Feb 082014
 

„Mach’s. Aber mach’s mit.“ „Gib AIDS keine Chance.“

So der aufmunternde, zupackende Slogan einer großen Präservativwerbungs-Plakataktion der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

AIDS.
Schwangerschaft.
STD  [=Sexually Transmitted Diseases, d.h. Geschlechtskrankheiten].

Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaft, HIV – das sind die drei apokalyptischen Reiter der modernen  Sexualität, vor denen auf unseren Straßen klein und groß von Kindesbeinen an gewarnt werden. Die Botschaft, die die staatlichen Stellen verbreiten,  ist klar: Sex ist selbstverständlich und sollte in allen Variationen bedenkenlos zupackend ausgeübt werden, solange und soweit die drei großen Gefahren für das Glück und die Gesundheit der den Sex Ausübenden zuverlässig vermieden werden: Geschlechtskrankheiten, Schwangerschaft und AIDS.

Sex ist gut, soweit und sofern die drei großen Gefahren Schwangerschaft, AIDS und sexuell übertragene Krankheiten zuverlässig vermieden werden. Diese Lehre ist heute zentral verankert  im schulischen Sexualkundeunterricht, auf den Plakaten,  in den Ratgebern und den Broschüren, die reichlich an Kinder und Jugendliche ausgereicht werden.

Neuerdings rückt neben HIV, dem Kindesmissbrauch und den sexuell übertragbaren Krankheiten  die Schwangerschaft wieder als besondere gesundheitliche und soziale Gefährdung der Frau in den Blickpunkt. Lara Fritzsche hat dazu vor wenigen Tagen einen sehr profunden Artikel veröffentlicht. Er fängt so an:

An ihren ersten Gedanken erinnert sich Louisa Bartel noch genau. Sie schämt sich dafür, und doch – das weiß sie – wäre es heute wieder das Erste, was ihr in dem Moment einfiele. Sie hatte den Schwangerschaftstest neben der Toilette auf dem Badewannenrand liegen gelassen und war mit langsamen Schritten einmal die ganze Wohnung abgegangen. Als sie wieder ins Bad zurückkam, waren sicher drei Minuten verstrichen. Das Ergebnis: zwei Streifen, schwanger. Und ihr erstes Gefühl: Panik. Weil sie die vielen alten Ängste alle auf einmal wieder einholen.

Schwangerschaft wird heute in den Medien als etwa Krankmachendes, Angsteinflößendes, die Frau Entstellendes dargestellt. Etwa 10% der Frauen reagieren laut eine Studie der Universität London heutzutage  mit Essstörungen, mit Magersucht, Hungerperioden, Abführmitteln und Darmspülungen auf das medial grundsätzlich abgelehnte  Zustandsbild der Schwangerschaft. Gefragt ist heute die Kaschierung, Verleugnung, Unterbrechung oder ggf. Verkürzung der Schwangerschaft mittels planvollen Kaiserschnitts.

Schwangerschaft – ein unerwünschtes Ereignis. Zwei Streifen=Schwanger=Panik. Eine sehr schöne Erzählung hat zu genau diesem Thema vor wenigen Tagen der junge, in Russland lebende, folglich auf Russisch schreibende Autor Changeant Trapier mit seiner Erzählung Две полоски /Zwei Streifen vorgelegt. Er leuchtet hinein in all die Vorgänge des Erschreckens, des Nicht-Wahrhabenwollens, des Verleugnens, die mit diesem grundsätzlich unerwünschten Zustand der Schwangerschaft einhergehen.  Eine Frau, die ungewollt schwanger geworden ist, sendet dem Erzeuger des Kindes einen Umschlag mit dem Pappträger, auf dem die zwei verhängnisvollen  Streifen zu sehen sind. Wie reagiert nun der Mann? Es lohnt sich, diese sanft und unaufdringlich  auf mehreren Ebenen zugleich spielende Erzählung des französischen Schriftstellers  zu lesen, der für einen Mann eine erstaunliche Einfühlungsgabe in die Psyche einer schwangeren Frau, mehr noch in die Psyche eines ungewollt zum Vater werdenden Mannes  beweist.

Zwei enge Freunde – Reinhard und Gottfried – unterhalten sich von Mann zu Mann über die verräterische Botschaft der zwei Streifen.  Ein Zitat:

Готфрид улыбнулся и вдруг его взгляд упал на картонную полоску, лежащую поверх черновиков статьи, исчирканных пометками Рейнхарда и Вебера. Его рука дрогнула и кофе выплеснулся, обжигая ему пальцы. Готфрид аккуратно поставил чашку между бумагами и ладонь стиснула край стола, так сильно, что костяшки пальцев побелели. Рейнхард знал, что Готфрид не произнесет ни слова, но он прекрасно понимал, что надо спросить, и возможно он сам получит объяснения.

—Марике прислала, ничего не понимаю. Знаешь, что это?

—Да, —через силу трудно проговорил Готфрид, —Знаю.

—И что же? —Рейнхард сделал еще глоток горячего кофе, он знал, что Готфрид не скажет, если не спросить.

Но друг молчал. Рейнхард удивленно поднял глаза, и увидел, что Готфрид бел, как бумажный лист. Не глядя на него, Готфрид отпустил край стола, за который держался так крепко, словно не мог стоять без поддержки, закинул руки за шею и начал наощупь развязывать узел шнура. Развязал.

—Это ребенок, Рейнхард.

Dieser kleine Abschnitt aus der längeren Erzählung zeigt zugleich auch, was hinter der Ablehnung der Schwangerschaft stehen dürfte: die Angst davor, ein Kind in die Welt zu setzen. Ein KIND also! So ein Unfall! Ein vermeidbarer Unfall obendrein. Hinter der Ablehnung der Schwangerschaft dürfte in unseren Gesellschaften  häufig auch die Ablehnung des Kindes stecken. Ein Kind, das bedeutet letztlich das Gefühl, dass etwas ins Leben der Erwachsenen eintreten könnte, das Karriereplanungen, Vorzeigbarkeit und Fitnessprogramme durcheinanderbringt. Hinter dem großen, zu vermeidenden Unfall Schwangerschaft lauert also der größere zu vermeidende Unfall Kind.

Tja, Freunde, so ist das heute. Schwangerschaft ist ein krankheitsähnlicher Zustand, das Kind ein vermeidbarer Zufall oder Unfall. So wird das heute landläufig dargestellt.  So wird es den Kindern und Jugendlichen heute beigebracht.

Ich empfehle den profund schürfenden Essay von Klara Fritzsche über das tausendfach verfestigte Negativ-Image der Schwangerschaft und die subtil fesselnde Erzählung des auf Russisch schreibenden französischen Blog-Autors Changeant Trapier nachdrücklich der Lektüre der unermüdlichen Aufklärer, Warner, Mediziner, Psychologen und Lehrer.

Quellenangaben:

Lara Fritzsche:
Unguter Hoffnung. Süddeutsche Zeitung Magazin, Nummer 5, 31. Januar 2014, S. 8-13

nachzulesen hier:
http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/41477

Changeant Trapier:
Две полоски  [„Zwei Streifen“]. Post in trapier.livejournal vom 30. Januar 2014

nachzulesen hier:
http://trapier.livejournal.com/263523.html

 Posted by at 18:01

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