Kann das Volk überhaupt verstehen, was es gefragt wird und worüber es morgen im „Volksentscheid“ entscheiden soll?

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Mrz 252023
 

Morgen steht bei uns in Berlin der „Volksentscheid über einen Gesetzentwurf zur Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes“ an. Selbstverständlich werde ich hingehen, selbstverständlich werde ich eine Entscheidung treffen. Doch welche soll ich treffen?

Hierzu vertiefe ich mich in die 48 Seiten starke engbedruckte Broschüre, die der Landesabstimmungsleiter Berlin allen etwa 2,5 Millionen Wahlberechtigten zugesandt hat. Zusammen sind dies etwa 120 Millionen Seiten engbedruckten Papiers, die dem Volk zur Entscheidungsfindung verhelfen sollen.

Doch werden die 2,5 Millionen Wahlberechtigten auch verstehen, was sie gefragt werden? Hierzu lohnt sich ein Blick auf die Sprache dieser Entscheidungshilfe.

Mein Befund: Die Sprache des Heftes ist eine kunstvolle, alle Schichten der Seele ansprechende Mischung aus

a) angsteinflößenden Pauschalaussagen über die unmittelbar drohende Zerstörung, die Vernichtung, den bevorstehenden Untergang der Lebensgrundlagen, die Seuchen, die Schädigungen, die Verheerungen, die von uns zu verantwortenden menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, unsere koloniale, rassistische Vergangenheit, die Ausbeutung der Frauen, Kinder und ethnischen Minderheiten, die der „globale Norden“ (also wir) uns haben zuschulden kommen lassen und auch weiterhin verüben (man lese hierzu beispielhaft etwa Seite 16 des Pamphlets),

b) einem flickenteppichartigen Sammelsurium unterschiedlichster z.T. wissenschaftlicher, z.T. pseudowissenschaftlicher, auf subjektiven Einschätzungen und höchst zweifelhaften Computersimulationen beruhender Behauptungen über die fernere Zukunft einerseits und interessengeleiteter politischer Quellen andererseits, die wohl mit dem Ziel aneinandergefügt werden, das akademisch nicht vorgebildete Volk zu verwirren und ohnmächtig zu stimmen. Wichtige Belege werden zudem nur in englischer Sprache nachgewiesen – wie viele der 2,5 Millionen Menschen im Berliner Volk sind imstande, diese englischen Quellen auf Stichhaltigkeit nachzuprüfen?

Eine hammerartig eingebleute Angst vor dem Weltuntergang, Einschüchterung des Volkes, Demütigung der Nichtakademiker im Volk, bewusst eingejagte zermürbende Schuldgefühle, eine blasenartig verkapselte, pseudointellektuelle, pseudowissenschaftliche Sprache zeichnen diese ins Berliner Volk gefeuerten 120 Millionen Seiten Papier aus – es ist ein Artilleriebeschuss mit generell weder widerlegbaren noch nachprüfbaren Behauptungen, ein Trommelfeuer, ein dumpfes Dröhnen am Horizont, das einem jede Handlungszuversicht nimmt.

Jede einzelne Aussage in dem Heftchen lässt sich bezweifeln und muss bezweifelt werden!

Ich werde deshalb morgen mit NEIN stimmen.

Bibliografischer Quellenhinweis: Amtliche Mitteilung zum Volksentscheid über einen Gesetzentwurf zur Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes am 26. März 2023. Herausgeber: Der Landesabstimmungsleiter Berlin, Klosterstraße 47, 10179 Berlin

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Völker Europas, schaut auf diesen Platz!

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Mai 192018
 

Hier, auf allen diesen Bildern, sehen wir den Europaplatz in Berlin, aufgenommen in diesen herrlichen Tagen des Mai 2018. Ein Vergleich mit dem Europaplatz in Moskau drängt sich geradezu auf.

Über den 2002 gestalteten Europaplatz Moskau schrieb ich am 11. Mai 2018:
Aus dem europäischen Uccle stammte der Bildhauer Olivier Strebelle. Für den Europaplatz im europäischen Moskau schuf er 2002 diese kraftvolle, raumbeherrschende und doch spielerische Metallplastik „Die Entführung der Europa“. Den städtebaulichen Entwurf für diesen Platz Europas gestaltete der europäische Architekt Jurij Platonov.

Heute schreibe ich über den Europaplatz Berlin:
Kein Bildhauer schuf irgendeine Plastik für den Europaplatz in Berlin. An diesem Platz findet sich kraftvoll, und raumsperrend der Nachrückverkehr der Taxifahrer. PKWs, schimpfende Droschkenkutscher. Nachrücker. Ängstliche Fußgänger rennen in die Abfertigungshalle des Hauptbahnhofs. Eilig huschen Reisende vorbei. „Nur fort von hier“, sagen ihre Schritte. „Überall ist es besser als an diesem Europaplatz!“ Ein städtebaulicher Entwurf ist nicht erkennbar. Berlins Europaplatz ist ein Nicht-Ort.

Über den Europaplatz Moskau schrieben wir dagegen:
Wir erreichten heute nach einer Stunde Radtour diesen heiteren, sonnenbeschienenen Platz vor dem Kiewer Bahnhof im Moskauer Bezirk Dorogomilovo. Junges europäisches Volk belebte den Platz mit bunten Kleidern, munterem Wortwechsel und lässiger Muße.“

Am düsteren, 2005 angelegten Europaplatz Berlin lädt nichts, aber auch gar nichts zum Verweilen ein. Im Gegenteil, die Leuchttafel mit den Bus-Abfahrtzeiten fordert dazu auf, möglichst rasch das Weite zu suchen. Es wird nichts erzählt, es wird nichts vorgestellt, es wird nicht gelacht in Europa! So also stellt sich Deutschlands Hauptstadt Europa vor.

 

„Fröhlich flatterten die Fahnen aller 49 Staaten Europas im Hintergrund“, notierten wir in unser Moskauer Reisetagebuch.

Hier in Berlin notiere ich:

Europaplatz Berlin:
Sprachlos und kalt
stehn die Gefängnismauern in Moabit.

Nachts klirren die Fahnen im Winde.
Falsch: Nicht einmal Fahnen gibt es hier.
Fahrpläne um wegzukommen? Ja!
Hier herrscht Frost im Frühling.
Der Tod aller europäischen Symbolik,
Er zelebriert sich hier.

Ganz leise, heimlich und unbemerkt ritze ich in trüber Stunde folgende Bronzetafel in meiner Phantasie ein:

ZUM ZEICHEN DER ABWESENHEIT DER FREUNDSCHAFT
UND DER GEDANKENLEERE SOWIE
DES AUSEINANDERDRIFTENS DER MENSCHEN EUROPAS
HAT DER SENAT BERLINS 2005 BESCHLOSSEN
IN DER HAUPTSTADT DEUTSCHLANDS
DIESEN NICHT-ORT ANZULEGEN
UND IHN EUROPAPLATZ ZU NENNEN
WIR HABEN NICHTS ZU SAGEN ZU EUROPA
WIR GLAUBEN NICHT AN DIE EINHEIT EUROPAS
MIT SEINEN 49 STAATEN
WIR GLAUBEN ZWAR NOCH AN DEN EURO
UND AN DIE MACHT DES GELDES
UNS FÄLLT ABER NICHTS SINNVOLLES ZU EUROPA EIN

ES TUT UNS LEID EUROPA
EHRLICH

 

 

 

 

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„Die Sowjetarmee brachte den Völkern Europas Frieden“

 Europäischer Bürgerkrieg 1914-1945, Flüchtlinge, Russisches, Vertreibungen, Volk  Kommentare deaktiviert für „Die Sowjetarmee brachte den Völkern Europas Frieden“
Mai 162018
 

Soeben überfliegen wir die heute russische Oblast Kaliningrad; das Foto hier oben zeigt das Frische Haff mit der Frischen Nehrung, und da wo wir das Airbus-Triebwerk sehen, da lag einst die deutsche Stadt Königsberg, in der Immanuel Kant lebte, lehrte und starb. Nach dem zweiten Weltkrieg (01.09.1939-08.05.1945) wurde die Gegend der Sowjetunion zugesprochen, die deutsche Bevölkerung, soweit sie vor der Sowjetarmee nicht schon geflohen war, wurde enteignet und vertrieben. Die Stadt wurde nach dem langjährigen Staatsoberhaupt der Sowjetunion Michail Iwanowitsch Kalinin in Kaliningrad umbenannt.  Die Oblast Kaliningrad wurde – zusammen mit der gesamten östlichen Hälfte des durch den Großen Vaterländischen Krieg (1941-1945)  befreiten und befriedeten polnischen Territoriums – von der Sowjetunion vereinnahmt. Auch aus diesen Gebieten wurde die noch ansässige, überwiegend polnische Bevölkerung enteignet und gewaltsam vertrieben.

Gute Stunden verbringe ich bei dem Rückflug von Moskau nach Berlin mit dem Lesen der Mai-Ausgabe des in der Tat sehr lesenswerten Bordmagazins der Aeroflot.

Warum nenne ich diese Zeitschrift so im höchsten Maße lesenswert? Nun, glaubt mir bitte, es gibt kaum eine bessere Zusammenfassung der heutigen russischen Sicht auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts als eben dieses für ein breites russisches und internationales Publikum zusammengestellte Heft! Es steht ganz im Zeichen des Monats Mai, im Zeichen der menschlichen Wärme, der Freude und der Ehrlichkeit! Denn am 9. Mai 1945 hat die sowjetische bzw. russische Armee nach den erbitterten Kämpfen des Großen Vaterländischen Krieges, der am 22.08.1941 begann und bis zum 09.05.1945 dauerte, endgültig den Völkern Europas Frieden gebracht!

Lesen wir diese Tatsachen in der Begrüßung durch Vitali Saveliev, den Generaldirektor der russischen Staatsfluglinie:

Май в России — время душевного тепла, пронзительной искренности и радостного, приподнятого настроения. В эти дни, наполненные светом Великой Победы, мы с благодарностью вспоминаем всех ветеранов, которые отстояли нашу страну и принесли мир народам Европы.

Auf Englisch:

In Russia, May is a time of warmth, sincerity, and joy. In the coming days, as we mark the anniversary of the end of the Great Patriotic War, we remember all those who defended our country and brought peace to Europe.

http://webfiles.aeroflot.ru/Aeroflot_May_2018.pdf?_ga=2.169824937.923003188.1526489076-63684332.1526489076

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Umvolkung aller Deutschen durch Migration – eine mögliche Befreiung der Deutschen von ihrer Großschuld?

 Flüchtlinge, Johann Gottlieb Fichte, Lied der Deutschen, Migration, Süddeutsche Zeitung, Volk, Was ist deutsch?  Kommentare deaktiviert für Umvolkung aller Deutschen durch Migration – eine mögliche Befreiung der Deutschen von ihrer Großschuld?
Jan 072016
 

„Während der Befreiungskriege entstand ein anderer Begriff von Deutschtum. Der Mangel an Identität wurde durch den „Volkshass“ gegen innere und äußere Feinde kompensiert. Die Begründer dieses völkischen Nationalismus waren verbohrte Ideologen, Franzosenfresser, Judenhasser: In den Schriften von Johann Gottlieb Fichte, Ernst Moritz Arndt und Friedrich Ludwig Jahn findet sich schon alles, was Deutschland später furchtbar machte.“

Wir zitieren hier aus einem lesenswerten Beitrag von Michael Bittner, nachzulesen in der Süddeutschen vom 8. Dezember 2015.

Fichte, Arndt, Jahn werden in dem Aufsatz Michael Bittners gewissermaßen als Wegbereiter von Hitler, Kaltenbrunner und Hans Frank dargestellt. Ein grober Unfug, von echter Textkenntnis kaum berührt, wie ich meine, der obendrein den genannten historischen Gestalten nicht gerecht wird. Denn den Haß auf Napoleon und die Franzosen fand man bis 1813 damals in Russland oder Österreich ebenso stark, wo nicht stärker als in Preußen. Der Judenhaß war damals in Russland und Polen weit stärker ausgeprägt als in den deutschen Landen. Und glühende, militante Nationalisten gab es bei den Polen, den Serben, den Ungarn, den Tschechen, den Italienern in Hülle und Fülle!

Gewaltbereite Nationalisten waren also zur Zeit der Gewaltherrschaft Napoleons über Europa mitnichten etwas typisch Deutsches, sondern typisch für die Nationalstaatsbildung im Europa des 19. Jahrhunderts; der völkisch begründete, totalitäre Einheitsstaat begann ja auch übrigens schon im Frankreich der Revolution von 1789, er zeichnete sich unter anderem bereits in der blutigen Niederwerfung der Girondisten und der blutigen, nationalistischen Unterdrückung der Bretonen samt ihrer Sprache und ihrer Kultur in Frankreich ab.

Nur in Deutschland wird aber bis zum heutigen Tag unter dem Leitwort „Nostra culpa, nostra culpa, nostra maxima culpa“ beständig die ewige Schuld Deutschlands, die Großschuld aller toten und aller heute lebenden Deutschen an allen nationalistischen, judenfeindlichen, rassistischen, kolonialistischen, genozidalen und ideologischen Verbrechen rauf und runter deklamiert, die seit 1813 bis zum heutigen Tage in Europa oder weltweit begangen worden sind oder noch begangen werden.

Diese negativistische Deutung des 1980 geborenen Michael Bittner auf die gesamte Geschichte der deutschen Staatlichkeit ab etwa 1806 werte ich als einen typischen Beleg für die kategoretische, also selbstverurteilende Selbstverachtung, mit der in Deutschland häufig all das, was zu Beginn des 19. Jahrhunderts zur Nationalstaatsbildung beitrug, eingeschätzt wird – und diesem Verdikt fällt auch die Nationalhymne Hoffmanns von Fallersleben zum Opfer.

Welchen Ausweg bieten die Vertreter der Maxima-Culpa-These uns an? Nun, sie hängen ganz wie Jahn und Arndt alten völkischen Idealen an! Da die Deutschen als solche, gewissermaßen als Trägervolk des Bösen an sich, so viele Verbrechen begangen hätten, hülfe ihnen nichts anderes als ihr Deutschsein ganz aufzugeben und sich komplett von anderen Völkerschaften durchdringen und übernehmen zu lassen. Umvolkung wünscht Bittner uns ganz ohne Anführungszeichen allen Ernstes in der Süddeutschen Zeitung, – also ein Programm zur möglichst vollständigen Umorientierung, zur Entdeutschung der Deutschen.

Umvolkung lautete das Programm, das mehrere junge Nationalstaaten auf ihrem Territorium mit ihren Minderheiten gewaltsam durchgeführt haben, darunter die Sowjetunion unter Lenin und Stalin, das Königreich Italien unter Mussolini, das Deutsche Reich unter Hitler, die junge türkische Republik unter Atatürk, die Republik Frankreich unter Robespierre … und Dutzende andere Staaten ebenso.

Die vom Deutschen Michael Bittner soeben wieder erhobene Forderung nach blutmäßiger Umvolkung des eigenen Volkes, diese Selbstverachtung, die daraus spricht, scheint mir etwas typisch Deutsches, zugleich aber auch etwas stark Anachronistisches zu sein, sie gehört eher ins 19. und ins frühe 20. Jahrhundert als ins frühe 21. Jahrhundert.

Doch überlassen wir dem Autor Michael Bittner das letzte Wort:

„Dass Turnhallen gerade zur Unterbringung von Flüchtlingen zweckentfremdet werden, erfüllt mich daher auch mit Genugtuung. Ich setze in die Umvolkung gerade für Ostdeutschland große Hoffnungen.“

http://www.sueddeutsche.de/kultur/serie-was-ist-deutsch-warum-ostdeutschland-mehr-auslaender-braucht-1.2771795

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Nov 122015
 

Πᾶσα ψυχὴ ἐξουσίαις ὑπερεχούσαις ὑποτασσέσθω. „Jede Seele soll sich den herrschenden Institutionen einordnen“, so (in eigener Übersetzung) der bekannte Briefeschreiber Paulus von Tarsos im Römerbrief, Kapitel 13. Eine unendlich oft – auch von Luther selbst – kommentierte Stelle! Für die Entstehung der lutherischen Kirchen ab 1517 und vor allem für das Verhältnis zwischen irdischen Gewalten und Christengemeinden bereits ab dem ersten Jahrhundert nach Christus von überragender Bedeutung.

Das gilt auch heute noch, wie ein Blick die WELT vom heutigen Tage lehrt (S.6)!

Humanität und Menschenwürde kennen keine Grenzen„, so Heinrich Bedford-Strohm, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland. Nun? Was folgt daraus? Hat denn irgendjemand behauptet, dass Humanität und Menschenwürde nur in Deutschland zu finden seien, und außerhalb Deutschlands (also z.B. in Luxemburg) keine Humanität und Menschenwürde zu leben seien?

„Wir brauchen keine Grenzen“, „No borders!“, „keine Nationalstaaten mehr!“, „wir brauchen mehr Europa“, „wir brauchen mehr WELT, wir leben in EINER Welt, weg mit den Grenzen, weg mit dem Staatsrecht, weg mit dem Rechtsstaat, weg mit den Institutionen!“

Fast schon verzweifelt lehnen sich noch vereinzelte Stimmen wie etwa der ehemalige deutsche Verfassungsrichter Udo di Fabio, der ehemalige Verfassungsrichter Roman Herzog gegen die Begeisterung für grenzenlose Barmherzigkeit, gegen die kühne, handstreichartige Außerkraftsetzung des institutionell verankerten Rechtsrahmens auf.

„Der Nationalstaat liegt als Projekt hinter uns! Wir brauchen mehr Europa!“

„Das neue Deutschland nach 1949 und 1989 hat seine großen Erfolge in der Wirtschaft-, Sozial- und Außenpolitik nicht als klassischer Nationalstaat, sondern als ein demokratisches, weltoffenes und in Europa integriertes Land erzielt.“

So zuletzt – nur als ein Beispiel von vielen – Heiner Geißler von der CDU. Nun, dem vermag ich in aller Bescheidenheit nicht so schnell zu folgen.

Ich selbst meine, dass der auf Recht gestützte Staat, also der „klassische Verfassungsstaat“ noch nicht ganz ausgedient hat. Der klassische Verfassungsstaat (etwa Frankreich, Deutschland, Polen, Ungarn…) hätte erst dann ausgedient, wenn die Souveräne dieser Staaten, also die Völker, sich dazu verständigt hätten, sich als „postklassischer übernationaler Verfassungsstaat“ zusammenzuschließen. Und das haben sie noch nicht getan. Einige Völker der EU, z.B. die Franzosen, haben dies sogar ausdrücklich per Volksabstimmung abgelehnt.

Ich bekenne mich als ein Anhänger des klassischen parlamentarischen Verfassungsstaates mit seiner klassischen Gewaltenteilung; ich bin ein (übrigens auch durch öffentlichen Eid) eingeschworener Anhänger der derzeit bestehenden Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland.

Selbstverständlich bin ich für die Einhaltung aller internationalen Verpflichtungen, die Deutschland eingegangen ist.

Selbstverständlich soll man Menschen vor Not, Elend und Hunger bewahren; aber eine komplette – auch nur vorübergehende – Außerkraftsetzung des geltenden Rechts wäre das berühmt-berüchtigte „Paradies auf Erden“. Ein Schritt ins Verderben.

Die Genfer Flüchtlingskonvention, das Völkerrecht, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, die vertraglichen Verpflichtungen aus den EU-Verträgen, der methodische und rechtliche Vorrang des Bundestages vor der Bundesregierung, das sind die Grenzen, an denen wir nicht rütteln sollten, an denen aber derzeit tatsächlich heftig gerüttelt wird.

Wir brauchen nicht einmal Paulus Rö 13, um an die Einhaltung der geltenden Rechtsordnung zu erinnern.

Nachweise:
Antieuropäische Ressentiments: Nationales Gedankengut wird hoffähig | Geißlers Nachschlag – Berliner Kurier – Lesen Sie mehr auf:
http://www.berliner-kurier.de/geisslers-nachschlag/antieuropaeische-ressentiments-nationales-gedankengut-wird-hoffaehig,11561998,25797542.html#plx1435918713

http://www.welt.de/print/die_welt/politik/article148748357/Fluechtlingskrise-reisst-eine-Wunde-in-deutsches-Recht.html

Bild:
Ein Blick in Dantes Inferno, vom Rande des Europa-Rechts her gesehen. In: Ausstellungskatalog:
Der Botticelli-Coup. Schätze der Sammlung Hamilton im Kupferstichkabinett. Kupferstichkabinett. Ausstellung. Staatliche Museen zu Berlin, Kulturforum, Matthäikirchplatz, 16.10.2015 bis 24.01.2016, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa-So 11-18 Uhr

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„Jedes Volk lebt nach einer Werteskala“

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Sep 052015
 

Sand 20150905_131042Einer unserer besten Reiseerzähler in die faszinierende Welt der Völker oder Volksgruppen Syriens, die in diesen Tagen und Wochen als ganze Gemeinden und Verbände nach und nach in die EU, vor allem nach Deutschland umsiedeln, ist unser guter deutscher Landsmann, der 1946 im syrischen Damaskus geborene  Suhail Fadél, besser bekannt als Rafik Schami. Er weiß genau, wo und in welcher Moschee das Grab Johannes des Täufers liegt, das Grab des Yahya, wie ihn die muslimischen Mhallami hier um die Ecke in Kreuzberg auf Arabisch nennen. Sein Roman „Sophia oder Der Anfang aller Geschichten“ führt uns nach Damaskus, in die Stadt, in der Paulus von Tarsos (früher Saulus genannt) sich einige Zeit vor seinen Häschern versteckte.

Schami schreibt in seinem höchst lesenswerten Buch  „Die dunkle Seite der Liebe“:

„Jedes Volk lebt nach einer Werteskala. Bei dem einen steht die Eroberung neuer Gebiete für das Vaterland an erster Stelle, bei dem anderen das Glück der Familie, beim Dritten ist es die Ehre der Frau.“

Entscheidend ist hier der Volksbegriff! Für die syrische Gesellschaft ist die Volkszugehörigkeit zentraler Teil der Identität der Person. Die Eroberung neuer Gebiete für das eigene Volk ist eine zentrale Triebkraft hinter den militärischen Konflikten und den Migrationsbewegungen. In welchem Volk und in welcher Religion man geboren ist, bleibt für das ganze Leben in Syrien von entscheidender Bedeutung. „Wir in unserem Volk sind alle Christen“, sagte mir einmal eine assyrische Friseuse aus Hamburg beim Haareschneiden, ehe sie mir beibrachte, wie man in der Sprache Jesu Christi – also Aramäisch – Frohe Weihnachten sagt.

Nun überlegt selbst: „Wir in unserem Volk sind alle Christen“, das würde doch in Deutschland niemand sagen! Oder? Kein Deutscher würde sagen: „Wir in unserem Volk sind alle Christen“, „wir sind ein christliches Land“, schon einfach aus dem Grund, weil die öffentlich bekennenden Christen in Deutschland wie in den meisten anderen europäischen Ländern mittlerweile eine Minderheit sind.

In Syrien, Irak, Ägypten, Israel, Libanon, Palästina hingegen ist das klare Bekenntnis zu einer Religion und zu einem der Völker unerlässlich, es prägt Lebensgeschichten und Persönlichkeiten.

„Mit Religion habe ich nichts am Hut, die Religion kann mir gestohlen bleiben“, sagte mir hingegen einmal ein  alawitischer Moslem aus Syrien. Er ist zwar weiterhin nominell Moslem, aber er „praktiziert“ nicht, er ist Atheist. Er darf sich jedoch nicht vom Islam lossagen, denn dies würde ihn und die Seinen großer Gefahr an Leib und Leben aussetzen.

Die Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Libanon, Palästina und alle anderen wird man nur verstehen, wenn man sie aus ihrem jeweiligen Volk und der jeweiligen Religion zu verstehen versucht.  Sie werden zwar jederzeit gern nach Deutschland übersiedeln, in ein Land, das ihnen endlich Frieden, Brot und ein sicher Dach bietet – was Länder wie Syrien oder Irak immer weniger leisten wollen und leisten können.  Denn diese Länder werden zerrissen von uralter, neu angefachter Uneinigkeit und Zwietracht zwischen Völkern, Religionen, Sippen und Machtverbänden.

Aber die Flüchtlinge werden ihre Identität als dieses oder jenes Volk bewahren. Sie werden beispielsweise weiterhin in der Regel Angehörige des eigenen Volkes und derselben Religion heiraten, sie werden enge Kontakte zu den in der Heimat gebliebenen Sippenangehörigen und Verwandten halten und beim Heiraten einem Partner aus der alten Heimat meist den Vorrang geben. Auf keinen Fall beabsichtigen sie, in Deutschland ihre Identität als Assyrer, Kurden, Palästinenser, Jesiden, Alawiten usw. aufzugeben und Deutsche wie andere Deutsche auch zu werden. Insoweit sollte man sich vom Gedanken einer wirklich umfassenden kulturellen Integration recht bald verabschieden, ehe es zu bitteren Enttäuschungen kommt.

Lesehinweise:
Rafik Schami: SOPHIA oder Der Anfang aller Geschichten. Roman. Carl Hanser Verlag, München 2015

Kurt Rothmann: Kleine Geschichte der deutschen Literatur. 20., durchgesehene und erweiterte Auflage, Philipp Reclam jun. Stuttgart 2014; zu Rafik Schami: S. 519-522, hier bsd. S. 521

Bild:

Schuhe, Sand, Spuren. Aufnahme vom Badeschiff am Spreeufer. Heute. Berlin, 5. September 2015, 13.10 Uhr

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Dez 202013
 

2013-12-20 16.30.06

„Wer oder was ist Europa“? Eine alte Frage, die meist mit mehr oder minder überzeugenden Rückfragen beantwortet wird. Wir selbst haben in diesem Blog versucht, ähnlich wie Willy Brandt einen besonderen Freiheitsbegriff als unterscheidendes Merkmal Europas zu benennen. Im Gegensatz zu den Großreichen des Ostens, aber auch im Gegensatz zu den Großreichen des Nationalsozialismus und der sozialistischen UDSSR, die Sicherheit und Macht des Staatsvolkes sowie Loyalität gegenüber einem Herrschaftsverband obenan stellten, speist sich der engere europäische Freiheitsbegriff aus der Einsicht in die vorgängige Freiheit der einzelnen Person, in die Vorrangigkeit der unteren Ebene.

Das scheint in der Antike etwas Unerhörtes gewesen zu sein, und bereits die Perserkönigsmutter Atossa verleiht diesem Erstaunen Ausdruck, als sie erfährt, dass die griechischen Städte niemandem untertan seien, dass sie nur sich selbst gehörten und „keines Menschen Sklaven seien“ (Vers 242):

„Keines Mannes Knechte oder Untertanen heißen sie.“

Einen starken, mutigen Freiheitsbegriff vertritt auch der Kreuzberger Mitbürger Cem Özdemir – etwa wenn es um die so brennende Frage geht, wie die künftige Europäische Union beschaffen sein soll. In seinem Türkei-Buch geht er einige – ihn nicht überzeugende – Antworten durch, um zu folgender Kernaussage zu gelangen: „Entscheidend ist, was wir Europäer wollen.“ Die entscheidende Frage lautet für ihn nicht: „Wer oder was ist Europa?“, sondern: „Was soll Europa sein?“

Özdemirs Kernfrage birgt auch schon die Antwort auf die Frage, wie es jetzt mit der Europäischen Union weitergehen soll. Letztlich können und dürfen es nicht die Europäischen Institutionen, nicht die Regierungen und schon gar nicht die ominöse Troika entscheiden, wohin die Reise geht. Entscheidend ist, was die europäischen Bürger wollen. Wenn eben 69% der Polen und eine überwältigende Mehrheit der Briten den Euro nicht und nimmermehr haben wollen, dann nützt es nichts – wie man dies in Deutschland immer wieder gegenüber Kritikern der Euro-Währung hören kann –  diesen Briten und Polen vorzuwerfen, sie seien „Nazis“, „Rechtspopulisten“ oder sie trügen den „Spaltpilz“ in die europäische Seligkeit und stürzten Europa wieder in Krieg und Verderben.

Gerade die Versuche, große Teile Europas in gewaltigen Machtverbänden zusammenzufassen, sind grandios gescheitert. Überlebt haben die kleinen und mittelgroßen Einheiten, die auf einem starken Freiheitsbegriff aufruhten. Das Reich Karls V. ist untergegangen; die Niederlande, die sich von den Habsburgern lossagten, gibt es heute noch! Die Sowjetunion ist untergegangen, das lettische Volk, das slowakische Volk, das estnische Volk, das polnische Volk gibt es immer noch und sie haben sich nach langen Kämpfen einen Staat geschaffen, wie sie ihn haben wollten.

Entscheidend ist stets, was wir Bürger wollen – nicht, was die Machthaber wollen.

Der europäische Freiheitsbegriff ist also subsidiär, von unten nach oben wachsend. Er ist aber auch dynamisch, ist wesentlich nach vorn gerichtet. Er verlangt die Möglichkeit der Wahl – auch in der Zukunft. Freiheit ist ein stets zu erneuernder Begriff. Freiheit muss Tag um Tag behauptet werden. Sie ist nie endgültig. In Goethes Faust heißt es (V. 11575):

„Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben,
der täglich sie erobern muss.“

Hölderlin sagt in seinem Gedicht Lebenslauf:

„Und verstehe die Freiheit,
Aufzubrechen, wohin er will.“

Dies ist die Freiheit als Aufgabe, die es zu verstehen gilt, und Freiheit als Vorhabe, die es sich vorzunehmen gilt. Freiheit ist kein Endzustand, der sich vertraglich fixieren ließe!

Freiheit ist wichtiger als Einheit! Willy Brandt, Konrad Adenauer, Theodor Heuss gaben der kleineren, freiheitlichen Bundesrepublik den Vorrang vor allen Lockrufen, eine Wiedervereinigung um den Preis der Unfreiheit herbeizuführen. Heute würde man sie wohl in Deutschland mit diesem Freiheitsethos nicht mehr verstehen und sie als Rechtspopulisten in den Orkus werfen.

Die Freiheit ist offen. Sie besteht darauf, dass die Zukunft nicht vorherbestimmt ist, sondern dass wir echte Wahl- und Entscheidungsmöglichkeiten haben. Sie widersteht jedem voreiligen Rückgriff auf Alternativlosigkeit oder schicksalhafte Notwendigkeit. Unter den lebenden deutschen Politikern gibt es nur wenige, die diese Grundqualitäten der Freiheit so klar, deutlich und unzweideutig gefasst haben wie der Kreuzberger Grüne Cem Özdemir.

Im Zweifel – für die Freiheit!

Nachweise:
Aischylos: „Die Perser“, in: Aischylos, Die Tragödien, Reclam, Stuttgart 2002, hier S. 15
Cem Özdemir: „Wer oder was ist Europa?“, in: ders., Die Türkei. Beltz, Weinheim 2008, hier S. 95-96
Friedrich Hölderlin: „Lebenslauf“, in: Hölderlin. Werke und Briefe. Hg. von Friedrich Beißner und Jochen Schmidt. Erster Band: Gedichte. Hyperion. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1969, S. 74

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