Dez. 172012
 

Eine Fülle an Daten, einen wahren Goldschatz an Daten bietet das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, nicht nur in dem heute vorgelegten Bericht (Keine) Lust auf Kinder?

Die Studie ist gar nicht hoch genug zu loben. Denn sie räumt mit der irrigen Vorstellung auf, das Kinderbekommen, die Fertilitätsrate, sei direkt oder indirekt von ökonomischen Verhältnissen abhängig. Zu recht stellt die Studie den Faktor der Einstellung ganz in den Vordergrund. Ob die Menschen Eltern werden, hängt zum allergrößten Teil davon ab, ob sie es wollen oder nicht, ob sie das Kind in ihre Lebensplanung einbauen können oder nicht. Der ökomische Status der Menschen in Deutschland hat sich im Durchschnitt seit 1991  verbessert. Von der wirtschaftlichen Unsicherheit früherer Jahrhunderte sind wir Lichtjahre entfernt.  Es liegt nicht am Geld oder am ökonomischen Unsicherheitsgefühl, wenn keine Kinder kommen.

Zweifellos bringen auch alle Versuche der Politik nichts, mithilfe von Geld oder sonstigen Statuszusicherungen die „Lust auf Kinder“ zu erhöhen.

Ob Kinder kommen oder nicht kommen, hängt vielmehr ganz vom Willen der Eltern ab. Es hängt davon ab, ob die Menschen Lust auf Kinder oder keine Lust auf Kinder haben, wie bereits aus dem Titel der empirischen Studie hervorgeht.

Der Elternwille entscheidet. Es liegt ganz im Willen der Eltern, ob Kinder kommen oder nicht kommen. Ihr, der Eltern Wille geschehe! Die Sicherung im Alter wird vertrauensvoll in die Hände der Sozialkassen gelegt, eigene Kinder sind als soziale Absicherung im Alter somit überflüssig geworden.

Kinder sind ein kontingentes Ereignis geworden, das bei Bedarf der Eltern geschehen oder auch auch entfallen kann. Ein Blick auf die Abtreibungsstatistik belegt dies schlagend. Seit 1996 weist das Institut eine leicht schwankende Kurve an Schwangerschaftsabbrüchen nach – sie liegt stets bei über 10% der Geburtenzahlen, oder auch in ganz Deutschland bei meist über 100.000 Abbrüchen pro Jahr.   In zehn Jahren werden also mehr als 1 Million Abbbrüche vorgenommen. Schwangerschaftsabbrüche sind Teil der Normalität des Kinderlebens in Deutschland, sie sind keine absolute Ausnahme, sondern eine Begleiterscheinung.

http://www.bib-demografie.de/DE/DatenundBefunde/07/Abbildungen/a_07_01_schwangerschaftsabbrueche_d_w_o_1996_2010.html?nn=3073206

In amtlicher Darstellung des Instituts der Bundesregierung wird das Kinderzeugen und Kindergebären als Frage der vorhandenen oder nichtvorhandenen Lust auf Kinder dargestellt:

(Keine) Lust auf Kinder?

Die große Kampagne „Wir haben abgetrieben“ des Jahres 1971, getragen von erfolgreichen Frauen, die glanzvoll im Scheinwerferlicht stehen,  gilt unumstritten als Meilenstein auf dem Weg zum Elternwahlrecht über das Leben des Kindes.

Angesichts dieses regierungsamtlichen Befundes – „Ob Kinder kommen, hängt ganz von Einstellung und Lust der Eltern ab“ – und angesichts der Abtreibungsquoten von konstant über 10% der Lebendgeborenen dürfen wir feststellen:

Wir alle leben und alle Kinder wachsen in Deutschland heute in dem Bewusstsein auf, dass sie ihr Dasein, ihr Leben der Lust oder Unlust der Eltern verdanken: Es besteht auch eine 10-15%-Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht hätten geboren werden können. „Ob ich geboren wurde oder nicht, hing von der Lust und der Entscheidung meiner Eltern ab. Sie hätten mich auch ablehnen können. Dann gäbe es mich eben nicht. Schön für mich, Gott sei Dank, da habe ich aber großes Glück gehabt.“

Dem Kindwerden und dem Vater- oder Mutterwerden, dem jungen, entstehenden menschlichen Leben und somit überhaupt dem menschlichen Leben wird in unserer Gesellschaft kein überragender, kein lebens- und überlebensnotwendiger Rang mehr zugesprochen. Kinder sind heute eine gesellschaftliche und private Option unter vielen, keineswegs eine Erfüllung und eine in sich ruhende Sinnsetzung des Lebens der Erwachsenen. Kinder sind heute kein Goldschatz für das Leben, sondern eine teils erfreuliche, teils hinderliche Begleiterscheinung, auf die man Lust oder nicht Lust hat.

Keine namhafte gesellschaftliche Kraft – keine Partei, keine große Zeitung, keine in die Öffentlichkeit kraftvoll hineinsprechende oder hineinschreiende Gemeinschaft, kein Sozialwissenschaftler, kein Politiker, der gewählt werden will   – diskutiert oder  beklagt diesen Zustand.

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März 132012
 

Der eine oder andere gütig geneigte Leser mag sich noch an jene Aufzählung von Pflichten und Verboten erinnern, die das früher einmal christliche Europa als die „Zehn Gebote“ kannte. Man findet sie bei einigem Suchen noch in der Hebräischen Bibel, also auch in dem Alten Testament der Christen. Die zehn Gebote sind noch nicht ganz außer Mode, auch wenn sie jeden Tag hunderttausendfach übertreten werden.

Die zehn Gebote, die teilweise Ergebnisse von Lebensweisheiten sind, richten sich an den einzelnen Menschen. Beispiele, an die manche der älteren Leser dieses Blogs sich noch erinnern mögen, sind: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“, „du sollst nicht morden“, „du sollst nicht  stehlen“, „du sollst nicht Falsches gegen deine Nächsten aussagen“, „du sollst nicht das Haus deines Nächsten begehren“  usw. usw.

Biblischer Glaube besagt: Würdest du diese hier aufgezählten wenigen Gebote und Verbote einhalten, dann ginge es dir und den deinen besser. Wer diese Gebote verletzt, schadet anderen und letztlich auch sich selbst. Wenn niemand mordet, lügt und stiehlt, geht es dir und den deinen besser. Wenn du Vater und Mutter pflegst und hegst, geht es dir und den anderen besser.

Biblischer Glaube besagt: Nicht das Eigentum ist böse, sondern das Stehlen des Eigentums. Nicht das menschliche Leben ist böse, sondern die Vernichtung des menschlichen Lebens, der Mord. Nicht das Privateigentum ist böse, sondern der Diebstahl.  Nicht die Sprache ist böse, sondern das Reden in der Absicht, anderen zu schaden, die Lüge.

Eine andere Ethik, man könnte sie Kollektivethik nennen, predigt John Lennon in seinem bekannten Lied IMAGINE.  Das Lied wurde kürzlich im Konzerthaus auf dem Festakt der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt gespielt. Ein klares Bekenntnis Deutschlands zum Gedanken der Kollektivethik?

Lennon stellt sich eine gute Welt vor, eine Welt ohne Staatsgrenzen, ohne Eigentum, ohne Religion, ohne den Himmel der Werte. Dann – so predigt John Lennon – wird alles gut. Nicht der menschliche Wille wählt für  John Lennon das Böse, sondern die Trennung in Länder, die Trennung in Mein und Dein, die Religion. Staatlichkeit, Religion, Besitz sind die Ursachen des Bösen. Durch Abschaffung von Staatlichkeit, Religion und Besitz entfällt der Grund zum Bösen. Das Paradies kann anbrechen. So ähnlich dachte wohl auch John Lennon persönlich.

Man darf weiterdenken: In einer John-Lennon-Welt ohne Eigentum, ohne Religion, ohne Nationalitäten werden die Menschen gut sein. Es wird keinen Mord, keinen Raub und keine Lüge geben.

Durch die Abschaffung von Eigentum, Religion, Nation und Staatlichkeit bricht das Reich des ewigen Friedens an. Es gibt keinen Grund mehr, irgendetwas Böses zu tun. Alles wird gut.

JOHN LENNON lyrics – Imagine
Imagine there’s no heaven
It’s easy if you try
No hell below us
Above us only sky
Imagine all the people
Living for today…

Imagine there’s no countries
It isn’t hard to do
Nothing to kill or die for
And no religion too
Imagine all the people
Living life in peace…

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Apr. 292011
 

Die auf Paraffin gemalten, geritzten, eingeriebenen, eingearbeiteten Bilder Heike Jeschonneks prägten den Abend – einen langen, hinausgezögerten Vorsommerabend.

Ich gehe zur Eröffnung der Ausstellung.

Unterwegs, an der Ecke Obentrautstraße/Mehringdamm fragt mich eine Touristin auf Englisch: „Entschuldigung, ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Was würden Sie mir raten?“

„Gehen Sie mit mir!  Ich sehe doch, Sie interessieren sich für Kunst.“ Und so gehen wir zusammen hin. Ich erzähle von meiner Heimat Kreuzberg, sie erzählt von ihrer Heimat Tel Aviv. Wir gehen zur Eröffnung der Ausstellung in der Galerie Tammen und Partner in der Hedemannstr. 14 / Ecke Friedrichstr. in Kreuzberg.

Ich treffe viele Bekannte und Freunde, stelle ihnen meine neue Bekannte vor und lerne selbst einige neue Bekannte kennen, führe Gespräche über Städte, Bilder, Menschen und mit einer Finnin über „die wahren Finnen“.

Ich mag dieses Würfelspiel aus Bildern, Gesichtern und Gesprächen, typisch für die bunte treibende Berliner Kunstszene.

Aber am besten hat mir heute doch gefallen, dass ein unbekannter Mensch, der aus Israel nach Berlin gekommen war, mich gefragt hat: „Ich weiß nicht, wohin ich gehen soll. Was würden Sie mir raten?“ Dieses Vertrauen, das ich darin spüre, war ein riesiges Geschenk!

Es gibt so viel Negativität im Leben und auf der Welt. Terry Eagleton ist – nach seinem Buch zu urteilen – überzeugt, dass aufs Ganze gesehen die negativen Aspekte in der Weltgeschichte bisher bei weitem überwiegen. Sonach gibt es keinen endgültigen Trost für Hiob. Bisher!

Dennoch schließe ich den heutigen Tag mit der überwältigenden Bilanz ab: es gibt hier in Kreuzberg, in meinem Umfeld, deutlich mehr Vertrauen als Misstrauen, deutlich mehr Gutes als Schlechtes, deutlich mehr Liebe und Zuneigung als Neid und Misstrauen. Es tut mir leid für alle Philosophen der Negativität, für all die Schopenhauers, Adornos, Žižeks und Habermas‘.

Wir sind keine Gespenster, sondern Menschen aus Fleisch und Blut, die einander im Guten zugetan sind.

Die Evidenz des Guten, das ich erfahre, überwiegt  noch den wortreichsten Versuch, mich vom Gegenteil zu überzeugen.

Immer wieder wird mir dann entgegnet: „Ja, aber: Auschwitz! Gulag! Hiroshima! Srebrenica!“  Darauf erwidere ich: Der Riesenunterschied zwischen Auschwitz und heute ist: Ich persönlich habe diesen heutigen Tag erfahren. Von Auschwitz habe ich nur gehört und gelesen. Es ist vergangen. Der heutige Tag, das Jetzt gibt den Ausschlag.

Bild: „Gespenster“ von Heike Jeschonnek.

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