Klaus Wowereit und Michael Müller hatten übers Wochenende ein interessantes Thesenpapier zur „Modellstadt Berlin“ vorgelegt. Sie traten einen Schritt zurück, zogen die ernüchternde Bilanz ihrer bisherigen Politik, und sie setzten neue Akzente: Mehr unbezahltes, freiwilliges Leisten der Bürger, Schaffung von Aufstiegsräumen und Aufstiegswünschen bei der riesigen Masse der bislang passiven Hilfeempfänger, stärkerer Ruf zur Verantwortung an die Familien, an die Stadtteilmütter (und leider haben Wowereit und Müller die Stadtteilväter vergessen …!).
Der amerikanische Ökonom Paul Romer hat in anderem Sinn vor einigen Monaten ein Modellkonzept wachsender Städte vorgelegt: neuzugründende Modellstädte in unterentwickelten Ländern. Er nennt sie Charter Cities – Städte, die auf Gründungsurkunden („Charters“) beruhen und als Idealstädte sozusagen auf dem Reißbrett entworfen werden. Sie stehen unter dem Schutz ausländischer, funktionierender demokratischer Staaten mit gesichertem Rechtssystem. Aber sie werden in Staaten mit schwacher Rechtsstaatlichkeit hineingepflanzt. Sie entfalten sich als Entwicklungskerne, bieten Schutz, Arbeitsmöglichkeiten und Rechtsstaatlichkeit für alle Bewohner. Wir zitieren:
Charter cities offer a truly global win-win solution. These cities address global poverty by giving people the chance to escape from precarious and harmful subsistence agriculture or dangerous urban slums. Charter cities let people move to a place with rules that provide security, economic opportunity, and improved quality of life. Charter cities also give leaders more options for improving governance and investors more opportunities to finance socially beneficial infrastructure projects.
All it takes to grow a charter city is an unoccupied piece of land and a charter. The human, material, and financial resources needed to build a new city will follow, attracted by the chance to work together under the good rules that the charter specifies.
Action by one or more existing governments can provide the essentials. One government provides land and one or more governments grant the charter and stand ready to enforce it.
Hier könnt ihr Paul Romers Gedanken nachlesen und ihm zuhören:
Ich meine: Paul Romer hat einige fundamentale Grundeinsichten deutlich herausgestellt. Das große Problem mangelnder Entwicklung in den schwachen und den diktatorisch regierten Staaten liegt in der mangelnden Regel- und Rechtssicherheit. Alle Ressourcen sind da: Reichtum an Bodenschätzen, eine sehr junge, lernwillige und lernfähige Bevölkerung, in der Regel keine zwischenstaatlichen Kriege – also „Frieden“. Doch korrupte Führungsschichten haben sich den Reichtum der Länder unter den Nagel gerissen. Für Investitionen fehlt die Zukunftsperspektive. So gibt es zwar überall Handys, aber kaum funktionierende Infrastruktur, kaum Schulen, kaum Stromnetze. Grund: Schulen und Stromnetze erfordern langfristige Investitionssicherheit. Die ist nicht da. Ein gebrauchtes Smartphone-Handy ist zwar für den einzelnen ebenfalls sehr teuer: etwa 100 Dollar. Aber es ist eine kurzfristige Investition, die sofort Früchte abwirft. Also haben die Leute Handys, aber keinen Strom in der Hütte, keine Schule um die Ecke.
Diese Diagnose wird immer wieder von aufgeklärten Intellektuellen jener Länder ausgestellt, etwa vom Team der Zeitschrift „Africa positive“.
Ähnlich einem Platon, ähnlich einem Tommaso Campanella setzt sich Paul Romer an den Schreibtisch, oder besser: an den Beamer und den Laptop und entwirft die wesentlichen Bedingungen gelingenden städtischenLebens: eine klare Rechtsstaatlichkeit ist das erste und wichtigste Erfordernis. Rechtsstaatlichkeit ist für Romer wichtiger als volle demokratische Teilhabe. Denn die ausländische Schutzmacht hätte die Befugnis, jeden Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit abzuwehren. Eine Art legaler Interventionismus! Dies entspräche etwa dem Eingriff des Bundesverfassungsgerichts in das Handeln des deutschen Bundestages oder der Bundesregierung. Wenn das Bundesverfassungsgericht der Meinung ist, dieses oder jenes Gesetz sei verfassungswidrig, dann kann es dieses Gesetz zurückweisen.
Der Unterschied zu den Modellstädten des Paul Romer ist: Das Bundesverfassunsgericht ist das unseres Staates. Es greift nicht vom Ausland aus in die Befugnisse der anderen Organe ein.
Der Eingriff der Schutzmächte in die Belange der Modellstädte wäre allerdings ein Eingriff von außen. Und das – so fürchte ich – wird kein souveräner Staat mit sich machen lassen. Ich messe dem spannenden Gedanken-Experiment der Charter Cities deshalb nur sehr geringe Chancen auf Verwirklichung zu. Ich rate aber dazu, die Vorschläge Paul Romers, eines anerkannten Wirtschaftswissenschaftlers, genau zu prüfen. Seiner Diganose stimme ich im Wesentlichen zu. Seine Therapievorschläge halte ich für kaum durchführbar, ebensowenig wie die Idealstädte Platos oder Tommaso Campanellas.
Wir müssen kleinere Brötchen backen! Wir haben ja schon Städte, die alles andere als Idealstädte sind! Vor allem natürlich unser – Berlin! Unser Friedrichshain-Kreuzberg! Hier können wir beweisen, was wir wollen. Hier können wir Hand anlegen und tatkräftig gestalten! Hier ein Kreuzberger Bügel für 2 Fahrräder, da eine Bibliothek, hier ein Stadtteilvater, da eine Schulmensa mit gutem, leckerem Slow Food aus dem eigenen Schulgarten!
Hic Rhodus, hic salta!
Die Anregungen eines Paul Romer dienen uns als höchst willkommene Inspiration – die Taten vor Ort hier in Kreuzberg, hier in Berlin stehen ganz in unserer Hand!
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