Nov 112015
 

„Moralische Verpflichtungen, wo stehen die? In unserem Grundgesetz stehen sie nicht. In der Satzung der Vereinten Nationen stehen sie auch nicht. Im Neuen Testament stehen sie auch nicht. Wo stehen sie? Das klingt wie Joschka Fischer, der die Kosovo-Intervention mit Auschwitz begründet hatte. Das ist ein bisschen sehr weit hergeholt und ein bisschen billig. Nein, ich würde immer sehr zögern. Das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines anderen Landes geht dabei verloren, was übrigens auch ein Verstoß gegen die internationale Moral ist.“

Dies sprach Helmut Schmidt am 10.12.2006 in einem Interview mit dem Tagesspiegel als Antwort auf die Frage, ob Deutschland in Afrika mehr Verantwortung tragen solle. „Gibt es dazu eine moralische Verpflichtung?“

Tapferkeit, Redlichkeit, nicht zuletzt aber auch Einsicht in die Begrenztheit der staatlichen Macht – diese Tugenden und viele andere sind zu rühmen an Helmut Schmidt, dem bedeutenden SPD-Politiker. Die Nachricht von seinem Tod erreichte mich gestern im ICE auf der Fahrt nach Hamburg. Mir kamen in aller Trauer die Worte eines heute weithin vergessenen deutschen Dichters in den Sinn, die er 1825 im Gedenken an den Tod Lessings gesagt hatte: Ein Mann wie Lessing täte uns not. Ich meine: Ein Mann wie Schmidt täte uns not.

Verblüffend der Verweis Schmidts, des großen SPD-Mannes, auf drei wichtige Texte, die – so meine ich – auch heute noch jeder Politiker kennen sollte: das Grundgesetz, die Satzung der Vereinten Nationen, das Neue Testament. In dieser Reihenfolge!

In der Tat: Von der Fernstenliebe steht nichts im Neuen Testament; niemals hat Jesus verlangt, ein einzelner Staat oder ein einzelner Mensch müsse alle Menschen auf dieser weiten Erde aus Armut und Not herausholen und die gesamte Welt oder mindestens doch das Weltklima retten. Jesus verlangt nur, jeder solle nach seinen Kräften des Wohlergehen des Mitmenschen, des „Nächsten“ oder des „Nebenmenschen“ ebenso wichtig nehmen wie das eigene Wohlergehen. „Kümmere dich um deinen nächsten Menschen wie um dich selbst„, so sagt es Jesus beispielsweise in Mt 7,12 oder auch bei Mk 12,31. Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter (Lk 10,29-37) vermag auch Hinweise zur Lösung der aktuellen Flüchtlingsfrage zu liefern: Nothilfe ist geboten und gut, bis der unter die Räuber Gefallene wieder auf eigenen Beinen gehen kann. Niemals würde Jesus verlangen, der Barmherzige Samariter müsse den Ausgeplünderten auf Lebenszeit bei sich zuhause aufnehmen, seine gesamte Familie ebenfalls bei sich integrieren, alle finanziellen Lasten für den Unterhalt des Ausgeplünderten und aller seiner Kinder und Kindeskinder bedingungslos und auf Generationen übernehmen.

Ich denke: Die Staaten Afrikas, die Staaten des Nahen und des Mittleren Ostens müssen sich im wesentlichen selber zusammenraufen; sie haben Ressourcen in Hülle und Fülle, die Menschen sind jung und lernwillig. Wenn sich jeder an das Prinzip der Staatensouveränität, an die Rechtsordnung des eigenen Staates, an die Satzung der Vereinten Nationen und an die wenigen Grundsätze der Sittlichkeit hält, wird es klappen. Es muss klappen. Da bin ich zuversichtlich.

Ob dem Helmut Schmidt, der große Sozialdemokrat, wohl so zustimmen würde? Ob er dem wohl zustimmen würde, was ich gestern genau in der Stunde seines Todes zum Thema der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten in die Tasten hämmerte?

http://www.tagesspiegel.de/politik/helmut-schmidt-zur-hauptstadt-berlins-westteil-geht-im-ostmeer-unter/785414.html

Bild: ein Blick vom Herrmansdenkmal in den Teutoburger Wald

 Posted by at 12:40

Sorry, the comment form is closed at this time.