Jan 312010
 

Die deutsche Gesellschaft zerfällt zusehends. Diesen Befund habe ich wieder und wieder in diesem Blog festgestellt, und in meinem persönlichen Leben mache ich immer wieder die bestürzende Entdeckung, dass die verschiedenen Umfelder, in denen ich mich bewege, keinen Kontakt zueinander haben. Das gilt vor allem für Kreuzberg. Die Deutschen, die Russen, die Türken, die Araber, die Linken, die Bürgerlichen  – diese Volksgruppen existieren unverbunden nebeneinander her. Es gibt fast keinen gemeinsamen Nenner, hat ihn nie gegeben. Nur in Familien wie etwa der meinen vermischen sie sich. Derselbe Befund gilt in den politischen Parteien: die Grünen, die am ehesten noch den Anspruch erheben könnten, hier eine Volkspartei zu sein, sorgen für ihre Klientel, die SPD ebenso, die Linke ebenso. Jeder sorgt für sich und seine Schäfchen.

Die Kreuzberger und die Berliner Gesellschaft ist hochgradig zersplittert. Kaum jemand sieht dies.

Ein hochinteressanter Bericht über Befindlichkeitsstudien des Sozialwissenschaftlers Heitmeyer leuchtet soeben auf meinem Bildschirm auf:

Wissenschaftler schlagen Systemalarm
„Menschen verlieren sukzessive die Kontrolle über das eigene Leben“, warnt Heitmeyer. Die Konsequenz: Sie suchen nach Sündenböcken. Je größer das Empfinden ist, in Zeiten sinkender Normalarbeitsverhältnisse und sprunghaft wachsender „Mal-rein/mal-raus-Arbeitslosigkeit“ zum Opfer der Verhältnisse zu werden, desto stärker scheint auch die Bereitschaft zu einer „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ zu sein, die sich gegen „die Banker“ oder „Amerika“, aber auch generell gegen Ausländer oder Muslime richten kann. Ein Drittel der Befragten gab an, in Krisenzeiten könnten nicht länger die gleichen Rechte für alle Bürger gelten, gut 20 Prozent waren der Meinung, Minderheiten dürften keinen besonderen Schutz mehr erwarten.

Liest man diesen Zeitungsartikel genau, so hat erhält man geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie Sozialwissenschaften durch geschickte Art der Fragestellungen und subtil gesteuerte Deutung das gewünschte Ergebnis erzielen können. Ein Beispiel dafür? Hier kommt es:

„Menschen verlieren sukzessive die Kontrolle über das eigene Leben“, warnt Heitmeyer.

Das wird man allerdings aus der Studie nie und nimmer folgern können! Denn die Studie kann gar nicht zu Aussagen über die tatsächlichen Verhältnisse gelangen. Keine Meinungsumfrage kann tatsächliche Verhältnisse abbilden. Sie kann nur Meinungen über die tatsächlichen Verhältnisse abbilden.

Eher gilt: Die Menschen haben das Gefühl, sukzessive die Kontrolle über das eigene Leben zu verlieren.Und dieses Gefühl ist – wie jedes Gefühl – weder widerlegbar noch rechtfertigbar. Es ist eben – ein Gefühl.

Letztlich dienen solche Studien dazu, politische Paradigmen zu stützen. Die Menschen werden im Gefühl bestärkt, sich als Opfer zu sehen. Daraus folgert dann die herrschende Umverteilungspolitik die Berechtigung, noch mehr Geld für eigene Zwecke zu vereinnahmen, um den zuvor bewusst geschürten erzeugten Anschein der Ungerechtigkeit zu lindern.

Den Menschen wird eingeredet, nichts an ihrem Schicksal ändern zu können und weitere Wohltaten für sich in Anspruch nehmen zu müssen. Ein verhängnisvoller Zirkel ist in Gang gesetzt: „Ihr seid Opfer!„, sagen die Sozialwissenschaftler und die Politik. „Wir kümmern uns um euch!“ greifen die Politiker den Ball auf. Siehe Opel-Affäre. Da der Opferstatus durch die ausgeteilten Geschenke  nie und nimmer zu beseitigen ist, werden immer neue Ausgleichmaßnahmen, Geld-Umverteilungsmaßnahmen benötigt. So wird zuletzt der Staatshaushalt gesprengt.

Perfektes Beispiel: das frühere West-Berlin und das heutige Berlin.  Schuldenstand heute: 60 Mrd Euro. Erzielt durch eine stillschweigende große Koalition der Umverteiler einschließlich der alten Berliner CDU. Bedarf an Sozialhilfe und kompensatorischer Sozialpolitik: stetig wachsend. Bewusstsein dafür, dass man Opfer ist: ständig wachsend. Zahl der Opfergruppen: stetig wachsend. Zahl derer, die sich nicht als Opfer fühlen: stark fallend.

Ich werde bald meine eigene Opfer-Minderheit aufmachen könne. Wie wäre es zum Beispiel mit: „Schweinefleischverzehrer“? Da wir in der muslimischen Kreuzberger Mehrheitsgesellschaft scheel angesehen werden, weil wir Schweinefleisch verzehren, haben wir doch Anspruch darauf, als Opfer der Verhältnisse anerkannt zu werden? Ich könnte aufschreien: „Mein nichtmuslimischer Sohn ist benachteiligt! Er ist eine ausgegrenzte Minderheit. Helft uns! Wir brauchen eine aktive Schutzpolitik für die Minderheit der schweinefleischessenden Kreuzberger Kinder. Geld her, Sozialhilfe her!“

Die Absurdität der ständig neue Minderheiten, neue Benachteiligtengruppen erfindenden kompensatorischen Sozialpolitik wird an diesem Beispiel deutlich, so hoffe ich.

Was wir vielmehr brauchen, ist ein Bewusstsein der Freiheit. „Es ist dein Leben! Mach daraus, was du willst.“

So sagte es der Imam, der Vater des deutschen Moslems Hamed Abdel-Samad. Der ägyptische Imam hat recht! Hört auf den ägyptischen Imam!

Zitat: Hamed Abdel-Samad: Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland. Köln 2009, S. 165

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Jan 302010
 

… liefert heute den Aufmacher in der Süddeutschen Zeitung: Deutsche Universitäten sollen Imame ausbilden! Ja! Ich unterstütze den Gedanken. Ich meine sogar: An der geregelten Ausbildung der Imame an deutschen Universitäten, unter der demokratischen Aufsicht unserer staatlichen Kultusbehörden, wird kein Weg vorbei führen.

Noch heute erinnere ich mich der Stunde, als in unserer Kreuzberger Schule „der Religionsunterricht“  vorgestellt wurde – wohlgemerkt in einer Schule, in der die Christen eine winzige Minderheit gegenüber der überwältigenden Mehrheit der muslimischen Kinder darstellen. „Der Religionsunterricht“ war selbstverständlich nur in christlicher Religion vorgesehen. Warum ist das so selbstverständlich?

Dass unser deutsches Bildungswesen bisher keine Modelle, keine intellektuelle Auseinandersetzung mit dem Islam bietet, keine systematischen Handreichungen zur Schaffung eines wahrhaft europäischen, eines wahrhaft aufgeklärten Islam bietet, halte ich für einen schweren Mangel. Mit den Vorschlägen des Wissenschaftsrates kann diesem Mangel abgeholfen werden. Fürwahr – eine gute Nachricht!

Islam-Institute – Deutsche Universitäten sollen Imame ausbilden – Job & Karriere – sueddeutsche.de
An deutschen Universitäten sollen künftig Imame und islamische Religionslehrer ausgebildet werden. Der Wissenschaftsrat, in dem Professoren und politische Vertreter von Bund und Ländern sitzen, verabschiedete dazu am Freitag umfassende Empfehlungen. Analog zur christlichen Theologie sollen an zunächst zwei bis drei Universitäten große Institute für „Islamische Studien“ entstehen.

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Danke Google!

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Jan 282010
 

Wow! Google liebt offenbar dieses kleine, aber feine Blog. Es liest immer minutengenau mit. Und wenn man das Nixon-Zitat

let us not curse the remaining dark. – Google-Suche

eingibt, erscheint als erster Treffer unter 941.000 Websites – dieses Blog. Eben war es jedenfalls so. Sind wir schon so wichtig? Danke, Google!

 Posted by at 16:32

„Let us gather the light“

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Jan 282010
 

Schneegestöber, Wortgestöber in der Stadt! Ich fräse mit dem Fahrrad meinen Weg durch kaum geräumte Seitenstraßen, ehe ich pfeilschnell auf den nunmehr nass tauenden Hauptstraßen dahinzische. Wir Allwetterradler finden stets unseren Weg!

Wusstet ihr schon? Morgen kommt James Ellroy zum Vorlesen ins Berliner Kaufhaus Dussmann. 19 Uhr.  Ich schnappe mir noch eben ein Exemplar seines neuesten Buches: „Blood’s a Rover – Blut sucht sich seinen Weg …“ Und schon pflüge ich durch die Seiten. Lese mich fest an folgenden berühmten Sätzen:

„We have endured a long night of the American spirit. But as our eyes catch the dimness of the first rays of dawn, let us not curse the remaining dark. Let us gather the light.“

Schön gesagt! Was haltet ihr davon? Selbstverständlich könnte man diese Grundhaltung für beliebige Situationen anraten: Nach dem Fall eines Unrechtsregimes, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, nach Skandalen, nach Erschütterungen, nach Kriegen … Die Botschaft ist klar: „Wir müssen nach vorne schauen! Die Vergangenheit soll uns nicht bannen.“

Wenn ich jetzt enthülle, wer diese vorbildlichen, schönen Worte verkündet hat, werdet ihr guten Deutschen mich gar nicht mehr mögen. Diese schönen Worte stammen von Richard Nixon. Er sprach sie am 20. Januar 1969 bei seiner ersten Amtseinführung. „His first inaugural“, so lernen es die amerikanischen Schulkinder.

„Discuss!“, heißt es beim englischen Aufsatzschreiben immer. Also, was haltet ihr davon? Discuss – Sinnt dem nach!

Nachweise:

Zitat: James Ellroy, Blood’s a Rover. Century, London 2009, hier: Seite 271

Foto: Hofgarten München. Aufnahme des Bloggers von vorgestern

 Posted by at 16:04

Zum Nachhören … Shared Space

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Jan 272010
 

Ein Bekannter schickt folgenden Hinweis zur Sendung über Shared Space heute:

wer`s verpaßt hat, nachzuhören hier (eventuell auf einer der früheren
Seiten):
http://www.dradio.de/aod/html/?year=2010&month=01&day=27&page=3&

direkt hier:

„Mehr Sicherheit durch weniger Schilder? – NRW und Niedersachsen testen neue
Verkehrsregeln“

Audio:
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2010/01/27/dlf_20100127_1010_d5b3a4cd.mp3

Sendezeit: 27.01.2010 10:10
Autor: Roehl, Michael
Programm: Deutschlandfunk
Sendung: Länderzeit
Länge: 70:16 Minuten

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Jan 272010
 

Im Flieger von München nach Berlin las ich gestern auch die neuesten Zahlen des Länderfinanzausgleichs.

Das Bundesland Berlin ragt erneut als Klassenerster im Nehmen, in den Transferzahlungen hervor! Fast 2,893 Milliarden Euro erhält im Ausgleichsjahr 2009 das Land Berlin als Zuweisung anderer Bundesländer aus dem Länderfinanzausgleich. Bayern allein zahlt fast 3,37 Milliarden ein.

Es ist eine selten erwähnte, aber allen Haushältern im Abgeordnetenhaus bekannte Tatsache, dass der Haushalt unseres Bundeslandes sofort zusammenbräche, wenn die üppigen Zuwendungen aus den anderen Bundesländern versiegen sollten. Wir sind als Berliner gewissermaßen alle Sozialisten, denn wir geben das Geld anderer Leute aus! Sollen wir also dankbar sein?

Dankbarkeit in der Politik ist selten. Vor allem kann man sie nicht einfordern. Ich gestehe offen, ich BIN Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und neuerdings auch Nordrhein-Westfalen dankbar. Denn diese Geberländer ermöglichen z.B. die Beheizung des Wassers im Kreuzberger Prinzenbad. Sie ermöglichen die üppigen Vorstandsbezüge der BVG, einen zusätzlichen Kreuzberger Bügel in der Bergmannstraße. Sie ermöglichen die Anwesenheit der zweiten Lehrkraft in unseren Kreuzberger und Neuköllner „Gettoschulen“.

Jede Forderung nach höheren Bezügen für Vorstände landeseigener Unternehmen, nach kleineren Klassen in Berlin, nach mehr Lehrern, nach mehr Polizisten auf den Straßen, nach längeren Öffnungszeiten der Schwimmbäder muss unter dem Vorbehalt des Haushalts gesehen werden. Wir Berliner zehren vom Geld anderer Leute. Die im Wesentlichen unter den Vorgängersenaten aufgehäuften Landes-Schulden von rund 60 Mrd. Euro zehren am Geldsäckel unserer Kinder und Kindeskinder.

Dankbarkeit kann man nicht einfordern. Aber pfleglichen, sorgsamen Umgang mit dem Geld anderer Leute sehr wohl.

 Posted by at 19:52

Verhallendes Wort trifft auf gebrannte Keramik

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Jan 272010
 

marchenrot

Immmer gerne schaue ich bei der Keramikwerkstatt in meiner Obentrautstraße vorbei. Eva Trenz-Diakite hat sich hier eine schaffende Höhlung, ein Gewölbe der Märchen- und Zauberwelten geschaffen. Jedes Mal entsteht etwas Neues: eine Kanne, ein Bild, eine Pflanze. Schaffenslust einer großen Künstlerin im Souterrain!

Eva lädt uns ein, am nächsten Sonntag, 7. Februar um 17 Uhr 7 ein paar Märchen zu erzählen. Dazu wird sie – meine Geige nämlich – ihre Stimme erheben.

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Das Märchen lebt aus dem Augenblick, ist hingeweht, widersteht jeder bannenden Festlegung. Keramik dagegen brennt etwas für die Ewigkeiten. Älteste Kermikfunde reichen tausende Jahre zurück! Das gesprochene Wort verhallt, klingt fort, verliert sich.

Das Töpfern und Brennen ist eine ebenso alte Kulturtechnik wie das Erzählen von Geschichten.

Kommt alle!

Der Märchengeiger kommt in die Keramikwerkstatt und erzählt: Das Märchen vom dreiköpfigen Drachen & das Märchen vom Rossknecht und dem Kaiser.
Johannes Hampel erzählt Märchen und spielt auf seiner Geige.

Für Erwachsene und Kinder gleichermaßen.

Am 7. Februar um 17:07 Uhr
in 10963 Berlin Kreuzberg, Obentrautstraße, Ecke Großbeerenstraße 78

Eintritt frei. Über eine Spende freuen wir uns.bunt4vorn.jpgmarchenrot.pdf

 Posted by at 18:47
Jan 272010
 

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Unreal city
under the white fog of a winter morning …

Diese leicht veränderten Zeilen T.S.Eliots kamen mir in den Sinn, als ich gestern in München meine morgendlichen Schwimmbahnen zog. Ort: eine Herberge im Herzen Münchens. Ein erster Blick  hinaus zeigte die Frauenkirche, unwirklich behelmt mit einem Baugerüst, das seinerseits überstäubt war mit unwirklich frisch gepudertem Schnee.

Da wir über die Liebe Frau sprechen: München ist meine Mutterstadt. Da meine Mutter Bayerin ist, höre ich jederzeit die Stimme meiner Mutter, meiner Heimat, wenn ich den Menschen auf den Straßen zuhöre. Sie würden nie merken, dass ich auch eine bayerische Wurzel habe.  Ich hüte mich strengstens, irgendwie meine überlegenen Kenntnisse der Sitten&Gebräuche heraushängen zulassen.

Beispiel: Kein echter Bayer wird das Wort „Schweinebraten“ auf eine Speisekarte setzen. Wer so etwas tut, hat sich schon aufgegeben. Jeder Bayer weiß: Es heißt Schweinsbraten. Jedoch gilt: Dies den zugewanderten Deutschen predigen zu wollen, wäre sinnlos. Sie müssen sich integrieren können! Deshalb gehe ich stets taktvoll über derartige Stilbrüche, wie ich sie gestern im Schwabinger Türkenhof erleben musste, hinweg. Und bestellte Schwammerl. Ich hätte auch Lüngerl bestellen können. Herrlich!

 Posted by at 18:26

Freiheit der Wahl: Lieber Rad als Bahn

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Jan 272010
 

Die Freiheit der Wahl, das ist es. Die freie Wahl des Verkehrsträgers zum Beispiel ist mir wichtig. Rad oder Bahn? Taxi oder Bus? Schwere Frage, aber ich wähle in Berlin in aller Regel das Fahrrad. Das geht schnell, ist bequem und man tut etwas für den Spaß und die Gesundheit. Gestern hingegen nutzte ich die neuen, eleganten U-Bahnen in München. Sanft schnurrend, sauber, pünktlich. Vorbildlich. Wie ich nach München und am Abend wieder zurück nach Berlin gelangte? Weder mit der Bahn noch mit dem Rad, sondern mit dem Flugzeug. Das geht schnell, ist bequem, und man stellt unter Beweis, dass man kein besessener Öko-Fuzzi ist.

Heute fällt mein Auge auf folgende Meldung:

Verkehrsprognose – Berliner fahren künftig lieber Rad als Bahn – Berlin Aktuell – Berliner Morgenpost
Berliner fahren künftig lieber Rad als Bahn
Mittwoch, 27. Januar 2010 10:02

Das Fahrrad ist das Verkehrsmittel der Zukunft in Berlin, das sagen Verkehrsexperten voraus. Die öffentlichen Verkehrsmittel verlieren hingegen an Bedeutung, auch ohne Fortdauern der S-Bahnkrise. Autofahren wird teurer, und wer sein Auto stehen lässt will, muss dafür immer häufiger tief in die Tasche greifen.

Die Berliner fahren künftig immer mehr Strecken mit dem Fahrrad. Das geht aus der ersten „Gesamtverkehrsprognose 2025“ für Berlin und Brandenburg für die kommenden 15 Jahre hervor. Die Experten erwarten, dass das Verkehrsaufkommen in der Stadt insgesamt sinkt, da im Berlin des Jahres 2025 wesentlich mehr Rentner leben werden, die nicht zur Arbeit fahren müssen. Die Länge der Autofahrten nimmt ab von durchschnittlich 11,9 auf 11,4. Dafür werden die Berliner im Jahr 2025 rund 700.000 Fahrten täglich mit dem Fahrrad erledigen. Derzeit sind es rund 500.000.

 Posted by at 12:20
Jan 252010
 

Liest man unsere Boulevardpresse von taz bis BZ, so stellt sich als ein gesichertes Ergebnis heraus: Es gibt keine faulen Menschen, es gibt keine Faulheit! Es gibt keinen Fleiß, es gibt keine fleißigen Menschen! Immer sind die Verhältnisse an allem schuld: Die Kulturen der Herkunftsländer. Die Kultur oder Unkultur des Ziellandes. Die Großfamilien, die Kleinfamilien. Die Alleinerziehenden. Der Reichtum. Die Armut. Die zerbrechenden Familien. Die zusammengluckenden Familien.  Die Sippen. Die Vereinzelung. Für das Scheitern finden sich immer tausend Gründe.

Rotterdam, Neukölln, Paris, London – überall haben die Stadtväter und Stadtmütter alle Hände voll zu tun, um passende Strukturen für das wachsende und wuselnde niedere Volk zu schaffen, das sich in den berüchtigten Gettos zusammenballt.

Keiner der Stadtväter oder Stadtmütter wagt es auch nur zu sagen: Lernt! Arbeitet! Tut was! Ganz zu schweigen von lateinischen Formulierungen wie etwa: Stude et labora! Lerne und arbeite!

Merkwürdig: Niemand, wirklich fast niemand spricht die einzelnen Menschen direkt an, wie es etwa die antike Tugendlehre tat. Wie es ein Nachfolgerstaat des griechischen Kleinasien, nämlich der heutige türkische Staat mit großem Erfolg in seinen Grundschulen tut.

Der Begriff Tugend, an dem die Dichter und Philosophen einige hundert Jahre – von Homer bis Seneca – herumwerkelten, beruhte auf einem persönlichen Leistungsbegriff: Jede und jeder sollte das Beste aus sich machen. Das war ein Imperativ, der wirklich jedem Jungen (leider nicht den Mädchen) eingeschärft wurde, von Homers Achill angefangen. In Homers Ilias heißt es im sechsten Gesang, Vers 208:

„Versuche stets das Beste aus dir zu machen, stell dich dem Wettbewerb!“

Die ständige Arbeit an den eigenen Anlagen, an den eigenen Fähigkeiten wurde durch eine Batterie an Bildungseinrichtungen eingeschärft: Fitnessplatz (damals Gymnasion genannt), Pädagogen-Sklaven, öffentliche Rezitationen, Volksversammlungen, gemeinsame Feste und Feiern.

Und heute? Wir haben unvergleichbar mehr materiellen Reichtum angehäuft als die alten Griechen und Römer. Ein Schulkind in der ersten Klasse in Neukölln ist reicher, hat mehr Sachen, hat mehr Essen als ein Kind eines normalen Stadtbürgers im Athen des 5. Jahrhunderts. Und trotzdem verlassen die Hälfte dieser Kinder die Schule, ohne sich hinreichend präzise in Deutsch, Türkisch oder Arabisch ausdrücken zu können, während es im alten Athen eine beständig lernende, diskutierende Stadtbürgerschaft gab, die lange Passagen der Dichter auswendig konnte, eine gemeinsame Sprache sprach, Begriffe schuf, um sich miteinander über die gelingende Demokratie auszutauschen.

Grund für unsere Malaise: Der Begriff individuellen Leistens, individueller Anstrengung ist aus dem politischen Diskurs fast völlig verschwunden. Die Politik züchtet durch ihre Kümmerer-Grundhaltung eine erwartungsfrohe Schar an Hilfeempfängern heran. Diese Schar ruft lauter und lauter: „Mach du mal, Staat!“

Für alles werden die Strukturen in Haftung genommen. Dabei kann ein Gemeinwesen ohne individuelle, persönliche Anstrengung nicht gelingen.

Dieses Denken hat uns in die Sackgasse geführt.  Die Politik sieht sich als „bezahlender Dienstleister“ der Bürger. Die Bürger rufen diese Leistungen ab, sie liefern die Ideen, sie lassen den Staat machen und bezahlen. Der Staat ist der Anspruchsgegner, die Bürger haben ein Recht darauf, dass der Staat ihre guten Ideen finanziert und dass er für die guten Ideen bezahlte Stellen schafft.

Ich meine: Koordination, Bündelung, alles schön und gut. Aber das Ganze kann nur funktionieren, wenn der Staat den Kindern und Eltern wieder und wieder, mit großer Strenge, klar macht: „Du, du einzelner Bürger, bist im wesentlichen für dein Leben verantwortlich. Du musst selbst dafür sorgen, dass dein Leben gelingt. Für Faulheit gibt es keine Entschuldigung. Lerne und arbeite!“

Ich vermisse diese Botschaften schmerzlich im politischen Tagesgespräch.

Lest hier im Tagesspiegel einen interessanten Überblick über die wacker mit Windmühlen kämpfenden Großstädte Europas:

Kampf den Ghettos
Umweltsenatorin Anja Hajduk: „Die besten Ideen für einen Stadtteil kommen häufig von Menschen, die selbst in dem Quartier leben. Mit Engagement und Begeisterung setzen sie sich für Verbesserungen ein.“ Unter dieser Prämisse soll die Verwaltung künftig bei Projekten und Maßnahmen als niedrigschwelliger und generationsübergreifender Dienstleister fungieren, der Verbände vor Ort wie Kirchen, Sportvereine und Wohnungsunternehmen in alle Planungs- und Entwicklungsschritte einbindet. Oft wird nur durch vernünftige Absprache untereinander, also Koordination und Vernetzung, Effizienz erzielt, die in haushaltspolitisch schwierigen Zeiten mitunter auch noch volks- und betriebswirtschaftliche Vorteile beschert. Die Koalition will mit „Rise“ der sozialen Spaltung der Stadt entgegentreten und versuchen, dass sich an bestimmten Punkten der Elbmetropole keine Armut verfestigt. Die Praxis sieht trotzdem vielerorts anders aus.

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Die Modellstädte des Paul Romer: Charter Cities

 Afrika  Kommentare deaktiviert für Die Modellstädte des Paul Romer: Charter Cities
Jan 252010
 

Klaus Wowereit und Michael Müller hatten übers Wochenende ein interessantes Thesenpapier zur „Modellstadt Berlin“ vorgelegt. Sie traten einen Schritt zurück, zogen die ernüchternde Bilanz ihrer bisherigen Politik, und sie setzten neue Akzente: Mehr unbezahltes, freiwilliges Leisten der Bürger, Schaffung von Aufstiegsräumen und Aufstiegswünschen bei der riesigen Masse der bislang passiven Hilfeempfänger, stärkerer Ruf zur Verantwortung an die Familien, an die Stadtteilmütter (und leider haben Wowereit und Müller die Stadtteilväter vergessen …!).

Der amerikanische Ökonom Paul Romer hat in anderem Sinn vor einigen Monaten ein Modellkonzept wachsender Städte vorgelegt: neuzugründende Modellstädte in unterentwickelten Ländern. Er nennt sie Charter Cities – Städte, die auf Gründungsurkunden („Charters“) beruhen und als Idealstädte sozusagen auf dem Reißbrett entworfen werden. Sie stehen unter dem Schutz ausländischer, funktionierender demokratischer Staaten mit gesichertem Rechtssystem.  Aber sie werden in Staaten mit schwacher Rechtsstaatlichkeit hineingepflanzt. Sie entfalten sich als Entwicklungskerne, bieten Schutz, Arbeitsmöglichkeiten und Rechtsstaatlichkeit für alle Bewohner. Wir zitieren:

Charter cities offer a truly global win-win solution. These cities address global poverty by giving people the chance to escape from precarious and harmful subsistence agriculture or dangerous urban slums. Charter cities let people move to a place with rules that provide security, economic opportunity, and improved quality of life. Charter cities also give leaders more options for improving governance and investors more opportunities to finance socially beneficial infrastructure projects.

All it takes to grow a charter city is an unoccupied piece of land and a charter. The human, material, and financial resources needed to build a new city will follow, attracted by the chance to work together under the good rules that the charter specifies.

Action by one or more existing governments can provide the essentials. One government provides land and one or more governments grant the charter and stand ready to enforce it.

Hier könnt ihr Paul Romers Gedanken nachlesen und ihm zuhören:

Charter Cities

Ich meine: Paul Romer hat einige fundamentale Grundeinsichten deutlich herausgestellt. Das große Problem mangelnder Entwicklung in den schwachen und den diktatorisch regierten Staaten liegt in der mangelnden Regel- und Rechtssicherheit. Alle Ressourcen sind da: Reichtum an Bodenschätzen, eine sehr junge, lernwillige und lernfähige Bevölkerung, in der Regel keine zwischenstaatlichen Kriege – also „Frieden“. Doch korrupte Führungsschichten haben sich den Reichtum der Länder unter den Nagel gerissen. Für Investitionen fehlt die Zukunftsperspektive. So gibt es zwar überall Handys, aber kaum funktionierende Infrastruktur, kaum Schulen, kaum Stromnetze. Grund: Schulen und Stromnetze erfordern langfristige Investitionssicherheit. Die ist nicht da. Ein gebrauchtes Smartphone-Handy ist zwar für den einzelnen ebenfalls sehr teuer: etwa 100 Dollar. Aber es ist eine kurzfristige Investition, die sofort Früchte abwirft. Also haben die Leute Handys, aber keinen Strom in der Hütte, keine Schule um die Ecke.

Diese Diagnose wird immer wieder von aufgeklärten Intellektuellen jener Länder ausgestellt, etwa vom Team der Zeitschrift „Africa positive“.

Ähnlich einem Platon, ähnlich einem Tommaso Campanella setzt sich Paul Romer an den Schreibtisch, oder besser: an den Beamer und den Laptop und entwirft die wesentlichen Bedingungen gelingenden städtischenLebens: eine klare Rechtsstaatlichkeit ist das erste und wichtigste Erfordernis. Rechtsstaatlichkeit ist für Romer wichtiger als volle demokratische Teilhabe. Denn die ausländische Schutzmacht hätte die Befugnis, jeden Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit abzuwehren. Eine Art legaler Interventionismus! Dies entspräche etwa dem Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in das Handeln des deutschen Bundestages oder der Bundesregierung. Wenn das Bundesverfassungsgericht der Meinung ist, dieses oder jenes Gesetz sei verfassungswidrig, dann kann es dieses Gesetz zurückweisen.

Der Unterschied zu  den Modellstädten des Paul Romer ist: Das Bundesverfassunsgericht ist das unseres Staates. Es greift nicht vom Ausland aus in die Befugnisse der anderen Organe ein.

Der Eingriff der Schutzmächte in die Belange der Modellstädte wäre allerdings ein Eingriff von außen. Und das – so fürchte ich – wird kein souveräner Staat mit sich machen lassen. Ich messe dem spannenden Gedanken-Experiment der Charter Cities deshalb nur sehr geringe Chancen auf Verwirklichung zu. Ich rate aber dazu, die Vorschläge Paul Romers, eines anerkannten Wirtschaftswissenschaftlers, genau zu prüfen. Seiner Diganose stimme ich im Wesentlichen zu. Seine Therapievorschläge halte ich für kaum durchführbar, ebensowenig wie die Idealstädte Platos oder Tommaso Campanellas.

Wir müssen kleinere Brötchen backen! Wir haben ja schon Städte, die alles andere als Idealstädte sind! Vor allem natürlich unser – Berlin! Unser Friedrichshain-Kreuzberg! Hier können wir beweisen, was wir wollen. Hier können wir Hand anlegen und tatkräftig gestalten! Hier ein Kreuzberger Bügel für 2 Fahrräder, da eine Bibliothek, hier ein Stadtteilvater, da eine Schulmensa mit gutem, leckerem Slow Food aus dem eigenen Schulgarten!

Hic Rhodus, hic salta!

Die Anregungen eines Paul Romer dienen uns als höchst willkommene Inspiration – die Taten vor Ort hier in Kreuzberg, hier in Berlin stehen ganz in unserer Hand!

 Posted by at 10:31
Jan 242010
 

Friedrichshain-Kreuzberg als Vorreiter beim Klimaschutz und bei der Integration der Migranten, ein klares positives Leitbild für unseren Bezirk, eine Politik der ausgestreckten Hand – dahin müssen wir kommen, ich werde mich zusammen mit anderen dafür ins Zeug legen.

So schrieb ich am 26.11.2007 in diesem Blog.  Seither habe ich wieder und wieder in diesem Blog für die Kraft des positiven Leitbildes geworben, so etwa am 02.12.2007, am 28.12.2009, am 14.01.2010, zuletzt noch einmal bei meiner Bewerbung als Kreisvorsitzender  vergangenen Samstag, die ich unter das Motto „Die zusammenwachsende Stadt“ stellte.

Endlich greifen andere Menschen diese Idee auf. Berlin braucht ein positives Leitbild, es muss die Vorreiterrolle bei den Fragen von nationalem Interesse beanspruchen! Das Thesenpapier von Klaus Wowereit und  Michael Müller leistet aus sozialdemokratischer Sicht das, was von seiten der Berliner Christdemokraten seit Jahren aussteht und was ich bisher umsonst versucht habe zu bewirken: Ein knappes, einprägsames, nach vorne weisendes Leitbild zu den Themen Bildung, Stadtentwicklung, Wirtschaft, Integration, Ökologie.

Was ist der Unterschied zwischen Sozialdemokraten und Christdemokraten? Antwort: Die eher linken Kräfte weisen die Hauptverantwortung und das Hauptversagen dem Staat zu. Der einzelne Bürger wäscht seine Hände in Unschuld!  Ein herrliches Besipiel dafür: Die heute berichtete Äußerung Jürgen Trittins, es gebe in Berlin Gettos. Er spricht heute im Tagesspiegel (S. 7) davon, dass der Staat in manchen Berliner Bezirken gescheitert sei. Soziale Verelendung und Bildungsmisere grenze ganze Generationen aus. Das ist das linke Denken! „Der Staat ist an allem schuld. Der Staat muss alles richten.“

Was ist dran? Nun, wir gehen in eine dieser Gettoschulen. Migrantenquote etwa 95%. Und siehe da: Es ist eine der besten! Der Staat versagt nicht, Herr Trittin. Es sind die Bürger, die einzelnen Familien, die versagen. Der Staat kann kaum mehr machen als er schon tut.  Jetzt sind wir Bürger an der Reihe.

Erster Schritt: Melde-Ehrlichkeit. Die Lage sähe anders aus, wenn die guten deutschen bildungsbewussten Eltern ihren Nachwuchs zu uns in die Gettoschulen schickten und sich nicht pro forma ummeldeten! Wir alle stehen in der Verantwortung.  Wenn ein Jürgen Trittin zu uns nach Kreuzberg zöge, wenn die Bundestagsabgeordneten und Bundestagsmitarbeiter ihre Kinder standortnah in Kreuzberger und Neuköllner Grundschulen schickten. Kommt alle! Es gibt noch freie Plätze in unseren Gettoschulen!

Die Trittinschen Gettos sind nicht allein durch Staatsversagen, sondern auch durch individuelles Versagen, durch Milieuegoismus und grenzenlose Passivität der Hilfeempfänger entstanden. Durch einen Mangel an Gemeinsinn, einen Mangel an Fleiß, einen Mangel an Verantwortungsgefühl. Und durch die verhängnisvolle Stadtbaupolitik der SPD- und der CDU-geführten Senate. Durch Wegschauen und Wegziehen der Bürger. Trittin und Wowereit ducken sich weg davor! Kommt zurück nach Neukölln und Kreuzberg!

Zurück zur Leitbild-Debatte! Ich bin nach wie vor überzeugt, dass auch die Berliner Christdemokraten ein Leitbild brauchen. Statt ewig weiter von den allüberall lauernden Linksextremisten zu phantasieren, wie es manche immer noch mit Wollust tun.  Ein Leitbild, das viel stärkere Anreize für den einzelnen setzt. Nicht noch mehr Gelder, noch mehr Mittel für die „Soziale Stadt“, die „Solidarische Stadt“. Sondern mehr Beiträge der Bürger fordert, mehr ehrenamtliches Engagement, mehr  individuelle Verantwortung, weniger Staatsverantwortung, mehr Eigenverantwortung. In einem Wort: Wir brauchen die „Zusammenwachsende Stadt“. Nicht als Werk des Staates von oben her. Sondern als gelebte, von unten aufwachsende Solidarität.

Die Stadt wächst zusammen als Werk der Bürger.

Gemeinsam gelingt die zusammenwachsende Stadt.

Einen ersten Hinweis in dieser Richtung liefert Barbara John, ehemals Mitglied der CDU Kreuzbergs,  auf S. 8 des Tagesspiegels heute. Sie lehnt zu recht ein Integrationsgesetz ab, das ein Sonderrecht für „Berliner mit Migrationshintergrund“ schüfe. Darunter würde z.B. auch mein Sohn fallen, der soeben eine Klasse mit Erfolg übersprungen hat, obwohl seine Mutter eine Migrantin der ersten Generation ist, wie sie im Buche steht.

Mein Sohn beweist: Auch als Berliner Kind mit Migrationshintergrund kann man Erfolg haben. Armes Migrationskind braucht Fleiß, armes Migrationskind braucht Eltern, die hinterdrein sind, die ihre Erziehungspflicht ernstnehmen. An Geld fehlt es nicht, es fehlt nicht an den Strukturen. Und das Letzte,was wir brauchen, ist ein Integrationsgesetz mit „positiver Diskriminierung.“

 Posted by at 14:43

Ist die Berliner SPD jetzt CDU geworden? Berlin soll Modellstadt werden

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Jan 232010
 

In eine Art Kurskorrektur zur früheren eigenen Politik scheint – unter dem betäubenden Schlag des neuesten Sozialatlas – die Berliner SPD einzuschwenken. Sie übernimmt also sozusagen die Rolle der Opposition zu sich selbst. Versäumnisse des SPD-/Linke-Senats werden im neuesten Thesenpapier indirekt eingestanden. Fehlsteuerungen der Integrationspolitik werden im Ansatz offenbar richtig erkannt und Vorschläge zur Besserung werden in Aussicht gestellt. Das berichtet soeben der Tagesspiegel:

Berlin soll Modellstadt werden

Berlin zu einer Modellstadt für grüne Zukunftsindustrien und hervorragende Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur Hochschule entwickeln, in der soziale Integration „beispielhaft für die Republik gelebt wird“.

Mein Kommentar: Statt immer nur den Finger auf wunde Punkte zu legen, wird vorbildliches Verhalten gefordert. Damit wird der CDU das Konzept „Vorbild“ streitig gemacht. Richtig!

Berlin müsse zur solidarischen Stadt werden, in der „die Bürger füreinander eintreten“ und durch den Staat dabei unterstützt werden, ihr Leben eigenständig bestreiten zu können.

Kommentar: Ein klares Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip. Dies entspricht nicht der früheren traditionellen Berliner SPD! Vorrang des Individuums vor dem Kollektiv, – ein Kernbestand der christdemokratischen Politikauffassung!

Der Akzent liegt auf der unteren Ebene – nicht mehr auf der von oben ordnenden, staatlichen Verteilungsgerechtigkeit der alten Sozialdemokratie. Die Erneuerung Berlins aus dem bürgerlichen Geist! Berlin braucht eine Erneuerung aus dem Geiste des Bürgertums. Richtig. Das würde die CDU ebenfalls sagen.

 „Wir brauchen eine neue Industrialisierung Berlins“, steht im Thesenpapier. Zweiter Schwerpunkt der Senatspolitik soll die Integrationspolitik „als Aufstiegsprogramm“ werden. Der Hochschulzugang für junge Menschen ohne Abitur soll weiter geöffnet und die Zahl jugendlicher Migranten ohne Schulabschluss halbiert werden.

Richtig! Auch das ist eine relativ neue Erkenntnis! Berlin braucht viel mehr Arbeitsplätze in der Industrie. Der Dienstleistungssektor reicht nicht. Das haben die IHK und die Wirtschaftswissenschaftler schon seit längerem gesagt.

Wowereit lobte am Sonnabend auch vorbildliche private Initiativen wie die Roland Berger-Stiftung, die sich um die Ausbildung von Kindern aus sozial schwachen Familien kümmert. Besonders wichtig sei es, die Hilfen zur sozialen Integration zu individualisieren. Das gehe nur mit einem starken ehrenamtlichen, bürgerschaftlichen Engagement. „Die Maßnahmen dürfen auch nicht an der Haustür der Familien enden“, Wowereit. Individuelle Hilfen seien aufwändig, aber immer noch kostengünstiger, „als wenn jemand ein ganzes Leben lang im staatlichen Unterstützungssystem verharrt.“ Auch SPD-Chef Müller forderte von den Familien, ihren Beitrag zur Integration zu leisten. Es gehe zum Beispiel nicht, dass Schüler(innen) vom gemeinsamen Schwimm- und Sportunterricht ausgegrenzt werden.

Kommentar: Mehr fordern, weniger fördern! Die SPD vollzieht die Abkehr vom Kümmerer-Staat. Der Einzelne muss mehr tun, der Staat kann nicht mehr so viel tun, schon aus Etatgründen. Die Familien werden stärker in die Pflicht genommen. Alles richtig.

Der Regierende Bürgermeister wies darauf hin, dass er die Leitung einer Arbeitsgruppe der Bundes-SPD „Zukunftswerkstatt Integration“ übernommen habe, um das Thema von Berlin aus bundesweit voranzutreiben.

Absolut richtig! Er nimmt endlich das Heft in die Hand, zeigt Initiative! Oder tut mindestens so.

Im laufenden Jahr will die Berliner SPD eine „Dialogoffensive“ starten, um ihre politischen Ziele verständlich zu machen. Wowereit geht auf Tour durch alle zwölf Bezirke, vier Hauptstadtkonferenzen sind geplant und die SPD-Abgeordneten sollen auf „Wahlkreistagen“ für Projekte wie das neue Integrations- und Klimaschutzgesetz werben.

Alles richtig. Das erinnert an die „Dialogtour“ der CDU, die vor der Einführung des neuen Parteiprogramms durch ganz Deutschland führte.

Mein Gesamteindruck: Dieses Thesenpapier der Berliner SPD weist – dem Zeitungsartikel nach zu urteilen – absolut in die richtige Richtung. Erstaunlich. Mein Kompliment an die Autoren! Jetzt muss Wowereit mit seinem Senat leisten, was das Papier fordert. Allerdings kommt das Papier zu spät. Es hätte so bereits zu Beginn von Rot-Rot II vorliegen müssen.

Die SPD macht es richtig: Sie bestreitet der CDU die Hoheit über Kernbereiche der christdemokratischen Politikauffassung: Vorbildsetzung, Vorrang des Individuums vor dem Staat, stärkere Verantwortung der unteren Ebenen – das waren früher einmal Kennzeichen der CDU, und diese Merkmale beansprucht nun die SPD für sich. Das war Kernbestand der katholischen Soziallehre. Der Katholik Wowereit wird dies wissen. Schlau gemacht! Denn der Wind hat sich gedreht.

Die Nähe zwischen der aktuellen Berliner SPD und früher eindeutig christdemokratischen Konzepten wird erneut deutlich. Es zeigt sich, wie hart umkämpft in der Berliner Landespolitik die berühmte Mitte ist. Dies war seit jeher so. Im Moment sehe ich die SPD klar in der Vorhand.

Berliner CDU – du musst dich ganz warm anziehen! Du musst jetzt schnell nachlegen. Die SPD ist dir vorangegangen. Wo ist dein Leitbild? Wo sind deine Thesenpapiere? Wann kommt der große Wurf zur Integration, zur Wirtschaftspolitik? Wo sind die Menschen, die diese Konzepte glaubhaft vertreten? Bedenke: Der Wähler hat nicht so viel Geduld!

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