„Ježíš pro moderního člověka“ (původní název Ježíš pro ateisty), Jesus für den modernen Menschen (ursprünglicher Titel Jesus für Atheisten), das ist ein Buch, das ich gern geschrieben hätte, das allerdings bereits geschrieben worden ist, und zwar durch den tschechischen Philosophen Milan Machovec. Das Buch kenne ich nicht, habe es folglich auch nicht gelesen, kenne aber einige Christen, die Machovec kannten und mir von ihm berichtet haben. Was könnte darin stehen? Machen wir doch ein kleines Experiment anhand einer beliebigen Streitfrage!
via Milan Machovec – Wikipedie.
Die kleine beliebige Frage laute für uns heute: Würde Jesus den von ihm erzählten barmherzigen Samariter als einen seiner Nachfolger annehmen?
Zweifellos würde Jesus den Samariter als seinen Nächsten annehmen und sich um ihn kümmern, da die Nächstenliebe ja unterschiedslos und voraussetzungslos jedem Nächsten gilt.
Aber würde Jesus den barmherzigen Samariter auch als seinen Nachfolger – als „Christen“, wie wir heute aus Bequemlichkeit sagen – annehmen oder anerkennen? Keine leichte Frage! Die Samariter waren ja verrufen als religiös unsichere Kantonisten, zwar galten sie ethnisch („dem Blute nach“) als zum Volk Israel gehörig, aber sie hingen kulturell (also dem Kultritus nach) teilweise anderen Göttern an, ließen Götter der umliegenden und der zugewanderten ethnischen Gruppen meist gelten. Sie waren theologisch höchst unzuverlässig, sie waren dem Einen wahren Gott manchmal abtrünnig, sie standen mit dem wahren Volk Israel auf gespanntem Fuße, was Jesus allerdings nicht daran hinderte, von einer Samariterin einen Trunk aus dem Brunnen anzunehmen.
Kein Zweifel kann daran bestehen, dass die Samariter nach den Maßstäben der heutigen christlichen Kirchen keine Christen werden können, sofern sie nicht ihrem Fremdgötterglauben bzw. ihrem Atheismus abschwören und sich zurückbesinnen auf den Einen Gott des Abraham, Isaak und Jakob. Sie müssten sich erst einmal von einem Priester buchstäblich die Leviten lesen lassen. Sie müssten sich erst einmal taufen lassen und die Lehren der von ihnen erwählten christlichen Kirche bekennen. Ein 6 Monate dauernder Kurs dürfte in etwa ausreichen. Danach gölten sie dann in den Augen der Welt als „Christen“.
Anders würde wohl Jesus urteilen. Besser gesagt: Er würde gar nicht urteilen. Er hat nicht geurteilt. Er hat nur Nachfolge verlangt. Er hat konkrete Schritte statt eines ausgefeilten Bekenntnisses verlangt. Dem Schriftgelehrten, der ein Handlungsrezept zum ewigen Leben verlangte, hat er gar nichts versprochen. Er hat nur gesagt: „Mach das und du wirst leben.“ Er hat nicht gesagt: „Glaube das, was ich dich lehre, und du wirst ewig leben!“ Er verheißt dem Schriftgelehrten keinerlei Vergütung im Jenseits. Sondern er hat gesagt: „Mach das, was dich der Samariter lehrt, – und du wirst leben.“ Übersetzt: „Verlange nicht das ewige Leben, sondern fange an in der Wahrheit zu leben.“
Jesus sagt: Der Samariter ist näher dran am Liebesgebot als der viel frömmere Priester und der theologisch viel sattelfestere Levit.
Ich meine: Sofern der Samariter oder irgendein Mensch glauben sollte, über Jesus und über Jesus ganz entscheidend zur Wahrheit des Lebens zu gelangen, steht er in der Nachfolge Jesu Christi. Er wird somit im eigentlich Sinn zum Nachfolger und Stellvertreter Christi auf Erden. Die frei erwählte persönliche Nachfolge Christi, um „in Wahrheit zu leben“ – das ist das entscheidende Kriterium des Christseins, nicht das Bekenntnis zu Altar und Kirche, nicht ein „system of beliefs“, ein Gebäude von Lehren und Überzeugungen, wie es heute gerne – etwa von Edward Dawkins – als Definition von Religion in die Runde geworfen wird. Recht unerheblich, mindestens nachrangig für die Nachfolge Christi ist auch die administrative Zugehörigkeit zu einer öffentlich anerkannten Institution.
Jesus verlangt: „Fange an in der Wahrheit zu leben, indem du mir nachfolgst.“ Es ist eine plötzlich aufscheinende Evidenz der Wahrheit, die den Menschen zum Christen macht, sofern er dies will und annimmt.
„Holla, was sagen Sie da? Also kann auch ein Atheist Christ sein oder werden?“
Wer vermag dies zu beurteilen? Ein Mensch sicher nicht. Eines ergibt sich aber aus dem Zeugnis des Neuen Testaments meines Erachtens ohne jeden Zweifel: Diese Liebe Jesu wird voraussetzungslos und ohne jede Vorbedingung gelebt. Sie erstreckt sich auf Verbrecher und nicht straffällige Menschen, auf Gläubige, Lauwarme und Ungläubige gleichermaßen.
Paulus hat diese Erkenntnis bei Damaskus erlebt. Der Norweger Karl Ove Knausgård, der hartgesottene Sohn des Jahres 1968, beschreibt es in seinem Buch „Lieben“ so:
Ich, der ich mich seit meiner frühen Jugend leidenschaftlich gegen das Christentum gewandt hatte und von ganzem Herzen Materialist war, hatte mich binnen einer Sekunde, ohne wirklich nachzudenken, erhoben, war den Mittelgang hinaufgegangen und hatte vor dem Altar gekniet. Es war eine spontane Eingebung gewesen. Und als ich diesen Blicken begegnete, konnte ich mein Verhalten nicht verteidigen, konnte ich nicht sagen, dass ich gläubig war, und senkte, leicht beschämt, die Augen.
Und kurz darauf berichtet der Autor aus einem Gespräch mir seiner Mutter über den fernen, abwesenden, schwierigen Vater, der sich von der Familie losgesagt hatte:
„Ich habe ihn wirklich gern gehabt, Karl Ove. Ich habe ihn geliebt.“
Das hatte sie noch nie gesagt. Nicht einmal ansatzweise. Ja, ich konnte mich nicht einmal erinnern, dass sie je zuvor ein Wort wie „lieben“ in den Mund genommen hatte. Es war erschütternd. Was passiert hier, dachte ich. Was passiert hier? Denn um mich herum veränderte sich etwas. Geschah es in mir, so dass ich nun etwas sah, was ich vorher nicht gesehn hatte, oder ging es darum, dass ich etwas in Gang gesetzt hatte?
In ihm geschah etwas, was er vorher nicht gesehen hatte, und was ihn erschütterte!
Ihr seid näher dran als wir, Milan und Karl Ove!
Milan Machovec: Ježíš pro moderního člověka. Orbis, Praha 1990. Akropolis, Praha 2003
Karl Ove Knausgård: Lieben. Roman. Aus dem Norwegischen von Paul Berf. Luchterhand Verlag, München 2012, S. 582 und S. 762
Richard Dawkins: The God Delusion. Black Swan edition, London 2007