Wachstum per se ist nichts Gutes

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Aug 202009
 

Irgendwo auf der A9 hörte ich gestern im Deutschlandradio Kurt Biedenkopf. Beachtlich! Der Mann beweist seinen unabhängigen Kopf – genau so wie ich das im letzten Eintrag forderte. Was mir auch gefällt: Er redet mit Leidenschaft, wie es kein auf Wählerstimmen bedachter Politiker tun dürfte. Na, der Herr Biedenkopf scheint nicht anzutreten beim Wahlvolk.

Das passiert mir auch immer wieder bei Diskussionen – ich rede mich in Feuer, wirke polarisierend – und dann beim Rausgehen merke ich: Jetzt sind  80% gegen mich – und die anderen sagen: Er hat zwar recht, der Hampel, aber er hätte es nicht so deutlich sagen dürfen.

Den aktiven Politikern – und letztlich uns allen – wirft Biedenkopf  vor, die wahren Probleme der Gerechtigkeit überhaupt nicht anzugehen. Darin kommt er mit Horst Köhler überein.

Wir müssen uns von dem Vorrang des Wachstums, dem Vorrang des Wohlstands verabschieden. So Biedenkopf, so Köhler.

Das bedeutet aber eine wesentliche Korrektur am Wachstumsdenken, wie es den Diskurs der aktiven Politker heute noch beherrscht. Dieses Wachstumsdenken fordert: Die Volkswirtschaft muss wachsen, damit wir Deutsche uns unseren Wohlstand weiter leisten können. Diese Grundfigur findet man wieder und wieder. Im aktuellen Wahlkampf stellt niemand diesen Wachstumskonsens offen in Frage. Denn das würde bedeuten: Wählt mich, dann werdet ihr ein Opfer bringen. Wählt mich, dann werdet ihr weniger Geld im Geldbeutel haben. Wählt die neue Selbstbescheidung!

Keiner sagt in diesem Wahlkampf wie Biedenkopf oder Köhler: Wachstum und Wohlstand sind nicht die obersten Gebote. Was sind sie? Die obersten Gebote politischen Handelns sind in meinen Augen das Recht, die Freiheit und die Gerechtigkeit unter den Menschen des Planeten Erde. Diese drei Pole gilt es immer wieder gegeneinander zu gewichten: ein kompliziertes Spiel von Kräften und Gegenkräften, das unter anderem im Parteiengefüge seinen Niederschlag findet.

Biedenkopf sagt: Wir haben keine gerechte Wirtschaftsordnung, wenn 2 Milliarden Menschen hungern.  Wir haben keine Wirtschaftsordnung der Freiheit, wenn wir die Lasten des eigenen Wohlstands den Kindern und Kindeskindern aufbürden.

Bitte mehr Einsichten, Herr Biedenkopf! Sie sind eine echte Erleuchtung für die Ohren im Funkloch des Wahlkampfes!

Biedenkopf erwartet kein baldiges Ende der Wirtschaftskrise

Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Biedenkopf erwartet keine rasche Erholung der Wirtschaft. Nach Auslaufen der Kurzarbeit werde die Arbeitslosigkeit ansteigen, sagte das Mitglied im Bankenrettungsfonds SoFFin im Deutschlandfunk. Alle Elemente, die die Krise hervorgerufen hätten, seien noch da. Wachstum allein könne die Probleme nicht lösen, so Biedenkopf. Zu schnelles und rücksichtsloses Wachstum habe in der Vergangenheit viele Schäden verursacht. Der CDU-Politiker warnte in diesem Zusammenhang vor kurzfristigem Denken. So habe etwa die Abwrackprämie ein Problem heute so gelöst, dass es übermorgen komme.

 

 Posted by at 21:02
Jun 152009
 

Irgendwann streikte das Mikrophon. Auf einmal hörte man die Stimme der Rednerin unverstellt, klar, raumfüllend. Hildegard Müller ließ sich nicht beirren: Es geht auch ohne Unterstützung. Unverstellt, klar, raumfüllend: so war auch der Inhalt ihrer Rede.  

 

Eingeladen hatte die Konrad-Adenauer-Stiftung. Es war die Auftaktveranstaltung zur Reihe „“Friedrichshain-Kreuzberger Gespräche““.

 

War dies ein Sinnbild für das Thema? Müssen wir uns mehr auf die Kraft des einzelnen verlassen, der sein Wort hinaussendet in den offenen Raum, unbekümmert darum, ob er stets das sagt, was die jeweilige Regierung in ihrem unerforschlichen Ratschluss zu tun beabsichtigt? Der sich der Kraft der Freiheit anvertraut?  

 

Hildegard Müller wird ja recht launisch in der neuesten Hymne auf die neue CDU, angestimmt von Mariam Lau, in folgenden Worten als einer der bekannten „Wirtschaftsflüchtlinge“ vorgestellt, worüber auch dieses Blog am 23.08.2008 berichtete:  

 

Schon früher als „der Frieder März“ geht Hildegard Müller, eine der engsten Vertrauten Merkels und Staatsministerin im Kanzleramt. Sie wird Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung beim Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft.

 

Und Hildegard Müller hatte in der Tat ihre eigenen Gedanken, die sie furchtlos und sachlich, diplomatisch-gewandt und doch in der Sache eindeutig vortrug.

 

Einiges sei herausgegriffen! Sind die Ursachen der Bankenkrise richtig erkannt worden? Vielfach wird einem ungehemmt wuchernden Markt, der sich über alle Regeln hinweggesetzt habe, die Schuld an der Finanzkrise zugeschrieben. Frau Müller konnte nachweisen, dass auch die Staaten ein gerüttelt Maß an Mitverantwortung tragen, nicht so sehr durch Vernachlässigung ihrer Aufsichtspflicht als dadurch, dass sie selbst als Akteure auf dem Markt auftreten. Und zwar häufig mit groben Patzern, in jedem Fall aber wettbewerbsverzerrend.

 

Über all den Stützungs- und Rettungsmaßnahmen laufen die Staaten Gefahr, nicht in ihre Zukunft zu investieren. Autos alten Typs werden zwei drei Jährchen weitersubventioniert, und mittlerweile versäumt man das Ausreifen und Wachsenlassen neuer, marktfähiger, innovativer Produkte, die selbständig ihren Markt finden.

 

Innovation, Abbau bürokratischer Hemmnisse, etwa im Bereich des Infrastrukturausbaus -, und eine massive Förderung der Bildung: dies mahnte Hildegard Müller auf eine Weise an, dass niemand, niemand im Saal ihr die Zustimmung verweigert hätte. Wir waren alle überzeugt oder wurden alle überzeugt, und wer nicht überzeugt war, der hat es nicht gesagt. Und so stellten wir ein paar Fragen, die Frau Müller auf unnachahmliche Art teils von hinten her, teils von vorne her abarbeitete. Tja, der eine oder andere war baff darob. Wie macht sie das?

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Ein bisschen enttäuscht war ich aber doch: Denn ich hatte mir sorgsam ein paar Fragen zurechtgelegt, mit denen ich die regierungsnahe Politikerin ein bisschen ärgern wollte, hatte „Erhards „Wohlstand für alle“ studiert und mich auch zum neuesten EU-Energiehandel (Öl, Gas, Strom, Derivate, Zertifikate) gewappnet: Denn auch in der EU, vor allem aber in Deutschland gilt es, einen funktionierenden Markt herzustellen, es gilt, das Oligopol der „großen Vier“ zu brechen, –so meine ich jedenfalls.

 

Aber Freunde, Blogger, was soll ich euch sagen? Hildegard Müller nahm mir den Wind aus den Segeln. Sie listete eigentlich fast all jene kritikwürdigen Punkte, die mir an der aktuellen Politik der Bundesregierung schwer aufstoßen, selbst auf. Sie machte sich für eine „Neue soziale Marktwirtschaft“ stark. Und „neu“, das heißt ja wohl eine Marktwirtschaft, die nicht mehr auf das Selbstläufertum eines garantierten Wachstums setzt, sondern auch auf behutsam steuernde Eingriffe des Staates zugunsten eines wahrhaft zukunftsfähigen Marktes. Gut, schön, überzeugend gesagt!

 

Ich besann mich um, blies meine Fundamentalkritik am Staatssozialismus neuester Prägung ab. Ich stand zwar auf, zückte meine Samisdat-Kopie des derzeit nicht erhältlichen Werkes von Ludwig Erhard aus der Tasche und forderte kühn erst einmal eine Rückbesinnung auf die alte soziale Marktwirtschaft. Aber ansonsten stimmte ich der Rednerin in fast allen Punkte zu. Und gut war’s.

 

Am besten gefiel mir die folgende Aussage Frau Müllers: „Ersparen Sie mir, die Vor- und Nachteile der Parteiprogramme abzuwägen. Ich bin CDU-lerin durch und durch. Für mich gibt es nur die CDU. Sie ist die einzige Partei, die Freiheit und staatliche Regeln in die richtige Balance bringen kann.“

 

Na bitte, dachte ich. So schön und überzeugend kann CDU sein! Und noch etwas dachte ich: Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.

 

Also, ich fände es äußerst bedauerlich, wenn Hildegard Müller nicht irgendwann den Weg zurück in die „echte“ Politik fände.

 

Das Foto zeigt Hildegard Müller zusammen mit einem CDU-Mitglied aus Friedrichshain, Herrn Ulbricht.

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Buchtipps:

Mariam Lau: Die letzte Volkspartei. Angela Merkel und die Modernisierung der CDU. DVA München 2009, Zitat hier: S. 42

 

Ines Zenke/Ralf Schäfer (Hgg.): Energiehandel in Europa. Öl, Gas, Strom, Derivate, Zertifikate. 2. Auflage, C.H. Beck Verlag, München  2009

 

 

 Posted by at 23:00