O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welche neue Welt bewegest du in mir?
Was ist’s, daß ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe?
Diese deutschen Verse des aus dem schwäbischen Urach stammenden Eduard Mörike sind schön, sie klingen heiter sangbar, sie haben die Leichtigkeit des Andante cantabile in F-Dur aus Mozarts Streichquartett in C-dur, KV 465, datiert Wien, 14. Januar 1785. Sie sind im besten Sinne typisch und unverwechselbar deutsch. Ich murmele und summe sie manchmal vor mich hin, wie ich auch gerne die eine oder andere Stelle aus Mozarts C-Dur-Streichquartett KV 465 für mich hinsumme und mit anderen zusammen hinfiedele (so etwa gestern abend).
„Aber was ist denn typisch deutsch?“ Antwort: „Deutsch“, das sollte – so meine ich – in heutigen Zusammenhängen im Wesentlichen das sein, was es der Grundbedeutung nach von Anfang an war: eine Sprachbezeichnung. Theodisk, tiudisk, todisk und wie auch immer … das ist seit den Zeiten des Althochdeutschen bis heute jemand, der als Haus- und Heimatsprache jene Sprache verwendet, die in eben dieser Sprache als „theodisk, tiudisk, tütsch, dytsch, daitsch“ usw. bezeichnet wird, also das, woraus sich das heutige Deutsche in all seinen Spielarten entwickelt hat. „Deutsch“ ist seit etwa dem Symboljahr 842, also der Zeit der Straßburger Eide, im Kern kein politischer Begriff, sondern zunächst einmal ein rein sprachlicher.
Dass Sprachzugehörigkeit unverbrüchlich auch politische Zugehörigkeit bedeuten solle, kam später. Es ist eine Idee von „1789“ bzw. „1813“. Erst durch die Französische Revolution von 1789 und die europäischen Nationalbewegungen (vgl. etwa die preussisch-russische Koalition von 1813, den Startschuss der Befreiungskriege im Norden Europas) wurde die Deckungsgleichheit von Volk, Staat, Sprache und Boden verkündet. „Ein Volk, eine Sprache, ein Land“ – das ist die typische Gleichung dafür, wie sie übrigens bis zum heutigen Tage nicht nur in vielen europäischen Staaten, sondern auch im Nationalstaat Türkei von allen Bergeshängen, auf Plätzen und in Hymnen, in Gedichten und Zeitungsartikeln und Verlautbarungen des Landesvaters verkündet wird.
Wir vertrauen heute dieser damals revolutionären, neuartigen, ab den Symboljahren 1789 und 1813 gut belegten, historisch gewachsenen Gleichsetzung von Boden, Volk, Staat, „Blut und Gut“, Politik und Gesellschaft mit gutem Grund nicht mehr.
Und deshalb treffen Adornos und Bassam Tibis Liebeserklärungen an die deutsche Sprache gerade heute im besten Sinne den Kern der Sache!
Linkspopulisten, Rechtspopulisten, Mittepopulisten oder überhaupt irgendwelche Isten oder Ister – wie etwa die trotzistischen Brexiteristen – sind Tibi und Adorno dabei sicher nicht! Die heute bei den Deutschen, insbesondere bei den deutschen akademischen Jungspunden in Deutschland so weit verbreitete Missachtung und Geringschätzung der deutschen Sprache ist Tibis und Adornos Sache nicht! Bei vielen Akademikern und auch Kulturschaffenden gehört es – wie wir alle wissen – zum guten Ton, in Deutschland lieber Grotten-Englisch (Globalesisch, wie dies Jürgen Trabant nannte) zu schreiben und zu sprechen als einigermaßen verständliches Deutsch.
Der aus Frankfurt am Main in Hessen stammende Theodor W. Adorno hatte bekanntlich nach dem 2. Weltkrieg erklärt, die deutsche Sprache sei ein Hauptgrund für seine Rückkehr nach Deutschland gewesen. Der aus Damaskus in Syrien stammende Bassam Tibi wiederum erklärt soeben in einem sehr lesenswerten Interview Deutsch nach reiflicher Überlegung zu seiner Lieblingssprache. Und der hier Schreibende nutzt verschiedene Spielarten des Deutschen ebenfalls als einige seiner Lieblingssprachen. Das Bairische und das Alemannische (etwa jenes des aus dem schwäbischen Urach stammenden Cem Özdemir oder jenes eines Eduard Mörike) mit all ihren Spielarten sind unter allen Spielarten des Deutschen wiederum die eigentlichen Heimat-, Herkunfts- und Haussprachen des hier Schreibenden. Ich darf dankbar sagen: Das Bairische und das Alemannische und zunehmend auch das Fränkische gehören unter den mannigfachen Spielarten des Deutschen zu meinen Lieblingssprachen.
Genug des tiefschürfenden Nachdenkens! Beschließen wir diese morgendliche Besinnung mit ein paar wunderschönen, typisch deutschen, nur im laut schallenden, klingenden Vortrag sich erschließenden Versen von Eduard Mörike, dem Sohne des Horaz und einer feinen Schwäbin:
Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.
Quellenangaben:
Eduard Mörike: An einem Wintermorgen vor Sonnenaufgang. In: Deutsche Gedichte. Herausgegeben von Hans-Joachim Simm. Insel Verlag, Frankfurt am Main, 3. Auflage 2013, S. 699-700
Andrea Seibel: „Heute sieht Göttingen aus wie ein Flüchtlingslager“. Interview mit Bassam Tibi. Die Welt, 04.07.2016 (online-Ausgabe)
http://www.welt.de/debatte/article156781355/Heute-sieht-Goettingen-aus-wie-ein-Fluechtlingslager.html
Jürgen Trabant: Globalesisch oder was? Ein Plädoyer für Europas Sprachen. C.H. Beck Verlag, München 2014
W.A. Mozart: Quartett in C. KV 465. In: Die zehn berühmten Streichquartette. Herausgegeben von Ludwig Finscher. Urtext der Neuen Mozart-Ausgabe. Violino I. Bärenreiter Verlag Kassel, 15. Auflage 2013, S. 48-55, hier bsd. S. 48 und S. 51
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