. Sie hatte den Schwangerschaftstest neben der Toilette auf dem Badewannenrand liegen gelassen und war mit langsamen Schritten einmal die ganze Wohnung abgegangen. Als sie wieder ins Bad zurückkam, waren sicher drei Minuten verstrichen. Das Ergebnis: zwei Streifen, schwanger. Und ihr erstes Gefühl: Panik. Weil sie die vielen alten Ängste alle auf einmal wieder einholen.

Schwangerschaft wird heute in den Medien als etwa Krankmachendes, Angsteinflößendes, die Frau Entstellendes dargestellt. Etwa 10% der Frauen reagieren laut eine Studie der Universität London heutzutage  mit Essstörungen, mit Magersucht, Hungerperioden, Abführmitteln und Darmspülungen auf das medial grundsätzlich abgelehnte  Zustandsbild der Schwangerschaft. Gefragt ist heute die Kaschierung, Verleugnung, Unterbrechung oder ggf. Verkürzung der Schwangerschaft mittels planvollen Kaiserschnitts.

Schwangerschaft – ein unerwünschtes Ereignis. Zwei Streifen=Schwanger=Panik. Eine sehr schöne Erzählung hat zu genau diesem Thema vor wenigen Tagen der junge, in Russland lebende, folglich auf Russisch schreibende Autor Changeant Trapier mit seiner Erzählung Две полоски /Zwei Streifen vorgelegt. Er leuchtet hinein in all die Vorgänge des Erschreckens, des Nicht-Wahrhabenwollens, des Verleugnens, die mit diesem grundsätzlich unerwünschten Zustand der Schwangerschaft einhergehen.  Eine Frau, die ungewollt schwanger geworden ist, sendet dem Erzeuger des Kindes einen Umschlag mit dem Pappträger, auf dem die zwei verhängnisvollen  Streifen zu sehen sind. Wie reagiert nun der Mann? Es lohnt sich, diese sanft und unaufdringlich  auf mehreren Ebenen zugleich spielende Erzählung des französischen Schriftstellers  zu lesen, der für einen Mann eine erstaunliche Einfühlungsgabe in die Psyche einer schwangeren Frau, mehr noch in die Psyche eines ungewollt zum Vater werdenden Mannes  beweist.

Zwei enge Freunde – Reinhard und Gottfried – unterhalten sich von Mann zu Mann über die verräterische Botschaft der zwei Streifen.  Ein Zitat:

Готфрид улыбнулся и вдруг его взгляд упал на картонную полоску, лежащую поверх черновиков статьи, исчирканных пометками Рейнхарда и Вебера. Его рука дрогнула и кофе выплеснулся, обжигая ему пальцы. Готфрид аккуратно поставил чашку между бумагами и ладонь стиснула край стола, так сильно, что костяшки пальцев побелели. Рейнхард знал, что Готфрид не произнесет ни слова, но он прекрасно понимал, что надо спросить, и возможно он сам получит объяснения.

—Марике прислала, ничего не понимаю. Знаешь, что это?

—Да, —через силу трудно проговорил Готфрид, —Знаю.

—И что же? —Рейнхард сделал еще глоток горячего кофе, он знал, что Готфрид не скажет, если не спросить.

Но друг молчал. Рейнхард удивленно поднял глаза, и увидел, что Готфрид бел, как бумажный лист. Не глядя на него, Готфрид отпустил край стола, за который держался так крепко, словно не мог стоять без поддержки, закинул руки за шею и начал наощупь развязывать узел шнура. Развязал.

—Это ребенок, Рейнхард.

Dieser kleine Abschnitt aus der längeren Erzählung zeigt zugleich auch, was hinter der Ablehnung der Schwangerschaft stehen dürfte: die Angst davor, ein Kind in die Welt zu setzen. Ein KIND also! So ein Unfall! Ein vermeidbarer Unfall obendrein. Hinter der Ablehnung der Schwangerschaft dürfte in unseren Gesellschaften  häufig auch die Ablehnung des Kindes stecken. Ein Kind, das bedeutet letztlich das Gefühl, dass etwas ins Leben der Erwachsenen eintreten könnte, das Karriereplanungen, Vorzeigbarkeit und Fitnessprogramme durcheinanderbringt. Hinter dem großen, zu vermeidenden Unfall Schwangerschaft lauert also der größere zu vermeidende Unfall Kind.

Tja, Freunde, so ist das heute. Schwangerschaft ist ein krankheitsähnlicher Zustand, das Kind ein vermeidbarer Zufall oder Unfall. So wird das heute landläufig dargestellt.  So wird es den Kindern und Jugendlichen heute beigebracht.

Ich empfehle den profund schürfenden Essay von Klara Fritzsche über das tausendfach verfestigte Negativ-Image der Schwangerschaft und die subtil fesselnde Erzählung des auf Russisch schreibenden französischen Blog-Autors Changeant Trapier nachdrücklich der Lektüre der unermüdlichen Aufklärer, Warner, Mediziner, Psychologen und Lehrer.

Quellenangaben:

Lara Fritzsche:
Unguter Hoffnung. Süddeutsche Zeitung Magazin, Nummer 5, 31. Januar 2014, S. 8-13

nachzulesen hier:
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41477

Changeant Trapier:
Две полоски  [„Zwei Streifen“]. Post in trapier.livejournal vom 30. Januar 2014

nachzulesen hier:
http://trapier.livejournal.com/263523.html

 Posted by at 18:01
Juni 072013
 

Die steuerliche Gleichstellung der homosexuellen Partnerschaften mit der Mann-Frau-Ehe ist nur konsequent. Sie war überfällig. Sie entspricht dem gesellschaftlichen Megatrend. Das Recht zur assistierten Kindererzeugung, das Recht zur Kindererziehung und das Recht zur Kinderadoption unabhängig von biologischer Elternschaft, also auch ohne Einschränkung für homosexuelle Eltern werden in nicht ferner Zukunft folgen müssen.

Dies ist eine in Teilen wenigstens durchaus neuartige Entwicklung. Denn Homosexualität gab es zwar immer und wird es immer geben. Im alten Griechenland wurde sie sogar kulturell höher geschätzt als die fortpflanzungsgerichtete, kulturell „niedrigere“ Krethi-und-Plethi-Heterosexualität. Auch die Ablösung der Kindererzeugung und Kinderzucht von der späteren, der  gesellschaftlich anerkannten  Elternschaft wurde gelegentlich praktiziert – so etwa im alten Kriegerstaat Sparta, in der Knabenlese der Orientalen, beim Homunculus in Goethes Faust II,  im Lebensborn der Nazis, in Zwangsadoptionen der Kinder australischer Aborigines, bei denen noch im 20. Jahrhundert den biologischen Eltern ihre Kinder im Namen eines übergeordneten Interesses geraubt wurden.

 Jahrtausendelang galt aber  über die gesamte bekannte Menschheitsgeschichte die Ehe zwischen Mann und Frau – funktional gesehen – im wesentlichen als die überragende, die tragende und die grundlegende Einrichtung zum Zeugen, Hegen und Pflegen der später einmal arbeitsfähigen Kinder, zum Pflegen und Versorgen der greisen, nicht mehr arbeitsfähigen Eltern und der Älteren.

Diese als absolut unersetzlich erkannte Grundfunktion der Ehe zwischen Mann und Frau sowie des in die Ehe hineingebetteten, biologisch begründeten Eltern-Kind-Bandes wurde jahrtausendelang in Religionen und Mythen, in Dichtung und Poesie, in Recht und Gesetz besungen, verklärt, ausgeschmückt, gepriesen und geheiligt.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland stellte eingedenk der schlimmen Erfahrungen der berüchtigen 12 nationalsozialistischen Jahre, in denen die Rasse und die Macht der Nation alles, die Familie nichts galt, noch einmal ausdrücklich Ehe und Familie unter seinen besonderen Schutz.

Die Familie, gesehen als biologisch begründete Abstammungsgemeinschaft, war nach allgemeiner Überzeugung die Keimzelle und das Fundament der Gesellschaften. Wenn die Frauen das Austragen, Gebären und Stillen der Neugeborenen in ausreichender Anzahl verweigerten oder wenn aus anderen Gründen nicht mehr genug Kinder geboren und ernährt werden konnten, schrumpften die Gesellschaften oder „Völker“, wie man früher sagte, und starben schließlich weg.

Heute gilt die Ehe dagegen – funktional gesehen – als Band der Gefühle, ferner als Institut gegenseitiger Absicherung zwischen erwachsenen, gleichberechtigten, arbeitsfähigen Menschen. Ihr Zweck und ihr Sinn wird im wesentlichen auf Liebe zwischen Erwachsenen begründet, weshalb sie seit etwa 200 Jahren ja gern auch als „Liebesbund“ bezeichnet wird. Kinder gelten als nicht mehr notwendiges Beiwerk der Partnerschaft der Erwachsenen und des Sozialstaates, ein Beiwerk, das nach eigenem Willen der Erwachsenen, nach eigenen Bedürfnissen der Erwachsenen kommen darf oder auch ohne Umschweife verhindert wird.

Der Zusammenhang zwischen verantwortlicher Sexualität, Ehe, Kindererziehung,  Altenpflege und Fortbestand der Gesellschaft ist somit endgültig entkoppelt.

Jetzt übernimmt der Staat durch seine vermeintlich selbsttragenden Sozial-, Wirtschafts-  und Versorgungssysteme die gesamte Letztverantwortung dafür.  Der Staat sorgt für alle. Die Politik versorgt alle. Staat und Politik, Bundesverfassungsgericht und fast alle Parteien  erteilen nunmehr folgerichtig allen Formen der Sexualität, allen Formen der Partnerschaft zwischen Menschen gleichermaßen und gezwungenermaßen ihren Segen, fördern alle Formen der auf Dauer angelegten Partnerschaft erwachsener Menschen gleichermaßen.  Ein grundlegender Unterschied in der Natur des Mannes und der Frau wird auch rechtlich nicht mehr anerkannt. Geschlechterrollen gelten als ausschließlich kulturell bedingt. Ein echtes Interesse am Fortbestehen der Gesellschaft darf sich nicht mehr artikulieren.

Die deutsche Gesellschaft schrumpft infolge dieses grundlegenden Wertewandels.  Kinder kommen irgendwie nicht mehr so recht zur Welt.  Während in früheren Jahrtausenden die Kinder als Segen der Älteren galten, müssen heute die Kinder regelrecht ihren Eltern dankbar sein, dass sie zur Welt kommen durften, denn etwa 100.000 Abtreibungen finden  in Deutschland bei etwa 600.000-700.000 Lebendgeburten pro Jahr statt.

Es gilt heute als weithin anerkanntes, unumstößliches Gesetz: Kinder kommen  nach den Wünschen und den Bedürfnissen der Erwachsenen zur Welt. Die Erwachsenen entscheiden nach ihrer jeweiligen Interessenlage oder auch nach der volkswirtschaftlichen Gesamtlage, ob ein Kind erwünscht oder unerwünscht ist, ob frau oder man es sich leisten kann oder nicht. Die materielle Interessenlage der erwachsenen, gesunden und arbeitsfähigen Menschen und die Volkswirtschaft stehen eindeutig im Vordergrund. Durch finanzielle Anreize meint der Staat die Kinderzahl erhöhen zu können.

Die Themen Altern, Pflegebedürftigkeit, Demenz, Alterseinsamkeit werden hartnäckig  abgeschoben. Am schlimmsten ist darunter übrigens bereits heute die Vereinsamung der pflegebedürftigen Alten. Gegenüber der Alterseinsamkeit ist die vielbeschworene Altersarmut ein Klacks, ein Kinderspiel sozusagen!

Weg mit diesen trüben Gedanken!  Das gegenwärtige materielle, finanzielle und vor allem das politische Wohlergehen der gesunden, erwachsenen, arbeitsfähigen und wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger, die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des 4-jährigen Planungshorizontes steht ganz vorne! Dem dienen die Politiker. Das verlangen die Wählerinnen und Wähler. An das, was in 20 oder 30 Jahren mit der Gesellschaft geschehen mag, denkt kaum jemand.

Das Motto scheint zu lauten: „Gib, o güt’ger Staat, uns Erwachsenen Deinen Segen zu allem, was wir tun und lassen wollen – und schenke uns dein Geld!“

 

 

 Posted by at 12:33
März 112010
 

„Iiii – wie eklig – der isst Salami“, diese Reaktionen muslimischer Mitschüler höre ich von Kreuzberger Grundschülern, die der nichtmuslimischen Minderheit angehören, wenn sie ihr Pausenbrot auspacken. Und immer wiede sehe ich junge Männer der Mehrheit, wie sie besonders auffällig und wiederholt auf die Erde spucken. Und Mädchen oder junge Frauen aus der nichtmuslimischen Neuköllner Minderheit berichten von häufigen sexuellen Belästigungen und machohafter Anmache, wenn sie allein auf der Straße gehen.“Ich habe keine Lust mehr, mich dauernd von den Jungs beleidigen zu lassen“, sagen diese Frauen. Viele deutsche Familien sind schon aus Neukölln weggezogen.

„Die Themen, die den Muslimen unter den Nägeln brennen wie Alltagsrassismus oder Islamophobie sind nicht einmal erwähnt worden.“ So Aiman Mazyek heute auf S. 5 der Süddeutschen Zeitung.

Angst deutscher Mädchen vor sexueller Anmache durch moslemische junge Männer, Verspottung und Lächerlichmachen von Schweinefleischverzehrern, ostentatives Spucken von Halbstarken auf den Berliner Boden … ist das alles schon Rassismus oder Islamophobie?

I wo! Es ist mangelnde Erziehung, eine Selbstabgrenzung der muslimischen Bevölkerung, eine Mischung aus dumpfen kulturell-religiösen muslimischen Überlegenheitsansprüchen und gefühlter ökonomischer Unterlegenheit. Mit Rassismus hat dies beileibe nichts zu tun.

Als echten Rassismus würde ich allenfalls die in Kreuzberg und Neukölln weitverbreiteten judenfeindlichen Einstellungen bezeichnen. Und dafür – also für die Bekämpfung antisemitischer und homophober Vorurteile unter moslemischen Jugendlichen – stellt die Stadt Berlin ja in diesem Jahr 1,9 Millionen Euro bereit.

„Diese Bank ist nur für Weiße“, so berichtete die letzte Sendung mit der Maus aus Südafrika. Südafrika war bis 1991 ein rassistischer Staat! In ganz Europa herrschte im 19. Jahrhundert bis weit in die dreißiger und vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts ein rassistischer Unterton.

„Alltagsrassismus und Islamophobie“  – mit diesen allzu häufig, inflationär ausgespielten Karten wollen manche migrantischen Verbände ihren Opferstatus befestigen. Darin sind sie Meister. Grotesk!

Muslime erwägen, den Dialog mit de Maizière zu beenden – Islamkonferenz vor dem Aus – Service – sueddeutsche.de
Mazyek kritisierte auch die inhaltliche Neuorientierung der Konferenz: „Die Themen, die den Muslimen unter den Nägeln brennen wie Alltagsrassismus oder Islamophobie sind nicht einmal erwähnt worden.“ Auch die Zusammensetzung des Gremiums ist den Verbänden zuwider.

 Posted by at 11:38
Apr. 132009
 

Vorgestern nannten wir, gestützt auf unsere Gespräche mit türkischen, arabischen und deutschen Jugendlichen, diese Generation eine Generation der verlorenen Söhne. „Ich ficke deine Mutter“, „hey du Schlampe“, „du Opfer“, „du Jude“ und ähnliches sind einige jener häufigen Kraftausdrücke und Flüche, wie sie mittlerweile an deutschen Schulen, in deutschen Schwimmbädern gang und gäbe sind. Ich habe sie selbst oft gehört. Ungelöste Nöte mit der eigenen Sexualität, traditionelle Judenfeindschaft, Verachtung für die Schwachen, eine Verachtung der als allzu freizügig empfundenen westlichen Gesellschaften, eine Verachtung des eigenen Selbst, panische Angst vor Homosexualität,   – dies und vieles mehr drücken sich darin aus. An der Wurzel scheint eine völlige Orientierungslosigkeit, eine nüchterne Einsicht in die eigene Chancenlosigkeit zu stehen, ein hilfloses Suchen nach Halt, nach einem wie immer gearteten männlichen Vorbild, – und vor allem möchte man der Dominanz der Mütter und Schwestern entkommen.

Die deutsche Schule reagiert darauf offenkundig nicht oder nur ungenügend. Sie ist überfordert. Die Politik schaut ohnmächtig zu. Welches kulturelle Angebot können wir den türkischen und arabischen, den deutschen Jungmännern machen? Gibt es in der deutschen Kultur ein Werk, das diesen muslimisch geprägten Jugendlichen eine Auseinandersetzung mit ihrem eigenen Selbstbild ermöglicht? Ich sage: Ja! Ich schlage dazu vor ein Werk eines heute weitgehend in Vergessenheit geratenen Autors, den aber noch die Generation meiner Tanten (die nur die Volksschule besucht hatten), auswendig kannte. Er gehörte früher einmal zu den Dichtern, die die Deutschen kannten und liebten.

Heute kennen die Deutschen ihre Dichter nicht mehr, lesen sie nicht mehr an der Schule, lernen sie nicht im Kindergarten kennen, und folglich können sie auch nicht wissen, was sie zu verlieren drohen. Man vertreibt sich die Zeit mit Einheitsbrei, mit Fernsehsülze und Dudelmusik. Im Deutschunterricht wird heute offenbar nichts Wesentliches aus der Vergangenheit mehr gelesen. Folglich wird den türkischen und arabischen Jungdeutschen auch kein brauchbares Identifikationsangebot gemacht.

In Friedrich Schillers Drama „Die Räuber“ können türkisch-deutsche und arabisch-deutsche Jugendliche eine taugliche Folie finden, in denen sie ihre eigenen Nöte wie in einem fernen Spiegel erkennen.

Zunächst einmal: In dem Stück wird kräftig und ausdauernd geflucht und geschimpft, es sind pubertäre Ergießungen, die den Kreuzberger Jungdeutschen im Prinzenbad sicherlich das Wasser reichen können. Und es wird geplündert und gebrandschatzt, dass die linksautonomen Brandstifter, die reihenweise Autos in Friedrichshain-Kreuzberg anzünden, ihre helle Freude hätten! Eine ganze böhmische Stadt wird durch die Räuber in Schutt und Asche gelegt – da können selbst unsere Jungs aus dem schwarzen Block nicht mithalten. Was den Schillerschen Räubern, den Jugendgangs aus Neukölln und dem schwarzen Block der Kreuzberger deutschen Linksautonomen gemeinsam ist: Jede individuelle Verantwortung wird abgelehnt, man versteckt sich im Dunklen, im schwarzen Block, im türkisch-arabischen Gruppen-Ich, das jede Selbstbefreiung verhindert. Man steht nicht zu dem, was man tut, sondern schiebt die Schuld auf andere.

Die Frauen werden  regelmäßig als Hure oder Metze bezeichnet – dies entspräche dem Ausdruck Schlampe im heutigen Neuköllner Männerbewusstsein. Der Räuberhaufen rühmt sich auch mit besonderer Inbrunst, wie er ein Frauenkloster überfällt, plündert und die Nonnen dann einer Massenvergewaltigung unterwirft. Grausamkeiten, wie sie viel später in deutschen KZs an der Tagesordnung waren, werden in Schillers Stück bereits vorweggenommen. So erzählt das Gang-Mitglied Schufterle, wie er ein Kleinkind in den Feuertod stürzt:

Armes Tierchen, sagt ich, du verfrierst ja hier, und warfs in die Flamme.

In der Gestalt des Banditen Spiegelberg wiederum haben wir das Zerrbild eines Juden vor uns, wie ihn die düsterste Phantasie eines rabiaten Berliner Antisemiten auf einer Al-Quds-Demo nicht besser ersinnen könnte.

Meisterhaft schildert Schiller sodann die Selbstrechtfertigung des Karl Moor: Seine Verbrechen rechtfertigt Moor damit, dass die Herrschenden, also die Gerichtsherren, die Fürsten, die Pfaffen erbarmungslos das Volk ausplünderten und bis aufs Blut aussaugten! Das ist leidenschaftlich erregte Kapitalismuskritik,  wie sie „im Buche steht“. Karl Moor sagt:

„Mein Handwerk ist Wiedervergeltung – Rache ist mein Gewerbe.“

Exakt dieses Grundmuster werden wir dann ab 1977 im deutschen Herbst wiederfinden. Die RAF – etwa Andreas Baader, Ulrike Meinhof und alle die anderen – hing bekanntlich ebenfalls dem pathologischen Wahn an, sich an der herrschenden Klasse rächen zu müssen für all das, was die herrschende Klasse dem Volk angetan hatte – auch in den Jahren 1933-1945. Was für eine Verblendung, was für eine Wiederkehr des Gleichen macht Schiller hier sichtbar!

Ein erster Titel, den Schiller für sein erstes Drama wählte, lautete übrigens: „Der verlorene Sohn oder die umgeschmolzenen Räuber“. Welches Stück könnte besser auf unsere verlorenen Söhne passen!

Ich nehme an, dass dieses Stück von Friedrich Schiller an Berliner Schulen ebensowenig gelesen wird wie die Gedichte Hölderlins oder Bismarcks Lebenserinnerungen, ebensowenig wie das Kommunistische Manifest, der Koran, der Talmud oder das Neue Testament. Kein Kleist, kein Sigmund Freud, kein Goethe. Kein Nazim Hikmet. Keine Hadith.

Dabei bieten Schillers Räuber ein ideales Laboratorium der unfertigen, mit sich selbst mühsam ins Reine kommenden Männlichkeit. Würden Hauptschüler sich damit auseinandersetzen – etwa indem sie dieses Stück selbst erarbeiten und dann auf die Bühne bringen – sie hätten die riesige Chance, einen vergessenen Schatz der deutschen Kultur dem Vergessen zu entreißen. Und zugleich würden sie in einer Art Probehandeln die eigenen, zutiefst destruktiven Impulse beherrschen und umwandeln lernen. Sie könnten sich selbst gewissermaßen – wie im urspünglichen Titel angedeutet – „umschmelzen“.

Sie würden durch die praktische Theaterarbeit endlich auch eine gute, akzentfreie deutsche Aussprache lernen. Denn selbst das bringen die Berliner Schulen unseren Kindern nicht bei. Ich höre bei den arabischen und türkischen Jungdeutschen viel Nuscheln, Durch-die-Zähne-Sprechen, Stottern, Stammeln, Lallen.

Ich bin überzeugt: Durch die intensive Befassung mit Friedrich Schillers „Die Räuber“ könnte ein Beitrag zu dem geleistet werden, was Necla Kelek die „Befreiung des türkisch-muslimischen Mannes“ nennt.

Die Boote liegen zur Abfahrt bereit.

Um mehr zu erfahren: Besucht das Prinzenbad und das Spreewaldbad in Kreuzberg! Sprecht mit den Jungs, hört ihnen zu!

Lest mehr dazu in: Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Erster Band. Gedichte. Dramen I. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 8., durchgesehene Auflage, Darmstadt 1987, darin: Die Räuber. S. 481-638

 Posted by at 18:03