Sind die Parteien mit ihrem Latein am Ende?

 Altparteien, Antike, Friedrich Merz, Latein, Parteienwandel, Staatlichkeit  Kommentare deaktiviert für Sind die Parteien mit ihrem Latein am Ende?
Aug. 232008
 

Heute widmet 3sat der quicklebendigen Sprache Latein einen ganzen Sendetag. Bene, da wollen wir nicht hinterdreinhinken und unser Thema wieder aufgreifen: Sind die Parteien mit ihrem Latein am Ende? Mitglieder und Wähler laufen davon, wirtschaftspolitische Experten wie etwa Rainer Wend, Friedrich Merz, Matthias Wissmann, Hildegard Müller oder Rainer Göhner verlassen die politische Bühne, die Personaldecke ist dünn. Kann man sich auf Lateinisch einen Reim drauf machen?

Gab es denn im alten Rom schon Parteien? Ja, zwar war Rom keine parlamentarische Demokratie, aber sehr wohl gab es Parteien und Grüppchen zuhauf, Vetternwirtschaft und Ämterpatronage ebenso – alles Dinge, die in offenen Staatsformen jederzeit auftreten können. Es gab sogar im Ansatz eine Lehre von den Parteientypen – nämlich die Unterscheidung in die Volksparteien (populares), die Eliteparteien (optimates) und die Milieu- oder Klientelparteien (clientelae).

Was machte gute Politiker aus, die sich aus jenen Parteien rekrutierten? Cicero sagt: die Fähigkeit, über die eigenen Wähler- und Klientelgruppen hinauszureichen und das Gemeinwohl in den Blick zu nehmen. Er schreibt im ersten Buch von De officiis:

[85] Omnino qui rei publicae praefuturi sunt duo Platonis praecepta teneant: unum, ut utilitatem civium sic tueantur, ut quaecumque agunt, ad eam referant obliti commodorum suorum, alterum, ut totum corpus rei publicae curent, ne, dum partem aliquam tuentur, reliquas deserant. Ut enim tutela, sic procuratio rei publicae ad eorum utilitatem, qui commissi sunt, non ad eorum, quibus commissa est, gerenda est. Qui autem parti civium consulunt, partem neglegunt, rem perniciosissimam in civitatem inducunt, seditionem atque discordiam; ex quo evenit, ut alii populares, alii studiosi optimi cuiusque videantur, pauci universorum.

[86] Hinc apud Athenienses magnae discordiae, in nostra re publica non solum seditiones, sed etiam pestifera bella civilia; quae gravis et fortis civis et in re publica dignus principatu fugiet atque oderit tradetque se totum rei publicae neque opes aut potentiam consectabitur totamque eam sic tuebitur, ut omnibus consulat. Nec vero criminibus falsis in odium aut invidiam quemquam vocabit omninoque ita iustitiae honestatique adhaerescet, ut, dum ea conservet, quamvis graviter offendat mortemque oppetat potius, quam deserat illa, quae dixi.

Der Parteienzwist und Parteienhader wird also von Cicero nicht als friedliches Wetteifern empfunden, sondern als tödliches Gegeneinander in Bürgerkrieg und Meuchelmord. Nur jene können gute Staatenlenker genannt werden, die es verstehen, das politische Amt im Sinne aller ihrer Auftraggeber auszufüllen. Macht, die um ihrer selbst willen erstrebt wird, schlägt unheilvoll auf das Gemeinwohl durch. Mit dieser Verpflichtung auf das Gemeinwohl und der Geringschätzung einer bloß parteigebundenen Sichtweise hat diese vielgelesene Schrift Ciceros das Staatsdenken vieler Jahrhunderte beeinflusst und mit dazu beigetragen, dass Parteien vielfach nicht als Chance, sondern als Bedrohung empfunden werden. Diese tiefverwurzelten Vorurteile sollten die Parteien auch heute nicht ruhen lassen.

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„Du Papa, was heißt das eigentlich: die Systemfrage stellen?“

 Friedrich Merz, Horst Köhler, Staatlichkeit, Systemfrage  Kommentare deaktiviert für „Du Papa, was heißt das eigentlich: die Systemfrage stellen?“
Mai 192008
 

Was heißt eigentlich: „Die Systemfrage stellen„? Keine leichte Frage! Doch ich hatte gestern Glück- zufällig belauschte ich auf einer Modelleisenbahnausstellung einen Vater, der mit seinem etwa zwölfjährigen Sohn das folgende Gespräch führte:

„Du Papa, was heißt das eigentlich: die Systemfrage stellen?“

„Weißt du, lieber Sohn, ein System, das ist alles zusammen – z.B. Deine Modelleisenbahn, also Gleise, Loks, Wagen und Trafo, das alles zusammen ist ein System. Eine Lok kann kaputtgehen, dann müssen wir sie reparieren oder ersetzen. Die Lok kann veralten, dann muss eben eine neuere her. Wir ersetzen oder reparieren dann einen Teil des Systems, aber wir stellen nicht die Systemfrage. Wenn wir aber sagen: unser System, so wie es da ist, passt nicht mehr richtig, wir müssen zu einem anderen System, z.B. von HO zu NO, von Roco zu Märklin, oder von analog zu digital, dann stellen wir die Systemfrage.“

„Nein, Papa, das will ich nicht, ich will nur zwei oder drei Loks mehr, aber die alten behalten.“

„Gut, lieber Sohn, du stellst also die Systemfrage nicht, sondern willst im bestehenden System bleiben und dieses System wachsen lassen.“

„Ja, Papa! Aber wer stellt in der Politik die Systemfrage?“

„Einige! In jeder der großen Parteien gibt es einige, die sagen: wenn wir so weitermachen, geht das System kaputt. Dann fliegt uns der ganze Laden um die Ohren, wie das Kanzlerin Merkel kürzlich gesagt hat, weil einige Manager zuviel Geld in ihre Taschen gestopft haben. Daraus ziehen einige den Schluss: Wir müssen das System wechseln oder ändern. Die Finanzmärkte sind so ein System. Zum Beispiel hat unser Bundespräsident gesagt: Die Finanzmärkte, so wie sie sind, haben sich zu einem Monster entwickelt. Er meint: Wir müssen das System ändern. Der Bundespräsident Horst Köhler von der CDU ist also einer, der die Systemfrage stellt. Oder nimm Dieter Althaus aus Thüringen! Er sagt: Im Alter haben wir bald nicht genug Geld. Deshalb müssen wir das gesamte Rentensystem ändern. Der Ministerpräsident Althaus aus Thüringen von der CDU verlangt mit aller Entschiedenheit den Systemwechsel. Er stellt also nicht nur die Systemfrage, sondern er geht sogar noch einen Schritt weiter: Er verlangt den Systemwechsel. Friedrich Merz von der CDU hat ebenso die Systemfrage gestellt und auf seine Art beantwortet: er hat einen radikalen Wechsel im Steuersystem gefordert.“

„Das ist ja spannend, Papa! Gibt es denn in der CDU nur Politiker, die die Systemfrage stellen?“

„Nein, lieber Sohn, viele, auch in der CDU, sagen: Ein echter Systemwechsel – auch wenn er bei einigen Systemen sinnvoll wäre – ist derzeit nicht zu stemmen. Wir können nur Auswüchse bekämpfen, sozusagen einige Schienen neu verlegen, hier ein Tröpfchen Öl, da eine kleine Gleisausbesserung, damit das insgesamt gute System bestehen bleibt und weiter wachsen kann. Nur in der neuen Partei DIE LINKE gibt es ebenso viele oder vielleicht sogar mehr Menschen als in der CDU, die die Systemfrage stellen. Diese Menschen bei DER LINKEN und bei der CDU sagen: Vieles stimmt nicht in unserem Staat. Wir wollen einiges ändern. Hört mal zu, wir haben da einige Ideen! Bitte schreit nicht so wild durcheinander! Bitte lasst uns ausreden, und vielleicht gefällt euch ja der eine oder andere von unseren Vorschlägen!“

„Dann darf also jede und jeder die Systemfrage stellen?“

„So ist es, lieber Sohn. Die einzige Voraussetzung ist: Man muss die Gesetze einhalten und man darf einige Grundsätze unserer Verfassung nicht antasten. Zum Beispiel: Nur der Staat darf körperliche Gewalt anwenden. Niemand darf einen anderen Bürger hauen oder eine Bombe schmeißen, weil er anderer Meinung ist. Aber wenn man etwas Böses macht und die Gesetze bricht, dann kann man vor Gericht kommen und kriegt dort eine Strafe. Zum Beispiel gab es früher in Deutschland Terroristen. Die haben gar nicht die Systemfrage gestellt, ja, sie haben überhaupt keine Fragen gestellt, sondern einfach Menschen gefangengenommen und getötet, sie haben Bomben geschmissen. Das war sehr böse und sie kamen ins Gefängnis.“

„Aber die Systemfrage stellen, das ist doch nicht böse, Papa, oder?“

„Nein, es ist nicht böse, solange man sich an das Grundgesetz und an die Gesetze hält, wie die CDU und die LINKE das ja allesamt tun. Der Bundespräsident Köhler, der Ministerpräsident Althaus, der frühere Steuerexperte Merz, das sind alles gute Menschen. Niemand wird sie vor Gericht bringen oder durch den Geheimdienst überwachen lassen, nur weil sie die Systemfrage stellen und weil sie grundlegende Änderungen an unserem System verlangen, ebenso wie Teile der Partei DIE LINKE.“

„Dann bin ich ja beruhigt. Kaufst du mir jetzt eine neue Lok? Das ist doch billiger als ein kompletter Systemwechsel!“

„O Sohn, Deine Logik ist mal wieder unwiderstehlich. Also gut, – aber nur weil Sonntag ist. Bitte komm mir bloß nicht mit einem Systemwechsel!“

Ich fand dieses Gespräch sehr aufschlussreich. Schade, dass ich die beiden nicht mehr ansprechen konnte, denn sie waren sehr bald im Gedränge verschwunden. Ich hätte sie gerne darauf hingewiesen, dass dieses Blog unter dem Datum vom 25.11.2007 einen Bericht über Dieter Althaus enthält, der einen radikalen Systemwechsel fordert, aber dennoch nicht vom Verfassungsschutz überwacht wird.

Lesehinwies:

CDU vergleicht Linke mit der RAF. Der Tagesspiegel, 18.05.2008

 Posted by at 12:53