Nov 262012
 

Gutes, vorbildliches Mutterverhalten beobachteten wir gestern im Zoo Leipzig! Das Nashorn-Mädchen Naima („die Glückliche, die Sorglose“ auf Suaheli) weiß seit der Geburt die Mutter stets um sich. Die Mutter kümmerte sich hingebungsvoll, säugte und stillte die Kleine, die bei der Geburt am 10.12.2011 immerhin 37 kg wog, aber jetzt schon das Kleinkindalter hinter sich gelassen hat. Die Mutter erdrückt die Tochter nicht mit Fürsorge, sie lässt ihr nunmehr Freiraum, eigene Wege zu gehen!

Beide Tiere zeigten Wachheit und Interesse an der Umwelt, bewegten sich im Raum, wussten um die Nähe der anderen. Dies gab mir Anlass, über die Wichtigkeit der Mutter-Kind-Bindung bei den Säugetieren nachzudenken.

Etwas weniger als 6000 Säugetierarten (Mammalia) sind weltweit bekannt. Auch unsere eigene Art, der Mensch – homo sapiens sapiens – , gehört zu dieser Klasse. Wir sind in allen biologischen Eigenschaften nichts anderes als eine Art der Säugetiere und teilen mit allen anderen Säugetierarten einige Merkmale, darunter die namengebende Aufzucht der Kinder, eben das „Säugen“. Bei allen Säugern übernehmen die Mütter bald nach der Geburt die Ernährung der Kinder.

Während einige Jahrzehnte lang die Wissenschaft glaubte, die Muttermilch beim Menschen durch eine wissenschaftlich abgesicherte Formel gleichwertig ersetzen zu können, raten heute alle namhaften Ärzte- und Gesundheitsorganisationen nahezu ohne Ausnahmen zum Stillen mit Muttermilch.

Alle Säuger entwickeln durch das Säugen, durch Hegen und Pflegen eine besonders innige Mutter-Kind-Beziehung, nur sehr wenige Säugetierarten ersetzen gelegentlich die leibliche Mutter durch eine Ersatzmutter, die „Amme“. Bei allen Säugern gibt es eine deutlich unterschiedene Profilierung des männlichen und des weiblichen Verhaltens in der Paarung und gegenüber den Jungen – im Gegensatz etwa zu den brütenden Vögeln, bei denen Männchen und Weibchen oft gleiche Aufgaben übernehmen, etwa das Abwechseln beim Brüten, die gemeinsame Futterbeschaffung bei den Geiern.

Im Sozialverhalten gibt es außer der engen Mutter-Kind-Bindung in der ersten Lebensphase des Neugeborenen sonst keine Gemeinsamkeiten unter allen 5000-6000 Arten Säugern! Das Säugen und Stillen, das Hegen und Pflegen des Nachwuchses durch die Mutter sind ein ganz entscheidender Grundzug des natürlichen So-seins aller Säugetierarten. Bei allen Säugern halten sich die Kinder in der ersten Lebenszeit „von Natur aus“ ausschließlich im Umfeld der Mutter auf, während der Vater teils anwesend ist, teils als leiblicher Vater überhaupt nicht in den Horizont der Kinder gelangt.

Danach ist nichts mehr so, wie es war. Die Gemeinsamkeiten unter allen Säugerarten verschwimmen und verschwinden. Eine riesige Fülle an Verhaltensweisen stehen etwa nach der frühesten Kindheit den Primaten zu Gebote: Fürsorge, Aggression, Kriege, Gruppenbildung, Versöhnung, Diskrimination und „Rassismus“ gegenüber anderen Affenhorden, soziales Lernen, erste Ansätze einer spezifischen Gruppenkultur, einer spezifischen Gruppensprache  – diese vielfachen Ausfächerungen des sozialen Verhaltens von Primaten werden am Primatenzentrum des Zoos Leipzig erforscht.

Entscheidend aber wurde mir die folgende Einsicht gestern überdeutlich klar: Die enge, die nahezu überlebensnotwendige  Mutter-Kind-Bindung ist das entscheidende Merkmal im anfänglichen Erziehungsverhalten aller, wirklich aller Säugetiere.

Wenn behauptet wird, dass in der Erziehung des Säuglings oder des Menschen-Kleinstkindes alles oder fast alles durch kulturelle „Gender“-Konstruktionen bedingt sei, so widerspricht dies allen Befunden, die jeder ökologisch bewusste Naturfreund in Feld und Flur, in Steppe und Busch – aber auch in Zoos gewinnen kann. Dies würde ich gerne einmal im Leipziger Zoo mit Judith Butler besprechen, die kürzlich unter rauschendem Beifall der geistigen Führungsschicht Deutschlands den Adorno-Preis gewonnen hat – und die seit ihrem Buch Gender Trouble genau dies zu unterstellen scheint: Es gibt keine naturgegebenen Geschlechterrollen, alles ist Kultur, alles ist soziale Konstruktion. Judith Butler stellt die Frage nach Mutterschaft nicht. Sie spart diesen entscheidenden Grundtatbestand des Lebenszyklus – das Mutterwerden – höchst vorsorglich aus.

Eine Leugnung des naturhaften Unterschiedes der beiden Geschlechter, wie Judith Butler sie ins Werk setzt, kommt einer Leugnung der Naturgebundenheit des Menschen überhaupt gleich. Es ist eine gewaltige Überhebung, eine Selbstüberschätzung des Menschen, wenn er dies behauptet.

Bild: Vorne Tochter Naima, hinten Mutter Sarafine. Zoo Leipzig, aufgenommen gestern.

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