Sep 152009
 

Die Stationen der S-Bahn, die in den Berichten über den Mord an Dominik Brunner getötet wurde, kenne ich alle aus meinen Münchner Jahren. Dieser Tod geht mir sehr nahe.

Erstaunlich ist erneut, dass die Politiker aller Parteien kaum Erhellendes oder Sinnvolles dazu sagen. Die Täter standen in Betreuung, sie wohnten unter ständiger Hilfe. Sie waren langjährige Klienten der Sozialarbeit, der Polizei und der Justiz. Was fordert Brigitte Zypries, die Bundesjustizministerin: Mehr Sozialarbeit, mehr Schulstationen. Aber nicht der Mangel an Sozialarbeit scheint hier das verursachende Problem gewesen zu sein. Sondern offenbar zerbrochene Lebensmuster, zerbrochene und zerbrechende Familien. Der eine oder andere Unionspolitiker verlangt härtere Strafen. Ohne darlegen zu können, wie härtere Strafen das Abgleiten in kriminelle Karrieren verhindern können.

Die absolute Mehrzahl der jugendlichen Kriminellen stammen aus zerbrochenen oder zerbrechenden Familien – aus zerrütteten Familien, wie es heißt. Aus Familien, die ihrer Erziehungspflicht nicht nachkommen. Das ist so. Das wissen eigentlich alle Fachkräfte.

Was sollte der Staat tun? Meine Forderung ist eindeutig: Der Staat, also wir, muss über die Schulen, über alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel den Sinn für die Verantwortung der Familien stärken. Er muss ins Bewusstsein heben, dass die Eltern Pflichten gegenüber den Kindern haben, dass die Eheleute sowohl den Kindern wie auch einander Treue und Fürsorge schulden. Jedes Märchen, jede Geschichte – alles ist recht zu diesem Ziel. Wir – der Staat – müssen wieder und wieder die Botschaft aussenden: Die wichtigste und die nicht aufgebbare Verantwortung für das Gedeihen der Kinder liegt bei den Eltern – oder denen, die für die Kinder Sorge tragen. Das können Großeltern sein, Verwandte, Freunde. Aber der Staat, die Sozialarbeit soll nur dann einspringen, wenn es anders nicht geht.

Diese Botschaft wird aber derzeit nicht vermittelt. Ich blättere immer wieder Lehrpläne und Lesebücher unserer Schulen durch. Dort lernt man weder, wie man ein Butterbrot schmiert, noch dass Vater und Mutter (oder die beiden Mütter, die beiden Väter) die Kinder ordentlich anziehen sollen, dass sie ihnen  täglich warmes Essen kochen sollen. Nichts. Das Leitbild der heilen Familie ist aus den Lesebüchern, aus den Schullehrplänen verschwunden. Es wimmelt von lauter Einzelkindern, die irgendwelche Abenteuer bestehen. Aber das Leitbild Familie ist verblasst. Die Folgekosten sind riesig.

Na, ärgert ihr euch, dass ich „heile Familie“ sage, statt „intakte primäre Sozialisationsagentur“? Ärgert euch nur!

Ich ärgere mich auch: Wir Eltern haben soeben die neue Broschüre zur Berliner Schulreform erhalten. Motto: „Eltern – zurückbleiben!“ Die Kinder fahren allein ab, die Rolle der Eltern bei der Erziehung der Kinder wird in der Broschüre nicht erwähnt. Der Staat kümmert sich um alles. Die Kinder steigen in den Zug, die Eltern winken.

Ich finde, das Leitbild Familie gehört wieder zurückverpflanzt in Herz und Kopf. Der Staat wird auf diese primäre Sozialisationsagentur nicht verzichten können. So viel Geld hat er nicht, Finanzkrise hin, Finanzkrise her.

Gibt es denn keine einzige Partei in Deutschland, die noch mutig genug ist, die starke, die leistungsfähige Familie zu fordern und zu fördern? NICHT mit GELD, sondern mit guten WORTEN. Klingt paradox. Ich meine das aber so. Alle, alle verlangen bei derartigen schlimmen Gewaltvorfällen mehr Staat, mehr Geld, mehr Polizei, mehr Videokameras, mehr Strafen, mehr Sozialarbeit – alles, was den Steuerzahler Geld kostet.

Ich nicht. Ich verlange mehr und bessere Familie. Bitte mehr Propaganda-Arbeit für die Familie!

Die Familie ist kein steuerliches Problem, sondern eine Frage der Werte, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Der Werte, die eine Gesellschaft steuern.

In der Beschreibung des Ist-Zustandes hat die Ministerin Zypries ansonsten recht.

Zypries über Jugendgewalt – “Die Verrohung nimmt zu“ – Politik – sueddeutsche.de
SZ: Die bayerische Justizministerin fordert die Erhöhung der Höchststrafe für Jugendliche von zehn auf 15 Jahre.

Zypries: Das ist für mich hilfloser Aktionismus. Jugendliche begehen Straftaten in der Regel spontan und unüberlegt und denken doch nicht darüber nach, welche Höchststrafe ihnen drohen könnte. Wichtig ist, die Ursache solcher Gewaltexzesse an der Wurzel zu packen, indem wir uns verstärkt um die Jugendlichen durch Sozialarbeit in der Schule und durch Jugendarbeit kümmern.

Viele Jugendliche erleben heute keinen geregelten Tagesablauf mehr. Wir müssen verhindern, dass sie erst später im Jugendknast lernen, wie man sich selbst ein Brot schmiert und die Wäsche wäscht. Hier sind vor allem die Länder gefordert, für eine bessere Personalausstattung zu sorgen, statt ausgerechnet bei der Schulsozialarbeit zu sparen

 Posted by at 11:09

  6 Responses to “Leitbild Familie jetzt stärken!”

  1. Herr Loewe, damit kann ich gut leben, so oder so ähnlich sehe ich das auch. Danke für Ihren Kommentar.

  2. Ich gebe Ihnen recht:
    Auch ich glaube, das Beste, was man persönlich geben kann, ist Vertrauen – vor allem in der Familie, aber auch am Arbeitsplatz — und in der Politik. Respekt vor dem anderen Menschen und seinen Lebensäußerungen, auch wenn’s mir zuwider ist.

    Ich gebe Ihnen auch hierin recht: Es ist der Mangel an Empathie, der diese Jugendlichen zu Gewalttätern macht.

    Und ich geben Ihnen drittens recht: Unsere Gesellschaft ist eigentlich relativ gewaltarm – und außerdem gewaltärmer geworden in den letzten Jahrzehnten, wenn man die Polizeistatistik richtig liest.

    Aber das widerspricht (scheint mir) nicht meinem Hinweis auf die Ursache des Mangels an Empathie: Der hat zu tun mit dem Zusammenspiel von narzisstischem Individualismus und dem (durchaus realistischen!) Gefühl, zu den Verlierern zu gehören oder in der Gefahr zu sein, bald zu ihnen zu gehören.

    In vielen anderen Ländern ist das schlimmer als bei uns. Aber es könnte auch bei uns allmählich schlimmer werden – wenn die Zahl der Verlierer zunehmen sollte …

  3. Herr Loewe, ich glaube in die Kraft der Worte, der Bilder, der Botschaften. Vor allem glaube ich an die Kraft der Gefühle. Kinder und Jugendliche, die in Vertrauen aufwachsen, die sich geliebt uind angenommen fühlen, die entwickeln auch das Vermögen, sich in andere hineinzuversetzen. Die werden sich um andere kümmern. Der völlige Mangel an Empathie, die Unfähigkeit, für die Opfer der eigenen Gewalt Mitleid zu empfinden, der zeichnet diese jugendlichen Gewalttäter aus. Das haben mir Polizisten, Psychologen udn Sozialarbeiterinnen immer wieder berichtet.

    Ich neige weniger zu Ihrer Ansicht, dass unser Wirtschaftssystem die Verlierer produziert. Im Gegenteil: Das Gewaltniveau in usnerer Gesellschaft ist, trotz der einzelnen Fälle, die das Gegenteil zu belegen scheinen, eher gering. In Südafrika, in den USA, in Russland geschehen viel mehr Gewalttaten und Morde.

    Mir scheint das wichtigste für Kinder das richtige Verhältnis von Geborgenheit und Freiheit.

  4. Sie suchen in der richtigen Richtung:
    Sie fragen nach den Ursachen, und sie weisen auf zerbrochene Familien.

    Soweit stimme ich zu.

    Aber dann wird’s hilflos: Sie appellieren. Sie wollen, dass appelliert wird. Das Leitbild Familie muss gehegt und gepflegt werden …

    Glauben Sie, dass mit Appellen und schulischer Pflege von Leitbildern auch nur eine zerbrechende Eltern-Kind-Beziehung gerettet wird?

    Worte bringen da nicht viel, Herr Hampel.

    Was sind die Ursachen dafür, dass Familien zerbrechen, dass Eltern unfähig werden, ihre Kinder angemessen zu erziehen?

    Nicht der Mangel an Appellen, nicht der Verlust des Leitbildes. Dass dieses Leitbild verloren gegangen ist, hat ja mit der Realität zu tun – eben dem Verlust der stabilen Familie.

    Wir müssen also tiefer graben. Radikaler analysieren.

    Könnte es sein, dass das viele Gute, das uns unsere Gesellschaft schenkt, seine Schattenseiten hat – seine unbeabsichtigten Nebeneffekte – seine hintergründigen Monstrositäten?

    Nur mal als Beispiel: Wir schaffen Verlierer. So ist unsere deutsche marktwirtschaftliche Welt konstruiert, von der Schule bis zur Bahre. Und den Verlierern gefällt es nicht, Verlierer zu sein … und einige von ihnen werden bösartig …

  5. Hallo C, sicher, die Klage über die Jugend ist uralt. Altbacken. Ich schließe mich dieser Klage jedoch nicht an. Ich war selber genau so pflichtvergessen, frech und familienunlustig wie wohl die meisten jungen Leute.
    Was ich kritisiere, ist, dass alle glauben, die Ursachen für das Versagen von Familien in sozialen Problemen zu suchen, in Ungerechtigkeiten, in den Verhältnissen. Dem ist meiner Erfahrung nach nur in wenigen Fällen so.

  6. Ja, wir werden alle sterben. Jetzt stehts fest. Mit der Jugend wars noch nie so schlimm wie heute. Der Untergang ist nahe.

    http://cymaphore.net/journal/entry/27/200909151109/Die_Jugend_zerst%C3%B6rt_die_Gesellschaft

    😉

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