Fröhliche lachende glückliche Menschen an der Ecke Kottbusser Tor/Izmir Köftecisi, auf der Strecke und am Rand der Strecke. Es ist ein Sonntag der Seele, ich empfinde Glück. Noch lachen die Läufer – beste Bedingungen: eher kühl, kein Regen, ab und zu Sonnenschein. Musikalische Kulisse: Live-Musik gespielt von Bands und Kapellen und rennenden Musikanten von türkischem Pop über Swing zu Schweizer Kuhglocken.
Im Tagesspiegel von heute, 30.09.2007, erzählt Claude Martin, scheidender französischer Botschafter, von den Berliner Erfahrungen, rühmt Berlins gesunde Weltoffenheit, lobt Kreuzberg – „vielleicht der beste Teil meines Aufenthalts in Deutschland“- , drückt sein Vertrauen in die deutsche Demokratie aus, outet sich als begeisterter Radler. Wow! Und wir waren Kieznachbarn, er hat früher bei mir um die Ecke in der Großbeerenstraße gewohnt. Das Interview ist ein Meisterwerk der politischen Kommunikation. Besser kann man für Berlin und Deutschland nicht werben. Bekomme Lust, das Interview 100 Mal zu vervielfältigen und an ein paar Straßenecken zu kleben und auch ein paar Miesepetern von der „Berlin-ist-Schlusslicht“-Fachabteilung unter die Nase zu halten mit den Worten: „Berliner, schaut auf diese Stadt! … und erkennt! … dass ihr diese Stadt nicht schlechtreden dürft!“ Tosender Beifall.
Interview lesen: http://www.tagesspiegel.de/politik/international/Interview;art123,2390406
Lese einen aufschlussreichen Bericht vom deutschen Orientalistentag in der Süddeutschen Zeitung vom 29.09.2007. Verfasser ist Stefan Weidner, dessen Übersetzungen des Lyrikers Adonis mir sehr beim Eintreten in die orientalische Welt geholfen haben. Die islamistische Bedrohung habe das ganze Fach mittlerweile wachgerüttelt, freilich auf Kosten der Künste und der Literatur. Weidner referiert den Festvortrag von Patricia Crone: „Der Islam, darf man Crone deuten, ist in einem Teufelskreis gefangen: Ohne Säkularisierung kein Bruch mit dem tradierten Religionsverständnis; ohne Bruch mit dem traditionellen Verständnis keine Vereinbarkeit des Islams mit der säkularen Gesellschaft. Hoffnungsträger sind deshalb die Muslime, die im säkularisierten Westen leben; sie allein können ungefährdet aus diesem Kreis herausspringen.“ Darüber hinaus berichtet Weidner von einem Theologen, der die kühne These aufstellt, der frühe Islam sei eine christliche Sekte gewesen. „Mohammed (der Gepriesene) sei kein Eigenname, sondern bezeichne Jesus Christus.[…] Koranische Aussagen über die Einheit Gottes im Vergleich mit dem Deuteronomium und dem Nicaenischen Glaubensbekenntnis entpuppten sich als bewusster Gegenentwurf zu den christlich jüdischen Vorbildern.“ Ein sehr lesenswerter Artikel!
Diese drei aus Vorderasien stammenden Religionen, also zuerst das Judentum, daraus das Christentum und zuletzt der Islam, der beide zu überbieten versucht, gehören weiterhin zu den maßgeblichen Leitkulturen für riesige Gebiete der Erde, darunter unser Europa, der Nahe und Mittlere Osten, Nord- und Südamerika, Australien, Teile Südostasiens.
Spricht man mit Muslimen oder steckt man die Nase in den Koran, dann treten die Ähnlichkeiten und Abhängigkeiten zwischen jüdischen, christlichen und islamischen Aussagen sehr deutlich hervor.
Ich werde weiterhin das Gespräch mit Muslimen in Kreuzberg pflegen. Wir sind hier im Vergleich zu den Orientalisten unvergleichlich privilegiert, weil wir tagtäglich zum Nulltarif das Eigene im Anderen entdecken können – und das alles obendrein in Sichtweite des Jüdischen Museums, in das in sechs Jahren 4 Millionen Besucher aus aller Welt geströmt sind. Kreuzberg ist ein großartiger Platz – ich bin dankbar, dass ich hier lebe!
Radelte in strömendem Regen von der Arbeit nachhause. An meinem guten Abus-Schloss hatten sich „Interessenten“ zu schaffen gemacht und die Plastikumhüllung tatsächlich schon abgeschnitten! Weiter sind sie nicht gekommen. Nach zwei Tagen fand ich endlich wieder Zeit, um Geige zu spielen. Griff zu der fast schon vergessenen Reinel-Geige von 1937, da meine Leib- und Magengeige gerade zwecks Einstellung und Überholung beim Geigenbauer ist. Die Reinel-Geige zeigt sich verschnupft und muss erst wieder aufgetaut werden. Ich arbeite dazu an Ernest Bloch, Baal Shem, Three Pictures of Chassidic Life. Am besten passt mir heute das dritte Stück daraus, Simchas Torah – es ist der Abschlusstag von Sukkot, dem Laubhüttenfest. Eine schwelgerische, kraftvolle, eindringliche Musik, aufgebaut aus einfachen Elementen. Geigerisch weniger schwierig, aber sehr wirkungsvoll! Nehme mir vor, am Thema „Wiederholung“ zu arbeiten. Ein Motiv, das mehrfach vorkommt, verändert sich. Versuche, spannend zu spielen, auch wenn die Klavierbegleitung fehlt. Habe kein Kolophonium im Haus; das ist eine gute Übung – ich versuche, den Boden so innig in Kontakt zur Saite zu bringen, dass er geradezu festklebt, auch ohne Bogenharz.
Im Jüdischen Museum in der Lindenstraße gibt es ja das neue Glasdach, mit dem Architekt Libeskind auf das Laubhüttenfest hinweist, in dem das Wohnen des Menschen im Angesicht des Gartens Eden beginnt. Möchte am Wochenende unbedingt hingehen! Zum Laubhüttenfest wird das Gebet um Regen gesprochen. Und Regen kam! Regen pladderte um die Beine, kroch in die Kleidung, durchnässte die Schuhe. Flüchtige Blicke, aufgelöste Haare, dicker BMW hält hart am Randstein und versperrt den Radlern das Weiterkommen. Aber er hat keine Chance, ich umkurve ihn. So geht es voran im strömendem Regen, heute. Und das war der Tag.
Dies ist mein persönliches Blog. Hier notiere ich Erfahrungen und Gedanken, wie sie in der langen Kette der Tage auftauchen. Ich möchte sie vor dem Verschwinden bewahren und in die Welt schicken. Themen sind Politik, Musik, Kultur, Begegnungen mit Menschen und Dingen. Ihre Antworten sind jederzeit willkommen! Beachten Sie, dass ich sie erst freischalten muss. Mit herzlichen Grüßen, Johannes Hampel
Gestern besuchte ich die Vorführung des Films „Hamburger Lektionen“ von Romuald Karmakar. Manfred Zapatka liest mit einer betörend eindringlichen Stimme und sprechendem Mienenspiel die deutsche Übersetzung von zwei Predigten des Hamburger Imams Mohammed Fazazi. Eine großartig-einprägsame Darstellung eines bestürzenden Texts! Die deutsche Übersetzung arbeitet immer wieder den gemeinsamen Wortschatz und die ähnlichen Redehaltungen bei Christentum, Islam und Judentum heraus. Ich fühle mich anheimelnd berührt durch die Anreden und die hin und her erwägenden Antworten, die ich so aus den paulinischen Briefen und aus dem Talmud kenne. „Soll ich, wenn ich den Ramadan in Marokko beginne und dann nach Deutschland fliege, den marokkanischen Ramadan-Kalender befolgen oder den deutschen? – Antwort: Befolge den deutschen. Denn es heißt: Fastet, wenn die Leute fasten. Brecht das Fasten, wenn die Leute das Fasten brechen.“
In der anschließenden Diskussion werden Gemeinsamkeiten zwischen dem geschlossenen Weltbild dieses islamistischen Predigers und den europäischen Hexenverfolgungen oder Kreuzzugspredigten herausgehoben. Zapatka gesteht, dass er manches auch gut finde an den Reden des Predigers, etwa seine sorgfältige Erörterung der ihm vorgelegten Fragen. Mehrere Menschen im Publikum hoben das Dialogische, Unabgeschlossene der Predigt-Situation hervor.
Leider fehlte in der Volksbühne völlig die Stimme der deutschen Muslime. Kein einziger Berliner Moslem erhob sich um zu sagen: „Das ist nicht unser Islam.“ Hätte man eine Kamera auf die Debatte gehalten und dann einem Islamisten vorgeführt, hätte er sich wohl ebenso befremdet gefühlt wie das Volksbühnen-Publikum. „Das sind die Ungläubigen in ihrem geschlossenen Weltbild“, würde er wohl sagen. Die beiden Welten reden also viel übereinander, aber sehr selten miteinander. Schade. Berlin ist doch eine durch Muslime mitgeprägte Stadt. Trotz der erschütternden fanatischen Haltung des Predigers ein großer Abend, der noch lange in mir nachklingt! Ein mutiger, bewundernswerter Film. Kam erst um Mitternacht nachhause.