Aug 132015
 

„Der Euro schützt uns“, „der Euro sichert den Frieden“, „scheitert der Euro, dann scheitert Europa“, „ohne den Euro bräche sofort wieder der Währungskrieg aus“, „der Euro sichert unseren Wohlstand“ – derartige Aussagen aus dem Munde namhaftester europäischer Spitzenpolitiker weisen eine beunruhigende, apodiktische, theo-logische Sprachähnlichkeit auf. Ohne jede weitere Begründung schreiben sie nämlich der Euro-Währungsunion gewisse Attribute zu, die frühere Staaten ihrem jeweiligen Gott (etwa der Göttin Athene) oder auch ihren jeweiligen Göttern (Baal, Jupiter usw.) zuschrieben.  Die Euro-Währungsunion wird somit zum unhintergehbaren Dogma erkoren; jeder Zweifel daran wird mit dem Bannstrahl der Häresie, der Europafeindlichkeit, wo nicht gar der Apostasie belegt und hinweggefegt.

Letztes Opfer dieser mittlerweile gegen alle Rationalität verhärteten Glaubensgewissheit: der Finanzminister Wolfgang Schäuble. Sein vorsichtiger Vorschlag, Griechenland könnte vorübergehend und einvernehmlich aus dem Währungsverband ausscheiden, brachte ihm europaweit Häme, Spott und scharfe Ordnungsrufe ein. Er ist hinfort gezeichnet als potenzieller Häretiker. Er war einige Augenblicke bereit, ökonomische Vernunft über felsenfeste theo-politische Dogmatik zu stellen. Innerhalb des Euro – so die Überlegung Schäubles, einiger Syriza-Abgeordneter  und einiger namhafter Volkswirtschaftler – werde sich die griechische Volkswirtschaft nie und nimmermehr erholen können. Ein großzügiger Schuldenerlass und ein vorübergehendes Ausscheiden aus dem Euro sei eine mögliche Alternative zur spartanischen Rosskur aus schrumpfender Wirtschaftsleistung, schrumpfenden Staatsausgaben, schrumpfender sozialer Sicherheit. Gesundung der griechischen Wirtschaft durch mehr Souveränität der griechischen Regierung in der Mittelverwendung!

Aber die Schande der Häretiker wird abgewehrt: Letztlich läuft alles in der EU heute auf ein durch und durch monistisches Politikverständnis hinaus: Die Wahrheit der EU ist eine und nur eine, verkörpert und sinnbildlich geworden im Euro. Veritas est una! So wie bei Mt 22, 15-22 in der römischen Münze, im Dinar, die Wahrheit, der absolute Machtanspruch des Trägers aller Gewalt, das Bild des Kaisers sichtbar ward, so wird heute der absolute Vorrang, die Spitzenstellung der Einheitswährung Euro wieder und wieder behauptet. Um aber den bisher nicht wirklich funktionierenden, sondern für die Eurozone insgesamt sogar offenkundig schädlichen  Euro zum Funktionieren zu bringen, so sagen die Euro-Hohenpriester, sei eine starke, monarchische Instanz nötig, die „Europäische Wirtschaftsregierung“, also eine zentrale, absolut souveräne politische Instanz mit exekutiven und judikativen Befugnissen, noch über der heute fast allmächtigen EZB angeordnet. Sie hätte – ohne doch selbst ein Staat zu sein – Weisungs- und Durchgriffsrechte gegenüber den Staaten, die damit zu unverbindlichen Willensäußerungen herabsänken. Die bisherigen Einzelstaaten zerflössen und verschwänden in der friedenssichernden, einheitsverbürgenden Macht des Souveräns, dessen Name EURO ist.

Die Europäische Wirtschaftsregierung, das wäre der Neue Leviathan, das wäre der Träger der Macht! An ihr hätte Thomas Hobbes sein tiefes Behagen und Wohlgefallen. Das Motto des Neuen Leviathan müsste lauten: Wirtschaftsregierung und Lenkungswirtschaft statt Marktordnung und Marktwirtschaft!

Ludwig Erhard hat diesen pseudoreligiös verbrämten Glauben an die zentral gelenkte Wirtschaft bereits in den 50er Jahren klar als Gegenentwurf zur Sozialen Marktwirtschaft, als schroffe Alternative zum Gedanken der europäischen Marktordnungspolitik analysiert; er hat auch bereits damals eindringlich vor dem „Mystizismus“ der europäischen Institutionen gewarnt. Jürgen Jeske hat in seinem lesenswerten Beitrag „Wer ist ein guter Europäer?“ die entscheidenden Überlegungen Ludwig Erhards wieder aufgegriffen.

Wir zitieren abschließend Jürgen Jeske/Ludwig Erhard (FAZ, 12.08.2015):

Erhard hat 1959 in Rom in einer Rede dazu treffend gesagt:  „Es ist in Europa eine Art Mystizismus aufgekommen. Man tut so, als ob die geschaffenen Institutionen unantastbar oder überhaupt gegen jede Kritik gefeit sein müssen. Können wir wirklich annehmen, dass diese Verträge göttlicher Weisheit entsprechen?“

Source: Seite 2 – Griechenland-Krise: Wer ist ein guter Europäer? – Griechenland – FAZ

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