„Lo Stato contro la società“ – der Staat gegen die Gesellschaft. Die souveräne Allgemeinverfügung des ranghöchsten deutschen Politikers

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Jan 302022
 

Der ranghöchste deutsche Politiker im machtausübenden Tagesgeschäft, – der heißt wie? Scholz oder Steinmeier? Nun? — Er heißt weder Scholz noch Steinmeier, sondern der ranghöchste deutsche Politiker ist derzeit Bärbel Bas. Sie ist Präsidentin des Bundestages und steht protokollarisch auf Nummer zwei, also dem verfassungsrechtlichen Rang nach vor und über dem Bundeskanzler.

Am 11. Januar 2022 hat also der ranghöchste, laut Verfassung im Tagesgeschäft mächtigste deutsche Politiker kraft Allgemeinverfügung bestimmt, dass ab 12. Januar die Mitglieder des Deutschen Bundestages ihren Genesenenstatus 6 Monate behalten, während alle anderen Bürger diesen Status nur drei Monate genießen dürfen.

Eine Unterscheidung tut sich auf: Einerseits – die Politiker, andererseits – die Bürger. Zweierlei Kategorien, eingeteilt durch die überragende Machtfülle des derzeit mächtigsten aktiven Politikers der Bundesrepublik Deutschland.

Diese sich im Lauf der Coronakrise herausbildende Entgegensetzung von Staat und Bürgerschaft, von Politik und Gesellschaft, diese Konstellation fasst der italienische, in Frankreich lehrende Philosoph und Soziologe Maurizio Lazzarato in folgende Formel:

Lo stato contro la società

Er meint damit, dass der Staat sich im Zuge fortschreitender Selbstermächtigung, im Zuge der Krise, zunehmend Eingriffs- und Durchgriffsrechte gegenüber den Bürgern und der Gesellschaft herausnimmt oder besser: Stück um Stück erzwingt. Neben der Verfügung über schier unermessliche finanzielle Ressourcen – denn der Staat ist mit großem Abstand der mächtigste Akteur in unserer Volkswirtschaft -, neben dem potenziell unbegrenzten Vorrecht des Staates, Schulden zulasten künftiger Generationen aufzunehmen, schält sich seit Beginn des Pandemiegeschehens das rein biologische Dasein, die körperliche Grundverfasstheit der Bürger also, ja sogar die Unterscheidung zwischen krank und gesund als Verfügungsobjekt des Staates heraus. Aufgrund der Unterscheidung in kranke – also abzusondernde – und gesunde – also mit Bewegungsfreiheit versehene – Bürger kann der Staat – hier etwa verkörpert in der überragenden Machtfülle der alleinverfügenden Bundestagspräsidentin – entscheiden, wer sich wann wo zu welchen Bedingungen aufhalten darf.

Der Staat, oder Bärbel Bas in diesem Falle, wird also – um eine treffende Formulierung von Jean Bodin zu verwenden – zum Träger der summa in cives ac subditos legibusque soluta potestas, d.h. zum Träger der obersten Verfügungsgewalt über Bürger und Untertanen, der selbst nicht mehr an die bestehende Rechtsordnung gebunden ist, sondern schrittweise diese transformiert.

Die Krise schafft also Bedingungen, in denen der Staat seine Souveränität „einzig und allein auf die Bevölkerung ausübt“, indem er „auf massive, invasive und autoritäre Weise in das Leben der Bevölkerung interveniert und dabei beabsichtigt, jede Verhaltensweise zu regieren“ (Lazzarato). Dabei bleiben die Freiheiten der Eigentümer von Kapitalgesellschaften und Finanzpapieren weitgehend unangetastet, woraus sich erklären mag, dass die großen internationalen Kapital- und Distributionsgesellschaften in der Krise prachtvolle Gewinne eingefahren haben (Apple, Amazon, Microsoft, Facebook), während auf den Schultern der Bürger der Staaten neue Schuldenlasten aufgehäuft werden.

Nachweise:

Maurizio Lazzarato: Der Staat gegen die Gesellschaft. In: Italian Theory. Herausgegeben von Antonio Lucci, Esther Schomacher und Jan Söffner. Aus dem Italienischen von Daniel Creutz, Andreas Gipper und Federica Romanini. Merve Verlag, Leipzig 2020, S. 198-237, hier bsd. S. 236-237

Peter Cornelius Mayer-Tasch: Zum Verständnis des Werkes. In: Thomas Hobbes: Leviathan oder Wesen, Form und Gewalt des kirchlichen und bürgerlichen Staates. In der Übersetzung von Dorothee Tidow. Rowohlt Verlag, o.O., 1965, S. 289-302, hier bsd. S. 294

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Freiheit oder Sicherheit?

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Feb 282021
 

„Im Zweifel für die Freiheit“, „das Wichtigste neben dem Frieden ist die Freiheit“, diese beiden für Willy Brandt gut bezeugten Wertaussagen können möglicherweise etwas Licht in die verworrene gegenwärtige Lage werfen. Denn selbstverständlich sind andere Wertsetzungen denkbar.

Nehmen wir etwa die gegenwärtige Pandemie! Die tiefgreifenden Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger, so etwa in das Recht der Freizügigkeit im gesamten Gebiet der EU, die Freiheit der Berufsausübung, die Freiheit der Versammlung, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit durch Bildung, Sport, Kultur werden regelmäßig mit einem anderen Schutzgut gerechtfertigt, nämlich mit dem Schutz der Allgemeinheit und des einzelnen vor einem erhöhten Ansteckungsrisiko. Covid 19 bedroht zweifellos Gesundheit und Wohlergehen der Infizierten, es bedroht möglicherweise die Sicherheit und Funktionsfähigkeit der öffentlichen Gesundheitsversorgung. Die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen dienen also einer erhöhten Sicherheit des Einzelnen und der Gesellschaft vor einer erhöhten Gemeingefahr, vergleichbar der Gefahr durch Überschwemmungen, bewaffnete Angriffe von außen, der Gefahr durch Naturkatastrophen und ähnliches mehr.

Die staatlichen Maßnahmen werden mit dem Versprechen abgegeben, die Sicherheit der Allgemeinheit vor einer Gemeingefahr zu erhöhen. Freilich ist dieses Versprechen nur relativ zu sehen, denn niemand kann ernsthaft die absolute Sicherheit vor jeder Infektion oder vor jeder schweren Erkrankung versprechen. Der Gewinn an relativer Sicherheit ist also ins Verhältnis zu setzen zu dem relativen Verlust an Freiheit. Und hier tritt nun eine Abwägung auf den Plan: Sollte man im Zweifel für weniger Freiheit oder für weniger Sicherheit eintreten? Sollte man die Bürger eher das individuelle Risiko einer Erkrankung auf sich nehmen lassen und es mehr ihrer Verantwortung überlassen, diesem Risiko ins Auge zu sehen oder ihm auszuweichen? Oder sollte der vorsorgende, behütende, schützende Staat sich selbst mehr Verantwortung zuordnen als dies bisher der Fall war?

Ich meine, dass hier unversehens eine nur teilweise bewusste, jedenfalls aber erklärungsbedürftige Entscheidung getroffen wird. Entweder im Sinne eines Willy Brandt, der die Entscheidung „im Zweifel für die Freiheit“ verlangte, oder im Sinne eines Thomas Hobbes, der dem Staat, diesem „wohlwollenden Leviathan“ die fundamentale, nicht durch individuelle Freiheitsrechte beschränkte Aufgabe des Schutzes vor Gemeingefahr zuschrieb.

Freiheit oder Sicherheit? Ein Mehr an Freiheit führt zu einem höheren Gefährdungspotenzial. Ein Mehr an Sicherheit wird wiederum um den Preis einer Einschränkung der Freiheit erkauft. Beide Pole, Freiheit wie Sicherheit, sind dabei nicht absolut zu setzen. Aber wir sollten uns darüber im klaren sein, dass jede Freiheitsbeschränkung auch zu einer größeren Abhängigkeit der freien Bürger von dem freiheitsbeschränkenden Staat führt.

Denn wenn der Staat höhere Schutzgarantien für die Sicherheit ausspricht, begibt er sich auch in die Haftung, den entsprechenden Verlust an Freiheitsräumen für die Bürger materiell auszugleichen und schlimmstenfalls bei nicht eingelöstem Sicherheitsversprechen das Wohlwollen der Bürger durch unterschiedliche Gratifikationen oder Wohltaten zu erkaufen.

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Es ist Zeit, daß wir wissen, dass wir zeitlich sind

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Nov 262020
 

Zu den bittersten Kränkungen der jetzigen Zeit gehört es, dass wir uns der eigenen Begrenztheit bewusst werden. Wir haben schlechterdings dies und das nicht in der Hand! Zum Beispiel – die Zeit. Zum Beispiel – den Zeitpunkt des eigenen Todes. Wir erleiden die Einsicht zum Beispiel – von der Unplanbarkeit zahlreicher Verläufe. Auch die allesbesorgende Politik hat es nicht in der Hand. Der Staat kann den Menschen nicht mehr das Erreichen der natürlichen Altersgrenze von so und so vielen Jahren (70? 80? 86? 100? 120? Unsterblichkeit?) zusichern, wie er dies noch vor einem Jahr vorgab. Ein trügerisches Vorgeben, wie wir jetzt erneut erfahren!

Schlägt man heute die Zeitungen auf, so weht einen überall der Todesgedanke an, Fallzahlen, Sterbetafeln, Infektionsinzidenzen haben die Aktienkurse, Wechselkurse und Targetsalden ersetzt, die früher das unerbittliche Schicksal bedeuteten. – Ein psychotischer, barocker Pesthauch der Vergänglichkeit wallt uns an! Von Geburten, Geburtenzahlen (die muss es doch auch geben?), von Zuversicht, von der Schönheit des Lebens erfährt man nichts mehr aus den Massenmedien und aus den Verlautbarungen – während echte, gute, wahre barocke Kunst (die Musik J. S. Bachs z.B.) bei aller intimen Nähe zum Tod doch immer wieder die überschäumendste Freude feierte! Eine ganze Gesellschaft zieht sich schon mal das Leichentuch übers Gesicht. Es steht 0:6 für den Tod bei uns in Deutschland. Wie die Nationalelf es gegen Spanien so rekordverdächtig herausgespielt hat. Da war kein Aufbäumen mehr zu erkennen.

In der ersten Auflage eines 2020 neu erschienenen Buches hingegen strahlt uns taufrisch und unverwelklich folgendes Gedicht entgegen, als wäre es für heute, den 26. November 2020, geschrieben – oder als wäre es am vergangenen Sonntag, dem Totensonntag des Jahres 2020 geschrieben:

CORONA

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:
Die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.

Zitat:
Paul Celan. Die Gedichte. Neue kommentierte Gesamtausgabe in einem Band. Mit den zugehörigen Radierungen von Gisèle Celan-Lestrange. Herausgegeben und kommentiert von Barbara Wiedemann. Erste Auflage 2020, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2020, S. 45

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„Eine unsichtbare Gefahr bedrohte alles, woran wir glaubten“ – so strickt man Verschwörungstheorien, so schürt man Angst

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Nov 162020
 

Der hochgerühmte Propagandaspot der Bundesregierung verdient wirklich breiteste Aufmerksamkeit. Insbesondere führt die Bundesregierung den Kernsatz jedes Verschwörungsmythos an:

„Eine unsichtbare Gefahr bedrohte alles, woran wir glaubten.“

Diese diffuse Angst vor dem Virus, die durch die Bundesregierung hier kräftig befördert wird, ist das genaue Gegenteil dessen, was rationale Wissenschaft auszeichnet: Ursachenforschung, Zählen, Messen, Abwägen, das schwierige Geschäft des Rechnens, Vergleichens, das zum Handeln befähigt.

Mir scheint: Die einfache holzschnittartige Sicht des Propagandaspots der Bundesregierung bringt uns nicht weiter. Sie lähmt.

Quelle: La geniale campagna del governo tedesco contro il Covid 19 – la Repubblica

https://www.youtube.com/watch?v=krJfMyW87vU

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Faul herumliegen wie die Waschbären und so das Land retten – La geniale campagna propagandistica del governo tedesco contro il Covid 19 

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Nov 162020
 

Helle Begeisterung löst im In- und Ausland (etwa heute in der italienischen Repubblica) die neueste Propagandakampagne der Bundesregierung aus. Die Botschaft der Deutschen Bundesregierung ist eindeutig: Man soll einfach zuhause bleiben, faul auf dem Sofa liegen, Junk Food mampfen, sich das Essen bringen lassen, im halbdunklen Zimmer vor sich hindösen. Bloß nicht raus an die frische Luft gehen! Sondern TV-Serien kucken! Sich nicht um die Nachbarn kümmern! Die Sonne nicht begrüßen! Ein Leben im Winterschlaf. Keine Gymnastik, kein Selberkochen, kein Lüften, kein Singen, kein Musizieren! Sich berieseln lassen!

So wird man zum Helden. Einfach durch Nichtstun. Nicht nachdenken, sich nicht um andere kümmern. Sondern sich versorgen lassen durch den Staat, durch die Regierung. Der Staat, die Bundesregierung wird es alles richten, während die Bürgerinnen und Bürger sich versorgen lassen. Essen wird geliefert. Geld wird überwiesen.

GENIAL! Geniale campagna propagandistica del governo tedesco. Das Urteil der Repubblica ist zutreffend. Es trifft den Nagel auf den Kopf.

Und jetzt, Mitbürgerinnen und Mitbürger: Weiterschlafen! Keine Sorge, seid ohne Sorge!

salvarono il Paese, lo fecero restando semplicemente a casa, stravaccati sul divano, guardando la tv e mangiando cibo spazzatura

Quelle – Spot der deutschen Bundesregierung in deutscher Sprache hier mit italienischen Untertiteln  anschauen: La geniale campagna del governo tedesco contro il Covid 19 – la Repubblica

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Nov 012017
 

Es ist höchst bedauerlich, dass in den heutigen Koalitionsverhandlungen der Grundgedanke der Freiheit eine so verschwindende Rolle spielt! Stattdessen sehen wir allenthalben – vielleicht mit Ausnahme der wenigen freiheitlich gesonnenen Politiker, die in Deutschland noch verblieben sind – eine überbordende Anspruchsphantasie, die der Staat bei seinen Bürgern entfacht.

Jede Partei schreibt den Wunschzettel für ihre Zöglinge aus und versucht dann, ein Maximum vom Kuchen herauszuholen. Die inhaltliche Auseinandersetzung wird von den Parteien verweigert. Der fette, der üppige Staat teilt Geld in Hülle und Fülle für seine Zwecke aus, was immer er geben kann. Der Staat verwöhnt seine Kinder, er sorgt für alle, er weiß es besser! Bis weit in die Zukunft hinein schafft der Staat Bindungen und Verbindlichkeiten für die künftigen Generationen. Das Mittel dazu: die Planwirtschaft, mit der etwa die Volkswirtschaft oder mindestens doch die Energiewirtschaft umgekrempelt wird; unausgegorene Großprojekte wie etwa die bedingungslose Öffnung der Grenzen und die Aufnahme der jungen, männlichen, voll mobilen Mittelschichten aus anderen Staaten in unser Sozialsystem ersetzen die saure Arbeit am Detail, verdrängen die echte Hilfe für die Bedürftigsten dieser Welt. Kühne Gesellschaftsverbesserungswünsche, hochfliegende Klima- und Weltrettungs-Wünsche treten an die Stelle rationaler Erwägungen. Das alles wird der Gesellschaft von den Politikern, diesen „Wesen höherer Art“, ins Pflichtenheft hineingeschrieben.

Um wieviel anders dachte doch ein Friedrich Schiller! Der Marquis Posa entwirft im Don Carlos gegenüber dem dynastischen, dem zentralistischen Unterwerfungsstaat das Ideal der bürgerlichen, der selbstregierten Gesellschaft, in der die Bürger, nicht die staatliche Politik das Schicksal in eigene Hände nehmen. Unter unterem unterstützt der Marquis Posa aus genau diesem Grund das Sezessionsrecht der Regionen – in diesem Fall das Recht auf den „Abfall der Niederlande“, also die Sezession der spanisch-habsburgischen Niederlande von der Krone. Geburt des modernen Verfassungsstaates, Vorbild des europäischen Subsidiaritätsdenkens!

Gegenüber dem bevormundenden, ideologiebewaffneten Fürstenstaat eines Königs Philip II. vertritt der Marquis im 10. Aufzug des dritten Aktes die Meinung,

Daß Menschen nur – nicht Wesen höhrer Art –
Die Weltgeschichte schreiben! – Sanftere
Jahrhunderte verdrängen Philipps Zeiten;
Die bringen mildre Weisheit; Bürgerglück
Wird dann versöhnt mit Fürstengröße wandeln,
Der karge Staat mit seinen Kindern geizen,
Und die Nothwendigkeit wird menschlich sein.

Der karge, der geizige Staat – das kann doch nur heißen, dass der Staat sich nicht besinnungslos in unbedachte Transformationsabenteuer stürzt, dass er schonend mit seinen Ressourcen umgeht. Der karge Staat kennt seine Grenzen und überlässt die wesentliche Arbeit der Existenzsicherung seinen Bürgern.

Nur so kann Freiheit gedeihen, nur so gelingt der Zusammenhalt einer wahrhaft freien Gesellschaft. Die Niederlande haben es im 16. Jahrhundert vorgemacht. Es gibt sie heute noch. Das Habsburgerreich dagegen ist untergegangen.

Leseempfehlung:

Friedrich Schiller: Don Carlos. Infant von Spanien. Dritter Akt, zehnter Auftritt. In: Friedrich Schiller, Sämtliche Werke. Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben von Gerhard Fricke und Herbert G. Göpfert. Zweiter Band. Dramen II [=Lizenzausgabe des Hanser Verlags], Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt, 1981, S. 118-131, hier besonders S. 124

 Posted by at 17:53

Danke, kleines fleiß’ges Maschinchen in Schöneberg!

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Okt 122016
 

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„Ach, wenn ich nach Dienstschluss so aus meinem Rathaus komme und denke, ja wann haben denn hier diese Stufen zum letzten Mal einen Besen gesehen, und wenn ich dann erfahre: Auch heute war hier drei Mal die BSR zugange, hat gefegt und geräumt, geputzt und gewienert… dann möchte ich doch tatsächlich selbst noch zum Besen greifen, möchte Hand anlegen. Aber ich weiß: auch eine vierte Treppenreinigung wird unser Rathaus nicht in vollkommenem Glanz erstrahlen lassen.“

So die beredte Klage Franziska Giffeys, einer bekannten Mitarbeiterin des Neuköllner Bezirksamtes, der ich am vergangenen Freitag in einem der angesagtesten Kultur- und Debattiersalons unserer Stadt lauschen durfte.

Die Klage, die Bürgermeisterin Franziska Giffey am Freitag vorgetragen hatte, kam mir heute wieder in den Sinn! Denn – denkt euch nur, Kinder! – bei uns in Schöneberg hat sich die Berliner Stadtreinigung etwas Besonderes einfallen lassen: ein fleiß’ges kleines Maschinchen, mit einem Saugrüssel versehen, dem nichts, aber nichts entgeht: nicht die Zigarettenkippen, die täglich freigebig neu aufgestreut werden, nicht die Getränkepackungen, nicht das große Geschäft der vielen promenierenden Hunde und Hündchen.

Mehrmals pro Monat rummelt das fleißge Maschinchen  vorbei an meinem blumenbepflanzten Balkon. Das  Maschinchen hab ich ins Herz geschlossen. Wie gut es ist: Der Achtlosigkeit der Bürgerinnen und Bürger – achtet es nicht. Es verrichtet unverdrossen seinen Dienst. Und, Kinder, denkt euch nur: Ein Dankeschön erwartet es nicht. Es erwartet nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger sich ändern. Es ist die Antwort des treusorgenden fürsorglichen Staates an die Bürgerinnen und Bürger, die – weil es das Maschinchen gibt – bleiben dürfen, wie sie immer gewesen sind in unserer Stadt.

Du brauchst das Maschinchen nicht zu belohnen, du kannst die Berliner Stadtreinigung  nicht wählen; du kannst BSR nicht auf dem Stimmzettel ankreuzen. Aber ich, ich wollte hier das kleine fleißige Maschinchen loben. Weil es sonst niemand macht. Wer achtet sein? Kein Hund achtet sein!

Wie rückständig sind doch die Bürger beispielsweise in Ansbach oder Augsburg: Dort räumt nach Silvester immer noch jeder Bürger den eigenen Dreck weg. Und bei uns wissen wir: Das brauchen wir nicht, wir haben ja das kleine fleißge Maschinchen.

Und ich? Ich würde BSR wählen, ich hätte BSR gewählt, wenn es eine Partei wäre. Dem fleißgen Maschinchen zuliebe.

Danke, kleines fleißiges Maschinchen, dass es dich gibt!

Du bist Vorbild; du bist Sinnbild des Bürger-Staat-Verhältnisses in unserem üppigen Bundesland; der Staat, der Bezirk wischt und fegt uns Bürgern hinterher – wie eine gute aufopferungsvolle Mutter, die ihre Kinder über alles liebt, auch wenn sie noch alt und – wie man früher sagte – „erwachsen“ sind und schon selber wischen und fegen könnten.

Siehst Du oben das Bild, lieber Leser? Das ist das kleine fleißge Maschinchen, das Sinnbild der Berliner Politik und Staatlichkeit. O wie gerne würd ich doch das kleine fleißge Maschinchen auch einmal nach Neukölln schicken!

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„Ich habe sechs Kinder. Und du?“

 Armut, Familie, Flüchtlinge, Kinder, Leviathan, Sozialstaat  Kommentare deaktiviert für „Ich habe sechs Kinder. Und du?“
Nov 122015
 

Herrliche, tiefe Gespräche führe ich immer wieder mit Männern aus verschiedenen Ländern in Afrika und Syrien und aus Libanon und aus Jordanien! Zentrale Themen sind in unseren Gesprächen – Familie, Kinder und Religion! Hurra, Kinder, Religion und Familie, drei zentrale Fragen! Und immer wieder höre ich in verschiedenen Variationen folgende zwei Fragen:

„Warum glaubt ihr Deutschen nicht an Gott?“
„Warum habt ihr Deutschen nur so wenige Kinder?“

Ich versuche dann immer, in ganz schlichten, leicht fasslichen Worten zu antworten, so gut ich kann.

Zunächst die zweite Frage, ein Gefährte aus Homs stellte sie mir: „Ich habe sechs Kinder. Und du?“ Ich nannte die Zahl meiner Kinder. Rückfrage: „Warum habt Ihr in Deutschland so wenige Kinder?“

Meine Antwort: „Für uns in Deutschland steht der Einzelne ganz im Mittelpunkt. Das Ich ist der King. Jeder und jede sucht sein größtmögliches Glück, Geld und Gesundheit. Kinder gelten in Deutschland oft als hinderlich. Eins oder zwei kriegt man meist noch mit Müh und Not unter, aber oft fehlt halt einfach in Deutschland das Geld für Kinder. Und der Job geht vor. Für mehr Kinder fehlt uns Deutschen oft das Geld. Und es fehlt oft der sichere Job.“

Meine Antwort stößt auf Zweifel, Staunen, Fassungslosigkeit bei den Menschen aus Homs, aus Lagos, aus Damaskus. Für sie sind Kinder mit das Schönste. „Ohne Kinder ist das Leben nur halb so schön.“ Nicht zuletzt stiften die Blutsbande ein unzerreißbares soziales Netzwerk. Über viele Länder hinweg reicht das Netzwerk. Jeder hilft jedem, das Wohlergehen der gesamten Familie steht im Mittelpunkt, selbst wenn ein Mitglied der Familie oder ein Teil der Familie nach Deutschland ausreist, wird doch stets materiell und auch finanziell die Verbindung in die Heimat gehalten.

Dagegen soll in Deutschland jeder einzelne Mensch ein Höchstmaß an Wohlstand, beruflichem Erfolg, gesellschaftlicher Anerkennung, körperlicher Fitness, politischer Partizipation, politischer Macht und sozialer Gleichstellung und körperlicher Schönheit erzielen. Und Kinder sind dabei in der Tat eher hinderlich. Das gilt insbesondere auch für Frauen. Die deutsche Politik legt sich mächtig in die Ruder, damit keine Frau sich gegen Kinder entscheiden muss, weil das Geld und der sichere Job fehlen. Viele deutsche Kinder wachsen dennoch in Armut auf. Aber der Sozialstaat hilft, so gut er kann. Viele sagen: Deutschland ist nicht kinderfreundlich.

Also Kinderlosigkeit bei den Deutschen aus Geldmangel! Kinderlosigkeit bei den Deutschen wegen des hohen Armutsrisikos in Deutschlands! Staunen, Fassungslosigkeit, Lachen bei den Flüchtlingen.

Was für Länder wie Syrien, Nigeria oder Jordanien das unzerreißbare, grenzüberschreitende Netz der Verwandtschaft, das ist für uns in Deutschland das unzerreißbare Netz des Sozialstaates. Er trägt und hält uns alle. Er ist der gute, der fürsorgliche Leviathan. Er ist der „sterbliche Gott“, wie ihn Thomas Hobbes genannt hat.

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πολλὰ ὄντα ἕν ἐστιν σῶμα; Ein Leib aus vielen Gliedern? (1)

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Sep 252015
 

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Gestern besuchte ich in der Katholischen Akademie in Berlin die Podiumsdiskussion:

Kirche. Leib. Körper. Organismus
Zur Kritik einer Metapher
Die Einladung sei im Wortlaut wiedergegeben: „Religiöse oder politische Körper geben Antworten auf die Frage nach Identität und Gemeinschaft. Das wird anschaulich bei Barack Obama und Johannes Paul II, beim Leviathan und bei dem Bild der Kirche als Leib Christi. Das demokratische Denken begegnet diesen kollektiven Einheitsbildungen seit jeher kritisch: sind diese körperlich vorgestellten Gemeinschaften nicht zu sakral, zu exklusiv, zu männlich und letztlich zu integralistisch? Die Sehnsucht nach leiblich imaginierten Gemeinschaften ist trotz dieser Kritik nicht verschwunden. Im Gespräch von Theologie, Kulturwissenschaft und Soziologie geht der Abend der Bedeutung der religiösen und politischen Körper nach und fragt, wie sich die Rede von der Kirche als Leib Christi heute verstehen lässt.“

Es diskutierten gestern abend Prof. Dr. Matthias Reményi, Juniorprofessor für Systematische Theologie, Prof. Dr. Heinz Bude, Makrosoziologie (Kassel), Prof. Dr. Thomas Macho, Kulturgeschichte (Berlin) und Dr. Aurica Nutt, Katholische Theologie (Köln). Es moderierte Joachim Hake.

Das Thema fand ich aufregend, elektrisierend im Blick auf die neuesten Entwicklungen auf der Welt und im eigenen Ich-Du-Verhältnis. Ich musste da einfach hin. Zur Vorbereitung betrachtete ich mir noch einmal zwei Stellen im Neuen Testament, meinem langjährigen, griechisch verfassten Leib-und-Magen-Buch. Ich empfinde sie als besonders sprechend, nämlich erstens die Ein-Leib-Rede im ersten Korintherbrief (12,12):

Καθάπερ γὰρ τὸ σῶμα ἕν ἐστιν καὶ μέλη πολλὰ ἔχει, πάντα δὲ τὰ μέλη τοῦ σώματος πολλὰ ὄντα ἕν ἐστιν σῶμα, οὕτως καὶ ὁ Χριστός.

Also zu Deutsch ungefähr: „So wie nämlich der Leib Einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes – so viele sie sind – Ein Leib sind, so auch der Christus.“

Und zweitens die Abendmahlsrede, wie sie sich mit leichten Abwandlungen in den drei Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas findet, hier sei zitiert Mt 26,26 in der Nestle-Ausgabe:

Ἐσθιόντων δὲ αὐτῶν λαβὼν ὁ Ἰησοῦς ἄρτον καὶ εὐλογήσας ἔκλασεν καὶ δοὺς τοῖς μαθηταῖς εἶπεν· λάβετε φάγετε, τοῦτό ἐστιν τὸ σῶμά μου.

Zu Deutsch ungefähr: „Während sie aßen, nahm Jesus das Brot, und nachdem er gesegnet, gebrochen und den Schülern gegeben hatte, sagte er: Langt zu, esst, das ist mein Leib.“

Ich war neugierig wie nur je ein Schüler sein kann: In welchem Verhältnis würden sich diese beiden, von mir vorab bereits als zentral, ja als Dreh- und Angelpunkt empfundenen Stellen in den Gesprächen der Gelehrten wiederfinden?

 

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„Powers divided mutually destroy each other“ – Hobbes‘ Urteil über die Gewaltentrennung

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Aug 162015
 

Wir sind für Machtverteilung.“  So Konrad Adenauer vor der Interparlamentarischen Union 1949 in Bern. Er legte damit ein klares Bekenntnis gegen die Machtballung, die zentralistische Machthäufung und Machtkonzentration ab, wie sie die zahlreichen zentralistischen Führerstaaten Europas, darunter Deutsches Reich (1933-1945), Königreich Italien (1921-1943) und Sowjetunion  (ab 1919) kennzeichnete.

Weitgehende Machtballung, Machtkonzentration und Einheitlichkeit in der Machtausübung seien hier als Merkmale des monistischen Politikverständnisses angesehen.

Als wesentliches Merkmal der Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland muss dagegen in der Tat eine weitgehende Machtverteilung, Machtstreuung und Gewaltenteilung gelten.

Von besonderem Interesse ist heute, dass die Währung des Staates (also die D-Mark) streng unabhängig von der Politik gehalten wurde. Die Bundesbank war bis zur Errichtung der EZB weisungsunabhängig; die Währung bzw. die sie steuernde Zentralbank  war in der alten Bundesrepublik Deutschland kein Teil des politischen Systems, wie sie es hingegen seit jeher in Frankreich, Italien oder den USA ist.

Als Beleg für die These, dass die Währung kein Teil und kein Gegenstand  der Politik war, mag gelten, dass es durchaus brauchbare Darstellungen des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland gibt, die der Währung bzw. der Zentralbank keinerlei Aufmerksamkeit widmen, so etwa das Buch „Das politische System Deutschlands“ von Stefan Marschall, erschienen bei der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2015.

Allerdings wurde genau deswegen die DM nie in Frage gestellt; sie stand abseits des Parteienstreits; alle Parteien, alle Bürger wollten die DM nach wenigen Jahren des Zweifelns; nicht zuletzt deshalb war die DM und die soziale Marktwirtschaft der alten Bundesrepublik bis 1996 so erfolgreich. Umgekehrt war und ist der Euro vor, während und nach seiner Einführung in dem meisten EU-Ländern umstritten gewesen, heute sogar mehr denn früher. Er ist in schroffem Gegensatz zur früheren DM durch und durch politisiert.

So ist denn der EZB der Eurozone mittlerweile eine ungeheuerliche Machtfülle zugewachsen; ihre geldpolitischen Maßnahmen können der Eurozone den Garaus machen oder auch neues Leben einhauchen! Diese überragende Machtfülle der EZB manifestiert sich im offensiv eingeforderten Glaubenskenntnis des EZB-Chefs Mario Draghi: „Believe me … believe me … it will be enough.“ Der geforderte Glaube richtet sich bezeichnenderweise nicht auf das politische System des Euro, sondern auf eine und nur eine Person – den redenden EZB-Direktor selbst. Das ist politischer Monismus in Reinstform!

Zurück zur Bundesrepublik! Vertikal haben wir die Machtverteilung und Machtstreuung im dreistufigen Aufbau der Gebietskörperschaften nach Gemeinden, Bundesländern und der Bundesrepublik, horizontal haben wir die Machtverteilung in der systematischen Trennung von gesetzgebender, ausführender und rechtsprechender Gewalt, wobei im parlamentarischen System eine gewisse Überlappung zwischen Legislative und Exekutive unvermeidlich ist. Legislative und oder Exekutive sehen sich jedoch stets einer unabhängig agierenden „anderen Gewalt“ gegenüber, der Gerichtsbarkeit, die sehr oft mit größter Selbstverständlichkeit gegen die Regierung entscheidet.

Insofern kann man durchaus von einem Dualismus sprechen, der das gesamte Staatsdenken und die politische Praxis der Bundesrepublik Deutschland durchzieht. Nie kann EINER oder EINE allein ihren Willen durchsetzen, stets muss die mächtigste Figur im Spiel – also etwa der Bundeskanzler – gewärtig sein, irgendwo ausgebremst zu werden. Ein echtes „Durchregieren“ der Mehrheit kann es in der Bundesrepublik nicht geben.

Die Bundesrepublik Deutschland ist also geprägt durch einen vielfältigen Dualismus oder auch Pluralismus an Entscheidungsträgern und Machtinstanzen. Sie ist das glatte Gegenteil eines monistisch aufgebauten Staates, wie ihn beispielsweise Thomas Hobbes forderte.

Typisch für das eindeutig monistische EU-Recht ist hingegen der größtmögliche Konzentrationsgrad an Entscheidungskompetenzen bei der Zentrale.  Dies gilt insbesondere für die Kommission als zentrale Macht- und Gesetzgebungsbehörde der EU. Sie ist ganz nach dem jahrhundertealten Muster der französischen Zentralverwaltung aufgebaut. Ein Blick auf Art. 17 des EU-Vertrages lehrt dies auf frappante Art.

Der Kommission stehen demnach unter anderem zu:
Rechtsetzung einschließlich des Initiativrechtes, Beteiligung an sämtlichen Rechtsetzungsakten der EU; Erlass von zwingenden Durchsetzungsbestimmungen; Erlass von zwingend einzuhaltenden Richtlinien; Entscheidungen im Verwaltungsvollzug; Kontrollaufgaben (Vertragsverletzungsverfahren; Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen; Genehmigung bzw. Nichtgenehmigung der Abweichungen von unionsrechtlichen Regeln).

Als ewig strahlender Vordenker eines monistischen Staatsverständnisses muss Thomas Hobbes gelten; Machtverteilung, Gewaltentrennung, ein System an „Checks and Balances“, wie es das westliche Demokratiemodell und insbesondere die Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland auszeichnet, war ihm ein Symptom der Krankheit und des Zerfalls, ein Greuel, der letztlich zu Liederlichkeit, Staatsauflösung und verheerendem Bürgerkrieg geführt habe. Hobbes geißelt die Lehre von Gewaltentrennung sogar ganz ausdrücklich, nennt sie eine wahnhafte Ausgeburt der Gehirne  von Politlaien, von Juristen, die keine Ahnung von echter Machtausübung hätten. Es lohnt sich, seine Begründung im Original nachzulesen. Wir finden sie im Kapitel 29 des 2. Buches seines Leviathan von 1651:

There is a sixth doctrine, plainly and directly against the essence of a Commonwealth, and it is this: that the sovereign power may be divided. For what is it to divide the power of a Commonwealth, but to dissolve it; for powers divided mutually destroy each other. And for these doctrines men are chiefly beholding to some of those that, making profession of the laws, endeavour to make them depend upon their own learning, and not upon the legislative power.

 Posted by at 17:21

Der europäische Leviathan schwingt seinen Zauberstab

 Europäische Union, Leviathan, Verfassungsrecht  Kommentare deaktiviert für Der europäische Leviathan schwingt seinen Zauberstab
Aug 142015
 

Leviathan 20150814_171225[1]

Ganz um den Begriff der „geteilten Souveränität“ kreist die lebhafte Debatte über das weitere Schicksal der Europäischen Union. Für die führenden Politiker Frankreichs und Italiens ist der Euro offenbar jetzt der entscheidende politische Hebel, um die ersehnte gemeinsame Souveränität der EU über die Mitgliedsländer der Eurozone zu erreichen. Maßgebliche Politiker Frankreichs und Italiens verlangen in zunehmend schärferem Tonfall das Verschmelzen der einzelstaatlichen Souveränitäten zu einer gemeinsamen Hoheit, zu gemeinsamer Entscheidungsmacht der EU über die Staaten. Sie wollen die EU als Neuen Leviathan, der über die nationalen Verfassungsorgane herrschen möge. Das scheint – der Presse in Italien und Frankreich nach zu urteilen – eindeutig die Linie zu sein, auf die sich mittlerweile Italien und Frankreich verständigt haben. Sie wollen offenbar den Widerstand der Bundesrepublik Deutschland gegen die schrankenlose Schulden- und Transferunion brechen, indem sie bereits jetzt die Schuld an einem, wie sie selbst einräumen, durchaus möglichen Auseinanderbrechen der Eurozone eindeutig und einseitig Deutschland zuschreiben. Belege dafür lassen sich zuhauf beliebig aus der Tagespresse entnehmen.

So schreibt heute in der französischen Le Monde Romano Prodi, der ehemalige Kommissionspräsident, auf S. 12: „Ne laissons pas l’Allemagne dénaturer le projét européen“ – „Wir dürfen nicht zulassen, dass Deutschland das europäische Projekt verdirbt.“ Prodi verlangt einen gemeinsamen Widerstand gegen das deutsche Konzept der „Einflusszonen“, nicht ohne daran zu erinnern, dass es die Politik der europäischen Integration gewesen sei, die es Deutschland erlaubt habe, „seine nationale Einheit wiederzufinden und eine ständig stärkere wirtschaftliche Stellung zu erreichen“. Mit anderen Worten: Ohne die europäische Integration hätte es keine deutsche Wiedervereinigung gegeben.

Leidenschaftlich, ja kämpferisch spricht sich Prodi dagegen aus, die Macht der Europäischen Kommission zu beschränken, wie dies Deutschland derzeit anstrebe.  Er beruft sich dazu auf Art. 17 des EU-Vertrages, der bekanntlich festlegt: „Die Kommission übt ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit aus. Die Mitglieder der Kommission dürfen unbeschadet des Artikels 18 Absatz 2 Weisungen von einer Regierung, einem Organ, einer Einrichtung oder jeder anderen Stelle weder einholen noch entgegennehmen.“

Prodi fordert: „Wir dürfen die Europäische Kommission nicht schwächen, denn dies würde zum Zerfall der Union führen.“

Schwächung der Europäischen Kommission mit anschließendem Zerfall der EU, das befürchtet Romano Prodi also von der Politik der Bundesrepublik Deutschland. Er fordert die anderen Länder der EU unmissverständlich dazu auf, Deutschland in den Arm zu fallen.

Aber auch ein Romano Prodi äußert sich nicht zur staatsrechtlichen Legitimität der EU-Kommission. Sicher, sie vereint in sich exekutive, legislative und judikative Befugnisse. Sie ist nämlich erstens wie eine Regierung politisch bestimmende und administrativ ausführende Behörde, die Verwaltungsakte erlässt, die unmittelbar geltende Rechtswirkung in den Mitgliedsländern entfalten können. Sie gibt laut EU-Vertrag – wie der Bundeskanzler – „die Richtlinien der Politik vor“. Sie ist zweitens wie ein Parlament gesetzgebende Gewalt, die Richtlinien erlassen darf, denen die Mitgliedsländer ohne Widerstandsrecht zu folgen haben. Und sie ist drittens die „Hüterin der Verträge“, also eine Art Gerichtshof über die Mitgliedsländer.

Sie wäre also genau die absolut über die Bürger herrschende Institution, die Thomas Hobbes für einen starken Staat, für seinen Leviathan  fordert: Bündelung der ausführenden, gesetzgebenden und richtenden Gewalt.

Die EU-Kommission ist ein Geschöpf aus dem Geiste eines Thomas Hobbes; sie ist dem Prinzip der Gewaltenteilung, wie es Montesquieu oder John Locke gefordert haben, diametral entgegengesetzt. Wollen wir das? Sollen wir uns diesem Neuen Leviathan unterwerfen?

Der Euro ist der machtvolle Hebel, mit dem der Neue Leviathan sein großes europäisches Projekt umzusetzen beginnt. Prodi ist einer der vielen Herolde des Neuen Leviathans.

In genau diesem Sinne schreiben – hier nur beispielhaft zitiert – am 31.07.2015 in der Monde Harlem Désir, französischer Staatssekretär für Europafragen, und Sandro Gozi, italienischer Staatssekretär für europäische Angelegenheiten:

L’euro est en effet bien plus qu’une monnaie. C’est un projet politique, une souveraineté partagée pour renforcer nos économies, notre croissance, l’emploi et donc finalement nos sociétés dans la mondialisation.

Source: L’euro n’est pas une question monétaire mais politique

Der Euro soll also als „politisches Projekt“ einer „geteilten Souveränität“ dazu dienen, „unsere Volkswirtschaften, unser Wachstum, die Beschäftigung und schließlich unsere Gesellschaften in der Globalisierung  zu stärken“.

Warum sollen wir einfachen europäischen Bürger diesen Schalmeientönen, dieser Begriffslyrik glauben? Nichts davon ist doch seit 1999 bzw. 2002 eingetreten! Nein. Der Euro – oder die Regierungszeit seiner Majestät des Euros – hat doch gerade in Italien, Spanien und Frankreich das Gegenteil herbeigeführt: Schrumpfung oder Stagnation der Volkswirtschaften, verheerender Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit, zu hohe Dauerarbeitslosigkeit, zu starker Anstieg der Staatsverschuldung, wachsender Rückstand gegenüber vergleichbaren Räumen.

Das ehrgeizige Projekt des Neuen Leviathans, die Europäische Union mit ihrem famosen Zauberstab, dem Euro in all seiner Glorie, wirft eine Vielzahl ungeklärter Fragen auf.

Wir einfachen europäischen Bürger wollen auch einmal gefragt werden!

 Posted by at 16:47

Droht die Währungsunion zu einer mystischen Glaubensgemeinschaft zu werden?

 Europäische Union, Gouvernance économique, Leviathan, Schäuble  Kommentare deaktiviert für Droht die Währungsunion zu einer mystischen Glaubensgemeinschaft zu werden?
Aug 132015
 

„Der Euro schützt uns“, „der Euro sichert den Frieden“, „scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, „ohne den Euro bräche sofort wieder der Währungskrieg aus“, „der Euro sichert unseren Wohlstand“ – derartige Aussagen aus dem Munde namhaftester europäischer Spitzenpolitiker weisen eine beunruhigende, apodiktische, theo-logische Sprachähnlichkeit auf. Ohne jede weitere Begründung schreiben sie nämlich der Euro-Währungsunion gewisse Attribute zu, die frühere Staaten ihrem jeweiligen Gott (etwa der Göttin Athene) oder auch ihren jeweiligen Göttern (Baal, Jupiter usw.) zuschrieben.  Die Euro-Währungsunion wird somit zum unhintergehbaren Dogma erkoren; jeder Zweifel daran wird mit dem Bannstrahl der Häresie, der Europafeindlichkeit, wo nicht gar der Apostasie belegt und hinweggefegt.

Letztes Opfer dieser mittlerweile gegen alle Rationalität verhärteten Glaubensgewissheit: der Finanzminister Wolfgang Schäuble. Sein vorsichtiger Vorschlag, Griechenland könnte vorübergehend und einvernehmlich aus dem Währungsverband ausscheiden, brachte ihm europaweit Häme, Spott und scharfe Ordnungsrufe ein. Er ist hinfort gezeichnet als potenzieller Häretiker. Er war einige Augenblicke bereit, ökonomische Vernunft über felsenfeste theo-politische Dogmatik zu stellen. Innerhalb des Euro – so die Überlegung Schäubles, einiger Syriza-Abgeordneter  und einiger namhafter Volkswirtschaftler – werde sich die griechische Volkswirtschaft nie und nimmermehr erholen können. Ein großzügiger Schuldenerlass und ein vorübergehendes Ausscheiden aus dem Euro sei eine mögliche Alternative zur spartanischen Rosskur aus schrumpfender Wirtschaftsleistung, schrumpfenden Staatsausgaben, schrumpfender sozialer Sicherheit. Gesundung der griechischen Wirtschaft durch mehr Souveränität der griechischen Regierung in der Mittelverwendung!

Aber die Schande der Häretiker wird abgewehrt: Letztlich läuft alles in der EU heute auf ein durch und durch monistisches Politikverständnis hinaus: Die Wahrheit der EU ist eine und nur eine, verkörpert und sinnbildlich geworden im Euro. Veritas est una! So wie bei Mt 22, 15-22 in der römischen Münze, im Dinar, die Wahrheit, der absolute Machtanspruch des Trägers aller Gewalt, das Bild des Kaisers sichtbar ward, so wird heute der absolute Vorrang, die Spitzenstellung der Einheitswährung Euro wieder und wieder behauptet. Um aber den bisher nicht wirklich funktionierenden, sondern für die Eurozone insgesamt sogar offenkundig schädlichen  Euro zum Funktionieren zu bringen, so sagen die Euro-Hohenpriester, sei eine starke, monarchische Instanz nötig, die „Europäische Wirtschaftsregierung“, also eine zentrale, absolut souveräne politische Instanz mit exekutiven und judikativen Befugnissen, noch über der heute fast allmächtigen EZB angeordnet. Sie hätte – ohne doch selbst ein Staat zu sein – Weisungs- und Durchgriffsrechte gegenüber den Staaten, die damit zu unverbindlichen Willensäußerungen herabsänken. Die bisherigen Einzelstaaten zerflössen und verschwänden in der friedenssichernden, einheitsverbürgenden Macht des Souveräns, dessen Name EURO ist.

Die Europäische Wirtschaftsregierung, das wäre der Neue Leviathan, das wäre der Träger der Macht! An ihr hätte Thomas Hobbes sein tiefes Behagen und Wohlgefallen. Das Motto des Neuen Leviathan müsste lauten: Wirtschaftsregierung und Lenkungswirtschaft statt Marktordnung und Marktwirtschaft!

Ludwig Erhard hat diesen pseudoreligiös verbrämten Glauben an die zentral gelenkte Wirtschaft bereits in den 50er Jahren klar als Gegenentwurf zur Sozialen Marktwirtschaft, als schroffe Alternative zum Gedanken der europäischen Marktordnungspolitik analysiert; er hat auch bereits damals eindringlich vor dem „Mystizismus“ der europäischen Institutionen gewarnt. Jürgen Jeske hat in seinem lesenswerten Beitrag „Wer ist ein guter Europäer?“ die entscheidenden Überlegungen Ludwig Erhards wieder aufgegriffen.

Wir zitieren abschließend Jürgen Jeske/Ludwig Erhard (FAZ, 12.08.2015):

Erhard hat 1959 in Rom in einer Rede dazu treffend gesagt:  „Es ist in Europa eine Art Mystizismus aufgekommen. Man tut so, als ob die geschaffenen Institutionen unantastbar oder überhaupt gegen jede Kritik gefeit sein müssen. Können wir wirklich annehmen, dass diese Verträge göttlicher Weisheit entsprechen?“

Source: Seite 2 – Griechenland-Krise: Wer ist ein guter Europäer? – Griechenland – FAZ

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La mar bella!

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Jan 202015
 

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Ich atme Weite, Seeluft, Meer, Ahnung von neuen Ufern! Begeisternd. Die Stadt Barcelona ist ein gebautes Rätsel.

La mar bella! Nur Dichter und Fischer verwenden die See, das Meer mit diesem weiblichen Artikel, sie ist das Wandelbare, das Immer-Rauschende, das Ewig-Hinanziehende, sie ist LA MAR. Für andere, für uns Normalbeschuhte, für Segellose ist es nur el mar, das Meer.

Siehst du hier den Agbar-Turm? Er scheint beschuppt, wie ein Fisch, fließend wie das Wasser erhebt er sich aus der Ödnis der ihn umgebenden Gewerbebrache. O Agbar! Du bist wie Leviathan! In dir spiegelt sich die glitzernde Gesellschaft der Jetztzeit. Du erhebst dein Haupt weit über uns. Leviathan, Herrscher der Meere, Herrscher über uns! Zu deinen  Füßen schäumt die Gischt auf, dich rührt es nicht einmal zu einem Lächeln. Endlos beschuppter, strahlend gleißender Bau!

Und wie klein wirkt daneben die Sagrada Família, die heilige Familie, die unvollendet ist, über der sich die Kräne drehen im endlosen Reigen. Sagrada Família, Du wirkst wie ein Streiholzschächtelchen neben den Türmen dieser Welt. Immer unfertig, immer im Werden, gleichst du eher einem inwendigen Bild als einem im Außen wirksamen Bau.

Salzwasser leckte mir Füße und Schuhe heute, La Mar bella! Die Jogger liefen und rannten, das Meer schwappte und rollte, die Dünung wogte.

 Posted by at 20:00