Jan 282013
 

Mehrfach bezeugte ich in diesem Blog meine tiefe Sympathie für das Herkunftsland meiner väterlichen Vorfahren, das ich mehrfach bereist habe und dessen Sprache ich mir mehr schlecht als recht angeeignet habe: die heutige Tschechische Republik bzw. die frühere Tschechoslowakei.

Aus dem hessischen Hügelland erreicht dieses Blog soeben ein Gastkommentar zum Ausgang der tschechischen Präsidentenwahl. Verfasser ist Prof. Dr. Adolf Hampel. Wir geben den Kommentar unverändert wieder und stellen ihn zur Diskussion:

Der amerikanische Historiker R.M. Douglas  stellt in seinem Buch „Ordnungsgemäße Überführung“ fest: „Während die Geschichte der Vertreibungen in  Deutschland  zu wenig bekannt ist, kann man für den Rest der Welt ohne Übertreibung sagen, dass sie bis heute  das am besten gehütete Geheimnis des Zweiten Weltkriegs ist.“ Während die deutschen Regierungen geflissentlich alles tun, dieses Geheimnis zu erhalten, hat der unterlegene tschechische Präsidentschaftskandidat Karel Schwarzenberg das Tabu um dieses Geheimnis gebrochen, indem er erklärte, dass die Vertreibung der drei Millionen Sudetendeutscher ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit war.  Bereits Jan Sokol hatte durch sein Eintreten für die geschichtliche Wahrheit gegenüber seinem Rivalen, dem noch amtierenden Präsidenten Vaclav Klaus, den Kürzeren gezogen.

Karel Schwarzenberg ließ sich durch diese Erfahrung nicht beirren und vertraute auf die Losung der tschechischen Präsidentenflagge „Die Wahrheit siegt.“ Durch seine Kritik an Edvard Benes und dessen Dekrete hat er die Wahl verloren. Wieder einmal in der Tschechischen Geschichte hat mit Milos Zeman die Lüge gesiegt.

Auch nach über 70 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg findet eine Mehrzahl der Tschechen Gefallen an den antideutschen Attacken beider Präsidenten, Klaus und Zeman. Dahinter verbergen sich Traumata, denen nur schwer beizukommen ist.

Das von Klaus und Zeman repräsentierte kollektive Bewusstsein kann es sich offensichtlich nicht verzeihen, gegen das Naziregime keinen überzeugenden Widerstand geleistet zu haben, obwohl die Tschechoslowakei eine der stärksten Verteidigungslinien Europas und eine gut gerüstete Armee hatte. Der Nachholbedarf an Widerstand war schon eine der Ursachen  für die grauenhaften massenhaften  Exzesse unmittelbar nach dem Krieg. Die Tschechen müssen damit leben, dass sie es  – wie die Deutschen und Österreicher, aber im Unterschied zu Polen, Russen, Franzosen, Italienern und anderen, vor dem Mai 1945 nicht zu einer Partisanenbewegung  gegen das Naziregime gebracht haben.-

Durch die Entrechtung  und Vertreibung der Sudetendeutschen sollte dieser Nachholbedarf an Widerstand gedeckt werden. Zeman hat dafür eine robuste Erklärung: „Nach dem tschechischen Recht haben viele von ihnen Landesverrat begangen, ein Verbrechen, das nach dem damaligen Recht durch die Todesstrafe geahndet wurde. Auch in Friedenszeiten. Wenn sie also vertrieben oder transferiert wurden, war das milder als die Todesstrafe.“

Das Bedenkliche an Zemans politischer Moral ist, dass er nicht nur geschehene Vertreibungen rechtfertigt, sondern Vertreibungen auch heute noch für ein probates Mittel der Politik hält. Er empfiehlt Israel zur Lösung des Palästinenserproblems, das tschechische Modell der Massenvertreibung anzuwenden. Es habe sich zur Lösung der Sudetenfrage bestens bewährt. Die deutschen Regierungen haben sich überraschend schnell damit abgefunden. Nachdem Zeman wieder einmal diese seine politische Moral vorgetragen hatte, besuchte ihn Außenminister Joschka Fischer. Er kam mit der Botschaft zurück: „Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Tschechoslowakei waren noch nie so gut wie heute.“ Diese Einschätzung wurde in Folge von Bundeskanzler Schröder und Bundeskanzlerin Merkel  nach Besuchen in Prag mehrfach wiederholt.

Viele Pioniere der deutsch-tschechischen Verständigung sind zutiefst enttäuscht. Die Erwartungen, die sie jahrzehntelang bewogen, unter Risiken und Opfern den Kontakt mit tschechischen Demokraten zu suchen und zu pflegen, sind nach dem Zusammenbruch des Kommunismus nicht in Erfüllung gegangen. Ihre Erwartungen zielten nicht auf eine Rückgabe von Hab und Gut. Sie wehren sich aber dagegen, dass die Einsicht in die Unumkehrbarkeit der Geschichte zu einer Rechtfertigung vergangener Verbrechen pervertiert wird.

Gerade dazu ermuntern Aussagen und Publikationen der deutschen Regierungen. Im Auftrag des Auswärtigen Amtes wurde 2005  die maßgebliche Informationsschrift für das Ausland in 14 Sprachen „Tatsachen über Deutschland“ veröffentlicht. In 10 Kapiteln werden auf 184 Seiten wichtige Punkte der deutschen Wirklichkeit behandelt. Zur Tatsache von 15 Millionen Vertriebenen und Flüchtlingen begnügt sich die Schrift mit folgender Feststellung: „Die ostelbischen Rittergutsbesitzer, die mehr als jede andere Machtelite zur Zerstörung der Weimarer Republik und zur Machtübertragung an Hitler beigetragen hatten, verloren Grund und Boden“ (S.43).

Besser hätte es Zeman auch nicht sagen können.

Karel Schwarzenberg hat mit seinem mutigen Auftreten  im Wahlkampf einen moralischen Sieg nicht nur über Zeman  errungen, sondern auch über deutsche Politiker, die aus Ignoranz, Feigheit oder Böswilligkeit Tatsachen über Deutschland verdrehen und verschweigen.

Prof. Dr. Adolf Hampel

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