Jan 232010
 

In eine Art Kurskorrektur zur früheren eigenen Politik scheint – unter dem betäubenden Schlag des neuesten Sozialatlas – die Berliner SPD einzuschwenken. Sie übernimmt also sozusagen die Rolle der Opposition zu sich selbst. Versäumnisse des SPD-/Linke-Senats werden im neuesten Thesenpapier indirekt eingestanden. Fehlsteuerungen der Integrationspolitik werden im Ansatz offenbar richtig erkannt und Vorschläge zur Besserung werden in Aussicht gestellt. Das berichtet soeben der Tagesspiegel:

Berlin soll Modellstadt werden

Berlin zu einer Modellstadt für grüne Zukunftsindustrien und hervorragende Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur Hochschule entwickeln, in der soziale Integration „beispielhaft für die Republik gelebt wird“.

Mein Kommentar: Statt immer nur den Finger auf wunde Punkte zu legen, wird vorbildliches Verhalten gefordert. Damit wird der CDU das Konzept „Vorbild“ streitig gemacht. Richtig!

Berlin müsse zur solidarischen Stadt werden, in der „die Bürger füreinander eintreten“ und durch den Staat dabei unterstützt werden, ihr Leben eigenständig bestreiten zu können.

Kommentar: Ein klares Bekenntnis zum Subsidiaritätsprinzip. Dies entspricht nicht der früheren traditionellen Berliner SPD! Vorrang des Individuums vor dem Kollektiv, – ein Kernbestand der christdemokratischen Politikauffassung!

Der Akzent liegt auf der unteren Ebene – nicht mehr auf der von oben ordnenden, staatlichen Verteilungsgerechtigkeit der alten Sozialdemokratie. Die Erneuerung Berlins aus dem bürgerlichen Geist! Berlin braucht eine Erneuerung aus dem Geiste des Bürgertums. Richtig. Das würde die CDU ebenfalls sagen.

 „Wir brauchen eine neue Industrialisierung Berlins“, steht im Thesenpapier. Zweiter Schwerpunkt der Senatspolitik soll die Integrationspolitik „als Aufstiegsprogramm“ werden. Der Hochschulzugang für junge Menschen ohne Abitur soll weiter geöffnet und die Zahl jugendlicher Migranten ohne Schulabschluss halbiert werden.

Richtig! Auch das ist eine relativ neue Erkenntnis! Berlin braucht viel mehr Arbeitsplätze in der Industrie. Der Dienstleistungssektor reicht nicht. Das haben die IHK und die Wirtschaftswissenschaftler schon seit längerem gesagt.

Wowereit lobte am Sonnabend auch vorbildliche private Initiativen wie die Roland Berger-Stiftung, die sich um die Ausbildung von Kindern aus sozial schwachen Familien kümmert. Besonders wichtig sei es, die Hilfen zur sozialen Integration zu individualisieren. Das gehe nur mit einem starken ehrenamtlichen, bürgerschaftlichen Engagement. „Die Maßnahmen dürfen auch nicht an der Haustür der Familien enden“, Wowereit. Individuelle Hilfen seien aufwändig, aber immer noch kostengünstiger, „als wenn jemand ein ganzes Leben lang im staatlichen Unterstützungssystem verharrt.“ Auch SPD-Chef Müller forderte von den Familien, ihren Beitrag zur Integration zu leisten. Es gehe zum Beispiel nicht, dass Schüler(innen) vom gemeinsamen Schwimm- und Sportunterricht ausgegrenzt werden.

Kommentar: Mehr fordern, weniger fördern! Die SPD vollzieht die Abkehr vom Kümmerer-Staat. Der Einzelne muss mehr tun, der Staat kann nicht mehr so viel tun, schon aus Etatgründen. Die Familien werden stärker in die Pflicht genommen. Alles richtig.

Der Regierende Bürgermeister wies darauf hin, dass er die Leitung einer Arbeitsgruppe der Bundes-SPD „Zukunftswerkstatt Integration“ übernommen habe, um das Thema von Berlin aus bundesweit voranzutreiben.

Absolut richtig! Er nimmt endlich das Heft in die Hand, zeigt Initiative! Oder tut mindestens so.

Im laufenden Jahr will die Berliner SPD eine „Dialogoffensive“ starten, um ihre politischen Ziele verständlich zu machen. Wowereit geht auf Tour durch alle zwölf Bezirke, vier Hauptstadtkonferenzen sind geplant und die SPD-Abgeordneten sollen auf „Wahlkreistagen“ für Projekte wie das neue Integrations- und Klimaschutzgesetz werben.

Alles richtig. Das erinnert an die „Dialogtour“ der CDU, die vor der Einführung des neuen Parteiprogramms durch ganz Deutschland führte.

Mein Gesamteindruck: Dieses Thesenpapier der Berliner SPD weist – dem Zeitungsartikel nach zu urteilen – absolut in die richtige Richtung. Erstaunlich. Mein Kompliment an die Autoren! Jetzt muss Wowereit mit seinem Senat leisten, was das Papier fordert. Allerdings kommt das Papier zu spät. Es hätte so bereits zu Beginn von Rot-Rot II vorliegen müssen.

Die SPD macht es richtig: Sie bestreitet der CDU die Hoheit über Kernbereiche der christdemokratischen Politikauffassung: Vorbildsetzung, Vorrang des Individuums vor dem Staat, stärkere Verantwortung der unteren Ebenen – das waren früher einmal Kennzeichen der CDU, und diese Merkmale beansprucht nun die SPD für sich. Das war Kernbestand der katholischen Soziallehre. Der Katholik Wowereit wird dies wissen. Schlau gemacht! Denn der Wind hat sich gedreht.

Die Nähe zwischen der aktuellen Berliner SPD und früher eindeutig christdemokratischen Konzepten wird erneut deutlich. Es zeigt sich, wie hart umkämpft in der Berliner Landespolitik die berühmte Mitte ist. Dies war seit jeher so. Im Moment sehe ich die SPD klar in der Vorhand.

Berliner CDU – du musst dich ganz warm anziehen! Du musst jetzt schnell nachlegen. Die SPD ist dir vorangegangen. Wo ist dein Leitbild? Wo sind deine Thesenpapiere? Wann kommt der große Wurf zur Integration, zur Wirtschaftspolitik? Wo sind die Menschen, die diese Konzepte glaubhaft vertreten? Bedenke: Der Wähler hat nicht so viel Geduld!

 Posted by at 16:23

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