Jan 112010
 

Einer, der sich gut auskennt in der Politik, ist mein Vater. Ihn fragte ich als kleiner 10-jähriger Bub nach dem Unterschied zwischen SPD und CDU/CSU.  Seine Antwort lautete: „In vielem stimmen sie überein.“ Das schockierte mich, denn die Schwarzen und die Sozen bekämpften einander erbittert. Warum, wenn sie doch in vielem übereinstimmten?

Mein Vater fuhr fort: „Aber der Unterschied ist: Die SPD will mehr Gleichheit, mehr Gerechtigkeit, mehr Verantwortung des Staates. Die Union will mehr Freiheit, mehr Verantwortung des einzelnen, der unteren Ebenen. Die Union hat kein so starkes Vertrauen in die Regelungskraft des Staates, sie hat mehr Vertrauen in die Verantwortung der einzelnen Menschen. Die SPD verlangt mehr vom Staat. Der Staat soll es richten.“ Das verstand ich einigermaßen, war aber doch der Meinung, dass irgendwann eine der beiden Parteien „recht bekommen“ würde. Ich glaubte als Kind, dass sich irgendwann herausstellen musste, dass entweder die SPD oder die CSU recht hatte.  Irgendwann würde nur noch eine Partei übrigbleiben, glaubte ich, und der ganze Streit hätte endlich ein Ende.

Heute glaube ich das nicht mehr: Ich glaube, dass die Demokratie sogar auf dem streitigen Gegeneinander von nicht austauschbaren Positionen beruht. Ferner glaube ich, dass weiterhin die Union und die SPD durch ein unterschiedliches Verständnis dessen geprägt sind, was der Staat leisten und nicht leisten kann.

Man kann dies wunderbar zeigen an den Integrationsvorstellungen für die Stadt Berlin, wie sie Bürgermeister Wowereit kürzlich entfaltet hat: Mehr Beratung, mehr Förderung, mehr Fürsorge und Unterstützung der Bürger durch den Staat. Mehr Geld für Quartiersmanagement und Stadtteilmütter.  Das Zusammenwachsen der Stadt Berlin sieht Wowereit nunmehr als Kernaufgabe seines Senats. Im nächsten Doppelhaushalt stellt er deshalb erhebliche Mittel bereit. Der Tagesspiegel kommentierte:

Wowereit ist als neuer stellvertretender SPD-Vorsitzender zuständig für Stadtpolitik; da kann er, wenn er noch mehr will, es sich nicht so leicht machen. Statt fatalistischer Äußerungen wie jener, er würde seine Kinder auch nicht in Kreuzberg zur Schule schicken, braucht Wowereit hier jetzt Erfolge. Er weist zurecht auf sinnvolle Projekte wie das Quartiersmanagement hin; aber das reicht nicht. Das beitragsfreie letzte Kitajahr ist wichtig, aber zu wenig. Er kündigt an, mehr Ausbildungs- und Arbeitsplätze zu schaffen; er sagt aber nicht, wie das gehen soll.

Ich hingegen sehe das Zusammenwachsen der Stadt Berlin als Kernaufgabe von uns Bürgern. Zu diesem Zweck vertrete ich das Leitbild von der „Zusammenwachsenden Stadt“. Dieses Leitbild müssen die Bürger mit Leben füllen. Deshalb sage ich nicht nur: „Ich würde meine Kinder in Kreuzberg in die Schule schicken“, sondern ich tue dies auch.

Die Parteien können uns beim Zusammenwachsen helfen, aber sie können es uns nicht abnehmen. Auch Armin Laschet weist letztlich allen Bürgern diese Verantwortung zu: Jedem Bürger obliegt es, den Aufstieg zu erarbeiten. Der Staat kann allenfalls helfen, aber er kann es nicht selber für die Bürger machen.

So widerspreche ich also all jenen, die von einer immer stärkeren Angleichung der beiden großen Volksparteien sprechen. Im Bundesland Berlin trifft dies zwar in gewissem Sinne zu. Ja, wir beobachten hier sogar die Kuriosität, dass die CDU einige Jahre noch staatsverflochtener, noch staatsverquickter war als die SPD. Mit schädlichen Folgen für das Selbstverständnis dieser Partei.

Aber grundsätzlich bin ich überzeugt: Die CDU lässt das Gemeinwesen von unten nach oben wachsen. Die SPD greift von oben her ordnend und ausgleichend ein.

Ich bin für die Konturierung der Gegensätze, nicht für den weitgehenden programmatischen Ausgleich zwischen den Volksparteien. Darüber lesen wir heute im SPIEGEL:

Gefahr von der Basis – SPIEGEL ONLINE – Nachrichten – Politik
Die Tatsache, dass so viele Wähler schwanken, hängt auch mit der in der Öffentlichkeit konstatierten völligen Austauschbarkeit von Positionen der großen Parteien zusammen. Die Tatsache, dass sich gerade in der Großen Koalition die politischen Partner doch letztlich thematisch sehr nahe waren, machte ein Umschalten der Wähler zu einer anderen Partei eher möglich.

 Posted by at 17:50

  One Response to “„Papa, was ist der Unterschied zwischen SPD und CDU/CSU?“”

  1. „Ich hingegen sehe das Zusammenwachsen der Stadt Berlin als Kernaufgabe von uns Bürgern. Zu diesem Zweck vertrete ich das Leitbild von der “Zusammenwachsenden Stadt”. Dieses Leitbild müssen die Bürger mit Leben füllen. Deshalb sage ich nicht nur: “Ich würde meine Kinder in Kreuzberg in die Schule schicken”, sondern ich tue dies auch.“

    1. Ich lese dieses Blog so gern, weil hier jemand anschaulich und engagiert schreibt, der nicht bloß quatscht, sondern ständig was Konstruktives tut, über das er dann anschaulich und engagiert zu schreiben weiß, und der das lebt, wovon er redet. (Das sollte eigentlich eine Stärke der Grünen sein … nicht wahr?)

    2. Warum aber, Herr Hampel, folgen Ihnen und Ihrem guten Beispiel so wenige? Warum füllen die Bürger das Leitbild nicht mit Leben? Warum übernehmen die Bürger nicht die ihnen zukommende bürgerschaftliche Aufgabe – eine Aufgabe, die Sie ihnen völlig zurecht zuschreiben?
    Irren wir beide uns? – Oder liegt der Fehler bei den Bürgern? Wenn das so wäre, wie schauen Diagnose und Therapie aus?

    3. Sie haben ja eigentlich recht, wenn Sie dem (grünen) Sozialdemokraten in mir entgegnen, dass es doch bitte zunächst die Bürger selbst sein müssen, die die Aufgabe anpacken. Denn wie kann der Staat überhaupt etwas machen, wenn die Bürger es nicht gemacht sehen wollen? Der Staat, das sind letztlich ja auch wir, wir wählen die Entscheider ins Parlament, damit auch die Exekutive … Kapieren die Bürger ihre Aufgabe nicht, wird auch der Staat diese Aufgabe nicht wirklich anpacken.

    4. Wir müssen also in der Tat, wie Sie sagen, so agieren, dass die Bürger wieder mehr zu Bürgern werden, also zu aktiven Gesellschaftern dieses Staates, zu Menschen, die sich ihrer persönlichen Verantwortung für das Gemeinwesen bewusst sind.
    Aber ich weiß diesen Weg dahin nicht.

    5. Manchmal resigniere ich in dieser Hinsicht. In einer ganz und gar hedonistischen und total-individualistischen Welt verstehen mich die Bürger nicht, wenn ich von gemeinsamer Verantwortung spreche. Sie wissen einfach nicht, wovon ich rede. Sie finden, dass ich spinne. Dann sag ich mir, nun gut, ich bin jetzt 60, so geht das wohl einem Opa, so ist es wohl den Opas aller Zeiten gegangen.

    6. Und dann raffe ich mich wieder auf und meine doch feststellen zu dürfen: Ohne bürgerschaftliches Verantwortungsgefühl geht unser Staat, geht unsere Gesellschaft in die Binsen, und ICH, der Opa, habe recht gegen die jungen ahnungslosen Kurzzeitheinis ohne Sinn fürs Langfristige und für den größeren Zusammenhang. Es ist ja vielleicht auch mal die historische Ausnahme möglich, dass der Alte gegenüber dem Jungen recht behält …

    7. Aber ehrlich, ich weiß nicht recht …

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